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TEC21 2007|01-02
Bauen im Ausland
TEC21 2007|01-02
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Das ist kein freier Markt»

Walter Hunziker hat 2004 einen internationalen Wettbewerb auf Malta gewonnen. Mit welchen Schwierigkeiten hatte der Schweizer Architekt im EU-Land zu kämpfen? Wo sind heute die grössten Hürden, die es Planenden erschweren, ihre Leistungen zu «exportieren», und was könnte dagegen getan werden?

8. Januar 2007 - Ivo Bösch
TEC 21: Das Projekt auf Malta ist nun zur Ausführung ausgeschrieben. Welche Probleme zeigten sich bisher bei diesem «Planen fürs Ausland»?
Walter Hunziker: Im Gegensatz zur Schweiz kennt Malta klare Regulierungen für Architekten und Ingenieure. Wir mussten zum Beispiel feststellen, dass nur jemand Haftpflicht versichert werden kann, der garantiert, für die nächsten zehn Jahre in Malta zu bleiben. Zwar gelten internationale Verträge, aber genauere Ausführungsbestimmungen fehlen.
Pierre Henri Schmutz: Das Beispiel zeigt: Ein Schweizer darf zwar an einem Wettbewerb teilnehmen, weil sein Diplom prinzipiell anerkannt ist. Aber er wird stark bei der weiteren Planung behindert, weil er nicht Mitglied einer Architektenkammer ist. Im Ausland besteht ein Unterschied zwischen Berufsbefähigung und Diplom oder Titel, den wir in der Schweiz gar nicht kennen. Wir funktionieren nach dem Prinzip der Selbstdeklaration und Selbstverantwortung.
Daniele Graber: In Italien beispielsweise darf nur derjenige, der qualifiziert ist, einen bestimmten Beruf ausüben. Kein Bäcker darf Architekt oder Ingenieur spielen, in der Schweiz schon.

Wo können Planende sich Hilfe holen?
Walter Hunziker: Das Seco, das Staatssekretariat für Wirtschaft, hat mir gesagt, man müsse schauen, wie man das regeln könnte. Wenn Sie aber einen Wettbewerb gewonnen haben, muss man im Interesse des Auftraggebers schnell reagieren. Es ist eine unhaltbare Situation, dass man selbst sein Recht durchsetzen muss. Es gibt im Moment nur eine Lösung: sich mit einem Büro vor Ort zusammenzuschliessen. Für unser Projekt wollte ich sowieso von Anfang an ein Joint Venture eingehen, was aber die Behörden von Malta wegen Problemen mit der Mehrwertsteuer nicht bewilligten.
Pierre Henri Schmutz: Das BBT, das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie, und das Seco bieten Hilfe an. Es besteht jedoch die Gefahr, dass auf einem A4-Blatt irgendetwas bestätigt wird. Grundsätzlich erhält man zwar Hilfe, doch sie ist dieselbe wie für normale Firmen. Es begleitet Sie jemand mit dem Aktenkoffer ins Ausland, und versucht auf dem administrativen Weg Lösungen zu finden. Diese Hilfe von Fall zu Fall führt aber meist zu Zeitverzögerungen.
Daniele Graber: Es ist schon erstaunlich, die Staaten schaffen Gesetze, die schwierig umzusetzen sind. Zum Glück sind Architekten und Ingenieure kreativ genug, um selbst Lösungen zu finden. Solche Einzellösungen sind ineffizient, aber die Bundesverwaltung handelt immer noch nach diesem – zugegeben sehr pragmatischen – Credo. Die Fachleute suchen in der Folge Umwege. Indem der Staat sie dabei unterstützt, anerkennt er diese informellen Wege. Der Staat soll doch nicht diese intransparenten Verfahren fördern. Die Regeln sind im Prinzip gut gemeint. Sie wollen Transparenz, Rechtssicherheit, Gleichbehandlung schaffen.
Pierre Henri Schmutz: Bei den öffentlichen Ausschreibungen haben wir es nicht nur mit den 25 EU-Ländern zu tun, sondern mit fast 250 öffentlichen Körperschaften, wie die Bundesländer in Deutschland oder die Regionen in Italien. Und es gibt fast ebenso viele Architektenkammern.
Daniele Graber: Das heisst nicht, dass wir diese 250 Institutionen abschaffen sollten, obwohl es schon in der Schweiz gefordert wird, zum Beispiel bei der Revision des Binnenmarktgesetzes. Klar, wir wollen mehr Wettbewerb und weniger Kartelle, da sind wir uns alle einig. Aber man muss die Latte schon auf die richtige Höhe setzen. Hinter den Kantonsregistern stecken ja auch kulturelle, soziowirtschaftliche Überlegungen. Wir haben eben nicht eine völlig liberalisierte Wirtschaft.

Beklagen sich Schweizer Büros über den eingeschränkten Zugang zu Planungswettbewerben im Ausland?
Walter Hunziker: Ich war kürzlich in einer Jury eines Wettbewerbs in der Schweiz. Zurzeit sind etwa ein Drittel ausländische Büros im Teilnehmerfeld. Das geht problemlos. Wenn ich aber im Ausland mitmachen will, muss ich zahlreiche Nachweise erbringen, die ich aufgrund unseres Systems nur schwer liefern kann. Das ist kein freier Markt.
Pierre Henri Schmutz: Man muss wissen, dass die bilateralen Verträge keine reziproken Abkommen sind.
Daniele Graber: Reziprozität war nur ein Thema bei den bilateralen Abkommen für die öffentlichen Beschaffungswesen. Wir öffnen unsere Märkte, und ein anderes Land muss im Gegenzug den Marktzugang gewährleisten.
Pierre Henri Schmutz: Schweizer Architekten und Ingenieure sind seit über 200 Jahren weltweit bekannt. Wenn Sie mal zusammenzählen würden, wie viele grosse Werke in der Welt von Schweizern geplant wurden! Wir kennen – übrigens wie Deutschland und Österreich auch – den Wettbewerb seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Heute sind wir in der Situation, dass wir im Ausland nicht mehr an Wettbewerben teilnehmen können. Noch können es grössere Büros, die Mittel haben und Wege kennen. Doch für junge Architekten und Ingenieure ist es schwierig geworden an, ausländischen Wettbewerben teilzunehmen. Es ist paradox: Seit von Freizügigkeit gesprochen wird, sind die Barrieren höher geworden.
Daniele Graber: Wir haben im Semptember einen Aufruf gestartet, uns Schwierigkeiten zu melden. Auch wenn wir wenige Antworten erhalten haben, konnten wir feststellen, dass viele Probleme bestehen. Ingenieure und Architekten benutzen eben ihr Ingenium und finden Lösungen. Einige haben uns sofort gesagt: Kommt zu mir, wir zeigen euch, wie man es macht.

Wo sind denn die Lösungen? In welche Richtung könnten sich die Regelungen entwickeln?
Pierre Henri Schmutz: Die neoliberalistischen Vorstellungen sind verwirrend, weil man oft Liberalisierung und Deregulierung gleichsetzt. Doch die Europäische Kommission hat es nie so gemeint und auch nie so gesagt. Man kann liberalisieren, ohne zu deregulieren. Die Freizügigkeit und der Zugang zum Markt könnten garantiert werden, ohne dass man Berufsregeln abschafft. Die Architekten in Europa haben die gleichen Probleme wie wir. Zwar nicht im gleichen Ausmass, denn wir sind ausserhalb der EU und kennen eben diese Berufsregelungen gar nicht. Im ACE, im Architects‘ Council of Europe, sind wir inzwischen der Meinung, dass wir harmonisieren müssen. Die Frage ist nicht, wie man den Markt in Europa überall gleich aufbauen kann, sondern wie die einzelnen Systeme in den Ländern beibehaltenwerden können und trotzdem Freizügigkeit garantiert werden kann.
Daniele Graber: In der Schweiz möchten wir mit der Bundesverwaltung eine Abmachung treffen: Die Berufsverbände sollen sich um die beruflichen Aspekte kümmern und mit den entsprechenden ausländischen Institutionen die Anerkennungen regeln. Anfangs sagte die Bundesverwaltung immer, die Schweiz hätte das beste System. In der letzten Sitzung Ende November war man nun bereit, den Vorschlag des REG, der Stiftung der Schweizerischen Register der Ingenieure, Architekten und Techniker, im Detail zu prüfen, in einer Expertengruppe mit Bundes- und REG-Vertretern.

SIA und REG haben für die parlamentarische Motion lobbyiert, die Fachleuten den Zugang zum europäischen Markt erleichtern soll. Der REG-Vorschlag ist ein Versuch, diese inzwischen angenommene Motion umzusetzen. Wie sieht er aus?
Pierre Henri Schmutz: Im REG wollen wir das Gleiche tun, wie wir es im ACE beschlossen haben. Wir möchten die Freizügigkeit gewährleisten und gleichzeitig die kulturellen Differenzen behalten. Schweizer Politiker wie alt Bundesrat Deiss sehen die Zukunft noch im total freien Markt. Doch in Europa wird es nicht so schnell so weit kommen. Also möchten wir in der Schweiz eine Institution, welche die Anerkennung, die Transparenz über die Qualifikation und die Erfahrung der Berufsleute registriert – auf freiwilliger Basis. So werden beispielsweise Architekten, die im REG eingetragen sind, von einer deutschen Architektenkammer anerkannt. Man müsste also nicht mehr den Umweg über in- und ausländische Ministerien nehmen – der dauert heute durchschnittlich acht Monate.
Walter Hunziker: Es wäre also sehr einfach. Das Ziel ist, dass man das bei uns einrichtet, was in allen andern europäischen Ländern schon existiert, damit zwischen diesen Institutionen berufsspezifischer Austausch möglich ist.

Und die konkrete Umsetzung?
Pierre Henri Schmutz: Das System ist bei uns im REG eingebaut und wäre in ein paar Wochen zugänglich.
Daniele Graber: Bundesverwaltung und Berufsverbände haben verschiedene Kompetenzen. Die Verwaltung besitzt gewisses Know-how und kann bestimmte Dienstleistungen bestens erledigen, aber andere nicht optimal. Bei den Berufsverbänden ist es fast umgekehrt. Die Kooperation wäre der beste Weg. Wie sie formalisiert wird, ist sekundär. Mit einem Gesetz, einer Abmachung oder mit einer Absprache? Der SIA erwartet vom Bund mehr Anerkennung.
Pierre Henri Schmutz: Wir sind Mitglied der ACE und anderer internationaler Organisationen. Falls wir keine Unterstützung von unserem Staat bekommen, wäre es im Rahmen einer ‹Self-Regulation› trotzdem möglich, unsere Ziele zu erreichen. Wir haben 110 Experten, die Dossiers regelmässig prüfen können. Zwischen Fachleuten könnte der internationale Austausch im Vertrauen funktionieren. Wir werden versuchen, alle Systeme zu harmonisieren, das heisst, dass man von einem System zum andern wechseln kann. Wir wollen beweisen, dass wir Architekten und Ingenieure fähig sind, diese Freizügigkeit zu garantieren, ohne die Eigenständigkeit in jedem Land zu verlieren. Das ist das grosse Ziel.

Bauen in der Fremde – gibt es Unterschiede zwischen Ingenieuren und Architekten?
Daniele Graber: Wo es Architektenkammern gibt, sind meist auch die Ingenieure reglementiert. Unterschiede gibt es aber in den allgemeinen EU-Regeln. Zu Beginn wollte man eine Richtlinie pro Beruf schaffen. Nach den ersten Richtlinien für Anwälte, Ärzte, Hebammen und Architekten hat die EU gemerkt, dass man das System vereinfachen muss. Heute gibt es nur eine einzige Richtlinie für alle Berufe. Trotzdem sind spezifische Richtlinien in die allgemeinen eingeflossen. Weil es eine Architekturrichtlinie gab, hat man heute spezifische Regeln für Architekten, für Ingenieure nicht. Sie sind dem allgemeinen System unterstellt.

Ist es überhaupt nötig, im Ausland zu arbeiten?
Walter Hunziker: Bei den Architekten ist der kulturelle Hintergrund wichtig. In der Architektur haben wir heute ein ‹Showbusiness›. Es gibt die grossen Stars, die herumwandern, das sind – wie Charles Correa einmal gesagt hat – die Konzertpianisten, heute ein Konzert in Tokio, morgen eines in San Francisco. Die Architektur wird unabhängig vom Ort und zu einem internationalen ‹Einheitsbrei›. Die Unesco oder die UIA, die Union Internationale des Architectes, handeln heute gegenteilig. Ein Austausch soll stattfinden im Respekt vor den Diversitäten und Identitäten. Diese internationalen Organisationen sehen einen Zusammenhang zwischen Tourismus und den ‹World Heritage Sites›: Auf dem Weltmarkt konkurrenzieren sich diese touristischen Ziele. Dabei besteht die Gefahr, dass alles vereinheitlicht wird und die lokalen Identitäten verloren gehen. Meine Erfahrung auf Malta zeigt, dass ich wohl einen Wettbewerb gewinnen kann, aber doch am Ursprung dieser Kultur arbeite. Es gibt eben kein Handbuch, wie der maltesische Stein behandelt wird. Wenn ich ein Gebäude auf Malta auf den Boden stelle, muss es anders aussehen, weil Klima und Landschaft anders sind. Da sind Limiten für den Architekten. Dort, wo echte Architektur gemacht wird und kulturelle Sensibilität gefragt ist, wird es automatisch zu einer Zusammenarbeit mit einem lokalen Büro kommen.
Daniele Graber: Dieser kulturelle Aspekt ist sehr wichtig. Dass man mit einem lokalen Büro zusammenarbeiten muss, sollte aber nicht gesetzlich festgeschrieben werden. Da würde man im Namen des freien Marktes protektionistische Massnahmen anwenden.
Pierre Henri Schmutz: Trotzdem würde mir ein liberalisierter Markt im Moment Angst machen. Wir haben bis jetzt in der Schweiz mit einem sehr liberalen System gelebt – für die Qualität der Architektur war das gut. Die Vernetzung der Fachleute ist so, dass alle Architekten und Ingenieure bis jetzt noch in diesem Verständnis vom Bauen aufgewachsen sind. Sobald man aber das Bauen nur noch als Markt sieht, geht die Baukultur verloren. Allein mit Regeln entsteht hingegen auch noch keine gute Architektur.
Daniele Graber: Das Grundproblem liegt vielleicht bei der intellektuellen Dienstleistung – schon die Offerte ist eine Leistung. Intellektuelle Dienstleistungen werden heute als Produkt behandelt. Die standardisierte Beschreibung eines Produkts ist im Detail möglich, nicht aber bei intellektuellen Dienstleistungen.

Hätten Architekten und Ingenieure im Ausland Chancen?
Daniele Graber: Interessant ist, dass bei vielen Planern das hohe Lohnniveau keine Probleme im Ausland verursacht, weil die Qualität stimmt. Schweizer Planer sind so ausgebildet, dass sie sehr effizient arbeiten können. Das wird im Ausland geschätzt und wird auch entsprechend honoriert. Im Ausland zu arbeiten kann auch sonst sehr bereichernd sein.
Pierre Henri Schmutz: Man sieht es an unserer Architektur. In der Ausbildung und in der Praxis herrscht generell eine sehr hohe Qualität. Das ist weltweit anerkannt. Auch die Systeme in Euro-pa haben gut funktioniert – nicht immer einwandfrei, aber jedes Land hat Qualität hervorgebracht. Wir haben fast nur über Europa gesprochen, die gleichen Probleme haben wir aber auch in Asien. Was passiert wohl, wenn wir das alles abschaffen und nur noch von einem Markt reden?

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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