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TEC21 2007|01-02
Bauen im Ausland
TEC21 2007|01-02
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Formfindung für eine Membran

Um die Tempelanlagen Hagar Qim und Mnajdra auf Malta zu schützen, wurden in einem internationalen Wettbewerb reversib­le Schutzbauten gesucht. Das Siegerprojekt veränderte sich seit 2004 stark. Die Einbogenkonstruktion wurde von einer Zweibogenkonstruktion abgelöst. Das Aussehen gleicht heute eher einem Käfer statt dem geplanten Zelt. Den langen Weg der Formfindung gingen Architekt und Ingenieur gemeinsam.

8. Januar 2007 - Daniela Dietsche
Schutzbauten
Die Tempelanlagen Hagar Qim und Mnajdra auf Malta wurden im 19. Jahrhundert zum ersten Mal freigelegt. Damit begann ihr eigentlicher Zerfall. Über Jahrhunderte waren sie von der Erde geschützt, nach der Ausgrabung sind sie Erosion, Überflutung, Versalzung und vielen anderen Umwelteinflüssen ausgesetzt. Zusätzlich werden die Steinfragmente durch eine zunehmende Zahl von Besuchern abgenutzt. Im Jahr 2004 wurde ein internationaler und offener Wettbewerb nach den Richtlinien von der Union Internationale des Architectes (UIA) und der Unesco durchgeführt. Die Aufgabe war, das kulturelle Erbe zu schützen. Ein neues Besucherzentrum, ein Leit- und Orientierungssystem sowie reversible Schutzbauten für die Tempelanlagen sollten geplant werden. Der Entwurf des Berner Architekten Walter Hunziker überzeugte die Jury (siehe TEC 21, 21/04). Das Wettbewerbsprojekt wurde in enger Zusammenarbeit mit den maltesischen Behörden, dem Membraningenieur und dem maltesischen Partnerbüro in den letzten zwei Jahren weiterentwickelt. Dabei wurde das Besucherzentrum auf den Perimeter eines bereits bestehenden Parkplatzes verschoben. Damit konnte erreicht werden, dass kein zusätzliches Naturland verbaut werden musste. Viele verschiedene Einflüsse und Anforderungen beeinflussten den Prozess der Formfindung für die Schutzbauten.

Die erste Idee
Die erste Idee war, eine einfache Form zu finden, um die fragilen Steinkonstruktionen zu schützen und die Ruinen mit möglichst wenig High tech zu überspannen: eine Zeltkonstruktion. Die Erbauer der Kultstätten berücksichtigten die Bewegung der Sonne und der Gestirne. Um der Ausrichtung der Tempelgrundrisse nach kosmischen Gesichtspunkten gerecht zu werden, wurde die Schutzkonstruktion in der Nordsüdachse ausgerichtet. Das Wettbewerbsprojekt beschreibt eine Einbogenkonstruktion aus Holz, die von einem textilen Gewebe überspannt wird. Es war geplant, die Teile des Bogens neben der Tempelanlage zu montieren und anschliessend aufzurichten. Mit dieser Konstruktion sollten die Wettbewerbsbedingungen erfüllt werden: möglichst minimale Fusspunkte, Reversibilität, Leichtigkeit, keine Vibrationen und wenig Material auf der Baustelle. Nach dem Wettbewerb begann die intensive Phase der Berechnung der Schutzbauten und ihre Formfindung.

Technische Machbarkeit
In dieser Phase mussten komplexe und zum Teil widersprüchliche Projektparameter auf einen Nenner gebracht und optimiert werden: die konservatorischen Aspekte vertreten durch Heritage Malta, der Schutz des Naturreservates (MEPA Maltese Environment and Planning Authority) sowie die Anliegen des Tourismusministeriums und der lokalen Bauern. Der Widerspruch, dass Schutzbauten zum Erhalt des Kulturguts auch immer eine Beeinträchtigung desselben einschliessen, musste ebenfalls berücksichtigt werden. Die Zeltkonstruktion war keine Skulptur, die vom Ingenieur nur noch nachgerechnet wird, sondern ein Konzept, das weiterbearbeitet wird. Für die endgültige Bestimmung und Berechnung der Form benötigt man umfangreiche Kenntnisse der ingenieur- und materialspezifischen Gesetzmässigkeiten. In Europa gibt es nur wenige Spezialisten auf dem Gebiet der Membrankonstruktionen. In der Schweiz war kein Büro zu finden, das sowohl die Berechnungen als auch die membrantechnische Beurteilung durchführen konnte. Ein Spezialist für textile Architektur, Michael Kiefer aus Radolfzell (D), wurde ins Projektteam integriert. Mit speziellen Berechnungsmodellen, basierend auf der Finiten-Elemente-Methode, wurden die Formen entwickelt. Die Fachwerkträger geben der Tragstruktur die Form, während die Membran inklusive Randabspannungen die Konstruktion stabilisiert. Membrane sind materialsparende Konstruktionen, werden aber aufgrund der schwierigen Verankerung der entstehenden Zugkräfte oft zu teuren Objekten. Um alle Bedingungen erfüllen zu können, wurde ein Glasfasergewebe für die Membran gewählt. Eine schmutzabweisende PTFE (Polytetrafluorethylen)-Beschichtung schützt das Gewebe vor UV-Strahlen. Die Transluzenz, die im Wettbewerb gefordert war, kann bei Werten von 8–15 % weitgehend beibehalten werden. Das gewählte Material ist nicht brennbar. Mit einer Gesamtdicke von 1 mm und einer flächenbezogenen Gesamtmasse von 1550 g/m2 kann das Gewebe eine Höchstzugkraft von 7500 N/5 cm aufnehmen.
Als der Ingenieur das Wettbewerbsprojekt überprüfte, kam es zur ersten grossen Korrektur. Durch die Spannweite von 70 m und die hohe Beanspruchung der Tragelemente war der Bogen nicht in Holz ausführbar. Der weiteren Dimensionierung des Bogens wurde daher eine Stahlkonstruktion zu Grunde gelegt.
Die Lagerung des Schutzbaus musste auf die Grundrisse der Tempelanlagen abgestimmt werden. Erschwerend kam hinzu, dass durch die Geländeform die Fusspunkte nicht frei gewählt werden konnten. Der Ingenieur versuchte in einem ersten Schritt, die Randabspannpunkte zu organisieren. Nachdem die möglichen Fusspunkte markiert waren, wurde dazwischen rechnerisch eine Form für die Membran erzeugt. Nach wie vor war das Offenhalten der «kosmischen» Achsen zu berücksichtigen. Es waren Sektoren bekannt, bei denen die rechnerisch ermittelte «Kurve» der Membran angepasst und nach oben gezogen werden musste, beispielsweise für die Front der Tempelanlage. Sie soll vom Meer frei sichtbar sein. Erst aufgrund dieser Vorgaben wurde schliesslich die Position der Stahlbogen festgelegt.
Die weitere Berechnung zeigte, dass die Windkräfte durch die exponierte Form der Tempelanlagen so gross sind, dass die Membran den dadurch entstehenden Beanspruchungen nicht mehr standhalten würde. Membrane tragen die Kräfte durch Verformung ab, daher bestand die Gefahr des Durchschlagens und damit das Risiko, die Ruinen wie auch die Membran zu beschädigen. Als Gegenmassnahme entschied man sich für den Einsatz von aussteifenden Kehlseilen. Dadurch konnte die Bewegung der Membran unter Kontrolle gebracht werden. Ausserdem achten Archäologen darauf, dass durch die Formgebung keine neuen Turbulenzen für die Tempelanlagen entstehen könnten.
Parallel zur Formfindung der Konstruktion wurde von den zuständigen Behörden verlangt, den visuellen Eingriff in die Landschaft zu reduzieren, das heisst die Bogenhöhe herabzusetzen. Architekt und Ingenieur griffen auf die Alternative aus dem technischen Bericht des Wettbewerbs zurück: Die Zweibogenlösung musste in Betracht gezogen werden. Durch die Einteilung der Kehlen konnte die Bewegung der Membran trotz der flachen Bogen unter Kontrolle gebracht werden. Für die endgültige Dimensionierung der Membran und der Seile wird ein Windkanaltest gefordert. Anhand eines Modells im Massstab 1:100 oder 1:50 werden die Windlasten gemessen. Die Ergebnisse werden nach der Auswertung auf die reale Situation übertragen und die Dimensionierung der tragenden Elemente optimiert.

Montage und Qualitätssicherung
Die Schutzbauten sind für einen Zeitraum von 25–30 Jahren ausgelegt, bis verbesserte Konservierungsmassnahmen zur Verfügung stehen. Als Fundamente sind Mikropfähle vorgesehen. Die Bemessung der Fusspunkte und der Fundamente erfolgt auf Basis der definitiven statischen Berechnung. Die Idee der Montage vor Ort bleibt weiterhin bestehen. Die grosse Herausforderung liegt im Aufbau der Stahlbögen, da nur ein kleiner Kran eingesetzt werden kann. Zum einen sind die Ruinen vor Vibrationen zu schützen, und zum anderen eignet sich die Zufahrt für schwere Fahrzeuge nicht. Nach Auskunft des Ingenieurs ist es aber noch verfrüht, über das Montagekonzept zu sprechen, da die ausführende Firma noch nicht bestimmt ist. Zurzeit gibt es verschiedene Lösungsansätze. Das Ingenieurbüro sieht temporäre Gerüsttürme vor. Sie werden ausserhalb der Ruinen aufgestellt, wobei erst noch ein Stabilitätsnachweis geführt werden muss. Der Schutz der Ruinen während der Montage gegen Erschütterung, Öl und Rost, ist Bestandteil der Ausschreibung. Um die Tempelanlagen während der Montage vor herabfallendem Kleinmaterial zu schützen, ist der Einsatz eines Sicherungsnetzes geplant. Das Risiko, dass die Anlagen durch Vandalismus beschädigt werden könnten, ist ausgeschlossen, da sie ständig bewacht sind.
Das beschichtete Glasfasergewebe wird nach einem Zuschnittmuster am Boden ausgelegt und stoffschlüssig verbunden. Während der Montage wird die Vorspannung aufgebracht, dabei wird sich das Material zwischen 3 und 7 % dehnen. Im Rahmen der Qualitätsprüfung werden Haftung und Festigkeit geprüft. Dichte Nähte sind bei Schutzbauten antiker Stätten besonders wichtig, da durch Tropfenbildung die Steinfragmente beschädigt werden könnten. Die Gefahr der Beschädigung durch Kondenswasser wird gering eingestuft, da die Konstruktion keine horizontalen Flächen aufweist und somit das Wasser auf der Innenseite der Membran zum Rand hin abgeleitet wird. Falls unvorhergesehen Wasser abtropft, besteht die Möglichkeit, die Konstruktion durch Drainagesysteme zu ergänzen. Das seltene, aber in grossen Mengen anfallende Regenwasser wird in der Umgebung versickert oder in Zisternen gesammelt.
Da es keine allgemeine Zulassung für Membrankonstruktionen gibt, wird der Qualitätsnachweis für Material und Verbindungen vom Unternehmer bei unabhängigen Forschungsinstituten eingefordert.
Um genaue Daten über die späteren Auswirkungen auf die Schutzbauten zu ermitteln, betreibt Heritage Malta ein intensives Klimamessprogramm in der Umgebung der Tempelanlagen.

Gratwanderung
Im Wettbewerb wurde eine Einbogenkonstruktion aus Holz visualisiert und favorisiert, für die Ausführung letztlich eine Zweibogenkonstruktion aus Stahl ausgeschrieben. Zurzeit läuft die letzte Phase der Auswertung der Ausführungsofferten. Die funktionalen Anforderungen, die gestalterischen Vorstellungen und die konstruktiven Möglichkeiten beeinflussten die Formfindung, wobei im Sinne des Architekten das Prinzip der Hochbogenstruktur bestehen bleibt. Die Form zu finden war sowohl für den Architekten als auch für den Ingenieur eine grosse Herausforderung und eine Gratwanderung zwischen der Leitidee und der technischen Machbarkeit. Da Membrane nur auf Zug beansprucht werden können und das Tragwerk immer im Gleichgewicht bleiben muss, führte eine kleine Veränderung sofort zur Verschiebung der Kräfte und als Folge zu einer neuen Form.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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