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tec21 2006|51-52
Campus
tec21 2006|51-52
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Atmosphärisch dichte Stadt

Aufgrund des Masterplans von Galfetti und Könz von 1998 für den Universitätscampus in Lugano konnten in den vergangenen acht Jahren auf einem Parkareal inmitten der Stadt sieben neue Gebäude von jungen Tessiner Architekturbüros erstellt werden.

18. Dezember 2006 - Roman Hollenstein
In den letzten Jahren wurden in Lugano verschiedene Grossprojekte lanciert. Doch abgesehen von der Erweiterung der Palace-Ruine zum neuen Kulturzentrum durch Ivano Gianola, die nun im Sommer – nach jahrelangen Diskussionen – in Angriff genommen werden konnte, wurde bisher einzig der Luganeser Campus der Univer­sità della Svizzera Italiana (USI) realisiert. Den Auftrag zur Projektierung der Anlage, die heute die wirtschafts-, kommunikations- und informationswissenschaftliche sowie die theologische Fakultät vereint, erteilte der Stiftungsrat der USI dem in Lugano tätigen Aurelio Galfetti. Zusammen mit Jachen Könz erarbeitete dieser 1998 einen Masterplan für ein im Stadterweiterungsgebiet des 19. Jahrhunderts am Fluss Cassarate zur Verfügung gestelltes, rund 230Õ120 m messendes Parkgelände, auf dem bereits zwei Altbauten Akzente setzten: der 1891 realisierte Backsteinbau eines ehemaligen Altersheims und das zwischen 1900 und 1909 von Giuseppe Ferla ausgeführte, mit Mittelrisalit und weit ausladenden Seitenflügeln schlossartig wirkende ehemalige Krankenhaus (Ospedale, Bild 1). Ergänzend zum Ospedale, das die Verwaltung, die Büros der Dozenten, aber auch Arbeitsräume beherbergt, wurden zunächst die «Aula magna», der «Aule di lezione» genannte Hörsaaltrakt, ein «Laboratorio» mit Computerarbeitsplätzen, die Bibliothek sowie das Gebäude der theologischen Fakultät erstellt. Derzeit sind zwei weitere Bauten, von denen der eine die Lehr- und Forschungsräume der Informationswissenschaften, der andere die Mensa aufnimmt, im entstehen.

Stadt in der Stadt

Für ihren im Grundriss streng rationalistischen, durch freie Symmetrien strukturierten Masterplan wählten Galfetti und Könz eine U-förmige Gesamtdisposition. Dabei verliehen sie der Ostwestausrichtung des Ospedale Nachdruck, indem sie zum Viale Cassarate hin das Gebäude der Theologischen Fakultät, zum Corso Elvezia hin aber die Aula magna positionierten. Diese fungiert als Gelenk zu dem zur Bibliothek erweiterten eins­tigen Altersheim. Ihm wiederum ist axialsymmetrisch das nördlich des Theologiegebäudes gelegene Laboratorio zugeordnet. Der dazwischen liegende Park konnte weitgehend erhalten werden, weil Galfetti die Bauplätze des Hörsaaltraktes und des Gebäudes der Informationswissenschaften von Norden her dicht an die Seitenflügel des Ospedale rückte. Die beiden Gebäude formen seit neustem zusammen mit dem Altbau zwei halb­offene, unter dem sie verbindenden Mensagebäude hindurchfliessende schmale Höfe.

Mit dieser geschickt vom Bestand ausgehenden Komposition ist es Galfetti und Könz gelungen, dem Universitätscampus von Lugano trotz klassisch-rationalistischem Grundriss eine transparente, vom freien Spiel der Baukörper geprägte Erscheinung zu verleihen. Dabei stehen die baulichen Interventionen in einem aktiven Spannungsverhältnis zu den beiden Altbauten und zum sti­listisch heterogenen Erscheinungsbild des Molino-Nuovo-Quartiers. Die architektonische Vielfalt bei gleichzeitiger urbanistischer Strenge konnte nicht zuletzt deswegen erreicht werden, weil Galfetti und Könz darauf verzichteten, neben dem Masterplan gleich auch noch alle Neubauten auszuführen.

Im Sinne einer Nachwuchsförderung setzte Galfetti nämlich für die in der ersten Etappe geplanten Bauten – Bibliothek, Laboratorio, Hörsaaltrakt und Theologie­gebäude – 1998 einen Wettbewerb unter jungen Tessiner Architekten durch, sicherte sich aber gleichzeitig die Oberaufsicht über das gesamte Baugeschehen. Die Aula magna als Brennpunkt des intellektuellen Lebens auf dem Campus wurde allerdings auf Wunsch des Stiftungsrats der USI direkt von Galfetti und Könz realisiert. Auch wenn kein wirklich spektakuläres Gebäude entstanden ist, überzeugt das kostengünstig realisierte Ensemble doch durch seine hohe architektonische Qualität. Es bietet ein über die italienischsprachige Welt hinaus gültiges Beispiel für das Weiterbauen im historischen Kontext und zeigt zugleich neue Entwicklungen in der von Aussenstehenden lange nur auf Betonkuben und Botta-Bauten reduzierten Tessiner Architektur auf. War früher das schwere, geschlossene Gebäude die Regel, so herrschen hier nun Leichtigkeit und Transparenz vor – Themen, die aller rationalistischen Rigidität zum Trotz im Keime schon in Galfettis Masterplan angelegt waren.

Architektonische Vielfalt

Die Themen Glashaus und Höhle bestimmen die von Galfetti und Könz konzipierte Aula magna. Zwei 36 m lange Doppel-T-Träger halten einen durchsichtigen Kubus, der als Eingang und Oberlicht des 6 m tiefer gelegenen Foyers dient. Im Innern überwindet eine schräg in den Raum gestellte, skulpturale Freitreppe die Höhendifferenz zwischen Piazza und abgesenkter Foyerhalle, die sich zur Aula hin öffnen lässt. Der unterirdisch angelegte, 5 m hohe Mehrzwecksaal aus Sichtbeton mit rund 500 Sitzplätzen wird von zwei Oberlichtbändern erhellt. Diese strukturieren die darüber liegende, streng geometrische, von sechs bankartigen Betonstelen gerahmte Piazza, deren Ausdehnung von 16.5Õ28 m exakt derjenigen der darunter liegenden Aula entspricht.

Dem Zusammenklang von Glas, Stahl und Beton dieses Eingangspavillons antwortet das grafische Schwarzweissraster des Bibliotheksgebäudes: Durch porphyrroten Bruchstein charakterisierte U-förmige Altersheim von den Brüdern Giorgio und Michele Tognola aus Losone wurde mit einer möbelartigen Scheibe aus weissem Beton, schwarz eloxierten Aluminiumplatten und Glas zum Hofhaus geschlossen. Während der Altbau Büros, Magazine und Katalogräume aufnimmt, dient der im Erdgeschoss als Zugangsarkade ausgebildete neue Bauteil, der mit seinem seriellen Rhythmus von hellen Betonstützen und dunklen Fensterflächen entfernt an ein minimalistisches Kunstwerk erinnert, der Erschliessung und dem Studium.

Die neue Bibliothek pflegt über den Campus hinweg den Dialog mit dem Glashaus des Laboratorio, das von Sandra Giraudi und Felix Wettstein aus Lugano konzipiert wurde. Der Kern des sechsgeschossigen, völlig transparenten Curtain-Wall-Gebäudes besteht aus einer vertikalen Erschliessung, die zusammen mit zwei durch alle Etagen gehenden Wandscheiben die Betonböden trägt. Pro Stockwerk findet man 16 von hohen Holzbrüs­tungen eingefasste Nischen mit je zwei Arbeitsplätzen.

Unterschiedliche Ausdrucksformen

Fasziniert das Laboratorio durch seine geschliffene Eleganz, so zieht der Hörsaaltrakt von Lorenzo Martini aus Lugano und Donatella Fioretti aus Savona mit starken Farbakzenten den Blick auf sich. Die weinroten Glasplatten der Aussenhülle und die orangefarbenen Fens­terrahmen, aber auch die gelblichen, auf drei Geschossen jeweils um 180 Grad gedreht angeordneten Hörsäle verleihen dem kistenartigen Gebäude etwas leicht Expressives. Als Gegenstück zu diesem Unterrichtsgebäude geht derzeit dessen Zwillingsbau der Vollendung entgegen. Bei dem schwarzen, durch Bänder aus hellgrauen Gitterblechen belebten multifunktionalen Gebäude der Informatikwissenschaften handelt es sich um den zweiten Campus-Bau der Brüder Tognola.

Die Aufgabe des Scharniers zwischen diesen Flügelbauten und dem denkmalgeschützten Krankenhaus übernimmt das Corpo Centrale genannte Mensagebäude von Elio Ostinelli aus Chiasso. Der zweigeschossige Kubus bildet gleichsam den Mittelrisalit der dreiteiligen, nördlich des Ospedale entstandenen und dieses spiegelnden Neubausequenz. Seine Glasstirn markiert nun den Abschluss einer von Norden in die Stadt führenden Einfallstrasse. Gefasst wird diese Glasfläche, hinter der man das elegant möblierte Studentenrestaurant erblickt, von teilweise durch anthrazitfarbenes Gitterblech verkleideten Betonwangen, die den Bau über einen ebenerdigen Freiraum emporstemmen.

An der Südostecke der Anlage schliesslich gibt sich Michele Christens Theologische Fakultät fast klösterlich in sich gekehrt. Über einer verglasten Parterrezone wechseln hohe, aluminiumgefasste Steinplatten mit ebensolchen Fensterflächen ab. Diese serielle Gestaltung verweist auf Ideen von Livio Vacchini, ohne allerdings deren Raffinesse zu erreichen. Umso überraschender ist die Grosszügigkeit des Eingangsbereiches, zumal wenn man bedenkt, dass in dem vergleichsweise kleinen Volumen neben Hörsälen und Arbeitsplätzen auch die Verwaltung der von der Universität institutionell unabhängigen Fakultät untergebracht werden musste.
Mit bescheidenen finanziellen Mitteln ist auf dem Luganeser Universitätscampus ein architektonisch kohärenter und visuell ansprechender Gebäudekomplex entstanden, der von einer neuen Aufbruchstimmung im Süden kündet. Hier beginnt sich eine jüngere Architektengeneration von den strengen Idealen der etwas in die Jahre gekommenen «Tessiner Schule» zu lösen, indem sie dem lateinischen Rationalismus neue Perspektiven öffnen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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