Akteur

Sauerbruch Hutton Architekten
Berlin (D)

Mit sanften Schwüngen

Neue Arbeiten von Sauerbruch & Hutton

Die Farbexperimente der in Berlin tätigen Architekten Sauerbruch & Hutton werden international beachtet. Mit ihrer Polizeiwache im Regierungsviertel haben sie nach dem GSW-Hochhaus in Kreuzberg erneut den Dialog mit bestehender Bausubstanz gewagt. Ausserdem konnten sie jüngst das neue Rathaus von Henningsdorf vollenden.

4. Februar 2005 - Andres Lepik
Erfolge konnte das 1993 von London an die Spree übersiedelte Architekturbüro von Matthias Sauerbruch und Luisa Hutton in den letzten Jahren vor allem ausserhalb Berlins verbuchen. Neben der 2001 fertiggestellten Experimentalfabrik in Magdeburg bauen sie derzeit unter anderem das Umweltbundesamt in Dessau und das Museum Brandhorst in München. In der deutschen Hauptstadt selbst blieben sie jedoch nach dem Photonik-Zentrum in Berlin-Adlershof und dem vieldiskutierten GSW-Hochhaus in Kreuzberg (NZZ 3. 9. 99), die 1998 und 1999 vollendet wurden, weitgehend ohne Auftrag. Mit der im vergangenen Herbst eingeweihten Polizei- und Feuerwache im Regierungsviertel gelang es ihnen nun aber doch, einen Bau in der Mitte Berlins zu realisieren. Bei diesem Projekt galt es, die Reste des am ehemaligen Packhof zwischen Spree und Lehrter Bahnhof gelegenen und im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten Hauptsteueramtes aus dem 19. Jahrhundert zu renovieren und mit einem An- und Ausbau für Büro- und Nutzräume zu versehen. Darin sollten sowohl die Feuerwache für den Bereich Tiergarten als auch eine Polizeiwache untergebracht werden. Der vier Geschosse hohe Altbau wurde denkmalgerecht wiederhergestellt und mit einem neuen Zugang versehen. Die Besucher der Polizeiwache betreten das Gebäude jetzt über eine Brücke durch ein ehemaliges Fenster der Beletage.

Alt und neu

Auf der zerstörten Westseite des Altbaus fügten Sauerbruch & Hutton einen neuen, zweigeschossigen Flügel an, der sich sanft geschwungen an den Altbau anlagert. Er nimmt an keiner Stelle Bezug zum Altbau, sondern bleibt, auch durch das markante Vorkragen an der Seite der alten Hauptfassade, als eigenständiger Bauteil klar erkennbar. Unter dem aufgeständerten Neubau befinden sich nach Norden hin die geschützten Stellplätze der Einsatzwagen der Polizei, nach Süden hin die Fahrzeughalle der Feuerwehr. Die vorgehängte, mit farbigen Glaslamellen gestaltete Fassade zieht sich um den gesamten Neubau und wirkt dabei als optische Klammer. Pixelartige Farbflächen wechseln - scheinbar zufällig verteilt - in 24 Tönen von Grün auf der Polizeiseite bis zu kräftigem Rot auf der Feuerwehrseite. Eine derart ausgeprägte Farbsymbolik war in den Arbeiten von Sauerbruch & Hutton bisher nicht zu finden. Sie scheint hier denn auch beinahe zu eindeutig.

In der vor den Toren Berlins gelegenen Kleinstadt Henningsdorf konnten Sauerbruch & Hutton jüngst ein weiteres Projekt fertigstellen. Am ehemaligen Ortskern der Stadt, direkt neben dem S-Bahnhof, setzt das neue Rathaus auf einer ehemals städtebaulichen Brache einen neuen architektonischen Bezugspunkt. Das dreigeschossige Gebäude ist aus mehreren Ringformen gebildet. Die oberen beiden Etagenringe bilden eine statische Einheit, die auf dem Erdgeschoss aufliegt. In ihnen befinden sich die um einen Lichthof im Kern herum angeordneten Verwaltungsbüros. Auf Strassenniveau öffnet sich der Bau in Richtung S-Bahnhof durch eine weite Glasfront mit den öffentlichen Bereichen der Einwohnerberatung. Der Aussenraum wird dabei sanft in den gekurvten und stützenfreien Innenraum übergeführt, der Bezug zur Umgebung bleibt durch die weiten gläsernen Öffnungen deutlich. Durch linsenförmige Oberlichter unter dem oberen Innenhof wird der Innenraum sehr angenehm belichtet. In den Erdgeschossbereich wurde auch noch der Ratssaal integriert, der sich als eigener, aussen mit Ziegeln verkleideter Baukörper unter dem gläsernen Ring der Büroräume leicht herausschiebt.

Für diesen Bau durften Sauerbruch & Hutton auch grosse Teile der Ausstattung entwerfen. Damit entsteht eine insgesamt sehr homogene Beziehung zwischen Innen- und Aussenbau. Mit den locker verteilten Bänken und dem exzentrisch geschnittenen Informationstresen, aber auch durch eine expressiv geformte Rampe, die in die oberen Etagen führt, strahlt der Warte- und Beratungsbereich eine freundliche, zugleich dynamische und in jeder Hinsicht völlig antihierarchische Atmosphäre aus. Der zentrale Raum steht damit in angenehmem Gegensatz zu der sonst üblichen sterilen Atmosphäre öffentlicher Rathäuser. Neben den sanft geschwungenen Wänden, die sich konsequent durch das ganze Haus ziehen, tragen auch das Farbkonzept und die Aussenraumgestaltung, die vom Büro STraumA konzipiert wurde, zum positiven Gesamteindruck bei. Bürgernähe ist in diesem Rathaus einmal kein hohles Schlagwort, sondern eine konkret durch Architektur und Ausstattung erfahrbare Realität.

Darstellung von Architektur

Die Polizei- und Feuerwehrstation des Regierungsviertels und das Rathaus in Hennigsdorf waren auch das Thema von «eyescape/soundscape». Dieser Beitrag von Sauerbruch & Hutton zur letztjährigen Architekturbiennale in Venedig bezog sich ebenso wie die 1999 in der Architectural Association in London gezeigte Ausstellung «WYSIWYG» (What You See Is What You Get) auf Begriffe aus der Computersprache. Dabei nahmen sie ihre jüngsten Projekte zum Anlass, grundsätzlich über die Repräsentation von Architektur in Ausstellungen und Publikationen nachzudenken. Anstelle der üblichen Modelle und Fotos von Bauprojekten präsentierten sie in Venedig das Rathaus Henningsdorf als eine Fotoinstallation, deren Innenaufnahmen mit 3D-Brillen zu betrachten waren und so eine in Schwarzweiss erlebbare Raumtiefe erhielten. Die Polizei- und Feuerwache Regierungsviertel wurde in einer künstlerischen Videoinstallation gezeigt. Die reale Architektur und ihre Repräsentation in der Ausstellung wurden deutlich voneinander geschieden. Und der Katalog war in diesem Fall auch kein illustratives Begleitprodukt, sondern ein exklusives Objekt mit eingelegter CD und 3D-Brille. Ausgehend von den ortsbezogenen historischen oder funktionalen Gegebenheiten eines Auftrags, formen Sauerbruch & Hutton stets neue Bezüge. Ihr Ansatz ist nicht auf einen historischen Fluchtpunkt oder eine bestimmte Theorie fixiert.

Trotz der Verwendung gekrümmter Wände steht ihr Werk daher fern von jener «Blob»- Architektur, wie sie auf der Architekturbiennale in Venedig wohl allzu üppig vertreten war (NZZ 20. 9. 04). Denn Sauerbruch & Hutton versuchen nicht, möglichst komplexe Raumskulpturen zu erfinden, sondern entwickeln ihre Entwürfe aus der Funktion heraus. Einer der wichtigsten Aspekte dieser Architektur ist die souveräne Leichtigkeit, mit der Sauerbruch & Hutton Farben, Formen, Raum und Material einsetzen. Dahinter wird ein Optimismus spürbar, wie er zuletzt vielleicht in den besten Bauten der fünfziger Jahre zu spüren war.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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