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Bauwelt 43.06
Wohnungsbau, privat finanziert
Bauwelt 43.06
zur Zeitschrift: Bauwelt

Europaviertel Hellersdorf

Die „Hellersdorfer Promenade“ war jahrelang eine Art Zentrumsersatz für die letzte Erweiterung von Berlin, Hauptstadt der DDR. Als Ende der neunziger Jahre das Bezirkszentrum „Helle Mitte“ eröffnete (Heft 45/1998), fielen zuerst die Läden brach und nach und nach auch die Wohnungen. Jetzt sind die Blöcke an einen Linzer Investor verkauft worden, und der will mit Kunst aus Lyon die Wohnungen am Markt neu positionieren. Malerei als letzter Hilfeschrei der Vermarktungsstrategen – und ein Schlaglicht auf die Zukunft, die den Plattenbauquartieren allerorten droht.

10. November 2006 - Ulrich Brinkmann
Eigentümer betrachten die Fassaden ihrer DDR-Montagebau­ten mit schöner Regelmäßigkeit als ein leeres Blatt Papier: frei von jeder Botschaft und deshalb nach Belieben aufteilbar, zu bemalen oder, wenn sich denn gar kein Einfall einstellen will, in den Reißwolf zu stecken. Das war schon so, als die Plattenbauten noch durchgängig im Besitz städtischer Wohnungsbaugesellschaften waren, und das ist heute nicht anders, wo ein Unternehmen nach dem anderen von den klammen Kommunen auf den Markt geworfen wird und dann Anlegern in Übersee sichere Renditen bescheren soll. Die stagnierende, vie­lerorts gar zurückgehende Nachfrage nach Wohnraum treibt die Besitzer zu immer groteskeren Versuchen, ihren Bestand von der gleichförmigen Konkurrenz abzusetzen, als ob dem Leerstand im Ganzen damit beizukommen wäre.

Peter Brockhaus ist sich sicher, dass in Berlin-Hellersdorf ein Touristenmagnet entstehen wird. Der Geschäftsführer der Level One Holding GmbH aus Linz, welche im Juni dieses Jahres sechs Blöcke rechts und links der FuZo „Hellersdorfer Promenade“ erworben hat, will das Aufwertungsprojekt, das der Architekt Andreas Wunderlich, Vorbesitzer der Blöcke, erdacht hat, zügig umsetzen. Brockhaus erwartet, dass sich das Quartier damit auf Anhieb ganz oben in der Gunst der Hauptstadtreisenden etabliert, „gleich hinter Museumsinsel und Hackeschen Höfen“ – wenn es denn erst fertig ist, das „längste Wandbild Europas“. Die graubraunen Fassaden der WBS-70-Blöcke sollen sich in ein Potpourri der europäischen Architekturgeschichte verwandeln. Für 64.000 Quadratmeter Platte liegen 15 Millionen Euro bereit. Die Front an der magistralen Stendaler Straße wird zum „deutschen Block“ umgestaltet, eine österreichisch-charmante Verneigung vor Hellersdorf, das bei der Wahl im September die rechtsradikale NPD mit ebenso vielen Abgeordneten ins Bezirksparlament gewählt hat wie FDP und Grüne. Mit gebührendem Abstand folgen danach links und rechts der Einkaufsmeile französisches, griechisches, italienisches, holländisches, spanisches und britisches Viertel. Der Clou: Die Bemalung liefert das Thema für die Vermarktung der Gewerbeeinheiten gleich mit. Im Erdgeschoss des französischen Blocks darf also auf eine Weinhandlung gehofft werden, im holländischen auf ein Käsefachgeschäft, im spani­schen auf eine Tapas-Bar und im britischen auf einen Pub. Auf diese Weise, ist die Level One Holding überzeugt, wird sich die gemiedene Lage im Schatten des Bezirkszentrums mit kleinteiliger Nutzung profilieren. Um das Konzept umzusetzen, reichen zur Not schon Gyros-Grill und Pizza-Toni.

Ende September begannen die Maler der Gruppe „Cité de la Création“, die sich im schönen Lyon bereits mit der Bemalung innerstädtischer Brandwände hervorgetan hat, die Anmutung der Ecke Stendaler/Quedlinburger Straße in Richtung Altberlin zu verschieben. Inzwischen ist das Werk vollbracht. Wir se­hen zweidimensionale Plastizität: Schieferschindeln täuschen ein Mansard-Dach vor, Ziegel einen Mauerwerksbau, eine Frau, die sich die Haare kämmt, signalisiert nette Nachbarn; sogar eine Taube flattert durchs Bild. Das Licht kommt von links oben: ein nicht enden wollender Sommernachmittag. Im gleichen Stil soll es weitergehen; die nördlich anschließende Einheit wird in Bälde pseudoklassizistisch und mithin etwas berli­nischer daherkommen.

Bemalung an sich ist nicht verwerflich; die Möglichkeiten, die die WBS 70 mit ihren Fassadentafeln als konkrete „Bilderrahmen“ für eine neue, abstrakte „Erzählebene“ im öffentlichen Raum bietet, sind längst nicht ausgeschöpft. Pseudo-Historie leistet dazu keinen Beitrag. Das Traurige daran ist, dass diese Bemalung fest im Zeitgeist steht: verwoben mit dem verbreiteten Sichbegnügen mit dem Abklatsch, mit der allgemeinen Abstumpfung gegenüber dem Wert des Originalen. Nicht nur signalisiert das „Europaviertel Hellersdorf“ den Bewohnern ei­nes unsanierten Plattenbaus, eben nicht in einem authenti­schen Kapitel der europäischen Architekturgeschichte zu le­ben, es maßt sich auch an, den Reichtum dieser Erzählung mit seinen beschränkten Mitteln anschaulich machen zu können. Vor allem aber, und das ist das Perfideste an diesem Vorhaben, unterstellen seine Urheber den Bewohnern ihrer Blöcke, allein mit etwas Farbe alle Wünsche an ein lebendiges Wohnumfeld, wie es in Berlin die innerstädtischen Gründerzeitviertel verkörpern, bereits erfüllt zu sehen.

„Durch die Auswahl guter Standorte und hoher Bauqualität in einem stabilen sozialen Umfeld gelingt es, das Anlagerisiko zu minimieren“, verspricht die Level One Holding potentiellen Anlegern auf ihrer Website und beruhigt den Zweifelnden: „Level One ist bei der Auswahl der Objekte, der Durchführung der Due Diligence und bei der Abwicklung äußerst selektiv und fasst nur jene Objekte ins Auge, die eine nachhaltige Rendite versprechen.“ Die Zukunft der Plattenbauquartiere lässt sich, nimmt man dieses Engagement beim Wort, schwärzer nicht ausmalen. Fragmentiert durch Abrissprogramme wie den „Stadtumbau Ost“, bleibt der Rest zur einen Hälfte unsaniert, mit geringstem Aufwand bewohnbar gehalten als Billigstunterkunft, zur anderen Hälfte wird er naiv-fröhlich bepinselt für die verbliebenen Mittelschichtler, um zu zeigen, dass sich auch hier auf Distinktion bestehen lässt.

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