Publikation

Surviving the Suburb
Versuche der Semi-Autarkie in Suburbia
Surviving the Suburb
ISBN: 9789059730908
Sprache: Niederländisch & Deutsch
Publikationsdatum: 2008
Umfang: 128 S., 23,5 x 16,6
Format: Softcover,
Surviving the Suburb erzählt von der Flucht aus der regulierten Enge der niederländischen Vorstadt – und den verschiedenen Versuchen einer Rückkehr. Protagonist der Geschichte ist Ton Matton, der das niederländische Siedlungsmodell Vinex hinter sich lies und in die Provinz Mecklenburg-Vorpommerns zog um dort die Möglichkeiten semi-autarker Lebensführung zu erproben. Mattons Bemühungen stehen freilich nicht singulär im Raum. Es macht Sinn, sie mit Entwürfen von Architekten zu konfrontieren, die sich ebenfalls auf unkonventionelle Weise den ökologischen und sozialen Herausforderun gen des suburbanen Raums stellen. Zur Diskussion stehen die Lebensentwürfe und Komfortmodelle des suburbanen Lebens, die Versorgungstechniken und ihre ökologische Bilanz, die Grenzen der raumplanerischen Disziplinarität und die Handlungspotentiale des Individuums. Suburbia wird hierbei abstrakt verstanden, als ein heterogenes räumliches Phänomen der westlichen Welt, in dem sich die Realität des Gebauten und eine Vielzahl von Projektionen überlagern. Denn während die eigentlichen Städte historisch geschichtet und aufgeladen sind, zeichnen sich die Vorstädte durch ihre relative Unbelastetheit aus – weder Geschichte noch Architektur haben sich in nennenswerter Qualität in diesen Räume niedergeschlagen. Im Eigenheim mit Garten können sich die Sehnsüchte des Einzelnen problemlos manifestieren. Es entstehen Räume vermeintlicher Freiheit, gekennzeichnet von relativer Distanz und Autonomie. So banal die Ergebnisse aus architektonischer und städtebaulicher Sicht auch sein mögen, man wird Suburbia nicht absprechen können, dass es für viele Menschen ein Sehnsuchtsort ist, der als Höhepunkt einer Erwerbslebensbiografie tatsächlich erreichbar ist. Die Kreativen und Intellektuellen verlaufen sich freilich nur selten dorthin. Nicht umsonst wird dieses Milieu, dem auch die Architektenschaft zuzurechnen ist, als „urban“ etikettiert und dementsprechend dominieren in der architektonischen Diskussion um die Vorstädte die distanzierten Blicke und Nachverdichtungsstrategien. Die Mühsal, soziale Ereignisse aus dem Inneren heraus zu initiieren und ein eventuelles Scheitern auf Grund milieubedingter Kommunikationsschwierigkeiten in Kauf zu nehmen, wird nur von wenigen gewagt.

Auch wenn sich die suburbanen Sehnsuchtsorte heute ästhetisch fragmentiert zeigen, ihre Wurzeln haben sie in präzise konzipierten Stadtmodellen der Moderne. Von individueller Freiheit und Autarkie im regionalen Maßstab träumte insbesondere Frank Lloyd Wright mit seinem utopischen Konzept der Broadacre City von 1935. Wright entwarf ein Stadtmodell, in dem die Funktionen regional über die Fläche verteilt und die Wohneinheiten als Einfamilienhäuser auf komfortabel bemessenen Grundstücken konzipiert wurden. Freiheit und Würde durch Landeigentum, stabile Familienverhältnisse in den einzelnen Wohneinheiten und die ganzheitliche Entfaltung des Menschen durch die Kombination von intellektueller und gärtnerisch-manueller Arbeit sind die ideologische Grundierung der Broadacre City. Ihre technologischen Voraussetzungen sind Individualverkehr und Telekommunikation, über deren heutige Qualität Wright wohl hoch erfreut wäre. Doch die ökologischen Kosten des Individualverkehrs, auf den die räumliche Unabhängigkeit substantiell angewiesen ist, sind zum drängenden Thema geworden. Wrights regionales Stadtkonzept mit seinen autarken Einfamilienhäusern hat jedoch nichts von seiner Faszination verloren. Die Utopie der Autarkie und Freiheit treibt auch Ton Matton an. Doch er will sie in ihrem kritischen Punkt – dem Regime der Infrastrukturen und seiner Folgekosten – neu gedacht wissen. Seine Arbeit ist dabei befreit von modernistischer Ideologie und propagiert stattdessen einen postmodernen Pragmatismus.

So gesehen ist es logisch, dass sich das Thema Versorgung als roter Faden durch das Buch zieht. Die aktuellen politischen Debatten um die Versorgungssicherheit der Energienetze und die wachsende gesellschaftliche Sensibilität für Herkunft und Produktionsbedingungen von Lebensmitteln bilden hierbei den Hintergrund. Und Suburbia ist die Bühne des Geschehens, denn der postmoderne suburbane Lebensentwurf belastet die Energiebilanzen erheblich. In seinem Versprechen von Komfort und überschaubarer Freiheit im Grünen produziert er faktisch Flächenversiegelung, ist an die Infrastrukturen
gebunden und verschwendet Energie.

Durch die Relevanz der Erschließung ist der Raumbegriff Suburbias verzeitlicht, wie schon Wright bemerkte, der für seine entdichtete Stadt die Zeit als das Richtmaß des Raums begriff. In dieser Hinsicht ist auch das Paradigma Komfort eine Frage der Ökonomie der Zeit und der ökologischen Folgekosten. Wenn Surviving the Suburb nun die Semi-Autarkie in den Vordergrund rückt, dann meint dies nicht, Überlebenstechniken im Stile eines Survivalhandbuchs präsentieren zu wollen. Vielmehr sind die Objekte und Entwürfe als narrativ inszenierte Denkmodelle der Entschleunigung und des individuellen Handelns zu verstehen, die auf das Verhältnis von Regulierung und Liberalismus zielen, also schlussendlich politisch verstanden werden wollen. Die Zeitlichkeit des suburbanen Raumbegriffs schlägt dabei um in eine Zeitlichkeit des Tuns, denn privater Landbau, Kleintierzucht und autarkes Wirtschaften bedingen eine Entschleunigung. Sie verzichten bewusst und partiell auf die technologischen Errungenschaften der Moderne und schließen stattdessen an deren Selbstversorgungskonzepte an – Konzepte der Zwischenkriegszeit, die nicht zuletzt aus der ökonomischen Notlage heraus entwickelt wurden. Diese Akzentuierung produziert Widersprüche, die letztlich nicht auflösbar erscheinen. Denn die Entschleunigung der Versorgung schafft nicht nur ein Bewusstsein für die ökologischen Rückwirkungen des individuellen Verhaltens, sondern macht zugleich deutlich, wie schnell die Grenzen der Autarkiebestrebungen erreicht werden. Vor allem aber zeigt sie an, dass an den Alternativen zum ökonomi schen Wachstumsparadigma weiter gearbeitet werden muss.

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