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Verdrehte Architektur

Galerie »The Twist« des Kistefos-Skulturenparks in Jevnaker (N)

Die Idee des Twists bestimmt den Neubau von BIG im Skulpturenpark Kistefos nördlich von Oslo. Das Gebäude ist Brücke, Museum und Skulptur zugleich – und beweist, dass attraktive Ausstellungsbauten nicht aus der konventionellen Reihung von White Cube und Black Box bestehen müssen.

9. Dezember 2019 - Ulrike Kunkel
Von Oslo aus erreicht man Kistefos mit dem Auto in einer guten Stunde. Einige Kilometer südlich von Jevnaker gelegen stellt es – mit seiner Kombination aus historischen Industrieanlagen, einem vom mäandrierenden Fluss Randselva durchzogenen waldreichen Tal und zeitgenössischen künstlerischen Installationen – das ideale Ziel für einen Tagesausflug dar. Ein anheimelndes Restaurant gibt es auch, Spielplätze ohnehin, und so ist das Areal auch an diesem trüben und regenreichen Herbstnachmittag gut besucht. Was wohl auch damit zu tun hat, dass vor Kurzem, am 18. September, die jüngste Attraktion von Kistefos eröffnet wurde: »The Twist«, das nach Aussagen seines Architekten Bjarke Ingels einen Hybrid aus Architektur, Infrastruktur und Skulptur darstellt. Als Ausstellungsgebäude überspannt das Bauwerk den Fluss – und wirkt doch zugleich wie eine weitere künstliche Intervention in diesem größten Skulpturenpark Norwegens. Prominentester Gast unter den 500 zur Eröffnung geladenen Gästen war Königin Sonja. Was vielleicht weniger mit der Prominenz von Bjarke Ingels, etwas mehr mit den Netzwerken des Kistefos-Mäzen Christen Sveaas, v. a. aber mit dem Ziel zu tun hat, Kistefos national und international zur touristischen Destination auszubauen. Der norwegische Staat und die Kommune Jevnaker sind – wenn auch zu geringeren Anteilen – an der Finanzierung des Projekts beteiligt, denn das Hügelland nördlich von Oslo zählt bisher nicht zu den touristischen Hotspots des Landes. Eher könnte man von einer Gegend sprechen, die man lediglich durchquert, um zum Norwegen der Berge, Fjorde und Gletscher zu gelangen. So ist eine Attraktion, die nicht nur die Bewohner aus der Kapitale zum Sonntagsausflug anlockt, hier überaus willkommen.

Zurück zu den Wurzeln

Der Wasserfall Kistefossen gab dem 1889 von Andres Sveaas gegründeten Unternehmen A/S Kistefos Træsliberi seinen Namen. Der Ort war ideal für den Bau einer Papiermühle geeignet: der Wasserfall verhalf dem Unternehmen zur nötigen Energie, das Holz wurde rund um den Randsfjord geschlagen, einer der größten Binnenseen Norwegens. Von dort gelangte es geflößt über den Wasserweg direkt bis zur Mühle. War Papier bisher im Allgemeinen aus Textilien gefertigt worden, so erlaubten technische Innovationen des 19. Jahrhunderts die kostengünstigere Herstellung auf Holzbasis: die Zerkleinerung von Holz mit Mahlsteinen und die Wasserturbine. Durch seine natürlichen Ressourcen Holz und Wasser war Norwegen prädestiniert für das neue Verfahren, und so schossen Ende des 19. Jahrhunderts etwa 100 Papiermühlen aus dem Boden. Mit den ebenfalls neu entstandenen Eisenbahnverbindungen gelangten die Rohpapierballen zu den Häfen, von wo aus sie nach Kontinentaleuropa oder ins Vereinigte Königreich verschifft wurden. Nach Zusammenschluss mit einem anderen Unternehmen, wurde das Ursprungswerk 1955 geschlossen. Um aber auf etwaige Veränderungen in der Firmenstruktur reagieren zu können, legte man die Anlage nur still. So blieb die Fabrik mit samt dem Maschinenpark als einzige ihrer Art in Norwegen erhalten. Christen Sveaas, Nachfahre des Firmengründers und im Finanzsektor reich geworden, kaufte acht Jahre später die Aktienmehrheit zurück. Der Mischkonzern ist mittlerweile in diversen Geschäftsfeldern wie Öl oder Schiffslogistik tätig, Holzwirtschaft spielt nur noch eine marginale Rolle.

Doch das Gesamtpaket umfasste auch den historischen und namensgebenden Standort Kistefos. Der norwegische Staat drängte auf den Erhalt der Fabrik und die Umwandlung in ein Industriemuseum, und Sveaas beschloss, die umgebende Landschaft in einen Skulpturenpark umzuwandeln. Sukzessive ist dieser seit der Gründung 1996 gewachsen, die meisten der Arbeiten wurden speziell für den jeweiligen Ort angefertigt. Viele der Beteiligten sind prominente Vertreter der norwegischen und internationalen Gegenwartskunstszene, darunter Claes Oldenburg, Coosje van Bruggen, Olafur Eliasson, Anish Kapoor und Tony Cragg. Der Hauptzugang zum Skulpturenpark befindet sich im Norden, neben der alten Fabrikantenvilla. Vom Pförtnerhäuschen mit verknautschter Metallhaut von Elmgreen og Dragset führt der Weg leicht abwärts zum Gebäudeensemble mit der Papiermühle. Die Besichtigung des Industriedenkmals allein lohnt den Besuch schon: Alles an Technik ist noch vorhanden, von den Turbinen im UG über die Sägerei zum Grobzuschnitt der Stämme und die Mahlwerke bis hin zu den Pressen für die Papierballen. Das ist faszinierend anzusehen – und überdies informativ erklärt. Die eher sparsam eingesetzten künstlerischen Installationen verblassen angesichts der Kraft und Stärke, welche die alten Maschinen ausstrahlen.

Skulptur im Licht

The Twist bildet nun seit Kurzem gewissermaßen den zeitgenössischen Gegenpol zur alten Fabrikanlage. Steht die Papiermühle dort, wo die beiden Arme des Randselva sich trennen, so überbrückt das Gebäude von BIG den Fluss dort, wo er wieder zu einem Bett zusammengefunden hat. Tatsächlich handelt es sich zunächst einmal um ein Infrastrukturprojekt, denn durch die Überbrückung werden die beiden bisher getrennten Teile des Parks zu einem Rundgang verbunden – Bjarke Ingels spricht vom »Loop«. Diese Setzung hat natürlich Auswirkungen auf die Atmosphäre der Ausstellungsräume: Der Twist ist nicht ausschließlich Ziel des Besuchs, sondern zugleich Durchgangsstation. Und da es keinen konkreten Rundgang gibt, betreten die Besucher das Gebäude sowohl von der einen als auch von der anderen Seite. Wobei der Parkrundgang entgegen dem Uhrzeigersinn letztlich plausibler ist, weil man sich dem Twist entlang des nördlichen Flussarms nähert und sehen kann, wie aus der gleißenden Skulptur in der Ferne Schritt für Schritt ein Gebäude wird.

Christen Sveaas hatte Studien mit tordierten Körpern von BIG gesehen, als er das dänische Büro 2011 mit dem Auftrag für ein Ausstellungsgebäude betraute. Ein konventionelleres Projekt, das der Sammler schon seit der Jahrtausendwende verfolgte, war zuvor gescheitert. Mit BIG erfolgte der Neustart, und der Gedanke des Twists wurde zur entscheidenden Entwurfsidee. Der 75 m lange Baukörper, der mit 40 cm breiten, vertikal versetzten Aluminiumpaneelen bekleidet ist, scheint in seiner Mitte um 90 Grad verdreht zu sein. Natürlich ist die konstruktive Realität eine völlig andere, denn konstruktiv handelt es sich um eine Stahlfachwerkstruktur, die ohne jegliche Torsion auskommt. Das Bild des Twists entsteht mittels der schmalen Aluminiumelemente, die sich auffächern und um das Gebäude herumwinden – nachvollziehbarerweise erwähnt Ingels einen Kartenstapel als Referenz.

Gewiss: Diese Form ist für das Brückengebäude nicht zwingend, sie will ein Hingucker sein. Aber hier kommt zum Tragen, dass es sich um eine architektonische Intervention in einem Skulpturenpark handelt. Es geht auch um optische Phänomene im Landschaftsraum, wie beispielsweise die auf einer Insel im Fluss platzierte S-Curve von Anish Kapoor beweist. BIG überträgt derlei Phänomene bei seinem 20-Mio.-Euro-Gebäude in den großen Maßstab.

Der Twist bietet die Möglichkeit, den Innenraum zu gliedern. Damit gibt es keine klassische Enfilade, sondern eine Abfolge drei miteinander verbundener Raumbereiche. Der nördliche Raumteil ist breitgelagert und relativ niedrig, die gesamte Ostseite ist verglast und öffnet den Blick über den Fluss zur alten Papiermühle. Es folgen der Twist mit auch im Innern schrägen Wänden – und schließlich ein 9 m hoher, vertikal orientierter Galeriebereich, der sich bei Bedarf durch eine Zwischendecke unterteilen lässt. Von den Fenstern abgesehen, bestimmen schmale vertikale Holzleisten das Innere – Wände ebenso wie Decken und Boden, weil im Twist das eine in das andere übergeht. Alles ist weiß gestrichen, ohne permanente Reinigung – gerade in den feuchten Herbsttagen – geht das nicht. Und abends, so erklärt es eine freundliche Aufsichtskraft, muss der Boden stets neu gestrichen werden. Weil die Wandfarbe, für die der Architekt sich entschieden habe, eben für den Boden nicht recht geeignet sei.

Puristen, die sich am liebsten in klassischen Museumsräumen bewegen, mögen sich hier so manche Frage stellen. Doch BIG ist es gelungen ein spannungsvolles Raumgefüge zu inszenieren, das zwischen Architektur und Skulptur oszilliert. Drei unterschiedliche Räume verbinden sich: Panoramic Gallery, Twisted Gallery und Closed Gallery, mit einer Ausstellungsfläche von insgesamt 800 m². In der Eröffnungsausstellung ist die Bespielung jedenfalls gelungen. Dialogisch zueinander treten die britischen Künstler Howard Hodgin – mit ihm begann Sveaas 1990 seine inzwischen 1 700 Werke umfassende Sammlung zeitgenössischer Kunst – und Martin Creed. Der Twist dient saisonal wechselnden Sonderausstellungen und nicht einer Querschnittspräsentation der umfangreichen Sammlung. Er beweist, dass es Alternativen zu Black Box und White Cube gibt, selbst wenn die Platzierung von Bildern auf den schrägen Flächen der Twisted Gallery vielleicht nicht jedermanns Sache ist.

Unbedingt lohnend ist aber auch ein Besuch der unterhalb der Treppe gelegenen Toiletten im UG. Nicht nur wegen der Videos von Tony Oursler, sondern auch, weil die Idee der tordierten Balken in anderer Materialität fortgesetzt wird – und sich vom Vorraum aus den Augen ein beeindruckendes Landschaftspanorama unter dem Gebäude darbietet.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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