Akteur

Johann Georg Gsteu
* 1927 Hall / Tirol 2013 Wien

In der Mitte der Mensch

Der Architekt Johann Georg Gsteu beging dieser Tage seinen 80. Geburtstag.

4. August 2007 - Ute Woltron
Wenn jemand gerade sein achtes Lebensjahrzehnt vollendet hat, darf man behaupten, er gehöre der alten Garde an. Das trifft auch auf Johann Georg Gsteu zu, obwohl man das auf den ersten Blick kaum wahrhaben wird. Wer in kurzen Hosen sonnenverbrannt durchs Leben federt, ist nicht alt. Aber die alte Garde, die stimmt trotzdem, man muss ihm nur zuhören.

Und zuschauen. Denn Gsteu verlässt das Haus bis heute nicht ohne Bleistift und Radiergummi in der Hosentasche. Auch er zählt zu denjenigen, die dem fast schon karikaturhaften Bild des ewig skizzierenden Architekten gerecht werden. „Warten S', ich muss das aufzeichnen!“ Und dann genügen ein paar präzise Striche, um das Wesen und den Charakter von Projekten quasi röntgenologisch klar darzulegen - und irgendwie hat dieses gekonnte grafische Herunterbrechen der so ungeheuer komplizierten Materie Architektur auf logische Prinzipien etwas ausgesprochen Tröstliches in einer Zeit, die ganz anders geworden ist im Laufe einer fast sechs Jahrzehnte währenden Architektenkarriere.

Gsteu, 1927 in Hall in Tirol geboren, gehört einer ganz bestimmten, die Nachkriegsarchitekturgeschichte dieses Landes prägenden Generation an. Große Namen. Alte Bande. Alle sprechen sie eine sehr ähnliche Sprache, und es wäre ausgesprochen vermessen, würde die heute so erfreulich tüchtige jüngere Generation nicht genau zuhören. Denn vieles dessen, was die spezifische Qualität der zeitgenössischen heimischen Baukünstler und Baukünstlerinnen ausmacht, wurde von Leuten wie Gsteu bereits vor Jahrzehnten definiert.

Im Mittelpunkt steht der Mensch und seine Bedürfnisse. Zu Beginn stehen Aufgabenstellung und die Rahmenbedingungen. Dazwischen stehen Überlegungen, wie alle Parameter in eine schlanke, unaufwändig, funktionierende und bautechnisch gute Form gebracht werden können. Am Ende steht ein Gebäude, das technisch, formal, funktional möglichst viel kann.

Kristallisationspunkt für diese Art Architektur zu machen war kurz nach Kriegsende die Akademie-Klasse von Clemens Holzmeister. Gsteu: „Dort waren wir alle beieinander - der Wilhelm Holzbauer, der Friedrich Kurrent, der Fritz Achleitner, der Hans Puchhammer und ich. Wir sind vorher auch schon miteinander in die HTL gegangen. In der Holzmeister-Klasse waren dann auch noch der Johannes Spalt und der Gustav Peichl. Jedenfalls haben wir alle ziemlich zugleich Diplom gemacht.“

Clemens Holzmeister, so Gsteu, habe ihnen zumal professoral die Ernsthaftigkeit des Berufs beigebracht. „Aber wir waren froh, dass er nicht immer da war.“ Warum? Weil ihn dann zum Beispiel andere gestandene Architekten wie Erich Boltenstern vertraten - und: „Weil wir dann die internationale Szene studieren und alles aufarbeiten konnten, was vor dem Krieg gebaut worden war.“

Für Holzmeister sei das kein Thema gewesen, für die Jungen, Hungrigen sehr wohl. Vor allem dem etwas älteren Johannes Spalt verdanke man unglaublich viel: „Der Spalt war wie ein wissender Motor. Wir sind an den Wochenenden ständig gemeinsam unterwegs gewesen und haben uns alles angeschaut, haben alles analysiert und dann darüber debattiert. Der Spalt hat immer gesagt - Hast du das schon gelesen? Nein? Lies erst, und dann reden wir darüber! Wir haben in der Bibliothek nach Informationen gesucht, aber es gab kaum etwas.“

Also wurden Bücher und Zeitschriften importiert und von englischsprachigen Freunden übersetzt. Die jungen Architekten studierten die schwedische Moderne, den Schweizer Siedlungsbau, die großen österreichischen Emigranten wie Richard Neutra, die Bauten von Josef Hoffmann, Adolf Loos, Josef Frank. „Nachdem jeder von uns ein kaltes Zimmer gehabt hat, in dem das Wasser im Krug gefroren ist, sind wir fast jeden Abend im Kaffeehaus beieinander gesessen, das war fast so etwas wie eine Notgemeinschaft. Aber es war phantastisch.“

Die erste Arbeit unternimmt Gsteu gemeinsam mit Friedrich Achleitner. „Wir haben gemeinsam sein Heimathaus aufgebaut, das abgebrannt war.“ Die beiden gehen eine Bürogemeinschaft ein und arbeiten fünf Jahre zusammen. Achleitner sagt ihm dann: „Du, ich geh jetzt andere Wege, ich fang zu schreiben an.“ Zwischen 1956 und 1958 bauen sie aber gemeinsam noch die Rosenkranzkirche in Hetzendorf um. „Der Pfarrer hat damals gemeint, er wolle keine Roserlkirche haben, wenn es sich um eine Rosenkranzkirche handelt. Wir waren froh, so einen Bauherren zu haben, sonst hätten wir das nicht so radikal umsetzen können.“

Anfang der 60er-Jahre gewinnt Gsteu den Wettbewerb für das Seelsorgezentrum am Baumgartner Spitz in Wien und realisiert dort bis 1965 ein noch radikaleres Konzept: Ein nicht in eine bestimmte Richtung orientierter Raum entspricht architektonisch den Grundaussagen des Konzils von 1962. Gsteu: „Das Wesentliche war für mich, dass die Kirche aus vier Bauteilen besteht, die nur durch Glas und Sprossen miteinander verbunden sind. In der Architekturgeschichte hat sich immer etwas zu einem Spitz oder zu einer Kuppel bewegt, und außen wurden die Kräfte abgeleitet. Doch hier steht jeder einzelne Teil für sich allein.“

Überhaupt - neue Wege zu gehen war immer wichtig und Triebkraft: „Ich habe immer versucht, das zu ändern, was mir bei anderen, gegebenen Situationen als unbefriedigend aufgefallen ist. Bei Wohnbauten waren das die finsteren Gänge oder die nicht gut genutzten Ecken.“

Bis heute entstanden so rund dreißig ausgeführte Projekte, zuletzt etwa erst im Vorjahr die raffinierte Müllsammelstelle am Meidlinger Markt in Wien, die sich hydraulisch öffnen lässt und selbst in der Nacht dank ihrer durchbrochenen Lochblechhaut wie eine urbane Stadtskulptur wirkt. Eine ganz ähnliche Sprache, die der Technik und der Reduktion, sprechen auch Arbeiten wie der 1997 fertiggestellte Nordsteg bei der Nordbrücke auf die Donauinsel oder die fünf Stationen der Wiener U-Bahn-Linie 6.

Der Beruf des Architekten, so Gsteu, habe sich in den vergangenen Jahren im Vergleich zu früher enorm verändert: „Der Druck von allen Seiten ist ein Wahnsinn, es ist unvergleichlich ärger geworden.“ Wenn Bürokratie, Vertrags- und Terminkorsett zu den Hauptentwerfern werden, bleibt die Architektur auf der Strecke.

„Wir leben momentan in einer Übergangszeit, in der man die Tür aufmachen muss, weil alles ausgelaugt ist. Da kommt natürlich frische Luft herein, aber auch Mief. Vieles dessen, was derzeit gebaut wird, ist mir zu persönlich, zu eitel. Ich glaube, dass diese betont originellen Sachen, für die man irgendwelche Preise kriegt, nicht halten werden. Es gehört eine gewisse neutralere Behandlung her. Ich denke, dass eine gute Stangenbekleidung in der Architektur gefragter ist als der Maßanzug. Doch diese Zeiten müssen wir überdauern, damit wieder etwas Neues kommt.“

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