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Bauwelt 5.07
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zur Zeitschrift: Bauwelt

Neue alte Bürgerlichkeit

26. Januar 2007 - Jochen Paul
„Die gegenwärtige Debatte und der neue Bierernst des Feuilletons beschwören jene Muster, mit denen das klassische Bürgermodell im 19. Jahrhundert ­reüs­sierte: Anständigkeit, Eigenverantwortung, Familiensinn, Gemeinsinn, Bildung.“ So lautete die Eingangsthese des Veranstalters, der Bayerischen Architektenkammer. Während des ersten Abends der Reihe durften – moderiert von Armin Nassehi und im­mer wieder brillant strukturiert von Sylvia Schraut – Wolfram Weimer und Jens Bisky darüber diskutieren, was die neue Bürgerlichkeit eigentlich ausmacht und worauf ihre aktuelle Konjunktur zurückgeht. Unklar blieb: Wer ist die sie tragende Schicht, und gibt es überhaupt so etwas wie ein neues Bürgertum.

Am zweiten Veranstaltungsabend sollte es um die Formensprache der neuen Bürgerlichkeit gehen. Das Publikum aber konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich hier in erster Linie um Atti­tüden und Oberflächenphänomene handelte. Dafür sorgte nicht zuletzt Paul Kahlfeldt, dem interessante Er­kennt­nisse über den Zusammenhang von Avantgarde und Krawatten zu verdanken waren – „Egalité als freiwillige Verpflichtung einer modernen bürgerli­chen Gesellschaft, diese Haltung war und ist modern. Heute ist sie die Avantgarde, genauso notwendig wie das Tragen einer Seidenkrawatte“, konstatierte er. Mit Statements wie „Flachdach und jeglicher Verzicht auf baukünstlerische Äußerung, das gilt seit nunmehr fast 100 Jahren als modern, zeitgemäß und seit den nationalsozialistischen Auslassungen eben auch als demokratisch“, redete er sich aber streckenweise um Kopf und Kragen.

Da erschienen die Thesen seines Kontrahenten Jacques Blumer reflektierter und tiefgründiger. Ob es an der größeren Lebenserfahrung liegt, an den Stationen seines beruflichen Werdegangs – Rom, Hel­sinki, Athens/Ohio, Chicago und Bern – oder daran, dass er in Warschau mit Haus- und Reitlehrer aufwuchs? Jedenfalls hat Blumer recht, wenn er sagt, dass die grundlegenden architektonischen Aufgaben zwar immer dieselben sind, jeder Architekt sie aber vor dem Hintergrund und mit den technischen Möglichkeiten seiner Zeit zu lösen hat. Versucht er, „aus seiner Zeit zu springen“, ist das Ergebnis Retro – umso mehr, wenn die Säulen CNC-geschnitten und aus Glasfaserbeton hergestellt sind. Dem hatte Kahlfeldt nur sein Unbehagen an der (Banalität der) Moderne entgegenzusetzen. Für ihn ist Bürgerlichkeit eine Geisteshaltung, die sich nicht in einer architektonischen Sprache ausdrückt; für Blumer dagegen vor allem die Furcht einer Mittelschicht, die langsam ihre Position verliert und sich schützen will vor der gesellschaftlichen Umverteilung, indem sie den Kreis schließt – bis hin zu den „gated communities“ der USA.

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