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Hochparterre 10|2005
Zeitschrift für Architektur und Design
Hochparterre 10|2005
zur Zeitschrift: hochparterre

Missratene Architektur

16. Oktober 2005 - Köbi Gantenbein
Neulich bat mich der Republikanische Club Emmental, an einem lauen Herbstabend gegen schlechte Architektur vom Leder zu ziehen. Schonungslos möge ich den Geschmacksterror der Einfamilienhäuser anprangern, die Architekten beschuldigen und ihre ästhetischen Zumutungen tadeln. Ich tat, wie mir befohlen, und wies darauf hin, dass die Architekten wenig Schuld haben, denn ihr Anteil gemessen an den Bauinvestitionen von 15 Milliarden Franken pro Jahr ist so klein, dass es nicht einmal Zahlen gibt. Und ich lobte die Geschmacks- und Kulturexplosion im 20. Jahrhundert, dank der die Deutungshoheit übers Gute und Wahre untergegangen sei, und schloss: «Die Schönheit hat also verloren – das hat auch Vorteile. So können wir uns statt der zu bewertenden der messbaren Architektur widmen. Da sie nicht ästhetisch verhandelt werden muss, lege ich drei Postulate zur schlechten Architektur und ihrer Bekämpfung auf:
— Die Schweiz hat eine Errungenschaft: die Bauzone. Diese ausweiten heisst, schlechte Architektur fördern. Das tun die eidgenössischen Räte, wenn sie den fünf parlamentarischen Initiativen, vier Motionen und einer Standesinitiative stattgeben, die eines fordern: Das Bauen ausserhalb der Bauzonen erleichtern! Sie werden so die wichtigste Errungenschaft der Raumplanung in der Schweiz aushebeln. Sie wollen aus Ställen Wohnhäuser und aus stillen Matten Sitze für Millionäre machen. Dieses erste Postulat zur Bekämpfung schlechter Architektur heisst: keine Aufweichung der Bauzone!

Die Siedlungsfläche pro Kopf beträgt in der Schweiz 400 Quadratmeter. Babies im Stubenwagen und Greise im Altersheim mitgezählt. So viel ist Land- und Energieverschleiss und also schlechte Architektur. Dran ist das allein stehende Einfamilienhaus massgeblich beteiligt. Dieser Bautyp, so scharf geschnitten seine Kanten sein mögen, so wohl frisiert sein Treppengeländer und so schön gefügt seine Raumfolgen, ist keine gute Architektur, denn er beansprucht zu viel Fläche und zu viel Energie für seine Versorgung und seinen Betrieb. Minergie mag ein Tropfen sein auf den heissen Stein, denn in der Doppelgarage warten die Autos – und schon wird aus dem wohl bedachten Haus ein Mahnmal missratener Architektur. Das Postulat Nummer zwei heisst also: Reduktion der Siedlungsfläche um die Hälfte!

Auch für Architektur im Haus drin ist die Energie eine unbestechliche Leitlinie. Schlechte Architektur ist aus Materialien gebaut, die über schlechte Energie- und Schadstoffbilanzen verfügen. Und sie wird noch schlechter, wenn die Materialien so verbaut sind, dass sie das Klima fahrlässig beeinflussen, weil sie das Haus schlecht isolieren. So missratene Architektur können nicht alle auf den ersten Blick sehen. Der Bauphysiker und der Energieingenieur können sie uns sichtbar machen. Und immer wieder auch mit dem Finger auf Perlen zeitgenössischer Architektur zeigen, von denen einige bei messendem Hinschauen zu Dreck- und Ener-gieschleudern werden. Dieses Postulat verlangt: Besteuert die Baustoffe nach ihrer grauen Energie. Nach dem Vortrag gab es Most, Wurst und Brot und alle von mir Belehrten stiegen in ihren BMW und brausten aufs Land hinaus nach Hause.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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