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db deutsche bauzeitung 2020|10
Bauen mit Holz
db deutsche bauzeitung 2020|10

Holz Total

Bürohaus Holzbau Küng in Alpnach (CH)

Eine Innerschweizer Holzbaufirma setzt seit Längerem auf den Vollholzbau. Nun ist auf dem Werksareal ein Bürogebäude entstanden, das demonstriert, wie man (fast) ohne Verbundwerkstoffe, Leim, Schrauben und Nägel bauen kann: nur mit Holz eben – und einem Kern aus Beton.

2. Oktober 2020 - Ulrike Kunkel
Dass Bauholz im Winter geschlagen werden muss, wusste schon Vitruv: nach der Vegetationsperiode kommt der Baum zur Ruhe und gewinnt an Festigkeit. Zusätzlich von Bedeutung sind die Mondphasen, wie es verschiedene holzwirtschaftliche Traktate behaupten. Zur Zeit des abnehmenden Monds geht das Wasser im Holz zurück, nach Neumond steigt es wieder in die Spitze. Das vor Neumond geschlagene Holz ist mithin weniger feucht und dichter: Es muss weniger stark getrocknet werden und ist überdies stärker geschützt gegenüber Schädlingsbefall.

Zugegeben, am Mondholz scheiden sich die Geister. Technokratisch gesinnte Zeitgenossen mit einem instrumentellen Verhältnis zu natürlichen Ressourcen sehen darin esoterischen Schnickschnack, doch jüngere Studien legen durchaus nahe, dass lunar-korrelierte Phänomene im Holz, die über Jahrhunderte die Holzfällerregeln im zentralen Europa bestimmten, nicht von der Hand zu weisen sind. Stephan Küng ist vom Mondholz überzeugt. Sein Vater Walter hatte die lokale Zimmerei und Schreinerei 1977 in Alpnach im Schweizer Kanton Obwalden gegründet. Anfangs waren es vier Personen, die alles aus Holz anfertigten, was man im Dorf und seiner Umgebung benötigte. Fünf Jahre später arbeiteten schon 15 Beschäftigte in Alpnach, und seither ist die Firma stetig gewachsen. 2006 – Sohn Stephan war gerade ein Jahr in der Firma tätig – wurde das »holzpur-System« eingeführt. Dieses ist heute das eigentliche Aushängeschild des Unternehmens, das gleichwohl parallel auch konventionelle Holzbauten erstellt.

Nichts als Holz

holzpur, nomen est omen, ist ein Bausystem, das nur aus Holz besteht. Die Wände werden aus zwei Elementen mit jeweils sieben kreuzweise wie bei Sperrholz übereinander gelegten Bretterschichten von 3 cm gebildet, sodass sich die Gesamtwanddicke zu 42 cm addiert. Es gibt drei Hersteller für derartige Vollholzsysteme in der Schweiz, und auch diese Technik ist nicht ganz unumstritten: Kritiker führen an, dass auch mit der nachwachsenden Ressource Holz sparsam umgegangen werden sollte und man aus der Menge an Material, die für ein Vollholzgebäude verbraucht werde, mehrere konventionelle Holzbauten erstellen könnte. Allerdings findet bei den inneren Lagen der holzpur-Elemente Fichtenholz geringer Güte Verwendung, das sonst ­allenfalls geschreddert und zu Holzfaserprodukten verarbeitet oder gar thermisch verwertet wird. Unregelmäßigkeiten spielen übrigens keine Rolle, da Lufteinschlüsse im Innern der Wände sogar durchaus gewünscht sind.

Eine zusätzliche Dämmung ist bei diesem System aufgrund der Massenträgheit und der isolierenden Wirkung nicht nötig, und Holzbau Küng geht so weit, die Lagen nicht zu verschrauben, zu nageln oder zu verleimen, sondern mit angefeuchteten und dann aufquellenden Buchendübeln zu verbinden.

Ein Gebäude als Visitenkarte

Der Verzicht auf Verbundwerkstoffe sowie auf Leim, Metall und andere Zusätze, die Verwendung unbehandelter Hölzer stößt auf steigendes Interesse, und so beschäftigt die Firma derzeit 80 Mitarbeitende und 15 Projektleitende – also Personen, die für und mit den Architekten die Entwürfe umsetzen und die Details zeichnen. 2013 wurde eine Werkshalle errichtet, in der die holzpur-Elemente vollautomatisiert produziert werden. Den Auftrag erhielt das im nahen Sarnen sowie in Luzern ansässige Büro von Patrik Seiler und Søren Linhart, das mit Küng zuvor schon einige Bauten realisiert hatte. Die Beziehung zwischen Architekten und Unternehmen intensivierte sich noch, als Stephan Küng, der 2017 die Firmenleitung von seinem Vater übernahm, 2015-18 sein privates Wohnhaus durch Seiler Linhart errichten ließ. Und nun ist als jüngstes Gemeinschaftsprojekt das Bürogebäude entstanden, in dem sich die dringend benötigten Besprechungsräume sowie die Einzel- oder Doppelbüros für die Projektleiter befinden. Und in dem ganz oben unter dem Dach zukünftig in einem kleinen Ausstellungsbereich auch Gäste empfangen und mit den Produkten der Firma und dem Thema naturnahem Bauen vertraut gemachten werden können.

Das Gebäude löst also Raumnot, besitzt, als Visitenkarte der Firma, aber auch Strahlkraft nach außen. Und selbstverständlich bestehen die Wände aus holzpur – außen mit sägerohem Fichtenholz, innen mit Weißtanne verschalt. Über den Fenstern und Türen sind Mondmotive in Platten eingefräst, die ornamental auf das Mondholz verweisen.

Doch die Fassade des viergeschossigen Gebäudes tritt hinter einer äußeren Lauben-Raumschicht, die aufgrund der Exponiertheit als Hängetragwerk aus Eiche konstruiert ist, zurück. Seiler Linhart orientieren sich an der Idee der Lauben der traditionellen Innerschweizer Häuser, erweitern diese jedoch zu Umgängen. Die, aufgrund der nach oben hin zunehmenden Auskragungen leicht schräg geführten Zugstangen, die Gleichgewichtigkeit der Fassaden und das von einer Laterne durchbrochene Zeltdach lassen ein markantes, bildhaftes Volumen entstehen. Die Lauben selbst übernehmen gleich mehrere Funktionen: Über die französischen Fenster für die Mitarbeitenden zugänglich fungieren sie als Außenraum, dienen gleichzeitig der Verschattung – sodass Store überflüssig wurden – und sind natürlich auch konstruktiver Holzschutz für die Fassade.

Schale und Kern

Tritt man ins EG mit Empfang, Chefbüro und rückwärtigem Gemeinschaftsraum, in dem gemeinsam gegessen oder auch gefeiert wird, so stößt man zunächst auf einen Kamin. Das mag in einem Bürogebäude überraschen, doch die Bauherrschaft, die Wohnhäuser herstellt, wünschte sich auch hier eine ­Atmosphäre der Wohnlichkeit. Wer auch immer im Winter das Gebäude als Erster betritt, macht den Kamin an. Dieser ist integriert in den Kern des Gebäudes, der aus Sichtbeton besteht, komplett sandgestrahlt ist und die Treppen, Aufzüge und Nasszellen umfasst. Gewissermaßen stellt der Kern eine Gegenwelt zur Konstruktionslogik des umgebenden Holzbaus dar: gegossen und dunkel, nicht gefügt und hell. Die Kanten sind plastisch ausgebildet, sodass der skulpturale, fast felsige Charakter verstärkt wird, und runde Aussparungen in den Wänden lenken beim Hinauf- oder Hinabgehen den Blick in das Geschoss darüber oder darunter.

Präzision und Perfektion

Beeindruckend ist die Präzision, mit der Seiler Linhart die Materialien verwendeten. Alle Türen und Möbel, die im Kern liegen, bestehen aus schwarz geölter Eiche. Alles Übrige ist in unbehandelter Weißtanne und Fichte ausgeführt. Für die Handläufe und die Staketengeländer der Lauben kam geöltes Eisen zur Anwendung, im Eingangsbereich findet sich ein Sumpfkalkboden, der von den Mitarbeitenden selbst gestampft wurde. Der Deckenaufbau mit seinen Gitterstrukturen aus Buche ist ebenfalls eine eigene Erfindung und eigene Produktion. Wie bei holzpur möglich, wurden die Kanäle für die Heizschlaufen der Fußbodenheizung direkt in die Bretterlage gefräst. Die Trennwände im Innern sind nichttragend und gewähren daher die gewünschte Flexibilität in den Büros. Die Architekten entwarfen auch das gesamte Mobiliar und entwickelten ein Stecksystem für Schrankmöbel. Auch dieses kommt ohne Leim und Schrauben aus und kann von den Mitarbeitenden je nach Bedarf zusammengestellt und verändert werden. Dazu kommen verstellbare Tische, die mit Winden hoch- und runtergefahren werden.

Ohne Zweifel, Seiler Linhart ist die Balance zwischen Funktionalität und Opulenz aufs Beste gelungen. Es handelt sich eigentlich um ein klares, kompaktes Volumen, das aufgrund seiner umlaufenden Lauben und des skulpturalen Betonkerns überraschend vielgestaltig, also keineswegs spröde oder kantig wirkt. Es demonstriert, wie ein präziser und perfekter Holzbau heute aussehen kann, und ist damit nicht zuletzt auch das gewünschte Anschauungsobjekt für das von Küng Holzbau entwickelte Vollholzsystem.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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