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Hochparterre 06-07|2005
Zeitschrift für Architektur und Design
Hochparterre 06-07|2005
zur Zeitschrift: hochparterre

Einfallsreicher Wohnbaukasten

Was ist das Gegenteil einer Familienwohnung? Die individuelle Stadtwohnung, wie sie Meili, Peter und Diener & Diener für das
Coop-Areal in Zürich West erfanden. Eine Lektion im Fach Grundrisskunde. Der Markt wirkt. Der Wohnanteil liegt mit 65 Prozent weit über dem Gestaltungsplan.

16. Juni 2005 - Benedikt Loderer
‹Mehr Wohnungen für Zürich West› war die Forderung auf dem Titel des Hochparterre-Sonderhefts vom März 2004. Der Markt hat uns erhört, genauer: Die Marazzi Generalunternehmung AG aus Bern hat die Lektion von Limmat West (HP 1/2 2000) gelernt: Es gibt keinen Wohnungsmarkt, es gibt nur Teilmärkte. Man muss sich erst überlegen, wer die Leute sind, die auf dem Coop-Areal wohnen möchten, um herauszufinden, welche Art von Wohnungen man ihnen anbieten muss. Es sind Doppelverdiener, Rückkehrer aus der Agglomeration, gehobene Wohngemeinschaften oder zusammenfassend: urbane Leute, die sich Wohnungen zwischen 2500 und 3500 Franken leisten.

Für so viel Geld muss man auch etwas bieten. «Die Wohnungen werden einmalig», versprach Bruno Marazzi an der Präsentation. Das Einmalige beginnt mit einer Millioneninvestition in die Planung und zwei Jahren Arbeit. Billiger kriegt man es nicht, wenn man das Bessere will. Man muss auch einmalige Architekten beauftragen, diesmal Meili, Peter und Diener&Diener. Was aber ist am Projekt einmalig? Allem voran der Wohnanteil von 65 Prozent–der Gestaltungsplan verlangt, je nach Baufeld, nur zwischen 0 und 50 Prozent.

Marazzi setzt aufs Wohnen, für Zürich West ist das ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung. Es sind nicht weniger als 623 Wohnungen geplant. Die Architekten verstehen die Coop-Areale als eine Verlängerung der Kernstadt nach Westen, sie wollen Stadt bauen, nicht Vorstadt. Sie schlagen sechs Baukörper vor, die harte, städtische Plätze einfassen, nicht ein Abstandsgrün begrenzen. Ihre Form ist nicht Willkür, sondern sorgt für geschlossene Stadträume, die sich voneinander unterscheiden. Im Vergleich zum Gestaltungsplan ist die Gebäudetiefe gewachsen, doch sind es statt acht nur noch sechs Gebäude, wodurch die Freiflächen grösser werden.

Kaum eine Wohnung gleicht der andern

Zwar ist jedes der sechs Häuser anders, doch gehor-chen die Wohnungen alle denselben Spielregeln. Sie nehmen endgültig Abschied vom Phantom der Familienwohnung, sie rechnen nicht mehr mit Mami, Papi und zwei ‹Chnöpf›. Die individualisierte Stadtwohnung für zwei bis drei erwachsene Urbaniten hat folgende Bestandteile:
Einen grossen Wohnbereich mit offener Küche, der womöglich von Fassade zu Fassade reicht. Sein Grundriss ist kein Rechteck, sondern ein geknicktes, oft mit nicht parallelen Wänden begrenztes Wohnfeld, das grundsätzlich auch die interne Erschliessung übernimmt. Eine Loggia als Aussenraum, gross genug für eine Tafel, nicht bloss für ein Tischlein. Ein offenes Zimmer, das heisst ein Raum, der vom Wohnbereich durch eine Schiebewand abgetrennt wird. Eines oder mehrere stille Zimmer, die – wie in einem Hotel – mit einer Sanitärzelle ausgerüstet sind und den Rückzug erlauben. Ausserdem Nasszellen und Küchenmöbel sowie die externe Wohnungserschliessung

Mit diesen Elementen spielen die Architekten alle nur denkbaren Möglichkeiten virtuos durch. Die Trennung in eine Tag- und eine Nachtzone ist aufgehoben. Die Grundrisse bewältigen auch Bautiefen von 40 Metern. Einkerbungen und Höfe in den Baukörpern sorgen für genügend Licht, doch nehmen die Erfinder – denn Erfindungen sind es – in Kauf, dass es in der Wohnung nicht überall ‹hell› ist. Sie streben eine Öffnung zum Licht an, nicht Ausleuchtung.

Innerhalb der gesetzten Regeln ist kaum eine der 623 Wohnungen gleich wie eine andere, doch gelten auch hier die Regeln der vernünftigen Statik. Es versteht sich von selbst, dass die Wohnflächen gross sind, genauer: Sie stellen einen weiteren Schritt zu mehr Wohnfläche dar. Das Gegenteil des Wohnungsbewertungssystems (WBS) des Bundes ist die individualisierte Stadtwohnung.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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