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db deutsche bauzeitung 2020|04
Wohnen
db deutsche bauzeitung 2020|04

Urbane Dorfidylle

Wohnüberbauung Maiengasse in Basel (CH)

Mit einem vielfältigen Wohnungsangebot samt Kindergarten, durchdachten Grundrissen und einer das Wohnquartier bereichernden städtebaulichen Lösung kann das zweiteilige Projekt als Vorbild für einen zeitgemäßen, sozial ausgerichteten städtischen Wohnungsbau dienen. Das V-förmig tief ins Blockinnere hineingreifende Holz-Wohngebäude bildet eine halböffentliche Zone, die viele Möglichkeiten der Aneignung eröffnet.

6. April 2020 - Mathias Remmele
Selbst in der wohlhabenden Schweiz mit ihren vergleichsweise fürstlich anmutenden Durchschnittsverdiensten ist bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommen immer schwieriger zu finden. Das gilt besonders für die wirtschaftlich prosperierenden Großstädte.

Im politisch rot-grün dominierten Stadtkanton Basel versucht man dieser Entwicklung mit einem öffentlichen Wohnungsbauprogramm entgegenzu­steuern. Vor diesem Hintergrund ist die Wohnüberbauung Maiengasse zu sehen, die von der Stadt selbst finanziert und verwaltet wird.

In einem westlich der Altstadt gelegenen, ruhigen Wohnquartier, das im 19. Jahrhundert entstanden war, verfügte die Stadt über ein rund 4 400 m² großes Grundstück. Es zieht sich entlang der Maiengasse, nimmt den gesamten Hofraum des Baublocks ein und umfasst außerdem eine Parzelle an der Hebelstraße. Auf dem Areal war bis Anfang dieses Jahrhunderts ein städtischer Werkhof ansässig, dessen heterogene Bauten – u. a. ein großer hölzerner Schuppen – einer Wohnbebauung weichen sollten. Für das Projekt, zu dem neben Mietwohnungen auch zwei Kindergärten gehören, wurde 2013 ein ­offener Architekturwettbewerb ausgelobt. Gefordert war dabei ein Mehrgenerationenhaus mit einem vielfältigen Wohnungsangebot im mittleren Preissegment – für jüngere und ältere Kleinhaushalte ebenso wie für Familien mit Kindern. Die Erschwinglichkeit der Mieten galt es durch entsprechend ökonomische Bebauungskonzepte sicherzustellen. Unter den insgesamt 46 Einreichungen hat sich zurecht das vom Zürcher Büro Esch Sintzel Architekten vorgeschlagene Projekt durchgesetzt, das nach knapp dreijähriger Bauzeit ­fertiggestellt werden konnte.

Sensibler Städtebau

Die Grundlage für den siegreichen Entwurf bildete eine sorgfältige Analyse der vorgefundenen städtebaulichen Situation sowie eine feinfühlige und durchdachte Interpretation der Wettbewerbsintention. Für die Parzelle an der Hebelstraße schlugen Esch Sintzel die Schließung des Blockrands vor. Für den deutlich größeren Grundstücksteil hin­gegen, der sich von der Maiengasse aus ins Blockinnere erstreckt, suchten sie eine andere Lösung. Statt auch hier den Blockrand zu schließen, entwickelten sie eine einfache Großform, die das Grundstück klug nutzt und zugleich den Stadtraum bereichert: einen V-förmigen Baukörper, der sich zum Straßenraum hin öffnet und so eine halböffentliche, gassenartige Platzanlage entstehen lässt. Damit passt sich der Entwurf zwanglos in das offene und eher informelle Stadtgefüge ein, das die Maiengasse charakterisiert. Der zwischen dem neuen Hofgebäude und der bestehenden Blockrandbebauung entstandene Raum wird als geschützter Spielplatz für die Kindergärten und als Gartenraum für die Mieter genutzt. Der halböffentliche Charakter des Hofs wird durch eine bewusste Platzierung der Kindergärten im Scheitelpunkt des Neubaus hervorgehoben.

Die städtebaulich begründete Zweiteilung des Projekts akzentuierten die Architekten, indem sie die beiden Neubauten auch in formaler und baukonstruktiver Hinsicht unterschiedlich konzipierten. Während das fünfstöckige Wohnhaus an der Hebelstraße als konventioneller Massivbau ausgeführt wurde, präsentiert sich das dreistöckige Hofgebäude als Holzbau. Bei dieser Entscheidung spielten, wie Projektleiter Marco Rickenbacher bekennt, ökologische Ziele eine untergeordnete Rolle – 2013 stand das Thema Klima noch nicht so im Fokus wie heute. Inspirierend sei vielmehr ein alter Holzschuppen gewesen, der früher im Zentrum des städtischen Werkhofs stand. Diese Reminiszenz an die spezifische Geschichte des Orts wirkt nicht zuletzt deshalb plausibel, weil sie dem kleinteiligen, beinahe schon dörflichen Charakter des Blockinnern angemessen ist.

Durchdachte und zeitgemäße Grundrisslösungen

Das Teilprojekt in der Hebelstraße ist zweifellos ein gelungenes städtisches Wohnhaus, das sich durch gestalterische Anklänge an die spätmoderne Architektur der 60er Jahre auszeichnet, wie auch durch spannungsvolle Raumverdichtungen und -weitungen, die sich in den 16 Wohneinheiten (inkl. einer Atelier-Wohnung) aus der Ausdrehung einzelner Raumsequenzen aus der Orthogonalität heraus ergeben. Dennoch bildet das Gebäude mit 39 Wohneinheiten im Hof das eigentliche Herzstück des Projekts. Ein geglückter Städtebau ist das eine. Die einmal gefundene Gebäudeform sinnvoll mit Leben zu füllen das andere. Die Architekten standen vor der Herausforderung, die vom Auslober geforderte Vielfalt der Wohnungsgrößen – die Bandbreite reicht von 1,5 bis zu 6,5 Zimmer – in den V-förmigen Baukörper des Hofgebäudes zu integrieren. Man ahnt, welche Puzzelei das bedeutete und staunt, wie gut es gelang. Marco Rickenbacher und sein Entwurfsteam fanden eine Lösung, indem sie den gesamten Baukörper gleichsam zonierten: In den Kopfbauten zur Gasse sind über drei Stockwerke mittelgroße Wohnungen mit 2,5 und 3,5 Zimmern untergebracht. In den Schenkeln befinden sich jeweils vier reihenhausartig angeordnete Maisonettewohnungen mit 4,5 Zimmern, die EG und 1. OG umfassen. Im 2. OG ist jeweils Raum für zwei große Wohnungen mit 5,5 bzw. 6,5 Zimmern. Im Scheitel des Hofgebäudes liegen im EG die Räume der beiden Kindergärten. Darüber bleibt Platz für kleine und mittelgroße Wohnungen mit 1,5, 2,5 und 3,5 Zimmern. Sämtliche Wohnungen verfügen entweder über eine Loggia oder eine Terrasse. Den Maisonettes ist jeweils ein privater Gartenbereich an der Rückseite des Hauses zugeordnet.

Die Wohnungen als Ganzes, aber auch die einzelnen Räume sind eher knapp bemessen, um auf diese Weise die Wirtschaftlichkeit der Anlage zu sichern. Umso wichtiger war es die Verkehrsflächen klein zu halten und für eine optimale Nutzung des vorhandenen Raums zu sorgen. Relativ geringe Unterschiede in den Raumgrößen ermöglichen innerhalb der einzelnen Wohneinheiten einen flexiblen Gebrauch je nach individuellen Bedürfnissen und Lebensformen. In vielen Wohnungen lässt sich der Wohnraum – etwa bei Nutzung durch eine WG – von der Wohnküche abtrennen und steht dann als weiterer Individualraum zur Verfügung.

Die Ausstattung ist einfach, aber solide und geschmackvoll. Bodenbeläge aus geöltem Eichenparkett sorgen für eine wohnliche Atmosphäre. Vor den Küchenzeilen und im Eingangsbereich wurden dazu passende rote Tonfliesen verlegt. Die weißen Innenwände bestehen aus Hartfaserplatten. Als Holzbau tritt das Gebäude im Innern nur an den Decken mit ihren offenen Balkenlagen in Erscheinung. Die Raumhöhe bis zur Unterkante der Balken beträgt 2,50 m; in den Zwischenräumen erreicht sie 2,76 m. Die Bauausführung ist, wie in der Schweiz üblich, von herausragender Qualität und trägt nicht unwesentlich zum positiven Gesamteindruck bei.

Klassischer Skelettbau

Baukonstruktiv betrachtet ist das Hofgebäude ein klassischer Skelettbau aus Holz. Vier Stahlbetonkerne, die Treppen und Aufzüge aufnehmen, dienen der Erschließung der Geschosswohnungen, steifen die Konstruktion aus und tragen den Brandschutzbestimmungen Rechnung. Das Raster von Stützen und Trägern verleiht dem gesamten Gebäude und den Wohnungsgrundrissen eine klare Struktur. Es ermöglicht darüber hinaus ein hohes Maß an rationeller Vorfertigung. Leichtbauwände erlauben vielfach eine spätere Änderung des Grundrisses ohne Eingriff ins Tragwerk. Die ökologischen Vorteile des Holzbaus muss man heute nicht mehr herausstreichen. Um den Schallschutz sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Richtung zu garantieren, wurden einige Anstrengungen v. a. in Bezug auf die Schallentkopplung von Materialstößen und zwischen den einzelnen Wohneinheiten unternommen.

Nach außen hin zeigt sich das Hofgebäude unmissverständlich als Holzbau – straßenseitig sowie an der Stirnseite des Hofplatzes durch die sichtbaren Primärträger und die zumindest in den Loggien deutlich erkennbaren Deckenbalken; an den Hofseiten durch eine Holzverschalung mit vertikaler Lattung, die immer dort, wo sie von geschosshohen Fensteröffnungen unterbrochen wird, wiederum einen (diesmal seitlichen) Blick auf die Primärträger freigibt. Noch deutlicher verweisen hier freilich die hölzernen »Säulen« vor den im EG aus der Fassadenflucht zurückspringenden Eingangsveranden der Maisonette-Wohnungen auf den Holzbau.

Diese von CNC-Maschinen bearbeiteten Stützen, die sich – von oben nach unten betrachtet – von einem quadratischen Querschnitt allmählich zum optisch rund wirkenden 32-Eck entwickeln, sind ein gestalterisches Detail, das der sonst recht nüchternen Erscheinung des Gebäudes eine eigentümlich verspielte und – wenn man so will – heimelige Note verleiht. Zugleich sind es diese Stützen, die auf eine weitere, nahegelegene Referenz des Hofgebäudes verweisen: das 1987/88 erbaute hölzerne Wohnhaus im Hof, das zu den besten Frühwerken von Herzog & de Meuron gehört.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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