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TEC21 2007|07
Im Untergrund
TEC21 2007|07
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Grabenlos erneuern

Versickerndes Abwasser oder entweichendes Gas stellen ein hohes Risiko im Untergrund dar. In beschädigte Kanäle eindringendes Grundwasser führt zu einer unnötigen hydraulischen Belastung der Kläranlagen. Die Techniken der grabenlosen Erneuerung von Rohrleitungen haben sich in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt. Die Funktionsweisen von Berstlining- bzw. TIP-Verfahren sind weitgehend bekannt. Dennoch gibt es Fragen, die sich Ver- und Entsorger bei der Wahl des Verfahrens stellen.

14. Februar 2007 - Daniela Dietsche
Eine Strasse wird aufgegraben. Die Zufahrten zu den Häusern sind sowohl für Anwohner als auch für Rettungsdienste erschwert. Eltern jonglieren Kinderwagen über die provisorische Fussgängerführung. Parkplätze sind weit und breit keine in Sicht. Und dann noch dieser Lärm den ganzen Tag. Eine Linienbaustelle im offenen Graben fordert Geduld und Verständnis von Anwohnern und Verkehrsteilnehmern. Um die negativen Begleiterscheinungen des klassischen Werkleitungsbaus zu vermindern, werden grabenlose Verfahren immer interessanter. Soll zum Beispiel ein Kanal unter einer stark befahrenen Strasse erneuert werden, kann diese Arbeit ohne aufwändige Umleitungen ausgeführt und der Verkehrsfluss weitgehend aufrechterhalten werden. Interessant ist der Einsatz der grabenlosen Technik speziell bei engen Platzverhältnissen oder bei schützenswerten Oberflächen, zum Beispiel einer historischen Pflästerung, bei Grünanlagen oder Bauwerken in der Altstadt. Tief liegende Leitungen können ersetzt werden, ohne darüber liegende Leitungen zu gefährden bzw. solche im Voraus verlegen zu müssen. Neben diesen Vorteilen versprechen die Unternehmer Kostenersparnis und eine erhebliche Verkürzung der Bauzeit.

Kosten- und Zeitersparnis

Um welchen Faktor verringern sich Bauzeit und Kosten beim Einsatz von Berstlining im Vergleich zu konventionellen Methoden in städtischen Verhältnissen tatsächlich? Nach Aussage von Fachpersonen[1] kann die Bauzeit um ca. 50 % verkürzt werden. Bei den Kosten zeigt die Erfahrung, dass das Einsparpotenzial bei rund 30 % der Gesamtkosten liegt. Dabei erhalte die Bauherrschaft eine neue Leitung mit entsprechender Lebensdauer.
Bei einer Erneuerung von zwei oder mehreren Leitungen im Kombigraben ist die Situation schwieriger zu beurteilen. Die Wirtschaftlichkeit der Methode muss unter Berücksichtigung anderer Kriterien von Fall zu Fall eingeschätzt werden.
Eine Beurteilung der Situationen und eine seriöse Arbeitsvorbereitung sind bei den grabenlosen Bauverfahren besonders wichtig: Wie ist die Qualität des Bodens? Welche Fremdleitungen sind vorhanden? Oft überschätzten Unternehmen ihre Fähigkeiten und unterschätzten die Risiken: «Sie können mit diesen Verfahren nicht den ganzen konventionellen Tiefbau ablösen», sagt Werner Zimmer[2]. Als wichtigen Teil der Qualitätssicherung beim Ersatz von Kanalisationsleitungen sieht er eine Videobefahrung vor Baubeginn. Denn die Situation in der Leitung kann sich seit der letzten Befahrung verändert haben. Ausserdem sollte der Rohrmeister die Verhältnisse im zu erneuernden Kanal im Voraus kennen, um auf eventuelle Hindernisse (Versatz, Muffen, Fremdkörper, Anschlüsse) mit Erhöhung der Zugkraft reagieren zu können.

Einbau und Qualitätssicherung

Da die neue Leitung in der bestehenden Trasse eingebaut wird und dort die Funktion der alten übernimmt, ist die Anwendung der Verfahren bei allen Böden möglich. Die Geologie ist in der Regel bekannt. Beim Berstlining werden die Scherben des Altrohrs in die Umgebung verdrängt. Durch die Verdichtung des Bodens seitlich und nach oben bleibt die Lage der ursprünglichen Sohle erhalten. Eine Gefällekorrektur ist nicht möglich. Versätze können jedoch ausgeglichen werden. Grundsätzlich kann das Verfahren bei allen Schadensbildern bis hin zum Totaleinsturz eingesetzt werden. Vorbereitende Massnahmen an der Altleitung, zum Beispiel Ablagerungen beseitigen oder Hindernisse abfräsen, sind noch nötig.
Wie wird nun aber eine Beschädigung des einzuziehenden Rohrs durch scharfkantige Bruchstücke des geborstenen Altrohrs vermieden? Die Scherben des Altrohres und die mit Bentonit verfüllten Zwischenräume bilden einen vollflächigen Verbund des neuen Rohres mit dem umgebenden Erdreich. «Bei den bisher ausgeführten Erneuerungen konnten noch keine Schäden an der Aussenhülle der Rohre erkannt werden. Zwar entstehen Schleifspuren am Aussenmantel. Riefen, deren Tiefe die zulässigen zehn Prozent der Manteldicke überschritt, sind aber noch nie vorgekommen», sagt Zimmer.
Die maximale Leitungslänge hängt vom Verfahren ab: Wird das TIP-Verfahren im städtischen Bereich angewendet, gibt die Haltungslänge die Strecke vor. Die Erfahrung zeigt, dass es sinnvoll ist, pro Tag eine Haltung zu erneuern. Somit beschränkt sich auch der Aufwand für das Stilllegen der Hausanschlüsse auf diesen Zeitraum.
Abhängig von den Bodenverhältnissen und der Grösse der Zugkraftmaschine sind beim Berst­lining-Verfahren weitere Distanzen möglich. Die maximal zulässige Zugkraft hängt vom eingesetzten Rohrmaterial ab. Beispielsweise wurden in Hivange (Luxemburg) Stahlrohre DN 300 auf 1.5 km eingezogen. Die Haltungslänge betrug 240 m.
In der Regel liegt die Rückverformung von gespanntem Erdreich bei 12 bis 20 Stunden. Das heisst, nachdem die Aufweitung ausgeführt wurde, stellt sich eine Gewölbewirkung ein, und es ist notwendig, das Rohr innerhalb eines Tages einzuziehen. Denn schon einen Tag später wäre die Mantelreibung so gross, dass das Rohr beim Einbauen zerstört würde. Die Mantelreibungskräfte können durch glatte Oberflächen verringert werden. Um die Reibung bei schwierigen Böden herabzusetzen, wird in der Praxis ein umweltverträgliches Gleitmittel aufgetragen.

Fremdleitungen und Material

Begleitende Deformationsmessungen an der Oberfläche sind nicht notwendig. Wenn sich die Oberfläche heben würde und keine anderen Leitungen beschädigt wurden, kann man davon ausgehen, dass sich der Boden rückverformt.
Um negative Einwirkungen auf Fremdleitungen mit Sicherheit ausschliessen zu können, wird eine Distanz von mindestens 25 cm empfohlen. Die Festlegung der Abstände ist im Merkblatt 8 des RSV geregelt.[3] Da der Durchmesser der Leitung mit den grabenlosen Verfahren um bis zu zwei Nennweiten vergrössert werden kann, sind Voruntersuchungen unbedingt notwendig und die Pläne des Rohrleitungsnetzes sorgfältig zu prüfen.
Im Berstlining-Verfahren können alle Rohrmaterialien erneuert werden. Altrohre aus Steinzeug, Beton etc. werden zertrümmert und verdrängt. Altrohre aus Stahl, Kunststoff oder defekte Inliner werden aufgeschnitten und aufgeweitet. Das klassische Rohr für die Leitungserneuerung im Kanalbau ist das PP-Rohr oder ein PE-Rohr mit einem aufextrudierten, patentierten Schutzmantel aus mineralverstärktem Polyolefin. Die Rohre müssen zugfest oder verspannt sein, um die Kraft zu übertragen, die gebraucht wird, um das Rohr nachzuziehen.
Als das derzeit am besten geeignete Rohr für die grabenlose Erneuerung gilt das Dreischichtrohr «wavin TS». Das Rohr setzt sich aus einer innen und aussen liegenden Schutzschicht aus widerstandsfähigem PE-100-Werkstoff und einem Kern aus PE 100 zusammen. Die Schichten sind homogen miteinander verbunden und mechanisch nicht trennbar. Die äussere Schutzschicht ist widerstandsfähig gegen Kerben und Riefen, die beim Einziehen entstehen können. Die Innenschicht wirkt Punktlasten entgegen, die durch Scherben des Altrohres auftreten können.[4] Ein wichtiger Qualitätsaspekt beim Rohreinzug liegt in der Messung der Zugkräfte am Rohrstrang. Beim Einziehen können unvorhergesehene Kräfte auf das neue Rohr wirken. Wird eine permanente Zugkraftmessung im Inneren des Neurohrs installiert, kann auf die gelieferten Daten sofort reagiert werden. Übersteigt die Kraft die zugelassenen Werte, wird der Vorgang durch den Rohrmeister gestoppt. Die Verwendung des Zugkraftmessgeräts ist nicht zwingend vorgeschrieben, doch die Sicherheit eines fachgerechten Einbaus erhöht sich dadurch.
Bisher konzentriert sich die grabenlose Erneuerung auf Kreisprofile. Doch auch für alte gemauer-te Eiprofile wäre die Anwendung der Verfahren interessant. Die vorhandenen Zugkräfte würden ausreichen. Es gibt allerdings noch keinen Kaliberkopf, um diese Kanäle zu erneuern. Die Frage der Lagegenauigkeit beim Einzug eines Kreisprofils in die Bettung ist ebenfalls noch nicht geklärt.

Hausanschlüsse

Beschäftigt man sich mit dem Berstlining- oder dem TIP-Verfahren, stellt sich die Frage, wie der Anschluss bzw. die temporäre Ableitung von Seitenanschlüssen erfolgen. Da die Behinderung in der Regel nur einen Tag dauert, genügt der Stauraum im Kanal für das anfallende Abwasser. Ist hingegen ein Hochhaus betroffen, werden gesonderte Massnahmen wie das Bereitstellen eines Pumpwagens empfohlen. Beim TIP-Verfahren werden die Hausanschlüsse nicht mehr aufgegraben, sondern von innen per Robotertechnik angeschlossen. Die Anschlüsse werden im Voraus vermessen. Der Vorteil von Kaliber-Berstlining- oder TIP-Verfahren ist, dass, sobald das Rohr im Boden liegt und die Maschine abgekoppelt ist, ein funktionstüchtiges Rohr zur Verfügung steht. Nach der Druckprobe werden die Hausanschlüsse aufgefräst. Den Übergang bildet ein Sattelstück, das durch Injektionsverfahren mit Epoxidharz an das Anschlussstück des Übergangs zum Hausanschluss verspachtelt wird. Da das Rohr im Anfangsstadium leicht hinterläufig ist und erst später zusandet, ist der Übergang absolut trocken. Die Lagesicherheit des Rohres wird durch die Biegesteifigkeit des neuen Rohres und den geringen Ringspalt von ca. 4 mm gewährleistet. Pro Hausanschluss wird mit Kosten von 1000–1200 Franken gerechnet.
Durch das Öffnen von Hausanschlüssen, die aus dem Rohrinneren eingesetzt wurden, konnte man nachweisen, dass die Anschlüsse dicht sind. Langfristige Erfahrungen fehlen jedoch.
Für Ralf Escher[5] ist die zentrale Frage im innerstädtischen Bereich, bis zu welchem Verhältnis Leitungslänge/Anzahl Seitenanschlüsse das Verfahren wirtschaftlicher ist als der konventionelle Leitungsersatz im offenen Graben. Als Faustregel gilt: Bei mehr als 5 bis 7 Anschlüssen bei einer durchschnittlichen Haltungslänge von 50 m sind grabenlose Verfahren nicht mehr wirtschaftlich.

Ausblick

Rohrleitungsnetze stammen in der Regel aus unterschiedlichen technischen Entwicklungsstufen. Die Lebensdauer der Leitungen liegt zwischen 50 und 80 Jahren. Das Problem der defekten Rohrleitungen betrifft ganz Europa. Auch die Schweiz investiert jährlich Millionen, um die Wasserver- und -entsorgung sicherzustellen. Die gesetzliche Grundlage zur Kontrolle der bestehenden Abwasseranlagen ist im Gewässerschutzgesetz[6], Artikel 15, festgehalten. Öffentliche wie private ­Inhaber von Abwasserleitungen sind zur Überprüfung und Wartung aufgefordert. Der Überwachungsauftrag liegt beim Kanton. Jeder Kanalbetreiber muss heute davon ausgehen, dass nicht alle seine Kanäle dicht sind und er mit dem Betrieb seiner Kanalisation gegen das Gewässerschutzgesetz verstösst.
Anmerkungen und Literatur:
[1] Erstes Schweizer Symposium «Nachhaltige Rohrerneuerung von Ver- und Entsorgungssystemen», 30.11.2006, an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Windisch
[2] Werner Zimmer, Geschäftsführer, karo-san, www.karosan.ch
[3] Rohrleitungssanierungsverband e.V., www.rsv-ev.de
[4] www.wavin.de
[5] Ralf Escher, Bereichsleiter Projektierung, Tiefbauamt Stadt Zürich
[6] www.admin.ch

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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