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Seine neue Hülle lässt das Würzburger Kraftwerk zu einem Stück Stadt werden

6. Oktober 2006 - Enrico Santifaller
Obwohl Würzburg vom Main ganz lieblich in zwei Kurven und mit gebremstem Schaum umflossen wird, wendet die Stadt traditionell dem Fluss ihren Rücken zu. Zwar hatte schon Balthasar Neumann das Anliegen, den Main ins städtische Leben zu integrieren, auch schuf sein Sohn Franz Ignaz ein noch heute eindrucksvolles Schiffshebewerk, doch die Würzburger versagten ihren Baumeistern, so groß sie auch waren, notorisch die Gefolgschaft. Und als im März 1945 ganz Würzburg in Flammen aufging, bauten seine Bewohner nach Kriegsende nicht nur ihre Stadt wieder auf, sondern verbauten auch gleich das Mainufer mit einer zweispurigen Straße, einer Straßenbahn und Hunderten von Parkplätzen. Erst seit dem Amtsantritt von Christian Baumgart als Stadt­bau­rat im Jahre 1994 steht die Reurbanisierung des Ufers auf dem Programm. Ziel ist, die rechtsmaini­sche Flanke zum Erlebnisraum zu machen und dazu von jenem Zwickel im Nordwesten Würzburgs, in dem das Ufer in die Abhänge des Steinbergs übergeht, bis zur Ludwigsbrücke am südwestlichen Rand der Innenstadt eine durchgängige Fußgängerpromenade am und teilweise sogar über dem Wasser anzulegen. Tiefkai, Schiffsanlegestelle, Gartencafés, Grünanlage und Baumalleen sowie eine Eventmeile mit Museum und Kino sollen Industriebrachen, Verkehr und par­ken­des Blech ersetzen. Zahlreiche konkurrierende Ver­fahren wurden dazu ausgelobt und – wie schon in Miltenberg und noch viel mehr in Wörth am Main (Heft 31/04) – Landesmittel für den technischen Hoch­wasserschutz eingesetzt, um eine städtebauli­che Qualität mit ästhetischem Anspruch zu erzielen.
Bis vor kurzem allerdings scheiterten alle Anstrengungen am städtischen Heizkraftwerk unmittelbar südlich vom Alten Hafen und vom Kulturspeicher: Der in seine Dimensionen von 160x40x20 Metern beängstigende Klotz stillt zwar nahezu den gesamten Strom- und Wärmebedarf der Innenstadt, doch stand er bisher jeder Uferrevitalisierung buchstäblich im Wege. Norman Forster hatte in einer Studie Ende der 90er Jahre einen öffentlichen Weg durch das 1954 errichtete, in den folgenden Dekaden mehrmals erweiterte Gebäude vorgeschlagen. Doch wegen Sicherheitsbedenken verschwand der Plan in der Schublade. Einige Jahre später konnte Baumgart die Idee erneut aufgreifen und die Betreiber überzeugen, im Zuge einer abermaligen Erweiterung ein konkurrie­rendes Verfahren auszuloben, wobei freilich der technische Inhalt von der architektonischen Form strikt getrennt wurde. Dass das Heizkraftwerk – vorher von der Lokalpresse als Schandfleck geschmäht, nun zum „Hingucker“ gekürt –, trotzdem schon vor der offiziellen Eröffnung Anfang Oktober einen kaum wegzudenkenden Bestandteil des städtischen Lebens darstellt, ist vor allem dem Entwurf des Büros Brückner & Brückner, Tirschenreuth/Würzburg, geschuldet, der sich in einem VOF-Verfahren durchsetzen konnte. Während die Konkurrenz nur den Erweiterungsbau gestaltete, nutzten die Brüder Brückner den beim Bau des Kulturspeichers (Heft 14/02) gewonnenen Heimvorteil und überformten das gesamte Heizkraftwerk.

Mit insgesamt sechs mächtigen Horizontalprofilen, die sich um die vier Flanken des Gebäudes wickeln, und vertikalen, bis zu 6,60 Meter hohen Winkeln aus gekantetem Aluminium schufen die Architekten ein ebenso komplexes wie atemberaubend dynamisch anmutendes Gebilde aus ineinander gefügten, sich überlagernden und durchdringenden Volumina. Durch die unterschiedlichen Farben der vertikalen Winkelreihen – die silbernen Südschenkel wurden pulverbeschichtet, die nördlichen Schenkel mit einem Kupferlack gestrichen –, durch die Verwendung von verschieden großen Winkeln, die von sehr spitz bis relativ stumpf variieren, und durch wechselnde Abstände zwischen den Winkeln scheint das Gebäude vor Kraft zu vibrieren. Und nachts, wenn es aus Sicherheitsgründen beleuchtet ist, erweckt es den Eindruck, als glühte es in seiner gesammelten Energie. Darüber hinaus bietet eine einfache, die Höhe des Kulturspeichers aufnehmende Auskragung an der Nordfassade in Kombination mit einer breiten Freitreppe in den Main Raum für neues städtisches Leben am Flussufer: Anfang August fand un­ter diesem Bürzel ein Avantgarde-Tanzfestival statt, Ende August konnte man dort Open-Air-Kino genießen. Für Modefotografen ist das Kraftwerk am Main inzwischen zu einer der angesagtesten Locations der Stadt geworden. Und der sonntägliche Spaziergänger kann das Kraftwerk nun auf zwei Wegen umrunden: auf der Wasserseite oder auf der Anlieferflanke, die einige kalkulierte Einblicke in das Innenleben der Energieproduktion gewährt. Der Umbau des Kraftwerks und die 34 Stufen der Freitreppe haben, will man der Lokalpresse glauben, Würzburg bereits jetzt verändert. Weil das Kraftwerksschiff nach 50 Jahren sowohl städtebaulich als auch architektonisch in der Stadt, die es versorgt, nun endlich angekommen ist, besteht an dieser Aussage überhaupt kein Zweifel.

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