Zeitschrift

werk, bauen + wohnen 11-19
Kirchen neu nutzen
werk, bauen + wohnen 11-19
zur Zeitschrift: werk, bauen + wohnen
Unter gotischen Kreuzgewölben Hummer speisen? Im Angesicht des Gekreuzigten den Sonnengruss üben? Oder Windeln wechseln und Verstecken spielen? Ist es vertretbar, dass man einen geweihten Raum in die Niederungen des Alltags entlässt und zum Event- oder Erlebnisraum umfunktioniert? Wo liegen die Grenzen eines immobilienwirtschaftlichen Umgangs mit kirchlichen Räumen? Und wo die Chancen der Öffnung so oft leer stehender Bauten als Allmend für breit verstandene gesellschaftliche Bedürfnisse? Welche architektonische Herausforderung ist damit verbunden? Für die Beantwortung dieser Frage mit moralischer und architektonischer Brisanz gilt wie für die Kunst des Umbauens: Eine Lösung findet sich nur caso per caso.

Radikale Lösungen sind schnell zur Hand, sie sind wohlfeil und die Fallhöhe gross. In Holland oder England finden sich unzählige Beispiele von Kirchenräumen, die zu Sporthallen, Wohnungen, Diskotheken, und ja: sogar zu Bordellen umgebaut wurden. Oft wird dabei die architektonische Würde des Raums ebenso verletzt wie die spirituelle.

In den modernen westlichen Gesellschaften haben der Glaube und die Kirche längst aufgehört, den Alltag zu durchdringen. Doch vielleicht könnte im Gegenzug der gesellschaftliche Alltag mit seinen Bedürfnissen vermehrt in die Kirche dringen und ihr neuen Sinn verleihen? Natürlich ist dieses Editorial kein Plädoyer für mehr Religion im Leben, schon gar nicht für die dunkleren Seiten der Kirchenhierarchien. Doch bewegt man sich durch andere Kulturen, andere Städte etwa in Asien, so fällt schon auf, wie eng Spiritualität und Alltag dort auch heute noch verschränkt sind. Überall gibt es einen Tempel, einen Schrein, vor dem es sich innehalten lässt … Und ist nicht gerade auch die Architektur ein Märchenreich, an das man glaubt oder eben nicht?

Die hier im Heft vorgestellten Beispiele zeigen alle, wie die Würde des religiösen Raums in ein neues Ganzes überführt werden kann. Bei den geglückten Umbauten und Umwidmungen wurde dies nicht zuletzt mit den Mitteln der Architektur erreicht, selbst wenn Architektur nicht die erste Geige spielte.

Architektur ist eine Denkart. Sie ist ein Medium, das zwischen Material und Idee, zwischen Raum und Mensch, zwischen Hier und Dort zu vermitteln weiss. Ohne ihre inszenierende und nobilitierende Maschinerie bliebe mancher Raum nach der Profanierung vor allem eines: profan.

Warum nicht leer stehen lassen?
Gion A. Caminada, Barbara Emmenegger und Michael Hauser im Gespräch mit Tibor Joanelly und Daniel Kurz

Erweitertes Evangelium
Umbau der reformierten Kirche Kloten, Fahrländer Scherrer Architekten
Tibor Joanelly, Hannes Henz (Bilder)

Die Musik feiert das Hochamt
Anneliese Brost- Musikforum Bochum von Bez + Kock
Ursula Kleefisch-Jobst, Brigida González (Bilder)

Gebäude sind immer provisorisch
Medieval Mile Museum, Kilkenny (Irland) von McCullough Mulvin
Colm Murray, Christian Richters (Bilder)

Zwei Kirchen im Dorf
Eine Kirchenrochade in Ebnat-Kappel
Lucia Gratz, Ladina Bischof (Bilder)

Zudem:
werk-notiz: Unverbaute Landschaft schützen und Biodiversität wahren: Das sind die Ziele der Doppelinitiative der Umweltverbände. Der BSA und die werk-Redaktion empfehlen: Unterschreiben!
Debatte: Werk-Redaktor Tibor Joanelly stellt die Frage nach klimaneutralem Bauen in einen globalen Zusammenhang. Er plädiert für Sorgfalt und Verantwortung und sieht im Begriff des «Terrestrischen » gemäss Bruno Latour eine Chance für das zeitgenössische Architekturschaffen.
Neu im BSA 2019: In diesem Jahr sind 31 Architektinnen und Architekten sowie vier assozierte Mitglieder aus fast allen Landesteilen auf Antrag ihrer Ortsgruppen in den BSA aufgenommen worden.
Ausstellungen: Die SBB, Symbol schweizerischer Identität und Pünktlichkeit, ist Gegenstand einer Ausstellung im Zürcher Museum für Gestaltung: Design-Geschichte ist hier gleichzeitig Alltags- und Kulturgeschichte. Ausserdem: Genossenschaftliches Wohnen in Zürich, Schuchow in Moskau.
Bücher: Ein langes Gespräch mit Gion A. Caminada bildet den Kern des neuen Buchs von Florian Aicher über den Architekten aus Vrin. Und Ivica Brnić definiert in seiner Disseration das Sakrale in der Architektur.
Nachrufe: Alain G. Tschumi 1928 – 2019, Christa Zeller 1946 – 2019
Das Tragsystem spricht: Neues aus Leutschenbach: Das News- und Sportzentrum SRF von Penzel Valier gehört zu den bedeutendsten Architekturproduktionen der Schweiz in diesem Jahr. Tibor Joanelly erläutert dies anhand einer ebenso präzisen wie enthusiastischen Beschreibung der Konstruktion des Neubaus.
The building is the message: Fernsehmoderator und Bauherrenvertreter Urs Leuthard vom SRF gibt einen Einblick in die zeitgenössische Newsproduktion. Der Neubau von Penzel Valier manifestiert die neue publizistische Welt in gebauter Form.
werk-material: Wohnheim Haus Felsenau in Bern von Fiechter Salzmann Architekten
werk-material: Wohnheim Klosterfiechten in Basel von Stump Schibli und Beer Merz Architekten

teilen auf

Weiterführende Links:
Verlag Werk AG

Tools: