Publikation

Baukunst in Vorarlberg seit 1980
Ein Führer zu 260 sehenswerten Bauten
Autor:in: Otto Kapfinger
ISBN: 3-7757-1150-3
Sprache: deutsch
Publikationsdatum: 2003
Umfang: 336 Seiten, 420 Abb., 200 Pläne, 11 Übersichtskarten
Format: Broschur,

Kleines Land mit grosser Architektur

Vorarlberg als Fokus der zeitgenössischen Baukunst

10. Dezember 1998 - Roman Hollenstein
Das westlichste Bundesland Österreichs gibt sich gerne ländlich. Doch trügt der Schein. Denn in den vergangenen Jahrzehnten ist entlang der Autobahn nach dem Prinzip «Low rise – low density» eine lockere Bandstadt entstanden, die von Bregenz bis Feldkirch reicht. Diese Zersiedelung hat Tradition, besassen doch die Vorarlberger, lange ein armes Volk, oft nur eines: ein Stück Land. Darauf wurde, als Fleiss, wirtschaftliches Geschick und Sparsamkeit den Wohlstand mehrten, gebaut: Heute gilt das Ländle als eine der reichsten Gegenden Europas – auch bezüglich der Architektur, die, was Qualität und Verbreitungsdichte anbelangt, in der Alpenrepublik ihresgleichen sucht. Verglichen werden kann die Vorarlberger Szene allenfalls mit jener am Alpenrhein oder am Rheinknie. Doch während Basel mit Herzog & de Meuron oder Diener & Diener und Graubünden mit Peter Zumthor international gefeierte Architektenstars vorweisen können, klingen die Vorarlberger Namen den wenigsten vertraut. Dabei hat in jüngster Zeit wohl kaum jemand in Europa soviel gebaut wie das Lochauer Duo Baumschlager & Eberle, dessen Œuvre mehr als 150 Werke umfasst. Das Anliegen der beiden Architekten – und das ihrer Kollegen – ist dabei weniger eine Baukunst, die sich für Hochglanzmagazine eignet, als vielmehr eine, die ganz bescheiden die Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität zum Ziel hat. Das hält die beiden allerdings nicht davon ab, sich mit Phantasie den Herausforderungen aller erdenklichen Bautypen zu stellen: vom Schulhaus bis zum vielbeachteten gläsernen Garagenturm in Wolfurt.

Es war der von sozialem Idealismus getragene Wohnungsbau, wie er sich schon 1979 mit der Siedlung «Im Fang» in Höchst weithin sichtbar manifestierte, der dem Vorarlberger Architekturwunder den Weg bereitete. Der eigentliche Boom setzte aber erst Anfang der neunziger Jahre ein. Neben bescheidenen Privathäusern, kleinen Villen und Siedlungen entstanden seither vermehrt öffentliche Architekturen (Schulhäuser, Kultur- und Gemeindebauten), Bürohäuser, Banken, Lagerhallen und Fabriken. Ihr eigentliches Flaggschiff ist zweifellos Zumthors Kunsthaus in Bregenz. Es veranschaulicht besonders schön die Offenheit Vorarlbergs gegenüber auswärtiger Architektur. Jüngstes Beispiel dafür ist der Neubau des Tourismushauses, der – obwohl das Land über genügend kreatives Potential verfügt – grosszügig an den Wiener Architekten Rudolf Prohazka vergeben wurde. Schweizer kamen allerdings schon vor Zumthor zum Zug: allein in Lustenau bauten die St. Galler Peter und Jörg Quarella eine Hauptschule, die Zürcher Burkhalter & Sumi einen Kindergarten und die Luzerner Marques & Zurkirchen das Einkaufszentrum Kirchpark.

Erfindungsreichtum und eine zwischen barockem Erbe und alemannischer Einfachheit oszillierende formale Vielfalt prägen heute das Geschehen zwischen Rhein und Arlberg: Einen Eindruck davon vermittelt bereits ein Blick auf einige herausragende Bauten, die in den letzten zwei Jahren vollendet wurden: die Erweiterung des Festspielhauses Bregenz von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller, der Gewerbebau von Ulrich Grassmann in Hörbranz, der Bauernhof von Roland Gnaiger in Lustenau, die Wohnanlage von Hermann Kaufmann in Dornbirn, das Medienhaus in Schwarzach von Ernst Giselbrecht, der Prototyp eines Doppelhauses von Christian Lenz in Schwarzach, die Friedhofskapelle von Marte & Marte in Weiler, das Sozialzentrum in Satteins von Strieder & Hanck, die Erweiterung der Volksschule in Schlins von Bruno Spagolla, das Feuerwehrhaus in Nenzing von Lothar Huber, das Kulturzentrum Remise in Bludenz von Hans Hohenfellner, die Bautischlerei in Bizau von Johannes Kaufmann oder das Gemeindehaus in Möggers von Arno Bereiter. Das alles sind überdurchschnittliche Gebäude von Architekten, die sich weniger als Theoretiker denn als Macher im besten Sinne des Wortes verstehen. Wo sonst gibt es eine Region mit nur 350 000 Einwohnern, in der Architekten so viele qualitativ hochwertige Bauten verwirklichen können?

Wer durch Vorarlberg fährt, begegnet diesen kleinen Meisterwerken allenthalben. Man muss sie nicht wie anderswo erst mit der Lupe suchen. Bisher stellten sich interessierte Architekturtouristen immer wieder die Frage nach den Urhebern dieser Bauten. Im vergangenen Jahr erschien dann das aufwendig illustrierte Buch von Amber Sayah, das zumindest einige der Juwelen präsentiert. Nun liegt seit wenigen Tagen auch der langerwartete Architekturführer vor: ein Buch in handlichem Format, das auf 336 Seiten 260 in den letzten zwei Jahrzehnten entstandene Bauten in Wort und Bild sowie weitere 220 Bauten mittels Kurzhinweisen vorstellt. Stadtpläne und genaue Adressangaben erleichtern das Auffinden der Bauten. Erlaubt der knappe zeitliche Ausschnitt einen verdichteten Blick auf die noch junge Vorarlberger Szene, so hat er doch zur Folge, dass ältere interessante Bauten, etwa das 1975 von Wilhelm Holzbauer begonnene Vorarlberger Landhaus in Bregenz, keine Erwähnung mehr finden. Ausserdem vermisst man einen biographischen Anhang, auch wenn sich mit etwas Aufwand anhand des reichen Materials die architektonischen Lebensläufe der wichtigsten Baukünstler konstruieren lassen.


[Baukunst in Vorarlberg seit 1980. Ein Führer zu 260 sehenswerten Bauten. Hrsg. Otto Kapfinger, Kunsthaus Bregenz und Vorarlberger Architekturinstitut. Hatje-Verlag, Stuttgart 1998. 336 S., Fr. 38.–. – Amber Sayah: Neue Architektur in Vorarlberg. Bauten der neunziger Jahre. Callwey-Verlag, München 1997. 158 S., Fr. 92.–.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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