Zeitschrift

Bauwelt 43.06
Wohnungsbau, privat finanziert
Bauwelt 43.06, Foto: Christian Gahl
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Kosmos der Architektur

Oswald Mathias Ungers in der Neuen Nationalgalerie

10. November 2006 - Peter Rumpf
Was nicht zu sehen ist: Architektur in ihrer Umgebung, aus der heraus sie entwickelt wurde und in die sie hineinwirkt; innere Funktionsabläufe, dargestellt durch Grundrisse, Schnitte und Isometrien; Anlass und Verlauf eines Entwurfs; Angaben zu Bauherren, Mitarbeitern, Flächen, Kubaturen, Materialien oder ob ein Projekt Projekt blieb oder realisiert wurde. Da­für werden auf quadratischen grauen Podesten 36 sorgfältig in Buchenholz gearbeitete Modelle in unterschiedlichen Maßstäben präsentiert, ergänzt von 36 quadratischen Schwarz-Weiß-Fotos bzw. Zeichnun­gen. Der in den 60er und 70er Jahren erfolgreiche Architekturlehrer – an der TU Berlin, in Cornell, Harvard, Los Angeles, Wien und Düsseldorf – will hier keine als Ausstellung verkleidete Gebäudelehre-Vorlesung über sein berufliches Lebenswerk halten. Wer Detaillierteres erfahren will, sei auf die zahllosen Bü­cher und Veröffentlichungen verwiesen.

Oswald Mathias Ungers und sein Kurator von den Museen Preußischer Kulturbesitz Andres Lepik hatten anderes im Sinn, als vor drei Jahren die Idee geboren wurde, anlässlich seines 80. Geburtstags OMU – nach Renzo Piano und Rem Koolhaas – eine große Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie zu widmen. Konzept und „Architektur“ der Ausstellung entstanden dann am Schreibtisch in Ungers’ Bibliothek, die er sich 1990 als studiolo neben seinem Haus in der Belvederestraße in Köln-Müngersdorf errichtet hat. Am 26. Oktober wurde der „Kosmos der Architektur“ mit einem Vortrag von Ungers’ Schüler und jahrelangem Mitstreiter Rem Koolhaas eröffnet.
Und was ist nun zu sehen in Mies van der Rohes „Tempel der Moderne“? Ungers als Sammler. Er selbst korrigierte diesen Begriff vor sieben Jahren in der Kölnischen Rundschau: „Man müsste eher von einer Ansammlung sprechen oder von Schichten, die sich im Laufe der Jahre abgelagert haben.“ Das, was Ungers um sich versammelt hat, ist auf das Engste mit ihm und seinem theoretischen Fundament verbunden. Es ist Bestandteil seiner Arbeit, oder wie es Andres Lepik im Katalog formuliert: „Die Beschäftigung mit Ungers’ Sammlungen gleicht einer Suche nach Entwicklungslinien, nach den Ankerpunkten seines archi­tektonischen Denksystems.“

Und genau das versucht die Ausstellung sichtbar zu machen. Da überraschen neben den Modellen seiner Projekte andere Modelle, gearbeitet in ma-kellosem Alabastergips (von Bernd Grimm), Modelle nach Inkunabeln der Architekturgeschichte: der Parthenon in Athen und das Pantheon in Rom, Boullées Entwurf eines Kenotaphs für Newton und das Castel del Monte in Apulien, Bramantes Tempietto und das Mausoleum von Halikarnassos. Als „Gegenmodelle“ symmetrisch auf der anderen Seite der Halle sechs nicht realisierte Hochhausmodelle von Ungers selbst, ebenfalls in Weiß.

In eine andere, wenn auch eng verwandte Abteilung seines „Kosmos“ führt die kleine, aber feine Auswahl von Schriften, Traktaten und Illustrationen, ausnahmslos Erstausgaben: von Vitruv und Alberti über Dürer, Palladio und Piranesi bis zu Schinkel, Tatlin und Le Corbusier. (Sie sind wegen ihrer Lichtempfindlichkeit nur donnerstags von 17 bis 22 Uhr zu sehen.) Neben Werner Oechslin hat sich Ungers mit der wohl vollständigsten und wertvollsten Biblio­thek zum Thema Architektur umgeben. Vor der gegenüberliegenden Glaswand stehen kleine Fundstücke aus griechischer, römischer und etruskischer Zeit neben Plastiken von Ian Hamilton Finlay, Simon Ungers und Donald Judd. Die gesammelte Kunst hat für Ungers durchgängig mit den Grundlagen der Architektur zu tun, mit Geometrie wie zum Beispiel das „Idealquadrat“ von Gerhard Merz oder der „Basalt Circle“ von Richard Long. So sind aus der privaten Umgebung in Ungers’ Häusern – inzwischen zwei in Köln und eines in der Eifel – auch nach Berlin gereist: Piet Mondrian, Josef Albers, Gerhard Richter und andere Zeitgenossen, aber auch Ölgemälde von Hendrik van Cleve, Leo von Klenze und eine marmorne Schinkel-Büste von Tieck.

Diese etwas tabellarische und zudem unvoll­stän­dige Aufzählung soll zeigen, was im „Kosmos der Architektur“ von OMU alles Platz hat und wie es zusammengehört, in einen Dialog miteinander tritt und sich wie selbstverständlich ergänzt. Wer Ungers, sein Werk und seine seit Jahrzehnten ausformulierte Architektursprache verstehen will, kann in der Natio­nal­galerie durchaus Einsichten gewinnen. Andere enthält der Katalog. Die fundierteren allerdings sind sei­nen eigenen Schriften, Vorträgen und Traktaten vorbehalten. Das kann eine Ausstellung wie diese nicht leisten. Will sie auch nicht.

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