Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2019|07-08
Offen / Geschlossen
db deutsche bauzeitung 2019|07-08

Gerichteter Blick

Unternehmenssitz mit Eventlocation in Stuttgart

Der Stuttgarter Online-Weinhändler viDeli wollte aus der virtuellen Unsichtbarkeit auftauchen. Gemeinsam mit dem befreundeten Architekten Marco Hippmann wurde ein Grundstück gesucht und im Gewerbegebiet im Stuttgarter Osten auch gefunden. Entstanden ist eine schlichte Beton-Kiste, die einen funktionalen Lagerraum, Büros und den reduzierten, aber atmosphärischen Verkostungsraum »club traube« beherbergt. Durch wohl gesetzte Öffnungen werden Ein-, aber v. a. reizvolle Ausblicke gewährt – mitten im Gewerbegebiet an einer viel befahrenen Straße kein ganz einfaches Unterfangen.

12. August 2019 - Ulrike Kunkel
Auf dem alten Schlachthofareal, direkt an der Verkehrsachse Wangener Straße in Stuttgart-Ost zwischen Büro- und Gewerbebauten der letzten Jahrzehnte steht das neue Domizil des Online-Weinhändlers viDeli, der an diesem Standort seine drei, bislang auf das Stadtgebiet verteilten Firmen (einen Weingroßhandel, eine Beraterfirma im Weinbereich sowie den Online-Weinhandel), zusammenführt. Eine sicher nicht auf Anhieb ansprechende Gegend, aber spannend und passend, wie sich die Bauherren Sabine Harms und Oliver Schmid mit dem Architekten und Stadtplaner Marco Hippmann einig waren. Schnell war klar, dass das Erscheinungsbild des Gebäudes in diesem heterogenen Umfeld nicht marktschreierisch, sondern unauffällig und ­zurückhaltend sein sollte. »Ich wollte den Ort, so unspektakulär er auch ist, nicht ignorieren«, sagt Hippmann. Und so ist die Gestaltung und die Materialwahl ein gut Stück aus der Umgebung heraus entwickelt: Beton für die Hülle, Asphalt für den Vorplatz, ein einfacher straßenbegleitender Grünstreifen anstatt einer aufwendigen Außenraumgestaltung und Leitplanken als Zäune. Entstanden ist eine langgezogene Kiste aus Beton-Fertigteilen in Sandwischbauweise auf einem Grundriss von 50 x 18 m – nichts ist angefügt und fast nichts auf­gebracht, lediglich der kleine, edle Messingschriftzug »club traube« gibt einen dezenten Hinweis auf die Bestimmung des Gebäudes.

Wobei, wie Marco Hippmann erzählt, neben Beton durchaus auch andere Materialien für die Gebäudehülle überlegt wurden: Holz, wegen des Bezugs zum Wein und zu den Weinfässern, aber auch Metall, da das Budget begrenzt war und strikt eingehalten werden sollte. »Metall haben wir jedoch wegen des aufwendigen und dann doch wieder kostenintensiven Brandschutzes schnell verworfen, Holz lange präferiert. Da es uns aber wichtig war, auf eine Kühlung zu verzichten, hat der Stahl-Betonbau seine klaren Vorteile. Er erwärmt sich langsam, was für die schonende Lagerung des Weins wichtig ist, denn Temperaturschwankungen sind nicht per se problematisch, sie sollten aber auf keinen Fall plötzlich erfolgen.« So haben die Architekten ein »träges Gebäude« in einfachster Konstruktion geplant: 8 cm Beton-Außenschale, 12 cm Styrodur-Dämmung, 20 cm Innenschale und ein Dach aus Trapez­blechen, das begrünt wurde. Elektronisch gesteuerte Lüftungsklappen sorgen, gemeinsam mit den Dachfenstern selbst bei sommerlichen Spitzen­temperaturen (fast immer) für die erforderliche Nachtauskühlung. Falls einmal nicht, stehen mobile Klimageräte bereit, um die Qualität der Weine nicht zu gefährden.

Öffnungen – präzise gesetzt

Passend zum Äußeren ist auch das Innere zurückhaltend gestaltet und in ­jeder Hinsicht sparsam möbliert und ausgestattet. Versprüht das Gebäude nach Außen aber allenfalls einen spröden Charme, so sind die Büros, der kleine Besprechungsraum, die Erschließungsbereiche und v. a. der große »Weinraum« für Verkostungen, Präsentationen und Events trotz aller Schlichtheit wohnlich zu nennen. Dafür sorgen die Proportionen, die Stringenz der Gestaltung mit nur wenigen Materialien und Farben und v. a. die wohl gesetzten Fensteröffnungen, die stets den Bezug zu den umliegenden Räumen und zum Außenraum herstellen und dabei geschickt den Blick eben nicht auf den Asphalt der Straße und die vorbeifahrenden Autos, sondern auf den Wiesenblumenstreifen davor lenken.

Wirken die unterschiedlich großen, quadratischen Öffnungen von außen noch wie zufällig auf der Fassade verteilt, wird ihre durchaus sehr präzise Platzierung im Innern schnell klar. Jede Öffnung hat ihren Sinn und ist das Ergebnis einer eingehenden Planung und Analyse von Blickachsen und -beziehungen. So ist eine z. B. gen Himmel ausgerichtet und blendet die Gewerbebauten davor aus, eine andere ist wiederum so platziert, dass sie exakt die kleine Sitzgruppe belichtet und auch belüftet. Die Fenster zwischen den einzelnen Räumen erklären sich einerseits aus den Betriebsabläufen heraus und gewähren andererseits Einblicke in die unterschiedlichen Nutzungsbereiche des Gebäudes.

Dezent, aber wohnlich – der Weinraum

Nach Passieren des Eingangs steht man fast unmittelbar im Weinraum »club traube«, dem thematischen Zentrum des Hauses, und es gelingt schlagartig, das eben noch sehr präsente Gewerbebiet komplett auszublenden. In dem ­angenehm geschnittenen Raum, der durch den mittig platzierten, hohen Eichenholztisch und das vorherrschende Hellgrau (RAL 7032) geprägt wird, fühlt man sich auf Anhieb willkommen. Nur wenige Farbtupfer in Form von Bezugsstoffen der Sessel zweier Sitzgruppen an den Schmalseiten und großformatiger, an einer Wand konzentrierter Grafiken, setzen weitere Akzente. Nach und nach soll die Wand mit der momentan erst angedeuteten Petersburger Hängung mit Bildern, Fotos und Fundstücken, die die Bauherren von ihren Besuchen bei den Winzern mitbringen, gefüllt werden, sodass eine »Erzählwand« entsteht, die viel über das Unternehmen, seine Inhaber, ihre Partner sowie die Produkte mitteilt.

Im wahrsten Sinne luxuriös und überaus wirkungsvoll nehmen sich die raumhohen, wandbegleitenden und farblich perfekt abgestimmten Vorhänge aus, mit denen sich der Raum auf vielfältige Weise variieren lässt. Akustik-Baffeln unter der Decke sorgen zusätzlich für eine sanfte Atmosphäre. Leuchten über der langen Tafel, aber v. a. eine einfache Deckenbeleuchtung, die zusammen mit dem Elektriker entwickelt und umgesetzt wurde, tauchen den Weinraum in ein angenehmes Licht. Aus der angeschlossenen, offenen Küchennische schiebt sich der 1,60 x 1,60 m große »Travertinblock« ins Bild. Er dient bei Verkostungen und Events als Anrichte und ist in Wirklichkeit natürlich aus 2 cm dicken Platten gefügt – was seiner Wirkung keinen Abbruch tut.

Doch dieser Raum, der jetzt so selbstverständlich wirkt, hat eine lange Entstehungsgeschichte. »Das Herzstück des Projekts, an dem gewissermaßen der Onlinehandel offline gehen sollte, erwies sich als echte Herausforderung. Wie lässt sich das darstellen? Fragten wir uns immer wieder«, erzählt Marco Hippmann. Und um die Frage nicht ausschließlich aus Architektensicht zu behandeln, nahmen sie das Stuttgarter Design Studio Projekttrangle hinzu. Alle Themen wurden gemeinsam behandelt, alle Entscheidungen gemeinsam getroffen und dass die Zusammenarbeit sehr gut funktioniert hat, bräuchte Hippmann eigentlich nicht extra zu betonen, denn das Ergebnis spricht für sich.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: