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db deutsche bauzeitung 2019|09
Im Norden
db deutsche bauzeitung 2019|09

Mitten im Draußen

Haus J in Ostholstein

Am Rand eines kleinen Dorfs in Ostholstein entstand inmitten eines prächtigen Gartens ein bemerkenswerter Alterswohnsitz, der durch seine räumliche Vielfalt und seine enge Verzahnung mit der Umgebung überzeugt. Das Haus reflektiert dabei sowohl die individuellen Bedürfnisse der Bauherrschaft als auch die spezifische Baugeschichte des Orts.

16. September 2019 - Mathias Remmele
Als ein Altenteil-Haus im ursprünglichen Wortsinn wird man das Haus, das sich das Ehepaar J vor Kurzem am Rand eines kleinen Dorfs bei Eutin im ­malerischen Ostholstein erbaut hat, nicht bezeichnen wollen – auch wenn es zunächst ganz danach aussieht. Denn der Umzug vom großen, vor langer Zeit als Erbe übernommenen alten Bauernhaus in den gleich daneben liegenden, vergleichsweise klein dimensionierten Neubau hat nichts mit der Übergabe des Hofs an die nachfolgende Generation zu tun. Bereits das Bauherrenpaar hat seinen Lebensunterhalt nicht mehr in der Landwirtschaft verdient und von seinen Kindern ist keines in das nun frei gewordene Haupthaus eingezogen. Es waren von daher keine wirtschaftlichen, sondern vor allem praktische Erwägungen, die zum Bau dieses Alterswohnsitzes führten: Das Bauernhaus war schlicht zu groß für zwei und – auf lange Sicht – eben auch nicht altersgerecht.

Zuerst gab es die Idee, ein einfaches Wirtschaftsgebäude, das in den 50er Jahren anstelle einer abgebrannten Scheune errichtet worden war, zu Wohn­zwecken umzubauen. Gutachter rieten jedoch wegen der schlechten Bausubstanz davon ab. So musste es also ersatzweise ein Neubau werden. Schon aus baurechtlichen Gründen wäre jedoch auch für ihn auf dem weitläufigen Grundstück kaum ein anderer Standort als der des Bestandsgebäudes infrage gekommen.

Nach Mass

Geräumig, hell und mit vielen Ausblicken in den Garten und die umgebende Landschaft – das waren die zentralen Wünsche an den Neubau, für den man ein ebenso detailliertes, wie individuelles Raumprogramm entwickelte: eine offene Küche als Herzstück des Hauses, groß genug um Familie und Freunde zu bewirten; ein eher kleineres Wohnzimmer; ein verandaartiges Gartenzimmer, ein großes Schlaf-, Arbeits- und Bibliothekszimmer für ihn; ein kleineres Zimmer für sie; zwei Bäder, eines davon mit Tageslicht und Ausblick in den Garten; eine Waschküche mit direktem Zugang zum Garten; ein als Vielzweckraum nutzbares Gästezimmer; ein geschützter Stellplatz fürs Auto; schließlich Wandflächen für Bücherregale und viel Stauraum in Form von Einbauschränken.

So klar die Vorstellungen der Bauherrschaft hinsichtlich des Raumprogramms waren, so offen zeigte man sich hinsichtlich der formalen Umsetzung. Auch eine dezidiert moderne Lösung sollte möglich sein. Für den Entwurf wandte man sich auf Empfehlung an WEGENER ARCHITEKTEN aus dem nahegelegenen Neustadt in Holstein. Vorwiegend mit Bauen im Bestand beschäftigt, bedeutete das Projekt für Joachim Wegener und sein Team trotz seiner überschaubaren Dimension durchaus eine Herausforderung. Die intensive Arbeit am Entwurf erhielt die entscheidenden Impulse durch eine Fotografie der Scheune, die einst hier gestanden hatte. Der historische Zweiständerbau inspirierte den Neubau gleich auf mehreren Ebenen. Das gilt für das einseitig angeschleppte Dach des Hauses ebenso wie für den eingeschnittenen Stichbogen der Südfassade, der quasi das Scheunentor zitiert. Auch die dreischiffige Grundriss-Struktur des Neubaus lässt sich als Referenz an den Vor-Vorgängerbau lesen.

Mit seinem Krüppelwalmdach, seiner klaren Kubatur und nicht zuletzt mit seiner weißen Putzfassade fügt sich der niedrige, ebenerdige Neubau fast wie ein Familienabkömmling in das vom stattlichen alten Bauernhaus dominierte Hofensemble ein – ohne dabei historistisch oder gar folkloristisch zu wirken. Die für die Gegend eher untypische Putzfassade verdankt der Altbau übrigens einem früheren Besitzer, der ihm damit Ende des 19. Jahrhunderts ein bürgerlich-repräsentatives Aussehen verleihen wollte. Aber nicht nur in den Baubestand integriert sich das Haus auf gelungene Weise. Mit seinem gedrungenen, breit gelagerten Baukörper und seiner auffällig flachen Dachneigung passt es sich auch wie selbstverständlich in die von sanften Hügeln geprägte ostholsteinische Landschaft ein, mit der es wegen seiner dörflichen Randlage in direkter Verbindung steht.

Durch die Küche

Den konzeptionellen und räumlichen Mittelpunkt des Hauses bildet die ­Küche. Hervorgehoben durch ihre Größe, ihre Höhe (bis unters Dach) und ihre Helligkeit vermittelt sie nicht zuletzt dank ihrer zum Garten hin aus­gerichteten, verglasten Südfront, die den vorgelagerten, überdachten Terrassenraum optisch ins Haus hereinholt, einen weiten, großzügigen Eindruck.

Während die Terrasse, das Wohnzimmer, das Gartenzimmer, die Waschküche und die über eine schmale Treppe erreichbare Lesegalerie sowie das daran angrenzende Gästezimmer direkt von der Küche aus erschlossen werden, führen zwei sie flankierende Gänge zu den übrigen Räumen des Hauses – dem Entree, den Bädern und den Schlafzimmern. An ihrem Ende liegt ein weiterer, vergleichsweise intimer Raum, der über seine nach Norden hin ausgerichtete Glasfront, vor der eine zweite Terrasse liegt, einen weiten Blick in die Landschaft ermöglicht. Ein idealer Platz zum Lesen, Schreiben, Nachdenken und für ruhige Gespräche.

Wie im Garten

Dass der überaus sorgfältig angelegte und hingebungsvoll gepflegte Garten im Leben der Bauherrschaft eine herausragende Rolle spielt, offenbart sich einem aufmerksamen Besucher schon beim Betreten des Grundstücks. Auch für die Gestalt des Hauses und den Charakter seiner Innenräume war diese Gartenleidenschaft mitentscheidend. Der starke Bezug zum Garten und zur umgebenden Landschaft ist – vom innenliegenden Bad und dem Entree einmal abgesehen – überall im Haus spürbar. Das gilt in besonderem Maß für die großflächig verglasten Bereiche vor der südlichen und nördlichen Terrasse. Es gilt aber auch für drei der vier an den Hausecken situierten Räume – Wohnzimmer, Gartenzimmer und eines der Schlafzimmer –, in denen die Fenster ­jeweils übereck gezogen wurden. Im Gartenzimmer ­genießt man gar einen dreiseitigen Ausblick. Die schlichte, betont ruhige ­Gestaltung der Innenräume, die mit ihren weißen Putzwänden, den ebenfalls weißen Einbauschränken und den hellen Douglasien-Dielen fast etwas skandinavisch anmuten, tut ein Übriges, um die Aufmerksamkeit auf den Außenraum und das jahreszeitlich wechselnde Farbspiel der Natur zu lenken.

Eine solide, langlebige Konstruktion und die Verwendung schadstoffarmer Materialien, das war bei der Planung dieses Hauses sowohl der Bauherrschaft als auch dem Architekten ein wichtiges Anliegen. Die tragenden Wände wurden aus 36,5 cm dicken, hochdämmenden Ziegelsteinen aufgemauert und sowohl außen wie innen verputzt. Für die Dämmung des Dachs und der Dielenböden nutzte man Zellulosefasern. Für die Doppelstehfalz-Blecheindeckung des Dachs entschied man sich in erster Linie aufgrund der geringen Neigung. Hinsichtlich der Heizung und der Warmwasserbereitung griff man auf eine solarunterstützte Brennwerttherme zurück. Zwei kleine Kaminöfen stehen als ­zusätzliche bzw. alternative Wärmelieferanten zu Verfügung.

So solide, durchdacht und sachlich angemessen wie diese bautechnischen Merkmale, wirkt Haus J auch als Gesamtprojekt betrachtet: Ein Alterswohnsitz nach Maß, durchaus zeitgenössisch in seiner Erscheinung, zugleich aber tief verwurzelt in der Geschichte seines Standorts und der ostholsteinischen Landschaft.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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