Publikation

Vom Nutzen der Architekturfotografie
Vom Nutzen der Architekturfotografie
Herausgeber:in: Angelika Fitz, Gabriele Lenz
ISBN: 978-3-0356-0587-7
Beiträge von: Angelika Fitz, Elke Krasny, Gabriele Lenz und Philipp Ursprung
Sprache: Deutsch, Englisch
Publikationsdatum: 2015
Umfang: 288 S., 200 Abb. (Farbe)
Format: gebunden, 23,5 x 29,2 cm

Auf den drit­ten Blick

Zwi­schen Eye­cat­cher-Zwang und über­ra­schen­den Blick­win­keln, Kunst­form und PR, Kom­pli­zen­schaft und Kri­tik: Das Ver­hält­nis von Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie und Ar­chi­tek­tur ist so un­trenn­bar wie kom­plex. Ei­ne Buch­pu­bli­ka­ti­on bringt jetzt Klar­heit.

30. Oktober 2015 - Maik Novotny
Die Fo­to­gra­fie ist heu­te kei­ne ein­sa­me Pro­fes­si­on mehr. Was sich einst mit iko­ni­schen Ein­zel­stü­cken be­haup­te­te, muss sich heu­te ge­gen die welt­wei­te On­li­ne-Bil­der­flut stem­men. 2003 ta­ten sich ei­ni­ge ös­ter­rei­chi­sche Fo­to­gra­fen zu­sam­men und grün­de­ten die In­te­res­sen­ge­mein­schaft IG Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie. Was aus wirt­schaft­li­cher Not­wen­dig­keit ent­stand, ist gleich­zei­tig ein Ab­bild ei­ner selbst­be­wuss­ten, auf ho­hem Ni­veau ope­rie­ren­den Sze­ne. In der jetzt er­schei­nen­den Buch­pu­bli­ka­ti­on Vom Nut­zen der Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie wird das ei­ge­ne Tun mit reich­hal­ti­gen Bild­be­wei­sen un­ter­sucht.

Im Round-Ta­ble-Ge­spräch mit dem Stan­dard er­klä­ren die Fo­to­gra­fen Pez Hej­duk, Her­tha Hur­naus und Ste­fan Oláh und die Buch­ma­che­rin­nen An­ge­li­ka Fitz und Ga­bri­e­le Lenz, wa­rum wir Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie brau­chen, in wel­chem Ver­hält­nis sie zur Ar­chi­tek­tur steht und ob Men­schen und Tie­re nun ins Bild ge­hö­ren oder nicht.

Stan­dard: Bü­cher mit Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fien sind üb­li­cher­wei­se auf pu­re Äs­the­tik set­zen­de Cof­fee-Ta­ble-Books. Auch die­ses ist vol­ler Bil­der, kommt aber eher da­her wie ei­ne Hand­rei­chung. Was für ei­ne Ab­sicht steckt da­hin­ter?

Fitz: Oh­ne Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie gibt es kei­ne Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te. Denn es geht ja um viel mehr, als nur ein Ge­bäu­de ab­zu­bil­den. Die Fo­to­gra­fie zeigt, was mit der Ar­chi­tek­tur pas­siert, un­ter wel­chen Be­din­gun­gen sie ent­steht. Sie ist kein pass­ives Me­di­um, son­dern ein ak­ti­ver Bei­trag zur Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te. Der Be­griff des „Nut­zens“ hält das Buch zu­sam­men: Wie wird die ab­ge­bil­de­te Ar­chi­tek­tur ge­braucht, und wie wer­den die Bil­der selbst ge­nutzt. Un­ser An­spruch war al­so nicht we­ni­ger, als ein Stan­dard­werk zur Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie zu ma­chen. Denn er­staun­li­cher­wei­se gibt es so et­was noch nicht.

Lenz: Die Ver­bin­dung zwi­schen Fo­to­gra­fie, Ar­chi­tek­tur und Buch ist am Bau­haus ent­stan­den, mit Lá­szló Mo­ho­ly-Na­gy. Da­mals war es nicht üb­lich, Fo­to­gra­fien in Bü­chern zu zei­gen, weil das als et­was rein Jour­na­lis­ti­sches galt. Spä­ter hat sich Le Cor­bu­sier – ein gro­ßer Selbst­ver­mark­ter – in­ten­siv mit der In­sze­nie­rung durch Fo­to­gra­fie be­schäf­tigt.

Oláh: Es war uns auch als IG Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie wich­tig, et­was Mu­ti­ges zu ma­chen und nicht ei­ne Werks­chau, in der je­der sei­ne fünf be­sten Fo­tos bei­steu­ert.

Hej­duk: Es soll­te auch kein Best-of der Ar­chi­tek­tur sein. Dann wä­re es wirk­lich ein Couch­tisch-Buch ge­wor­den. Es geht ex­pli­zit um das un­ge­klär­te Ver­hält­nis zwi­schen Fo­to­gra­fie und Ar­chi­tek­tur.

Hur­naus: Da­durch las­sen sich wie­der­um die Gren­zen aus­lo­ten, an de­nen Ar­chi­tek­tur an­fängt. Des­halb ist im Buch die gan­ze Band­brei­te von an­ony­mer Ar­chi­tek­tur bis zu Bau­ten von Her­zog & de Meu­ron ent­hal­ten.

Stan­dard: Vor zwölf Jah­ren wur­de die IG Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie ge­grün­det. Was war der Im­puls da­für?

Hej­duk: Es ging vor al­lem um Rechts­fra­gen – lei­der, denn man kann sich sei­ne Zeit auch schö­ner ver­trei­ben. Es war da­mals so, dass Pu­bli­ka­ti­ons­ho­no­ra­re bei Ver­la­gen zu­se­hends ab­ge­schafft wur­den und das In­ter­net mit sei­ner Gra­tis­men­ta­li­tät im­mer stär­ker wur­de. Es gab sehr vie­le Un­klar­hei­ten. Heu­te hat sich die Sach­la­ge be­ru­higt, was gut ist, denn wir wol­len ein Mit­ein­an­der.

Oláh: Das Po­si­ti­ve ist: Weil es heu­te nie­man­den mehr gibt, der auf un­se­rem Ni­veau ar­bei­tet und zu­gleich sei­ne Bil­der und die Rech­te her­schenkt, eta­bliert sich auch ein Be­wusst­sein für Qua­li­tät.

Stan­dard: Die Auf­klä­rungs­kam­pag­ne hat ge­wirkt. Die Ar­chi­tek­ten be­nei­den heu­te die Fo­to­gra­fen um ih­re Durch­set­zungs­kraft.

Fitz: Und ge­nau weil die Fo­to­gra­fen das Be­wusst­sein für Nut­zungs­rech­te ge­schärft ha­ben, war es wich­tig, jetzt den näch­sten Schritt zu set­zen: die Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie als kul­tu­rel­le Pra­xis zu be­to­nen. Das ist „Nut­zen“ auf ei­ner an­de­ren Ebe­ne.

Hej­duk: Auf der ei­nen Sei­te wol­len die Ar­chi­tek­ten so viel wie mög­lich vi­su­ell prä­sent sein. Auf der an­de­ren Sei­te sind wir ein Lu­xus­seg­ment. Man kann auch bau­en, oh­ne es fo­to­gra­fisch zu do­ku­men­tie­ren.

Stan­dard: Trotz­dem wer­ben Ar­chi­tek­ten vor al­lem mit Bil­dern – und das, dank In­ter­net, mehr als je zu­vor.

Hej­duk: Schon. Aber wie vie­le Ar­chi­tek­tur­bü­ros wirk­lich pro­fes­sio­nell fo­to­gra­fie­ren las­sen, das steht in kei­ner Re­la­ti­on.

Fitz: Ich fin­de es er­staun­lich, wenn Ar­chi­tek­ten sich die Chan­ce auf den drit­ten Blick ent­ge­hen las­sen. Auch wenn es Auf­trags­fo­to­gra­fie ist, ist es nie Pro­pa­gan­da, son­dern ei­ne neue Sicht­wei­se. Die Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie war schon im­mer Kom­pli­zin und Kri­ti­ke­rin, und meis­tens ist sie im sel­ben Fo­to bei­des.

Stan­dard: Um auf den Buch­ti­tel zu­rück­zu­kom­men: Was ist der Nut­zen der Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie?

Hej­duk: Ganz ein­fach: Ich lie­be die­sen Be­ruf. Ei­gent­lich fo­to­gra­fie­re ich im­mer für mich selbst. Aber wir be­wah­ren in un­se­ren Ar­chi­ven auch Zeit­do­ku­men­te auf. Ein Ar­chiv zu füh­ren ist viel Ar­beit, das füllt Te­ra­by­tes und Ak­ten­schrän­ke voll mit ana­lo­gem Ma­te­ri­al. Wenn man dann zehn Jah­re spä­ter hin­ein­schaut, hat man ei­nen an­de­ren Blick und ent­deckt Sa­chen wie­der neu.

Oláh: Für mich zählt der Wil­le zum Su­chen und Ent­de­cken. Das Spü­ren ist ne­ben dem Se­hen das Wich­tigs­te – die Fra­ge, wie gern man sich in ei­nem Raum auf­hält. Den ge­sell­schaft­li­chen Mehr­wert be­kom­men Bil­der oft erst, wenn die Ge­bäu­de, die sie dar­stel­len, nicht mehr exis­tie­ren. Da­rü­ber denkt man aber bei der Ar­beit nicht nach.

Fitz: Für mich als Nutz­erin liegt der Wert da­rin, dass ich auf den Fo­tos et­was se­he, das ich nicht wahr­neh­me, wenn ich selbst hin­ge­he.

Stan­dard: Was macht man, wenn man ein Ge­bäu­de fo­to­gra­fie­ren soll, das man ein­fach schlecht fin­det?

Hur­naus: Den per­sön­li­chen Ge­schmack kann man zu­erst ein­mal zu­rück­neh­men. Man fil­tert durch spe­zi­fi­sche Aus­schnit­te ei­ne Es­senz her­aus und zeigt da­durch Aspek­te, die im er­sten Ge­samt­ein­druck gar nicht wahr­ge­nom­men wer­den.

Oláh: Das Fo­to­gra­fie­ren ist ein vi­su­el­les Auf­räu­men in der Un­ord­nung der Welt.

Stan­dard: Es ist ein alt­be­kann­tes Kli­schee, dass Ar­chi­tek­ten kei­ne Men­schen in ih­ren Bil­dern ha­ben wol­len. Trifft das noch zu?

Hur­naus: Das war frü­her tat­säch­lich so. Die jün­ge­re Ar­chi­tek­ten­ge­ne­ra­ti­on will aber stär­ker be­leb­te Bil­der. Als Fo­to­gra­fin ist es ei­ne in­tui­ti­ve Ent­schei­dung. Wenn der Mensch sich zu sehr in den Vor­der­grund drängt und man als Er­stes da­rauf schaut, was der an­hat, fin­de ich das schwie­rig. Aber grund­sätz­lich kön­nen Men­schen im Bild den Maß­stab der Ar­chi­tek­tur ver­deut­li­chen.

Oláh: Das hat auch mit der Tech­nik zu tun. Mit den Ka­me­ras, die wir vor 20 Jah­ren hat­ten, war es viel schwie­ri­ger, ei­nen Men­schen scharf ins Bild zu be­kom­men.

Fitz: Wir zei­gen im Buch auch Bei­spie­le, in de­nen neue Räu­me so fo­to­gra­fiert wer­den, dass sie nicht ste­ril aus­schau­en, son­dern dass man ihr Po­ten­zi­al er­kennt, das War­ten auf den An­sturm des Le­bens. Auch brand­neue Ge­bäu­de kön­nen von Nut­zung er­zäh­len.

Stan­dard: Man­che Ar­chi­tek­ten blen­den ger­ne die Um­ge­bung ih­rer Ge­bäu­de aus. Als Fo­to­graf kann man den Kon­text wie­der hin­ein­ho­len.

Hur­naus: Es ist ei­ne Fra­ge des Zeit­auf­wands: Je län­ger man sich mit ei­nem Ge­bäu­de aus­ein­an­der­set­zen kann, um­so mehr nimmt man auch das Um­feld wahr, und so ent­ste­hen um­fang­rei­che­re und in­te­res­san­te­re Do­ku­men­ta­tio­nen.

Hej­duk: Es gibt Auf­trag­ge­ber, die das Um­feld nicht ger­ne im Bild ha­ben. Da wird schon mal ver­langt, dass ein Bus­hal­te­häus­chen raus­re­tu­schiert wird.

Oláh: Das hängt stark da­von ab, wer der Auf­trag­ge­ber ist. Es kann sein, dass die Ku­ra­to­ren glü­cklich sind, weil sie den künst­le­ri­schen Wert des Bil­des se­hen, und die Mar­ke­tin­gab­tei­lung ist ent­setzt, weil im Bild ein Trak­tor her­um­steht, der die Per­fek­ti­on stört.

Hur­naus: Ein Bild­mo­tiv ist im­mer ei­ne Art Büh­ne, auf der al­les Mög­li­che statt­fin­den kann.

Hej­duk: Und al­le war­ten im­mer da­rauf, dass Hüh­ner, Scha­fe und Kat­zen ins Bild lau­fen!

Hur­naus: Und dass end­lich die Son­ne kommt. Oder dass sie end­lich wie­der weg­geht.
[ „Vom Nut­zen der Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie“, Hrsg. v. An­ge­li­ka Fitz und Ga­bri­e­le Lenz, € 49,95 / 288 Sei­ten, 250 Far­bab­bil­dun­gen, Birk­häu­ser-Ver­lag, Ba­sel, 2015 ]

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