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Hochparterre 09|2005
Zeitschrift für Architektur und Design
Hochparterre 09|2005
zur Zeitschrift: hochparterre

Wie die SBB die Früchte ernten

«Mir faared mit der SBB im schöne Schwyzerland», textete Walter Wild vor siebzig Jahren, und wir tun dies – meist – in guten Zügen ab gelungenen Bahnhöfen. Dies bestätigen die Brunel Awards, die Architektur- und Designpreise der Bahnen, immer wieder. 2005 mit besonders vielen Preisen.

16. September 2005 - Werner Huber
Was für die Filmwelt die Oscars, das sind für die Welt der Bahnarchitektinnen und -designer die Brunel Awards. Seit 1985 zeichnet eine Jury alle paar Jahre die besten Werke in den Kategorien ‹Architektur›, ‹Grafik, In-dustriedesign und Kunst›, ‹Technische Infrastruktur und Umwelt› sowie ‹Rollmaterial› aus. Ein Preisregen geht in diesem Jahr auf die ohnehin Brunel Awards verwöhnten SBB nieder: Drei Awards, fünf Anerkennungen und den Spezial-preis der Jury dürfen sie von der Preisverleihung in Kopenhagen mit nach Hause tragen. Ein schöner Erfolg für Johannes Schaub, den Leiter der Abteilung Architektur der Infrastruktur SBB, der die Brunel Awards als Aufruf an die Sorgfalt versteht. «Damit möchte ich auch die von meinem Vorgänger Uli Huber begründete Tradition fortsetzen.»

Veranstalterin des Wettbewerbs ist die Watford-Gruppe, eine Vereinigung von Architekten und Designerinnen von 50 Eisenbahnverwaltungen aus 15 Ländern. Der Schwerpunkt der 1963 im südenglischen Watford gegründeten Vereinigung liegt in Europa, doch gehören ihr auch Eisenbahngesellschaften aus den USA, Kanada und Japan an. Namenspate der Auszeichnung ist der britische Ingenieur und Eisenbahnpionier Isambard Kingdom Brunel (1806–1859). Der Preis sollte in erster Linie ‹nach oben› wirken und die Bedeutung von Architektur und Design in die Chefetagen der Bahngesellschaften tragen. «Die Brunel Awards sollten auch ein Ansporn sein, den Wettstreit unter den Gestaltern der Bahnen zu fördern», erinnert sich Uli Huber. Zumindest bei den Schweizerischen Bundesbahnen erfüllen die Brunel Awards diese Absichten durchaus, wie Johannes Schaub feststellt: «Das Management sieht, dass sich die Leute engagieren, und mit den Preisen erhalten sie die Bestätigung für diese Leistungen.»

Ein Spezialpreis für die SBB

In diesem Jahr haben die SBB zwanzig Projekte auf je einer A0-Tafel in Bild und Text dokumentiert. Die Jury traf sich im Gastgeberland Dänemark, um aus den insgesamt 157 Eingaben die Auszeichnungen und die Anerkennungen zu bestimmen. Jurymitglied Uli Huber (der sich bei den SBB-Eingaben der Diskussion und Abstimmung enthielt) schildert die Eigenheiten der diesjährigen Brunel Awards: Obschon die letzte Preisverleihung bereits vier Jahre zurückliege – üblich war früher der Zwei- oder Dreijahresrhythmus –, wurden diesmal weniger Projekte eingereicht. In ihrem Bericht hält die Jury denn auch fest, sie vergebe diesmal weniger Preise. Für Uli Huber ist dies eine Folge des Neoliberalismus und der überhand nehmenden Kommerzialisierung: «Die British Rail, die früher eine Vorbildfunktion ausübte, gibt es nicht mehr, und ihre Nachfolgegesellschaften haben gar keine Projekte eingereicht.» Auch die Bahnleute aus Norwegen, die in früherern Jahren «so tolle Sachen» gemacht hätten, stellten nur eine Brücke vor.

Das ernüchternde Fazit der Jury traf auf die Schweizer Eingaben offenbar nicht zu. Denn für die «auf allen Stufen konsistenten, aber im Design vielfältigen Wettbewerbseingaben» erhielten die SBB den Spezialpreis der Jury. «Die SBB haben während Jahrzehnten ihren hohen Qualitätsstandard beibehalten und arbeiten mit den besten Architektinnen zusammen», heisst es dazu im Bericht. Erst zum fünften Mal überhaupt – und davon schon das zweite Mal an die SBB – vergibt die Jury diesen Spezialpreis. Das freut Johannes Schaub besonders: «Wie andere Bahngesellschaften wurden auch die SBB in mehrere Einheiten mit je eigener Bilanz aufgeteilt. Doch ich habe den Eindruck, dass in der Schweiz das System- und Verbunddenken noch immer vorhanden ist.» So haben die SBB-Architektinnen und -Designer ihre Objekte gemeinsam eingereicht, die Designabteilung hat die Eingaben gestaltet. «Die Zusammenarbeit funktioniert gut, auch wenn die Architekten zur Infrastruktur und wir zum Personenverkehr gehören», hält Ueli Thalmann, der Leiter der Designabteilung fest.

Städtebaulicher Beitrag der Bahn

Genugtuung herrscht ob dem Preissegen auch in der obersten Chefetage. Generaldirektor Benedikt Weibel freut sich, dass die SBB «einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Sensibilisierung für Architekturfragen leisten kann.» Bahn-Architektur müsse eben nicht allein rein funktionalen Kriterien genügen, sie könne auch einen nicht unwesentlichen städtebaulichen Beitrag leisten. Weibel weiter: «Seit jeher geniessen Architektur und Design bei uns einen hohen Stellenwert. Diese Haltung wurde mit den Awards auf internationalem Parkett einmal mehr von Spezialistenseite bestätigt. Auf nationaler Ebene schlug sie sich mit dem Erhalt des diesjährigen Wakkerpreises nieder.»

Besonders hell leuchten bei den diesjährigen Brunel Awards Zug und seine Stadtbahn: Als «sehr erfolgreiches architektonisches Projekt, in dem die Funktionalität und die räumliche Form zu einer wunderschönen Einheit finden», darf sich der Bahnhof Zug (HP 1-2/04) mit einem Award schmücken, zu dem sich gleich noch ein weiterer für James Turrells Lichtkunst gesellt – eine «konsequente, moderne und auf Raum, Architektur und Struktur bezogene Gestaltung», die den «Dialog mit dem städtischen Umfeld eröffnet». Den ‹Flirt›-Pendelzug, den auch die Zuger Stadtbahn einsetzt, würdigt die diesjährige Brunel-Jury in der Kategorie ‹Rollmaterial› als einzige Eingabe überhaupt mit einer Anerkennung für das «saubere, spielerische und inte-ressante Interieur». Als weiterer Bahnhof erhält die neue S-Bahn-Station Bern-Wankdorf einen Award für die «grosse skulpturale und künstlerische Qualität, die in Richtung einer neuen Typologie für Bahnhöfe weist». Zwei weiteren kleinen Stationen – Muntelier-Löwenberg und Längenbold – zollt die Jury ihre Anerkennung.

Überhaupt keine Awards gab es diesmal für ‹Rollmaterial› sowie für ‹Technische Infrastruktur und Umwelt›. Dafür dürfen sich die SBB mit zwei Anerkennungen schmücken: Die eine für die Landschaftsgestaltung Brunnmatten bei Langenthal entlang der Neubaustrecke Mattstetten–Rothrist, die andere für das Unterhaltszentrum in Genf. Dieser Bau wurde zum zweiten Mal eingereicht, was bei den Brunel Awards ausdrücklich erlaubt ist. Es kann also durchaus sein, dass Bauten, die diesmal keine Gnade fanden, etwa die Sanierung der Perronhalle in Lausanne oder die Passerelle und die Sanierung des Bahnhofs Basel, von der nächsten Jury als preiswürdig befunden werden.

Augenmerk auf Regionalbahnhöfe

Trotz des guten Abschneidens in diesem Jahr kann sich die Bahn nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Mit Sorge verfolgt Schaub die Folgen der Unternehmensreform: «Es besteht die Gefahr, dass jeder Bereich – Infrastruktur, Personenverkehr, Immobilien und Güterverkehr – seine eigenen Ziele verfolgt und der Blick aufs Ganze verloren geht. Darunter würde die Marke SBB leiden.» Mit der gemeinsamen Eingabe versuchen Johannes Schaub und Ueli Thalmann Gegensteuer zu geben, und sie legen Wert darauf, dass der ‹Flirt›-Pendelzug inmitten der baulichen Projekte gebührende Beachtung findet! Eine negative Folge des Auseinanderdividierens zeigt sich für Johannes Schaub auch bei den verwaisten Aufnahmegebäuden neben den gemäss Konzept ‹Faceliftung Stationen› umgestalteten Stationen: Für den eigentlichen Zugang zur Bahn ist die Infrastruktur zuständig, für die leer stehenden alten Bahnhöfe der Bereich Immobilien – für letztere sind sie Kostenfaktoren. Sie suchen nach Vermarktungsmöglichkeiten. Aber an vie-len abgelegenen Orten altern die Bahnhöfli dahin. «Dieses Problem ist noch nicht gelöst», stellt Johannes Schaub fest. «Immerhin macht man nichts kaputt», tröstet er sich und hofft auf Besserung. So werden die SBB in Zusammenarbeit mit der ETH untersuchen, welche vernetzten Möglichkeiten im ‹Bahnhof› noch stecken.

Generaldirektor Benedikt Weibel geht noch weiter: «Die Brunel Awards helfen uns, die Bahnhöfe weiterhin attraktiv und lebendig zu erhalten und ermöglichen so überhaupt erst eine gut durchmischte Mieterstruktur. So können Bahnkunden ihre Einkäufe während sieben Tagen in der Woche in den Stadtzentren tätigen.»

Die Verleihung des Wakkerpreises und der Brunel-Preis-segen bestätigen, was Bahnreisende immer wieder feststellen: Das gestalterische Niveau bei den SBB ist hoch. Das Augenmerk liegt hierzulande nicht nur bei den grossen Bahnhöfen und den schnellen Zügen, sondern auch bei den kleinen Stationen und den Regionalzügen. Wer kann da noch mithalten? «Dänemark», sagen Johannes Schaub und Uli Huber unisono.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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