Zeitschrift

Bauwelt 8.07
Déjà-vu in Aix und Karlsruhe
Bauwelt 8.07
zur Zeitschrift: Bauwelt

Zu wenig Gebote

An schlechte Nachrichten über abgerissene Kirchenbauten hat man sich fast gewöhnt. In Dinslaken, einer Mittelstadt am Niederhein, entschied sich eine Kirchengemeinde, ihr Gotteshaus auf ungewöhnlichem Wege unter die Leute zu bringen.

Zahllosen „überflüssigen Kirchen“ in Deutschland (Heft 5.06) droht ein ungewisses Schicksal. Dem konfessionsübergreifenden Mitgliederschwund der Gemeinden folgen Entweihung, Umnutzung oder gar als letzte Maßnahme der Abriss. Die Städte verlieren dabei wichtige architektonischen Identifikationspunkte, so etwa Dinslaken mit seiner 1967 errichteten evangelischen Christuskirche.

Zum Ersten, ...

In der Festschrift zur Einweihung der Kirche schrieben die Architekten Christa und Hermann Zelger: „Es gab Jahrzehnte, da scheute man sich, im Kirchenbau technische Erkenntnisse und neue Materialien zu verwenden, oder verbarg sie hinter historisierendem Zierwerk, um eine Erinnerung nicht zu zerstören, die der Wirklichkeit nicht mehr entsprach. Erst späteren Generationen bleibt es vorbehalten, darüber zu urteilen, was wir mit unseren Talenten gemacht haben. Es wird aber nicht nur ein Urteil über unser technisches Können und unser ästhetisches Empfinden sein.“
Dieses Urteil wurde 2006, knapp vierzig Jahre nach der Weihe gefällt: Die Kirche wird abgerissen, das Grundstück ist bereits verkauft.

Die Architektur der Christuskirche ist ein beeindruckendes und qualitätvolles Zeugnis der Kirchenbaukunst deutscher Nachkriegsmoderne. Der zweigeschossige Betonskelettbau sitzt auf einem klar verglasten Sockel, in dem Gemeindesäle und Nebenräume untergebracht sind. Der darüber liegende Gottesdienstraum ist allseitig von einem Betonmaßwerk umgeben, dessen farbige Glasfüllungen der Künstler Jochem Poens­gen gestaltet hat. Die Strenge des Baukörpers erscheint durch die exzentrische Collage verwandter Materialien und Texturen – Kupfer, Zebranoholz, Schiefer, Beton und Gussglas – nicht aufgehoben, sondern aufs Äußerste provoziert.

Im Stadtbild von Dinslaken wirkt der Bau fremdartig und erinnert an die Kaufhäuser jener Zeit. Im direkten Vergleich mit dem gegenüberliegenden Karstadt-Gebäude aber wird die baukünstlerische Überlegenheit der Kirche gegenüber einem profanen „Zweckbau“ deutlich. Wo die blechernen Waben des Kaufhauses nur dazu dienen, strukturlose Wandflächen zu gliedern, hinter denen die Warenregale versteckt sind, schafft die durchbrochene Fassade der Christuskirche einen sakralen Raum von großer atmosphärischer Tiefe und subtiler Innerlichkeit. Dennoch scheint die Ähnlichkeit der Oberfläche mit denen der Kathedralen des Kommerzes, den Kaufhäusern, ein wesentlicher Grund für den bedenkenlosen Abriss des Ensembles zu sein, denn der Bau ruft nicht etwa laut: „Ich bin eine Kirche!“ oder „Ich bin ein Denkmal!“ Wo eine neo-romanische, neo-gotische oder neo-barocke Kirche noch den Romantik- und Nostalgiereflex ihrer Umwelt auslöst, gibt sich die Christuskirche als selbstbewusstes Kind seiner Zeit. Zuviel Selbstbewusstsein wird selten verziehen.

Die Christuskirche wurde zu einer der vielen überflüssigen Kirchen im Ruhrgebiet, als das Gebäude für die wenigen Kirchenbesucher zu groß und der Unterhalt zu teuer wurde, die Kassen leer waren, aber Sanierungen standen an. Also war unter ökonomischen Gesichtspunkten der Verkauf nur folgerichtig. Aber muss der Verkauf auch gleich den Abriss bedeuten? Eine Unterschutzstellung des Kirchenbaus durch die Denkmalpflege hätte zumindest dieses Schicksal abwenden können, nur scheint im niederrheinischen Dinslaken niemand die Denkmalwürdigkeit der Christuskirche erkannt zu haben. Die Architektur der 1960er Jahre rückt zwar allmählich in den Fokus denkmalpflegerischen Handelns, doch braucht es vor Ort Fürsprecher, die Objekte dieser Art erkennen und sich für den Erhalt einsetzen. In Dinslaken mangelte es daran offensichtlich, denn die Christuskirche wurde nie unter Denkmalschutz gestellt. Ausgerechnet der fehlende Denkmalstatus erwies sich bei der Finanzierung von Alternativnutzungen als Fallstrick, da Landesmittel für derartige Projekte nur bei geschützter Bausubstanz bewilligt werden. Der finanzielle Spielraum der Stadt, sich an Erhaltungsmaßnah­men zu beteiligen, war durch ein Haushaltssicherungskonzept beschränkt. Daran scheiterte schließlich auch der Versuch, die Christuskirche als Landestheater umzunutzen. Die Dinslakener Burghofbühne suchte schon lange nach einer neuen Spielstätte und hätte hier adäquate Räume gefunden, denen eine gewisse Feierlichkeit immanent ist, aber den Theaterbesuchern kaum das Gefühl gegeben hätte, in einer abgelegten Kirche zu sitzen.

Das Gebäude erwies sich im Laufe der Verhandlungen als Kaufhindernis, wohingegen das von seiner Bebauung befreite Grundstück mit seiner direkten Nachbarschaft zu einem geplanten Einkaufszentrum einen ungleich größeren wirtschaftlichen Gewinn versprach als eine Umnutzung des Bestands. Schließlich musste das Grundstück, auf dem eine Baugesellschaft aus Voerde ein fünfgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus errichten wird, ohne die hinderliche Kirche verkauft werden. Der Neubau versucht die stadtbildliche Kastration zu kompensieren, indem er eine verunglückte Nachempfindung des Betonskelett-Glockenturmes in seinen Übereckeingang integriert.

... zum Zweiten, ...

Die Zerstörung eines Kirchengebäudes bezeichnet die Deutsche Bischofskonferenz in ihren Arbeitshilfen 175 zur Umnutzung von Kirchen als die ultima ratio: „Im Einzelfall kann der Abriss einer (nicht mehr benötigten, architektonisch und kunst­­historisch unbedeutenden) Kirche einer kostspieligen Bauunterhaltung oder einer unangemessenen Weiternutzung vorzuziehen sein.“
Die Arbeitshilfen enden mit einem neu erarbeiteten Ritus zur Profanierung von Kirchen, in dem die Gemeinde von ihrer Kirche Abschied nehmen kann, wenn diese nicht mehr für Gottesdienste genutzt oder gar abgerissen wird. Wohin aber mit dem Kirchenbauschutt? Die Gemeinde der Christuskirche hatte sich entschieden, im Rahmen ihrer „Trauerarbeit“ Teile der Gebäudehülle als Erinnerungsstücke in das im Umbau befindliche Gemeindezentrum zu integrieren: Zwei der kupfernen Außentüren, der Grundstein, und schließlich auch einige Betonfertigteile. Abgesehen davon, dass sich die Frage des Urheberrechtes mittlerweile klären ließ, bleibt fraglich, ob es für Alt und Neu sinnvoll ist, die dem Kontext des Bauwer­kes entnommenen Elemente als Spolien zu verwenden.

... und zum Dritten!

Um den großen Rest vor dem Bauschutt-Container zu bewahren, lud das Presbyterium Ende Januar zu einer „Auktion von Baumaterialien“ ein. Die Gelegenheit, wirklich einmalige baukünstlerische Elemente und Materialien zu ersteigern nahm jedoch kaum ein Dinslakener wahr – so dominierte auch in der letzten Stunde dieses Bauwerks das öffentliche Desinteresse. Niemand wollte die Betonglaselemente, Stückpreis 500 Euro inklusive Demontage und Anlieferung (man könnte sie ja einzeln hinterleuchtet im Garten aufstellen), niemand kaufte die 500 Quadratmeter Zebranoholz-Decke, die 500 Sitze oder die Handläufe, ebenfalls aus Zebrano. Aber auch weniger prätentiösen Gegenstände, wie der Treppenlift, das Gartentor, Lichtschalter, Dimmer und das Straßenpflaster werden wohl als Bauschutt enden. Versteigert wurden 80 von 500 Quadratmetern Schieferplatten für ein Dinslakener Wohnzimmer, die Buchenbohlen der Fußablagen erstand ein Tischler, die letzte Kupfertür (400 Euro) wird in der Disko des Walzwerks eingebaut werden, und ein Gussglasgriff ging für 10 Euro zur weiteren Verarbeitung an einen Hobbykünstler. Die kaum mehr als zehn Anwesenden schienen eher darauf zu warten, einzelne Betonglasbröckchen als Souvenir einzusammeln.

Der inzwischen über 80-jährige Architekt Hermann Zelger verblüffte angesichts der allgemeinen Ratlosigkeit in einem Brief an den Pfarrer mit seinem konstruktiven Pragmatismus: Er schlug vor, die 250 Betonfertigteile als Lärmschutzwand an die Autobahn zu stellen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Bauwelt

Ansprechpartner:in für diese Seite: Redaktionmail[at]bauwelt.de

Tools: