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Hochparterre 10|2005
Zeitschrift für Architektur und Design
Hochparterre 10|2005
zur Zeitschrift: hochparterre

Dämme gegen Projektflut

Das offene Wettbewerbsverfahren steht in der Kritik. Architekten klagen über steigende Anforderungen, hohe Kosten und das Risiko, in den vielen Teilnehmern unterzugehen. Die Veranstalter fürchten sich vor der Flut von Projekten und misstrauen deren Qualität. Anhand von Verfahren in Jenaz und Bern fragen wir: Wankt der offene Wettbewerb?

16. Oktober 2005 - Rahel Marti
Jenaz, im Juli. Zwei Turnhallen voller Projekte warten auf die Jurierung, Vorschläge für ein regionales Alters- und Pflegeheim mit 70 Betten. Die Flury-Stiftung, Schiers, Betreiberin von Spital, Spitex und Heimen im Prättigau, hat einen einstufigen, europaweiten Wettbewerb ausgeschrieben. Weshalb das offene Verfahren? «Wir wollten jungen wie einheimischen Büros eine Chance geben», sagt Heinz Brand, Präsident der Stiftung.

63 Projekte kamen als Antwort. Eine grosse Auswahl? Scheinbar. Das Siegerprojekt von Allemann Bauer Eigenmann, Zürich, überzeugte betrieblich und architektonisch als einziges aller 63 Arbeiten. Das durchschnittliche architektonische Niveau war nicht sehr hoch. Wer sind die anderen 62 Büros? 15 Lokale (Kanton Graubünden), 35 aus der übrigen Schweiz, 7 aus Deutschland und 2 aus Liechtenstein (3 konnten nicht juriert werden). Auffallend: Kein einziges der bekannten Bündner Büros – Bearth & Deplazes, Jüngling & Hagmann, Conradin Clavuot, Gion A. Caminada etc. – war unter den Teilnehmern. Ein zweites Beispiel: Der offene Wettbewerb ‹Wohnen im Schönbergpark›, Bern. Zwölf Wohnungen für «gehobene Ansprüche» sollten in einem Herrschaftsgarten erstellt und ein bestehendes Bauernhaus umgebaut werden, Baukosten unter 10 Millionen Franken. 130 Teams bemühten sich um den Auftrag. Eine gute architektonische Auswahl? Mitnichten. In der ersten Runde schieden 70 Projekte aus, «die keiner weiteren Betrachtung mehr bedürfen, weil sie weder einen Beitrag zur Identität des Ortes abgeben, noch Klärung erfolgt durch die Situierung der Baukörper», stellte die Jury resigniert fest. Gewonnen hat der Berner Architekt Ernst Gerber. Ähnlich wie in Jenaz nahmen 30 lokale Architekten, das heisst aus Bern und der Umgebung, teil, 35 aus Deutschland, 5 weitere aus Europa, der Rest aus der übrigen Schweiz – aber kaum Büros, die im Raum Deutschschweiz bekannt wären.

Keine Renommierten – ist das schlimm?

Das offene Verfahren ist die heilige Kuh des Schweizer Wettbewerbswesens. Der Sia wehrt sich dafür, alle rühmen es und alle beteuern, es dürfe niemals abgeschafft werden. Tatsache ist: Jedes Büro versucht, möglichst rasch von den offenen Verfahren los- und in die selektiven hineinzukommen. Wo blieben die bekannten Bündner in Jenaz? «Zuwenig Zeit», antwortet Andreas Hagmann. Bei Jüngling & Hagmann sind zwar gerade sieben Leute, die Hälfte der Belegschaft, mit Wettbewerben beschäftigt, aber alles sind selektive oder eingeladene. «Weniger Teilnehmer, grössere Chancen», sagt Hagmann. Zudem gibt es immerhin eine fixe Entschädigung, wenn die auch die Kosten niemals deckt. Denn Hagmann stört: «Die Anforderungen für die Abgaben sind in den letzten Jahren stetig gestiegen.» Früher sei der Aufwand vernünftig gewesen, heute müsse sein Büro in eine Aufgabe wie die Jenazer 50 000 Franken investieren. «Das können wir uns als Büro, das reguläre Löhne ausschütten muss, nicht immer leisten, besonders nicht bei kleiner Gewinnchance.» Daniel Ladner, Partner bei Bearth & Deplazes, sieht es gleich. Sechs bis acht Mal pro Jahr werden sie eingeladen oder können sich qualifizieren – was ihnen reicht. «Bei offenen Wettbewerben machen wir mit, wenn die Aufgabe spannend ist oder wir uns zu einem Beitrag verpflichtet fühlen.» Und es hängt weiter von der Kompetenz der Jury und davon ab, ob das Vorhaben versanden könnte – «muss das Projekt vors Volk, ist diese Gefahr im heutigen politischen und wirtschaftlichen Umfeld hoch», sagt Ladner.

Kaum Renommierte – ist das schlimm? Für die architekto-nische Qualität eines Wettbewerbs nicht, die hängt bekanntlich nicht von der Bekanntheit der Teilnehmer ab. Aber die Renommierten legen beispielhaft jenes Verhalten an den Tag, das einen Teufelskreis begünstigt: Alle drängeln sich um die selektiven Verfahren und überlassen unspektakuläre Wettbewerbe den Unerfahrenen und jenen, die sonst nicht zum Zug kommen, was zu eher durchschnittlicher Qualität führen kann oder zumindest das Gerücht bestärkt, dass dem so sei, und was die Veranstalter wiederum bestärkt, auf erfahrene Büros zu setzen, die sie dank Präqualifikation auch bekommen. Oft lautet das Argument auch, die Aufgabe sei komplex und nur wenige ihr gewachsen – bis hin zum Fall Kongresszentrum Zürich (HP 8/05), wo die Veranstalterin behauptet, es brauche Spitzenarchitektur, und die bekomme man nur bei den Stars. Hinzu kommt die Angst vor den Kosten: Die Büros müssen Zehntausende von Franken einsetzen bei geringer Aussicht auf Erfolg, die Veranstalter fürchten den administrativen Aufwand für zu viele Projekte.

Präqualifikation: fadenscheinig

Alles nicht nötig, sagt Thomas Urfer, Mitglied der Sia-Wettbewerbskommission. Sein Hauptargument gegen den selektiven Weg: «Es gibt kein vernünftiges Auswahlverfahren.» Präqualifikationen seien subjektiv gefärbt – wie anders wähle man zehn aus 50 Büros, die nach der Prüfung ihrer Bewerbung alle fähig wären? Urfer will den offenen Wettbewerb durchsetzen – überall. Sein Rezept: Mehr offene ausschreiben, sodass sich die Teilnehmer besser verteilen, und tiefere Anforderungen, sodass sich die Investition für die Teilnehmer in Grenzen hält. «Modell und Pläne im Massstab 1:500, keine unnötigen Bilder, kein Erläuterungsbericht», das reiche einer guten Jury zur Beurteilung. Belege wie kubische Berechnung oder Energienachweis hält Urfer für sinnlos, denn «die Vorprüfer müssen alles nachrechnen, und kontrollieren ist komplizierter, als neu zu rechnen.» Der Arbeitsaufwand für einen Wettbewerb sollte etwa zwei Wochen betragen, sagt Urfer.

Lässt sich mit Urfers bestechend einfachem Rezept kochen? Andrea Grolimund Iten von der Metron, einer erfahrenen Wettbewerbsorganisatorin, hält entgegen: «Der offene Wettbewerb ist ein guter, aber nicht der einzige Weg. Wir müssen das Verfahren der Bauherrschaft und der Aufgabe anpassen können.» Habe eine Veranstalterin wenig Bauerfahrung, sei es wichtig, dass der Prozess nachvollziehbar sei, etwa durch Zwischenbesprechungen. Jeremy Hoskyn, Leiter Projektentwicklung / Wettbewerbe beim Zürcher Amt für Hochbauten, bestätigt das. Von 10 bis 15 städtischen Verfahren sind pro Jahr etwa drei bis fünf offene. Auch Hoskyn begründet dies mit der Rücksicht auf ungeübte Bauträger wie Stiftungen oder Genossenschaften. Baue die Stadt selbst, gehe sie immer vom offenen Verfahren aus. «Obwohl», gibt Hoskyn zu bedenken, «die Stadt käme gut ohne offene Wettbewerbe aus.» Für Präqualifikationen bekomme sie bis zu 120 Bewerbungen, viele von sehr guten Büros. Dennoch sei das offene Verfahren unverzichtbar: «Es bringt architektonische Erneuerung und wir können den Nachwuchs fördern.»

Vom Vorschlag, die Anforderungen herunterzuschrauben, hält Hoskyn dagegen nichts. «Wir brauchen alles, was wir verlangen, um die Projekte beurteilen zu können.» Der berüchtigte Fassadenschnitt 1:20, den die Stadt immer will, sei elementar wegen seiner Aussagen zu Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Generell sagt Hoskyn: «Der Wettbewerb ist das geeignetste Vergabeverfahren für grössere Architekturaufträge, weil er Qualität sichert. Aber er ist nicht selbstverständlich. Politisch müssen wir ihn immer wieder rechtfertigen.» Für faire Verfahren fühle sich die Stadt verantwortlich – «für die gleichmässige Verteilung der Aufträge unter den Architekten dagegen nicht.»

Offen ist auch schneller und günstiger

So oder so: Der offene Wettbewerb muss weiterleben, eben weil er offen ist – für Teilnehmer, für Lösungen. Damit das gelingt, müssen einerseits die Büros verkraften, dass in den ersten Juryrunden nicht über jede der vielen Arbeiten ausführlich diskutiert wird. (Einschub: Warum gehen renommierte Büros statt von einer Blamage nicht selbstbewusst davon aus, auch im offenen Feld nicht auf mehr als zehn ernsthafte Konkurrenten zu treffen?) Andererseits müssen die Veranstalter ihre Angst vor der Masse überwinden – jedes Projekt trägt dazu bei, das geeignetste herauszufiltern. Weiter sollen Veranstalter genau überlegen, was sie verlangen, der Aufwand darf nicht in die Höhe schnellen. Vor allem aber muss das Gerücht vom Tisch, ein offener Wettbewerb sei teurer: Schätzungen der Metron sagen das Gegenteil. Noch dazu dauert der selektive Weg wegen der Zweistufigkeit und der Beschwerdefristen Monate länger. Zu guter Letzt braucht der offene Wettbewerb mehr Mut von allen Seiten – so wie Heinz Brand es in Jenaz vormacht. Die 63 Projekte waren kein Schreck für ihn, er würde wieder den offenen Weg gehen – schliesslich hat er bekommen, was er wollte: Ein funktionierendes, architektonisch gelungenes Projekt eines jungen Büros.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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