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Das Gedächtnis der Stadt

Historisches Archiv und Rheinisches Bildarchiv in Köln

Mehr als zwölf Jahre nach dem Einsturz des Historischen Archivs konnte in Köln der Neubau bezogen werden. Den Architekten ist es gelungen, ideale Bedingungen nicht nur für die Archivalien, sondern auch für die Mitarbeitenden zu schaffen. Und auch der neue Standort macht deutlich: Das Archiv ist ein Ort, der sich zur Stadtgesellschaft öffnet.

7. Dezember 2021 - Ulrike Kunkel
Der 3. März 2009 gilt als der Tag eines des größten kulturellen Desasters Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg: Das Historische Archiv der Stadt Köln stürzte ein und versank in der offenen Baugrube der Nord-Süd-U-Bahn. Zwei Menschen starben, 30 Regalkilometer Akten wurden im Grundwasser verschüttet. Dank einer sofort einsetzenden Rettungsaktion gelang es, 95 % der Archivalien zu bergen, zum großen Teil gefrierzutrocknen und auf diverse auswärtige Depots, sogenannte Asylarchive, zu verteilen. Die Restaurierung der Bestände, so die derzeitige Prognose, wird bis zum Jahr 2060 andauern. Die Herausforderung für die Archivarinnen und Archivare besteht aber nicht nur in der physischen Wiederherstellung der Akten, sondern auch in deren Zuordnung. Denn auch die Archivstruktur wurde komplett zerstört, sodass eine klassische Systematik nicht mehr existiert und einzelne Objekte nur bedingt Beständen zugewiesen werden können. Auch wenn die beteiligten Baufirmen inzwischen zu einer Zahlung von 660 Mio. Euro verpflichtet wurden – der gesamte materielle Schaden wird auf 1,3 Mrd. beziffert.

Fahrlässigkeit, Pfusch am Bau, Kölscher Klüngel: Darüber ist hier nicht zu urteilen. Zu konstatieren indes bleibt, dass das historische Gedächtnis der Stadt, das selbst die Zerstörung Kölns im Zweiten Weltkrieg unbeschadet überdauert hat, für mehr als eine Generation von Forschern und Nutzern kaum ernsthaft konsultierbar ist. Angesichts dieser Ausgangslage mag es zynisch anmuten, der Katastrophe auch positive Aspekte abzugewinnen. Und doch, der Neubau des Archivs, das Anfang September 2021 eröffnet wurde, ist schlicht erfreulich. Und ein Gewinn für die Stadt, auch wenn seit dem Wettbewerb 2011 zehn Jahre vergangen sind. Immerhin sind mit 90 Mio. Euro die Kosten im Rahmen geblieben.

Wirkte die in die Severinstraße eingebundene Granitfassade des Bestandsgebäudes mit ihren spärlichen Lichtschlitzen hermetisch und abweisend, so gibt sich der 3 km entfernte Neubau dezidiert als öffentliches Gebäude zu erkennen. Darin bildet sich einerseits das veränderte Selbstverständnis von Archiven ab, die sich nicht zuletzt aus Gründen politischer Legitimation weniger als Verwahrinstitutionen denn als Serviceeinrichtung für Forschende, aber auch für die interessierte Bevölkerung verstehen, andererseits wäre es ohne die Vorgeschichte der Katastrophe wohl kaum zu einem solchen Bau an diesem Ort gekommen: In Hannover beispielsweise hat man sich unlängst dazu entschieden, das Stadtarchiv zusammen mit diversen Museumsdepots an einem unwirtlichen Ort in Stadtrandlage durch Investoren erstellen zu lassen und dann zu mieten. Eine solche Lösung wäre in Köln nicht in Frage gekommen. Der Standort ist attraktiv – der Neubau steht dort, wo die nach Südwesten führende Luxemburger Straße, eine der für Köln typischen ins Umland ausstrahlenden Radialachsen, den Inneren Grüngürtel begrenzt. Während die Straße Eifelwall mit ihrer Wohnbebauung die gründerzeitliche Stadtkante darstellt, ist das Archiv nicht als direktes Gegenüber, sondern eher als Solitär im Park konzipiert, ähnlich wie die verschiedenen Institute der nahen Universität weiter im Norden. Der Bau eines die Achse fortsetzenden Studierendenwohnheims im Süden ist bisher unterblieben, sodass der solitäre Charakter des Neubaus stärker in Erscheinung tritt als ursprünglich geplant.

Hülle und Kern

Die Darmstädter Architekten Waechter + Waechter konnten die Jury mit dem stringenten Konzept einer vierseitigen orthogonalen Mantelbebauung überzeugen, die ein zentrales Schatzhaus umgibt, das eigentliche Magazingebäude. Zur Zeit des Wettbewerbs bestand die Idee, im Neubau drei Institutionen zusammenzufassen: das Historische Archiv selbst, das Rheinische Bildarchiv und die Kunst- und Museumsbibliothek, die auf zwei Standorte, das Museum Ludwig und das Museum für Angewandte Kunst aufgeteilt ist. Aus Kostengründen fiel 2003 die Entscheidung, die Bibliothek an diesen Standorten zu belassen. Somit wird der Neubau von Historischem Archiv der Stadt Köln und Rheinischem Bildarchiv genutzt, die verwaltungstechnisch und institutionell eigenständig bleiben, aber die Räume mit Besucherverkehr wie Lesesaal, Auditorium und Ausstellungsbereich gemeinsam nutzen. Eine modulare Metallfassade mit tiefen Rippen, die als Brise-Soleils dienen, vereinheitlicht umlaufend den 126 langen und 45 m breiten dreigeschossigen Baukörper. Zur Stadt hin verhält sich das Gebäude nicht anders als zum Park, was seine Eigenständigkeit unterstreicht. Je nach Perspektive zeigt es sich offen oder geschlossen; lediglich die Erdgeschosszone der nordwestlichen Stirnseite ist komplett verglast. Hier, zum neu entstandenen Vorplatz hin orientiert, findet sich der Eingang für die Nutzerinnen und Nutzer, die in ein überaus helles und freundliches zweigeschossiges Foyer eintreten. Die dunkle Metalloptik des Äußeren weicht dem hellen Farbton weiß geölten Douglasienholzes, das die öffentlichen Bereiche prägt: Ausstellungsraum und Vortragssaal im EG sowie den großzügigen Lesesaal, den man über eine Treppe erreicht und der die gesamte Gebäudebreite im 1. OG in Anspruch nimmt. Zur freundlichen und hellen Atmosphäre trägt der Ausblick in den vorderen Innenhof bei, der rückwärtig durch den geschlossenen, mit aufgefalteter Baubronze bekleideten Magazinbaukörper begrenzt wird. Ein weiterer, schmalerer Innenhof befindet sich dahinter, sodass das Magazin zu zwei Seiten hin wirkungsvoll in Erscheinung treten kann. Die hofseitigen Korridore laufen auf allen Geschossen durch und bilden die klare Erschließung für die diversen Werkstätten, Restaurierungsateliers und Büros, die sämtlich nach außen hin orientiert sind. Die Organisation des Gebäudes ist streng funktional und erschließt sich unmittelbar, sobald man das Gebäude betritt: Die nordwestliche Stirnseite ist der öffentliche Teil des Baus mit der Verwaltung im 2. OG, während die Anlieferung der Archivalien über den Eifelwall und die Zufahrt auf der südöstlichen Stirn erfolgt, wo sich auch Quarantänebereiche befinden, durch die das Einbringen von Schädlingen verhindert wird.

Verhaltene Zeichenhaftigkeit

Herz und Zentrum des Gebäudes bildet der Magazinbau, der auch zu den Korridoren hin mit Platten aus Baubronze bekleidet ist. Mittig durch Gänge erschlossen, gliedern sich die insgesamt sieben Magazingeschosse mit ihren Ausmaßen von 56 x 27 m jeweils in vier gleich große Räume, die weitgehend mit Rollregalsystemen, aber auch mit Planschränken und Aufbewahrungssystemen für diverse Medien ausgestattet sind. Standardarchivboxen, die sich zu einer maximalen Länge von 50 Regalkilometern reihen, um für zukünftige Jahrzehnte gewappnet zu sein, bildeten gewissermaßen das repetitive Grundmodul, das schließlich zu Form und Dimension des Kernbauwerks führte. Die Wände bestehen aus 30 cm, die Decken aus 32 cm dickem Stahlbeton, sodass eine maximale thermische Trägheit erzielt wird. Da Materialien mit unterschiedlichen konservatorischen Anforderungen gelagert werden, gliedern sich die Archivbereiche in sieben unterschiedlich temperierte Klimazonen. Die Massivität der Bauweise, die Unterteilung in überschaubare Einheiten und die Fensterlosigkeit erlaubten es, das Thema des Brandschutzes auf passive Weise anzugehen und auf für Akten desaströse Sprinkler oder Hochdrucksprühsysteme und für Menschen gefährliche Sauerstoffeliminationsanlagen zu verzichten. Zur Wärme- respektive Kälteversorgung dient neben Fernwärme ein Eisspeicher unter dem großen vorderen Hof: Eine Wärmepumpe entzieht dem Wasser im Behälter Wärme, sodass dieses gefriert und die Kälteenergie im Sommer für die Lüftung genutzt werden kann. Archivgüter finden sich nicht nur im Magazinbaukörper, sie werden auch in anderen Bereichen des Hauses restauriert, genutzt oder bearbeitet. Das erklärt die umlaufenden tiefen Brise-Soleils – aber auch die Tatsache, dass die Höfe zwecks Vermeidung des Eintrags von Feuchtigkeit oder Wärme in die Raumluft nicht betreten werden dürfen.

Waechter + Waechter ist es gelungen, ein funktional im besten Sinne stringentes und zudem im wahrsten Sinne des Wortes einleuchtendes Gebäude zu realisieren, das sehr gute Bedingungen für das Archivgut schafft, aber auch auf die Befindlichkeiten der durch die Katastrophe traumatisierten Mitarbeiter Rücksicht nimmt. Ein Archiv mit Tiefmagazin wäre angesichts des Grundwasserdesasters von 2009 undenkbar gewesen. Das der zentrale Archivschrein nun sichtbar die Mantelbebauung überragt, ist ein willkommener Nebeneffekt. So himmelsstürmend und zeichenhaft wie der Ziegelsteinpfeiler von Ortner & Ortner gibt sich das Gebäude in Köln nicht, doch städtebaulich präsent ist es auf jeden Fall. Und Präsenz zu markieren, steht diesem Gebäude, das das Gedächtnis der Stadt bewahrt, gut zu Gesicht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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