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Bauwelt 40-41.06
Jenseits des Minimalismus
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Künstlicher Baum

3 Air Trees für den neuen Boulevard von Vallecas: Ecosistema Urbano

27. Oktober 2006 - Kaye Geipel
„Städtisches Ökosystem“ ist kein griffiger Name für ein Büro. Die drei jungen Architekten aus Madrid, deren Türschild in der Calle Estanislao Figueras diesen Namen aufweist, haben gelernt, mit störenden Begriffen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. 2004 bauten sie – fast ohne Geld, unter Verwendung von recyceltem Asphalt, geschenkten Pflanzen und mit der Arbeitsleistung von Architekturstudenten – einen „Park in fünf Tagen“. Angesichts des Schneckentempos, mit dem in Madrid öffentliche Räume neu angelegt oder saniert werden, wurde das temporäre Projekt in Alcalá de Henares im Nordosten Madrids von den Zeitungen ausführlich gewürdigt, als „beispielhafte Strategie“. Der Park hielt zwar einer dauerhaften Benutzung nicht stand und wurde inzwischen wieder abgebaut, aber die Lokalpolitik war düpiert, und der Medienrummel um das aus dem Nichts aufgetauchte Gebilde machte das „Städtische Ökosystem“ bekannt.

Der öffentliche Raum in Spanien ist krank, konstatieren die Architekten. Es handelt sich eher um eine Art städtebaulicher Migräne, denn die Planer haben gleich noch eine zweite Metapher parat. Abhilfe soll die Akupunktur bieten. Für das neue Projekt in Vallecas trifft der Name dieser urbanen Strategie ins Schwarze. Die drei Air Trees, von denen der erste als Pilotprojekt vor einem knappen Jahr realisiert wurde – für die beiden anderen werden gerade die Betonfundamente gegossen –, verstehen sich als punktförmige Lösung in einem schnell wachsenden Neubaugebiet. In Vallecas im Südwesten Madrids werden zurzeit 26.000 Wohnungen für 100.000 Bewohner gebaut, die in zwei Jahren bezugsfertig sein sollen. Die Planung sieht große 7-geschossige Blocks vor.

Konzeptionell und architektonisch sind sie von trauriger Einfallslosigkeit, besonders trostlos aber sind die weder mit Läden noch mit Cafés aufgelockerten Sockelzonen der neuen Straßen. Warum der öffentliche Raum so eklatant vernachlässigt wird? Es geht dabei auch um Absprachen zwischen den Investoren und der Stadt. Der Bodenpreis für die große, zentral errichtete Shopping Mall lässt einen Teil des Geldes, mit dem die Stadt die subventionierten Wohnungen mitfinanziert, wieder zurückfließen.

„Es gibt nichts Besseres für den öffentlichen Raum als einen großen, soliden Baum. Weil dieser nicht von heut auf morgen wächst, bauen wir eben Prothesen“, sagen die Architekten. Der künstliche Baum, auch Air Tree – Luftbaum – genannt, ist also eine temporäre Installation, die auf durchschnittlich fünfzehn bis zwanzig Jahre angelegt ist. Sie besteht aus mit Thermofolie bespannten Zylindern, die an einem stählernen, knapp 20 Meter hohen Gerüst fixiert sind. Die Aluminiumfolien kamen zuerst in holländischen Gewächshäusern zum Einsatz, sie halten im Sommer die Hitze zurück und bewahren an kälteren Tagen die Wärme. Die Zylinder ordnen sich über einem kreisrunden Platz, der zu einem schattigen Aufenthaltsort werden soll. Eine Böschung aus grünem Gummigranulat begrenzt den Kreis nach außen; innen gibt es eine rundum laufende Sitzbank aus recyceltem Kunststoff. Auf einer Seite hat die Böschung eine Lücke, von hier aus betritt man das kleine Atrium.

Besonderer Clou des Air Tree ist die Funktion der Röhren. Nach dem „evapotranspirativen System“ werden hier mittels eines Propellers Wasser, das zuvor in spezielle Reservoirs oben in die Zylinder gepumpt wurde, zerstäubt und durch die Röhren nach unten gepustet, so dass es mit jeweils 7 Düsen über dem Platz versprüht werden kann. Beabsichtigtes Ergebnis: Im Klima Madrids, wo auch Ende September noch 35 Grad in der Sonne möglich sind, verspricht der schattige Platz unter dem Baum 8 bis 10 Grad kühler zu sein und außerdem eine angenehme Frische zu spenden. Abgeschaut habe sich die Architekten das System von den Bastikiyas, den Windtürmen arabischer Hofhäuser. Auch beim amerikanischen Pavillon der Expo in Sevilla experimentierte man 1996 mit solchen Water Towers, was damals allerdings nicht richtig funktionierte; statt feuchter Luft zu versprühen, rannen dicke Regentropfen auf die Zuschauer, und das System musste abgeschaltet werden. Heute sind die elektronischen Steuermöglichkeiten präziser, ein Test im Sommer verlief erfolgreich. Die Innenfläche der Zylinder dient auch als Projektionsfläche; der erste Baum ist mit einer inneren Bepflanzung versehen, der zweite weist diverse Spielgeräte auf, und der dritte wird mit Videobildschirmen ausgestattet. Die drei Air Trees sind Bestandteil des „Ökoboulevards“. Mit diesem Konzept gewannen die Architekten einen Wettbewerb für die landschaftliche Gestaltung des Boulevards. Zehn junge Architekten waren dazu eingeladen, von der EU gab es für die Umsetzung Geld aus dem Life Programm. Die vorgesehene Verkehrsplanung krempelten die Architekten von Grund auf um. Ein 15 Meter breites Straßenprofil sollte in der Mitte einen drei Meter breiten Streifen aufweisen. Jetzt wurde der Verkehr auf schmale Standspuren reduziert und die Mittelzone zu einer mit jungen Bäumen bepflanzten Fußgänger-Promenade umfunktioniert. Die drei künstlichen Bäume sollen, so die Idee, als Social Dynamizer funktionieren, bis in zehn, fünfzehn Jahren die Jungpflanzen gleichgezogen sind.

Mit ihren heterogenen Bestandteilen wirken die Air Trees überinstrumentiert und in mancher Hinsicht an den Haaren herbeigezogen – eine unbestreitbare Faszination ist den theatralischen Freilufträumen aber nicht abzusprechen. Das Problem liegt im Konzept des „Ökoboulevards“: um die drei zwischen 500.000 und 900.000 Euro teuren Air Trees zu finanzieren, muss der restliche Boulevard so billig wie möglich werden. So werden die auffälligen Konstruktionen zu einer fragwürdigen Medizin, aufgedonnerte Symbole in einem kärglich zusammengeschrumpften Public Space. Mehrere Kommunen aus dem Mittelmeerraum interessierten sich bereits für die Air Trees, von einem möglichen Exportprodukt ist die Rede. Ob sich in anderthalb Jahren die Bewohner von Vallecas unter den silbernen Glocken zusammenfinden werden, ist noch nicht ausgemacht.

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