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db deutsche bauzeitung 2021|05
Außenraum
db deutsche bauzeitung 2021|05

Künstliche Natürlichkeit

Park des Naturmuseums in St. Gallen (CH)

Am Naturmuseum in St. Gallen stellte sich für Robin Winogrond und Studio Vulkan die Herausforderung, einen Park auf einem Autobahndeckel zu gestalten, der sowohl museumsdidaktische Qualitäten aufweist als auch in der heterogenen städtebaulichen Situation verbindend wirkt. Entstanden ist eine anregende künstliche Wildnis, die sich dem ­Widersprüchlichen der vorgefundenen suburbanen Situation annimmt und auf subtile Weise das Wechselspiel von Künstlichkeit und Natürlichkeit thematisiert.

11. Mai 2021 - Hubertus Adam
Die Autobahn A1 durchmisst die Schweiz von Osten nach Westen, von der ­österreichischen Grenze bei St. Margrethen bis Genf. Seit der Inbetriebnahme des ersten Abschnitts bei Bern 1962 wurde die Trasse sukzessive ausgebaut. Die Stadtautobahn St. Gallen, eröffnet 1987, zählt zu den späteren Teil­stücken. Gerade in diesem Bereich gilt die Autobahn als Nadelöhr: Weil sie mitten durch den Ostschweizer Kantonshauptort führt, dient sie nicht nur dem Transit, sondern auch dem innerstädtischen Verkehr. Zwei Tunnel reduzieren das Lärmproblem: Der unter dem Rosenberg wurde in bergmännischem Vortrieb erstellt, während der 570 m lange Stephanshorn-Tunnel sich als überdeckelte Trogstrecke zwischen den Stadtteilen Neudorf und St. Finden erstreckt. Am östlichen Tunnelportal, also dort, wo die Rorschacher Straße die Autobahn kreuzt, hat seit Ende 2016 das Naturmuseum St. Gallen sein neues Domizil gefunden. Die mächtige Kirche St. Maria Neudorf, das ­zwischen ­spätem Historismus und Jugendstil oszillierende Hauptwerk des ­Architekten Adolf Gaudy, bildet bis heute die städtebauliche Dominante ­dieser Gegend. Als der Kirchenbau 1917 nach dreijähriger Bauzeit geweiht wurde, war er gleichsam ein Versprechen auf weiteres Wachstum der aufgrund des Stickerei­gewerbes prosperierenden Stadt. Doch lange stand der Bau im Abseits und noch heute steht er etwas verloren da: wenn auch nicht auf weiter Flur, so doch in schütter bebauter Umgebung, die in ihrer heterogenen Struktur alle Merkmale des Suburbanen trägt.

Pendant zur Kirche

Das hat sich nun mit dem Naturmuseum geändert. Die 1846 gegründete Institution war zuvor im innerstädtischen Stadtpark mit dem Kunstmuseum baulich vereinigt. Der Altbau des Museums zeigte sich indes trotz Sanierung 1987 den wachsenden Sammlungen nicht gewachsen. Doch da das Stimmvolk 2003 einen benachbarten Erweiterungsbau des Kunstmuseums ablehnte, musste das Naturmuseum an den Stadtrand umziehen. Im Wettbewerb des Jahres 2009 konnte sich das Gemeinschaftsprojekt der Zürcher Architekturbüros Michael Meier und Marius Hug sowie Armon Semadeni durchsetzen.

Meier Hug und Semadeni haben ein Gebäude realisiert, das sich zunächst der direkten Einordnung entzieht. Kommt man aus Richtung Innenstadt, so steht es – durch eine Freifläche getrennt, unter der hindurch der Autobahntunnel verläuft – hinter der Kirche St. Maria Neudorf, nimmt deren Achse auf – mit anderen Worten: steht parallel zur Straße. Die Grundrissfläche ist ähnlich groß wie jene der Kirche, sodass sich eine gewisse optische Balance ergibt. Fünf parallele Trakte von gleicher Breite mit Satteldächern von ­gleicher Höhe und den First bekrönenden Oberlichtbändern sind zu einem kompakten Volumen vereint. Aussparungen an den Ecken führen dazu, dass man das Gebäude von keiner Perspektive aus in seiner Gesamtheit über­blicken kann.

Die landschaftsarchitektonische Gestaltung der Umgebung war von Anfang an zentraler Bestandteil des Gesamtprojekts. Zum einen, um Kirche und ­Museum gestalterisch zu verbinden, zum anderen, um die Thematik und ­Fragestellungen des Naturmuseums auch im Außenraum fortzuführen. Und schließlich ging es darum, eine suburbane, von der Infrastruktur der Autobahn und der verkehrsreichen und lärmintensiven Rorschacher Straße ­geprägte Situation aufzuwerten, wobei die geringe Überdeckung über dem Autobahntunnel eine besondere Herausforderung darstellte und tiefwur­zelnde Pflanzen unmöglich machte.

Vermeintliche Widersprüche

Unbefangen von Natur zu sprechen, mag im Anthropozän ohnehin verfehlt sein. Aber beim Museumspark in St. Gallen handelt es sich um einen in jeder Hinsicht artifiziellen Park. Robin Winogrond und Studio Vulkan haben diese Ausgangssituation, die für die Schweiz durchaus nicht untypisch ist, zum Thema gemacht: Sie sprechen vom Paradoxon der Schweizer Landschaft, von künstlicher Natürlichkeit und natürlicher Künstlichkeit.

Buchenhecken und Hainbuchen umgeben den Park, dazu treten Stauden und Farne – und Hortensien, mithin einheimische und zugleich exotische Pflanzen. Vor dem Haupteingang des Museums stehen zwei Ginkgos, ursprünglich ostasiatische Bäume, die aufgrund ihrer Eigenschaften eher den Nadel­bäumen zuzuordnen sind, vielmehr jedoch als Spezies jenseits der Nadel- oder Laubbäume zu verstehen sind. An der östlichen Stirnseite wächst eine Lärche, also jener einheimische Nadelbaum, der – einem Laubbaum ­vergleichbar – seine Nadeln abwirft. Die Ambivalenz des Bepflanzungskonzepts findet in den übrigen zur Park­gestaltung verwendeten Elementen ihre Fortsetzung. Der typische Ostschweizer Sandstein mit seiner grünlichen Färbung wurde in Form von Schotter zum bodenbedeckenden Material. Nahe der Kirche ist eine Gruppe von Findlingen angeordnet, die während der letzten Eiszeit von Gletschern bis ins Schweizer Mittelland transportiert wurden.

Die meisten Brocken und Platten des Parks bestehen hingegen aus Nagelfluh, dem für das nördliche Alpenvorland typischen Konglomeratgestein, v. a. aber aus seinem menschengemachten Pendant, dem Beton. Die Betonplatten ­zeigen vielfältige Spuren der Bearbeitungen, aber auch Abdrücke von Drainage­matten und Holzplatten. Und Abgüsse von Fossilien, etwa Ammoniten oder Saurierknochen. Andere Steine sind mit Begriffen versehen, die auf die Erdgeschichte der Region verweisen: »Tropisches Meer«, das sich während der Kreidezeit bis in die Schweiz erstreckte, »Ultrahelveticum«, »Metamorphose«, »Holozän«, »Superkontinent«. Inspirieren und neugierig machen will dieser Park, und schließlich auch zum Nachdenken anregen. »Nichts im Leben ist beständiger als der Wandel«, ein Zitat von Charles Darwin, liest man auf einer Betonscholle, Max Plancks Aussage »Die Naturwissenschaften braucht der Mensch zum Erkennen, den Glauben zum Handeln« auf einer anderen. Und auf der bankartigen Mauer, welche den Bereich hinter der Kirchenapsis vom Park abgrenzt, ist ein Bibelzitat (1 Mose 2,15) eingelassen: »Gott übertrug den Menschen die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu bewahren.« Glaube und Naturwissenschaft, auch diese beiden ­Pole verbindet der Park. Indem ein Wegesystem zwischen Kirche, Museum und dem nördlich gelegenen Botanischen Garten entsteht. Und indem die Blickachse zwischen den beiden Gebäuden aufgrund der niedrigeren ­Bepflanzung in der Mitte frei bleibt. Schließlich spielt auch das Wasser als Grundlage allen Lebens eine wichtige Rolle: Vor der Terrasse des Museums­cafés liegt der »Forscherteich«, der von der Museumspädagogik genutzt wird, nahe der Kirche ein runder Brunnen, der »Ort der Begegnung«, der auch für Taufen dient.

Der Park ist rund um die Uhr zugänglich, man kann die Wege nutzen, aber auch von Stein zu Stein springen und das Schotterdickicht durchqueren. Er ist ein Ort zum Lernen und Entdecken, er verweist aber auch subtil auf die Tradition des historischen Landschaftsgartens mit seinen Fragmenten, künstlichen Ruinen und Sinnsprüchen. Kritisieren könnte man einzig, dass hier auf vergleichsweise engem Raum zu viel gewollt ­wurde. Die Offenheit der angesprochenen Themen wirkt allerdings einer möglichen didaktischen Überfrachtung entgegen. Und das Spiel mit Natürlichkeit und Künstlichkeit ist auf ebenso intelligente wie anregende Art und Weise umgesetzt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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