Akteur

Margarete Schütte-Lihotzky
* 1897 Wien 2000 Wien

Architektin eines Jahrhunderts

Zum Gedenken an Margarete Schütte-Lihotzky

25. Januar 2000 - Corinne Elsesser
Am Leitgedanken der Moderne, durch Bauen eine bessere Welt zu schaffen, hat Margarete Schütte-Lihotzky stets festgehalten und bis zuletzt an ihren Ideen weitergearbeitet. Am vergangenen Dienstag, dem 18. Januar, ist die Zeitzeugin der Moderne in Wien kurz vor ihrem 103. Geburtstag gestorben. Die am 23. Januar 1897 geborene Tochter eines Wiener Staatsbeamten schloss 1920 ihr Architekturstudium an der k. u. k. Kunstgewerbeschule - der heutigen Hochschule für angewandte Kunst - als erste Architektin Österreichs bei Oskar Strnad ab. Ihr Interesse für Wohnsiedlungen bewies sie gleich darauf in einem Wettbewerb für eine Schrebergartenanlage am Wiener Schafberg. Adolf Loos wurde auf sie aufmerksam und ermutigte sie zur Mitarbeit im Planungsbüro des Österreichischen Verbandes für Siedlungs- und Kleingartenwesen. Erste standardisierte Kernhaustypen für Siedler entstanden hier, die seriell produziert und individuell erweitert werden konnten. Das Wohnen und die Rationalisierung der Hauswirtschaft wurden zu zentralen Themen in ihrem Schaffen.

In Frankfurt am Main, damals ein Zentrum des funktionalen Städtebaus, hatte sie sich ab 1926 im Team des Baurats Ernst May im Hochbauamt mit Typengrundrissen für die Wohnungen des neuen Frankfurt befasst. Sie entwickelte die «Frankfurter Küche» als ein nach detailgenau bemessenen Arbeitsabläufen konzipiertes Haushaltssystem, das die Trennung der Funktionen in die Innenraumgestaltung hinein fortsetzt. Als 1927 auf der Werkbundausstellung in Stuttgart-Weissenhof ein Plattenwohnhaus des Hochbauamtes mit einer solchen Küche ausgestattet wurde, erregte dies international Aufsehen. Erstmals wurde die Hausarbeit von einer Frau neu definiert, die Küche als Teil einer geschickten Wohnungsplanung begriffen, die die Frau weitmöglichst von der Hausarbeit entlasten sollte. Auf der CIAM-Ausstellung «Die Wohnung für das Existenzminimum» 1929 in Frankfurt zeigte sie Lösungen für Kleinstwohnungen im Reihenhaus und schlug alternativ zu den von der Stadt Frankfurt vorgesehenen Ledigenheimen Einliegerwohnungen für alleinstehende Frauen in den Siedlungen vor, um Frauen nicht zu isolieren. Eine Zentralwäscherei wurde nach ihrem Entwurf in Praunheim, Kojenschulküchen in 14 Berufsschulen realisiert. An der Werkbundausstellung in Wien beteiligte sie sich 1930 mit zwei «Typenhäusern kleinster Art».

Im gleichen Jahr ging sie mit Wilhelm Schütte, mit dem sie seit 1927 verheiratet war, und anderen Architekten des Neuen Bauens in die Sowjetunion, um am Aufbau der neuen Industriestädte in Sibirien mitzuwirken. Die Frankfurter Küche war für die dort geplanten Wohnungen vorgesehen. Forthin widmete sich die Architektin dem Bauen im pädagogischen Kontext, entwarf Kindereinrichtungen für Magnitogorsk und Schulen für Makeewka in der Ukraine. 1936 musste sie angesichts der Stalinschen Säuberungsaktionen gegen Ausländer Russland verlassen und kam über Umwege nach Istanbul, wo Bruno Taut ihr eine Stelle in der Akademie der schönen Künste vermittelt hatte. Sie begann für den österreichischen Widerstand zu arbeiten, trat 1939 der damals illegalen KP bei und wurde während einer geheimen Mission in Wien 1941 an die Gestapo verraten und als kommunistische Widerstandskämpferin zum Tode verurteilt. Durch einige glückliche Umstände und den Einsatz ihres Mannes von der Türkei aus konnte ihre Haftstrafe auf 15 Jahre Zuchthaus reduziert werden. In ihren Memoiren, die sie 1985 unter dem Titel «Erinnerungen aus dem Widerstand 1938-1945» veröffentlichte, macht sie auf die Existenz des österreichischen Widerstands aufmerksam.

Für die Architekturabteilung des Stadtbaudirektors von Sofia erarbeitete sie 1946 eine «Entwurfslehre für Kindergärten und Kinderkrippen» und baute auf dieser Grundlage Kinderanstalten in Maitschin Dom, Rassanska und Samokov - die ersten überhaupt in Bulgarien. Nur zwei Aufträge erhielt die erfahrene Spezialistin für Kinderbauten nach ihrer Rückkehr 1948 nach Wien von offizieller Seite - die Planung eines Kindergartens am Kapaunplatz (1950-52) und eines Kindertagesheims in der Rinnböckstrasse (1961-63). Die Gründe sind in ihrer Mitgliedschaft in der KP und anderen linken Institutionen zu sehen, was in der Zeit des kalten Krieges ihre berufliche Karriere nicht unbedingt förderte. Öffentliche Aufträge erhielt sie aus China, aus Kuba, wo sie für die Unterrichtsministerien als Beraterin für Kinderbauten tätig war. Sie baute nach 1945 zusammen mit Wilhelm Schütte eine österreichische CIAM-Gruppe auf. Gemeinsam mit ihm realisierte sie zwei Wohnanlagen und 1953-56 als letztes gemeinsames Projekt das Druckerei- und Redaktionsgebäude des Globusverlages in Wien. Für die Bauakademie der DDR überarbeitete sie 1966 ein Baukastensystem für Kindergärten, das allerdings nicht ausgeführt wurde.

Die Ehrungen in ihrer Heimat kamen spät: 1980 mit dem Preis des Jahres für Architektur der Stadt Wien, 1989 mit der Ehrendoktorwürde der TU Graz. Den Österreichischen Staatspreis für Wissenschaft und Kunst lehnt sie 1988 ab, weil er ihr vom damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim verliehen worden wäre. Die IKEA- Stiftung würdigt 1989 ihre Pionierleistungen in Einrichtungsfragen, denn es war ihr 1920 aufgestellter Plan einer «Warentreuhand» zur Versorgung der Siedler mit erschwinglichen Möbeln, der nach 1945 der schwedischen Firma als Vorbild diente. Auch andere ihrer Entwicklungen wurden inzwischen Allgemeingut: etwa die Pavillonkonzeption im Kindergartenbereich oder die Einbauküche, die auf ihre Entwürfe der «Frankfurter Küche» zurückgeht. Darüber hinaus sind ihre Überlegungen und Forderungen, besonders im Hinblick auf die berufstätige Frau, bis heute aktuell geblieben.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: