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Profil

Shigeru Ban (* 1957)
Studium am Southern California Institute of Architecture und an der New Yorker Cooper Union
Seit 1985 eigenes Büro in Tokio

Verwendung von Kartonröhren als Baustoff Furore machte. In seinen Bauten verbindet sich ein Sinn für einfache Herstellungsverfahren mit der baumeisterlichen Kenntnis der Moderne. Seine Sensibilität für Materialien erinnert an Alvar Aalto, sein Raumverständnis an Mies van der Rohe. Gerhard Mack, NZZ vom 15.09.2002

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Bauwerke

Presseschau

10. März 2012 Maik Novotny
Der Standard

Aufbauen und erinnern

Ein Jahr nach Beben, Tsunami und Fukushima: Der Schutt ist weggeräumt, langsam beginnt der Wiederaufbau. Japans Architekten helfen nach Kräften dabei mit.

Dieser Tage, exakt ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben vom März 2011, veröffentlichte die japanische Regierung ein Papier namens „Road to Recovery“, das den Weg zum Wiederaufbau detailliert. Um diesen zu koordinieren, wurde im Februar die Reconstruction Agency ins Leben gerufen. Diese soll dabei auf erneuerbare Energien setzen, denn die Wiederherstellung des durch Fukushima international ramponierten Images ist ein vordringliches Ziel.Doch für die 340.000 Japaner, die ihre Häuser, Dörfer und Angehörigen verloren haben, ist PR im Ausland zweitrangig. Bis feststeht, wo ihre Städte überhaupt wieder entstehen werden, brauchen sie ein Dach über dem Kopf.Auch Architekten sind am Wiederaufbau beteiligt: Weltstar Toyo Ito, sonst für edle Sichtbeton-Solitäre bekannt, arbeitet an einem Masterplan mit. Andere helfen bei der Trauerarbeit: Für sein Projekt Gassho (der Name steht für die buddhistische Geste gefalteter Hände) bauten der junge Architekt Koji Kakiuchi und seine Helfer in nur acht Stunden ein simples Dach aus Holz über die Grundmauern eines verwüsteten Ortes. Darunter: eine Sitzbank. Ein Schutzraum für die Überlebenden zum Reden, Schweigen, Erinnern. „Erinnerung ist nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die Toten wichtig“, sagt Kakiuchi. "Das Tragischste überhaupt ist, vergessen zu werden."Auch einer der bekanntesten japanischen Architekten ist dabei: Shigeru Ban. Er ist bereits Experte für bauliche Katastrophenhilfe. Nach dem Erdbeben in Kobe 1995 entwickelte er ein System aus Papprohren, mit dem Notunterkünfte schnell und billig errichtet werden können, mit Trennwänden, die den Opfern ein Maß an Privatheit zugestehen, und gründete das Voluntary Architects Network, um freiwillige Aufbauhelfer unter seinen Kollegen zu sammeln. Auch nach dem Tsunami war das Netzwerk schnell mit dem perfektionierten Papprohrsystem vor Ort. Jetzt, ein Jahr später, baut man als nächsten Schritt Siedlungen aus einfachen Containern, die die Bewohner für die nächsten Jahre aufnehmen, bis ihre Städte wiederaufgebaut sind.

10. März 2012 Maik Novotny
Der Standard

„Helfen ist das Schwierigste!“

Architekt Shigeru Ban ist mit Leichtbaukonstruktionen aus Papier weltweit bekannt geworden. Wie er jetzt den Tsunami-Überlebenden hilft, erfuhr Maik Novotny.

STANDARD: Was hat Sie als etablierten Architekten dazu bewogen, ein Netzwerk von freiwilligen Architekten zu gründen und sich der Katastrophenhilfe zu widmen?

Ban: Ich war von meinem Berufsbild als Architekt enttäuscht. Wir Architekten arbeiten fast immer für die Privilegierten. Sie haben Geld, Macht oder beides und beauftragen uns, ihnen Denkmäler zu bauen, die diese Macht symbolisieren. Das war schon immer so. Mein Büro tut das genauso - im Moment bauen wir zum Beispiel ein Museum. Aber ich möchte meine Erfahrung auch für die Allgemeinheit nutzen. Das ist unsere Verantwortung! Wenn eine Naturkatastrophe passiert und in kurzer Zeit Notunterkünfte benötigt werden, ist von den Architekten meistens weit und breit niemand zu sehen. Dabei könnten wir hier vieles verbessern, wenn wir helfen. Also sollten wir das tun.

STANDARD: Wo stehen Sie im Moment beim Wiederaufbau?

Ban: Wir haben zuerst über 1800 Notunterkünfte für die Evakuierten in Hallen an über 50 Orten im gesamten Gebiet errichtet, mit einem einfachen Stecksystem aus Papprohren, durch das man einfach Privatheit und Sichtschutz herstellen kann. Jetzt, in der zweiten Stufe, bauen wir temporäre Wohnungen in Onagawa in der Provinz Miyagi. Das Problem ist, dass die gesamte Küste sehr felsig ist und es kaum ebene Flächen gibt, auf denen man bauen kann. Die Regierung hatte nur eingeschoßige Bauten vorgesehen, die sehr viel Fläche benötigen. Ich habe daher mehrgeschoßige Bauten aus schnell stapelbaren Containern vorgeschlagen, das ist für solche Zwecke in Japan noch nie gemacht worden.

STANDARD: Benötigen die Menschen nicht mehr als nur Wohncontainer, wenn sie auf unbestimmte Zeit dort wohnen müssen?

Ban: Natürlich. Sie brauchen öffentliche Räume. Die Standardhäuser haben einen Abstand von nur 3 Metern, das ist viel zu wenig, um diese Räume zu schaffen. Wir haben Abstände von 11 Metern, die wir zum Beispiel für Büchereien oder überdachte Märkte nutzen. Zurzeit suchen wir Sponsoren für ein öffentliches Bad. Die Badezimmer in den Wohnungen sind in Japan traditionell sehr klein, und auch in den Containern ist nicht viel Platz.

STANDARD: Für welchen Zeitraum sind die Container ausgelegt?

Ban: Das weiß noch niemand. Die Provisorien können permanent werden, das kann man nicht ausschließen. Es hängt davon ab, wie schnell die neuen Städte fertig werden. Die Notunterkünfte nach dem Beben in Kobe 1995 waren für zwei Jahre geplant, aber selbst danach hatten viele Menschen noch kein neues Zuhause.

STANDARD: Wo finden Sie die Freiwilligen für Ihr Netzwerk?

Ban: Es gibt keine Dauermitglieder. Ich sammle die Freiwilligen vor Ort, manchmal auch aus ganz Japan. Helfer aus dem Ausland müssten wir einfliegen lassen, und das können wir uns leider nicht leisten.

STANDARD: Gibt es Unterschiede, wenn Sie in China, Japan oder woanders Notunterkünfte bauen? Brauchen Japaner mehr Privatheit als andere?

Ban: Es gibt klimatische und kulturelle Unterschiede, und unterschiedliche Baumaterialien. Die Privatheit ist aber nicht das Problem - eher die veralteten Gesetze und Normen, die in Japan temporäre Bauten regeln und die seit ewiger Zeit nicht verbessert wurden. Ich hoffe, dass wir hier einen neuen Standard setzen können.

STANDARD: Werden Sie auch weiterhin vor Ort sein, wenn die Containerdörfer fertig sind?

Ban: Ja. In Onagawa bin ich Teil des Teams für den Masterplan für den Wiederaufbau und plane auch neue Wohnbauten. Eine der größten Aufgaben wird es sein, die Infrastruktur wieder aufzubauen.

STANDARD: Werden die neuen Städte am selben Ort wieder entstehen?

Ban: Nein, die meisten müssen verlegt werden, das hat die Regierung beschlossen. Letztendlich hat aber jeder Ort seinen eigenen Plan zum Wiederaufbau.

STANDARD: Viele Japaner haben kritisiert, dass sich die Regierung aus PR-Gründen zu stark den nuklearen Schäden in Fukushima zuwendet und die Flutopfer vernachlässigt. Stimmen Sie zu?

Ban: Das ist nicht ganz falsch. Aber sehen Sie: Nach einer Katastrophe wird immer die Regierung kritisiert. Die Politik kann nie alles richtig machen. Also müssen wir ihr helfen. Und das kann ich Ihnen sagen: Das Helfen ist die schwierigste Aufgabe von allen.

STANDARD: Trotz aller Schwierigkeiten: Wo werden Sie als Nächstes helfen?

Ban: Das tun wir schon. Im Moment bauen wir die beim Erdbeben zerstörte Kathedrale von Christchurch in Neuseeland wieder auf. Natürlich aus Pappe!

31. Oktober 2008 Marc Zitzmann
Neue Zürcher Zeitung

Ein Hut wächst aus der Erde

Das Centre Pompidou-Metz im Entstehen

Baustellenbesuch in Metz. Bei strahlendem Herbstwetter zeichnen sich die von Computerbildern her bekannten Hauptelemente des im Entstehen begriffenen Centre Pompidou-Metz klar gegen den blauen Himmel ab. Da ist die «Grande Nef» mit ihrer monumentalen Wand von 21 mal 21 Metern. Da ist das Metallskelett des Turms, den dereinst ein 77 Meter hoher Pfeiler krönen wird. Und da sind die drei 85,5 Meter langen kastenförmigen Galerien, die wie Mikadostäbe übereinanderliegen – die oberste ist noch im Bau. Was dem Rohbau fehlt, ist namentlich das stupende Dach, das der japanische Architekt Shigeru Ban für sein bis anhin grösstes Projekt entworfen hat: eine Struktur aus lamelliertem Holz, die an das Flechtwerk eines chinesischen Huts gemahnt und, mit einer halbdurchsichtigen Membran aus Teflon und Glasfasern bespannt, das gesamte Gebäude überzieht – eine skulpturale Tour de Force des Holzbaus.

Den Computerbildern wie auch dem Baustellenbesuch nach zu urteilen, wird das Centre Pompidou-Metz ein architektonischer Wurf. Das Gebäude mit der einprägsamen Silhouette – teils Pilz, teils Amöbe, teils Chinesenhut – vereint Funktionalität, Flexibilität und ikonische Plastizität. Es hat das Zeug zu einem Wahrzeichen. Vor seiner Eröffnung Anfang 2010 wurde jetzt Näheres über sein künftiges Programm bekannt. Bei einer Pressekonferenz vor Ort legte Laurent Le Bon, seit 2005 mit der Leitung des Projekts betraut, Wert darauf, eine autonome Institution vorzustellen. Zwar werde das Centre Pompidou-Metz auf das Netzwerk und auf die fabelhafte Sammlung des Mutterhauses zugreifen können. Aber sein Veranstaltungsprogramm gehorche eigenen Rhythmen und werde auch auf Koproduktionen mit anderen Institutionen beruhen.

Die Eröffnungsschau soll unter dem Titel «Chefs-d'œuvres?» eine Art assoziativ-augenzwinkerndes Best-of der Sammlung bieten. Der ambitiösen Collage von Meisterwerken wird die gesamte Ausstellungsfläche zur Verfügung stehen: 5000 Quadratmeter – und das für mindestens sechs Monate! Die nachfolgenden Schauen dürften vernünftigere Dauern und Dimensionen aufweisen. Daneben locken auch, wie im Mutterhaus, ein Restaurant und Boutiquen, ein «Studio» für Podiumsveranstaltungen, Filmprojektionen, Performances und Bühnenspektakel sowie ein Vorplatz im Freien und ein vielfältig nutzbares Forum im Eingangsbereich, die die Grenze zwischen innen und aussen aufweichen. Dafür beherbergt das Zentrum weder ein Musikinstitut wie das Ircam noch eine Mediathek – eine solche könnte in der Nähe erbaut werden.

Sorge bereitet, dass die Finanzierung eines ambitiösen Veranstaltungsprogramms durch die Gebietskörperschaften bis anhin nicht gesichert ist. Statt den ursprünglich in Aussicht gestellten 10 Millionen Euro für das Jahresbudget ist jetzt nur noch von 7 Millionen Euro die Rede. In Sachen Kulturbauten sind die Augen hierzulande oft grösser als der Magen: Für viel Geld werden Gebäude errichtet, deren Bespielung dann mangels hinreichenden Betriebsbudgets zu wünschen übrig lässt. Shigeru Bans über 60 Millionen Euro teurer Pilzhut verdient ein besseres Schicksal als das einer Architektur-Ikone für Postkartenbilder.

6. Februar 2003 Roman Hollenstein
Neue Zürcher Zeitung

Akzeptabler Entscheid

Zwei Architekturbüros in der Endrunde für das neue WTC in New York

Nun haben sie in Sachen Neubau des World Trade Center einmal mehr entschieden, die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC) und die Port Authority von New York und New Jersey - und zwar geradezu salomonisch. Laviert ihr Urteilsspruch doch zwischen dem exzentrischen Design von United Architects und der Banalität von Peterson Littenberg. Gekürt wurden aus den neun im Dezember vorgelegten Entwürfen die Projekte von Daniel Libeskind und der Architektengruppe Think um den Wahl-New-Yorker Rafael Viñoly und den Japaner Shigeru Ban. Bei beiden handelt es sich um ebenso akzeptable wie durchdachte Arbeiten. Doch könnten sie gegensätzlicher nicht sein, der dekonstruktivistisch um ein 530 Meter hoch in den Himmel stechendes Mahnmal wirbelnde Gebäudekomplex von Libeskind, der nicht ganz frei ist von Sentimentalitäten, und die kühle Doppelhelix der als rund 500 Meter hohes Raumgitter ausgebildeten Zwillingstürme von Think.

Erfreulich ist vor allem, dass die Bauherrschaft nicht - wie ursprünglich befürchtet - auf einen verwässerten Mix aus mehreren Vorschlägen setzte, sondern zwei valable Projekte zur Weiterbearbeitung empfiehlt. Ende Februar soll nun einer der beiden Entwürfe samt zugehörigem Masterplan gekürt werden, teilte die LMDC mit, deren Präsident Louis R. Tomson stolz festhielt, es sei im Rückblick auf die im letzten Jahr durchdiskutierten Vorschläge bemerkenswert, «how much progress we've made». Der siegreiche Entwurf soll dem Publikum vorgelegt und anschliessend weiter verfeinert werden. Zu hoffen ist, dass daraus ein würdiger Nachfolgebau für Minoru Yamasakis Zwillingstürme resultiert, der zum Wahrzeichen und zur neuen Identifikationsfigur für Lower Manhattan werden kann.

7. Dezember 2002 Marion Kuzmany
Spectrum

Badewanne mit Ausblick

Zwei Ausstellungen in Wien, zweimal junge Architektur, einmal aus Japan, einmal aus Österreich: von Papier, Kartonröhren, Wohnraum auf Autoabstellplätzen - und was einem hierzulande mitunter japanisch vorkommen kann.

Fünfundvierzig unter 45": Im Ausstellungszentrum im Wiener Ringturm werden derzeit 45 junge japanische Architekten und Architektenteams vorgestellt, deren Werdegang Vielversprechendes erkennen läßt. Darunter auch einige etablierte Größen - wie Kazuyo Sejima, ehemalige Mitarbeiterin bei Toyo Ito und bekannt durch ihre überaus feine Glasarchitektur, oder Shigeru Ban, der seine Lehrjahre bei Arata Isozaki absolviert hat und dessen innovative Konstruktionen aus Papier international renommiert sind.

Der Gesamteindruck der Schau spiegelt durch die Mannigfaltigkeit ihrer Projekte in vielerlei Hinsicht japanische Werte und Gegebenheiten wider: Tradition, Materialverbundenheit, Vergänglichkeit und Ästhetik stehen im Kontext zur gegenwärtigen urbanen Situation.

Traditionelle Bau- und Lebensweisen sind am besten bei Masatoshi Yashimas Kindergarten spürbar: „Fantasia 1, 2 und 3“ sind einfache, auf die Aktivitäten und den Maßstab der Kinder angepaßte Holzgebäude mit weit auskragenden Dächern, niedrig situierten Fenstern und großzügig offenen Holzterrassen. Das Leben und Schlafen spielt sich nach herkömmlichem Brauch auf dem Boden ab.

Die japanische Tradition des Papiers ist an mehreren Projekten in unterschiedlicher Weise zu finden. Shigeru Ban etwa setzt Papier konstruktiv in Form von Kartonröhren in seinen Bauwerken ein. Der japanische Pavillon für die Expo Hannover 2000, die „Paper Gallery“ für Issey Miyake in Tokio und die „Paper Church“ in Kobe zählen dazu. Der Umstand, daß in Ballungsgebieten wie Tokio und Umgebung Grundstückspreise oft über den Baukosten liegen, und das Bewußtsein für die in der Geschichte immer wiederkehrenden, alles zerstörenden Erdbeben sind neben der buddhistischen Philosophie Gründe für die temporäre asiatische Architekturauffassung im Gegensatz zur europäischen. Daher gibt es auch keine Tradition der Restaurierung.

Formal herausragend sind nicht nur Kazuyo Sejimas Entwürfe, sondern auch die graphische Darstellung ihrer Grundrisse und die Komposition ihrer Projektphotos, die per se schon als Kunstobjekte betrachtet werden können. Der Stellenwert, den das Photo hier im Vergleich zum realen Projekt und im täglichen Leben gegenüber tatsächlichen Situationen einnimmt, ist in Japan generell auffällig hoch.

Fast kindlich wiederum mutet die 1997 von Satoshi Okada für einen Videokünstler geplante Villa „man-bow“ an, die aus zwei voneinander unabhängigen Baukörpern, einem ellipsoidischen und einem quaderförmigen, besteht. Wie ein soeben gelandetes Ufo aus einem Comicstrip ragen die schwarze Schachtel und das mit bräunlich schimmernden Kupferplatten überzogene Ei auf je sechs dünnen weißen Stützen aus den Baumwipfeln des steilen Grundstücks in seiner dörflicher Umgebung südlich von Tokio.

Unter den 13 nicht ausgeführten Projekten finden sich einige experimentelle Ansätze, die aus der gegebenen Stadtsituation resultieren. Kenichi Inamura, ein Mitarbeiter der Shimizu Corporation, präsentiert ein virtuelles Büro der Zukunft, den „Tunable Club“. Dreidimensionale Diagramme von Abläufen der „workspaces“, „workstyles“ und „collaboration units“ beschreiben hier eigentlich Zustände, die in einer Stadt wie Tokio bereits zu finden sind. Analysen komplexer Funktionsabläufe sind im Prinzip nichts anderes als Versuche, den vorhandenen Organismus „Metropole“ aus Verkehr, Menschen, Aktivitäten, Gebäuden, Bildwänden, Reklameschildern, Zügen und Lautsprechern abzubilden, den permanenten Informationsfluß und Datenaustausch rationell zu fassen und daraus Architektur zu generieren.

Visionäre Projekte sind immer mit kollektiver Rationalisierung unter Zusammenfassung gemeinschaftlicher Aktivitäten verbunden. Sei es durch parasitäre Formen, die sich der bestehenden Struktur mit der Zielsetzung, diese zu verbessern, unterordnen oder durch radikale Satellitenstädte.

„Polyphonic City“ ist hier ein Beispiel der radikalen Variante: Die für New York visionierte vertikale „Stadt in der Stadt“ besteht aus einem Konglomerat von miteinander vernetzten Hochhäusern, das durch inhärente städtische Funktionen autark sein kann.

Im Gegensatz dazu stehen zwei hier gezeigte, individuelle Projekte, die sich am Ist-Zustand orientieren und sofortige Lösungen für stadträumliche Problemzonen anbieten. Rikuo Nishimori etwa hatte die raffinierte Idee, containerartige Boxen in die als Autoabstellflächen vorgesehenen, zurückgesetzten Erdgeschoßflächen einzuschieben. Die Container sind als einfache Rahmen konstruiert und wahrscheinlich auf diese Weise auch nur in Japan möglich, wo man bauphysikalischen Fragen weniger Bedeutung beimißt.

Ein Stadtbild, das alle jene Freiräume unter den ersten Geschoßen auf diese Weise füllt, ist durchaus vorstellbar, allerdings wohl nur unter der Voraussetzung, daß die Bewohner auf ihr Auto zugunsten des neugewonnenen Raums verzichten. Kisho Kurokawa, der bereits 1970 den legendären Nakagin Kapselturm, ein austausch- und additierbares System von Minimal-Raumzellen um einen Versorgungsschacht, in Tokio realisierte, meint, daß in 200 Jahren die Stadt nur noch aus derartigen Bauwerken besteht. Vielleicht auch schon früher.

Die Architektengruppe Mikan andererseits beschäftigt sich mit einer für flexible städtische Anwendungen hervorragend geeigneten Problemlösung, und zwar mit transportfähiger Architektur. Das Projekt KH-2 ist ein mobiles Café, das auf einem Modulsystem aus zylindrischen Elementen und abnehmbaren Verbindungsteilen besteht, die in beliebiger Anzahl zu einer sowohl komplett offenen als auch geschlossenen Gesamtform kombiniert werden können.

Gleichzeitig mit „45 unter 45“ ist der dritte Teil von Otto Kapfingers „emerging“-Reihe im Architekturzentrum Wien zu sehen, die ganz im Zeichen der jungen heimischen Architekturszene steht. Trotz des grundverschiedenen kulturellen Ursprungs, der unterschiedlichen Größe der Länder und Anzahl der Menschen, der daraus resultierenden Probleme und daher divergierenden urbanen Situation sind in der Architektur zahlreiche Parallelen auf gestalterischer Ebene zu bemerken. Viele Formen der traditionellen japanischen Bauweise finden sich auch in der neuen österreichischen Architektursprache: geradlinige und reduzierte Formen, Bezüge zwischen Innen- und Außenraum, flexible Raumnutzung, Schiebeelemente als raumhohe Türen und Fenster.

Die Zwischenraumzone „Engawa“ etwa, eine dem Wohnbereich mit beidseitigen Schiebewänden vorgelagerte Art von Veranda, ist in neuinterprätierter Ausformung sowohl in der zeitgenössischen japanischen als auch in der zeitgenössischen österreichischen Architektur oftmals präsent.

Das 1997 fertiggestellte „Haus C.“ in Graz der Architekten Feyferlik/Fritzer gibt dafür ein gutes Beispiel: aufschiebbare Glaselemente öffnen sich Richtung Garten und gewähren auch der Badewanne direkten Bezug zum Außenraum. Das Gesamtbild des Hauses und seine Positionierung in die Landschaft erinnern an japanische Konzepte.

Daigo Ishiis „Landhaus C“ wurde für die schneereichste Region Japans geplant. Verbüffend ähnlich wirken die um 2000 geplante Reihenhausanlage und Wohnbox der Architektengruppe Holz Box Tirol. Hier sind klimatische Parallelen und die formal reduzierte Anwendung des Werkstoffes Holz wohl für die formale Assoziation ausschlaggebend. Die räumlich raffiniert ausgeklügelte „Minibox“ gleichnamiger Tiroler Architekten thront auf einem Innsbrucker Dach und wäre in dieser Form durchaus in Japan vorstellbar.

Auch das Projekt „turnOn“ der Architektengruppe AllesWirdGut ist nicht frei von Anmutungen ans japanische Formenrepertoire. Das an ein Hamsterrad erinnernde Objekt enthält sämtliche Möbel aus einem Guß, die durch das Weitergehen innerhalb des Rads benützbar werden. „turnOn“ wäre eine Antwort auf die vorgefertigten japanischen Plastikboxen als Badezimmer und Konsequenz der extrem beengten Wohnverhältnisse. Es hätte zum Beispiel im „Mini Haus“ von Yoshiharu Tsukamoto und Momoyo Kajima Platz, dessen Breite sich auf die Länge des davor geparkten Autos „Mini“ beschränkt!

[ Die Ausstellung „45 unter 45 - Junge Architektur aus Japan“ ist noch bis 31. Jänner im Ausstellungszentrum im Ringturm (Wien I, Schottenring 30) Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr zu sehen, „emerging architecture 3“ noch bis 10. März im Architekturzentrum Wien (Wien VII, Museumsplatz 1) täglich 10 bis 19 Uhr. ]

4. Oktober 2002 Rahel Hartmann Schweizer
Neue Zürcher Zeitung

Ein Symbol für New York

Sechs Teams planen für Ground Zero

Mitte Juli präsentierte die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC), die im Auftrag des Gouverneurs George E. Pataki die Planung auf Ground Zero vorantreibt, sechs Projekte für das Gebiet des ehemaligen World Trade Center, die bei der Bevölkerung auf wenig Begeisterung stiessen. Die LMDC sah sich genötigt, das Verfahren zu öffnen und international Architekten einzuladen. Nun hat sie aus 27 Bewerbern sechs Architekten bzw. Architektenteams ausgewählt: Daniel Libeskind, Norman Foster, eine New Yorker Gruppe (Richard Meier, Peter Eisenman, Charles Gwathmey, Steven Holl), ein sich United Architects nennendes Team (Foreign Office Architects, Imaginary Forces, UN Studio), eine Arbeitsgemeinschaft unter der Federführung von Skidmore, Owings & Merill (u. a. mit Michael Maltzan und SANAA) sowie ein Team mit Shigeru Ban, Frederic Schwartz, Ken Smith und Rafael Vinoly. Bis Ende November sollen sie konkrete Projekte ausarbeiten, die ein Memorial, Detailhandelsgeschäfte, Einrichtungen für den öffentlichen Verkehr und Büroraum enthalten. Ausserdem soll die Bebauung das Potenzial haben, zu einem New Yorker Symbol zu werden. Die LMDC will aus den Arbeiten einzelne Komponenten oder auch integrale Entwürfe selektieren, um die Zahl der Projekte bis Ende Jahr auf drei zu reduzieren.

28. Mai 2002 Bernadette Fülscher
Neue Zürcher Zeitung

Bauen für den Notfall

Eine Ausstellung in Freiburg

Unterkünfte für Minderbemittelte und Obdachlose brauchen weder langweilig noch hässlich zu sein - wie eine Ausstellung im Centre d'Art Contemporain (FRI-ART) in Freiburg zeigt. Unter dem Titel «Architecture de l'urgence» werden Bauvorhaben präsentiert, die einfach und preisgünstig herzustellen sind und Witterungsschutz gewährleisten. Erwähnt seien die an der letzten Architekturbiennale in Venedig präsentierten Papierhäuser von Shigeru Ban, die aus Kartonröhren bestehen. Sie haben sich in Kobe als Notunterkünfte für Erdbebenopfer bewährt und stossen nun in der Türkei auf Interesse. Aufmerksamkeit erheischen aber auch Bauten für Bedürftige im Süden der USA. Sie wurden vom jüngst verstorbenen Architekturprofessor Samuel Mockbee entworfen und von Studenten des Rural Studio errichtet. In den mit Heuballen isolierten Häusern haben sich Grossfamilien behaglich eingerichtet.

Pavillons aus gestapelten Abfallmaterialien erinnern an die experimentelle, aber weit kostspieligere Fassadenästhetik europäischer Architektur und damit an das ungenutzte Potenzial innovativer Ideen für soziale Zwecke. Entsprechend scheint sich die unprätentiöse Inszenierung, die sich auf kleinformatige Fotos, einige Pläne und zwei Grossleinwände beschränkt, von den üblichen Architekturausstellungen distanzieren zu wollen, um sich verstärkt den Inhalten zu widmen. Die Ausstellung versucht aber auch durch schöne Ideen zu verführen: Mit «ParaSites» schlägt der New Yorker Michael Rakowitz eine einfache Tragluftkonstruktion aus hauchdünnem Plastic vor. Mittels einer überdimensionierten «Nabelschnur» kann sie am Abluftrohr einer Klimaanlage angeschlossen und gefüllt werden, so dass ein Objekt entsteht, das Obdachlosen als Zelt und Luftmatratze zugleich dient. Aber erst die Alltagstauglichkeit lässt die hier präsentierten Projekte aus dem eng gefassten Architektur- und Kunstdiskurs heraustreten.


[Bis zum 2. Juni im Centre d'Art Contemporain de Fribourg FRI-ART (Petites-Rames 22).]

1. Februar 2002 Hubertus Adam
Neue Zürcher Zeitung

Die Leichtigkeit des Materiellen

Neue japanische Bauten von Shigeru Ban

Der Tokioter Architekt Shigeru Ban hat Pappe als Werkstoff in die zeitgenössische Architektur eingeführt. Mit dem japanischen Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover sorgte er im vergangenen Jahr für Aufsehen. Obwohl Ban in Japan weniger bekannt ist als in Europa, entstanden dort weitere wichtige Werke, darunter ein Kindermuseum.

Innerhalb der japanischen Architektenszene gilt der 1957 geborene Shigeru Ban, der 1985 sein eigenes Büro in Tokio eröffnete und besonders durch die Rehabilitierung des Werkstoffs Pappe bekannt wurde, eher als Aussenseiter, und vielleicht wird ihm in Europa derzeit mehr Aufmerksamkeit zuteil als im ostasiatischen Inselstaat. Nach der Realisierung des japanischen Pavillons für die Expo in Hannover ist Ban derzeit in Frankreich tätig: Ein Bootshaus und ein Museum für das Centre Interpretation Canal de Bourgogne in Pouilly-en-Auxois sollen zu Beginn des kommenden Jahres fertig gestellt sein.

Von seinem Expo-Pavillon und einem in drei Varianten vorliegenden Entwurf für eine temporäre Guggenheim-Dépendance in Tokio abgesehen, ist Ban bislang vor allem als Meister der kleinen Form in Erscheinung getreten. Eine seiner schönsten und überdies öffentlich zugänglichen Bauten entstand im vergangenen Jahr in der Nähe von Kakegawa, einem Shinkansen-Halt auf halbem Weg zwischen Tokio und Osaka. Zwanzig Minuten benötigt das Taxi, dann hält es inmitten üppigster Vegetation vor dem Children's Art Museum von Nemunoki. Fern der städtischen Zivilisation befindet sich hier, umgeben von Teefeldern, dicht bewachsenen Hängen und Blumenwiesen, das Kinderdorf Nemunoki Gakuen. Das einsam auf dem Hügel gelegene Ausstellungsgebäude, in dem Zeichnungen der geistig und körperlich behinderten Dorfbewohner gezeigt werden, ist ein dreieckiger, ringsum verglaster Pavillon, der sich durch Stellwände flexibel unterteilen lässt. 15 runde Stützen tragen die aus einem Dreiecksraster bestehende Dachkonstruktion. Eine helle transluzente Plasticfolie dient als Wetterschutz, ermöglicht aber zugleich die Belichtung des Innenraums, bei dem auf elektrische Beleuchtung verzichtet wurde: Der Ausstellungsraum ist jeweils nur bis zum Anbruch der Dunkelheit geöffnet. Rot und gelb lackierte Metallboxen bergen die nötigen haustechnischen und sanitären Installationen; Eingang und Kassenzone mit einem Tresen aus Papprohren befinden sich an der einen Spitze des gleichseitigen Dreiecks.

Die Deckenkonstruktion wurde speziell für diesen Bau entwickelt, kurz danach aber in vertikaler Anordnung für die Stirnseiten des Japanischen Pavillons in Hannover adaptiert. Ban entwickelte einen Raster aus durch Wabenstrukturen versteiften Karton-Verbundplatten. Wie schon in seinen «Paper Tube Structures» sowie den experimentellen «Case Study Houses» verbinden sich innovative Konstruktion und eine reduktionistische Ästhetik auch beim Kindermuseum auf das Überzeugendste.

Leicht, hell und freundlich, wie für Shigeru Bans Bauten charakteristisch, wirkt auch «Ivy Structure 2» im Stadtviertel Minato-ku in Tokio. Das eigentliche Gebäude wird hier durch eine gerüstartige, efeuberankte Metallstruktur umgeben und ist mit dieser konstruktiv verbunden. Dass das Tragwerk sich nicht auf das Haus selbst beschränkt, sondern Inneres und Äusseres verzahnt, ist ein Gedanke, den Ban schon mehrfach in seinen Projekten thematisierte. Ein weiterer Neubau in der Innenstadt von Osaka knüpft an die Erfahrungen an, die Ban mit den «Ivy Structures» gewonnen hatte: Eine Kaskade von fünf holzbeplankten Plattformen dient dem orthogonalen Volumen als (seitliche) sekundäre Erschliessung, als Fluchttreppe und verschafft den Angestellten auf den verschiedenen Niveaus überdies Aussensitzbereiche, an denen es im dicht bebauten zentralen Bereich der zweitgrössten Stadt Japans sonst mangelt.

Das jüngste Material in Bans Palette ist Sperrholz. Gemeinhin für die Herstellung von Möbeln eingesetzt - erinnert sei hier an Charles Eames und Arne Jacobsen -, nutzt der Japaner den leichten und verformbaren Baustoff nun im grossen Massstab. So besteht die im Mai fertig gestellte Kindertagesstätte des Imai-Hospitals von Odate aus einer tunnelähnlichen, im Querschnitt kreisrunden Konstruktion von LVL (laminated veneer lumber) genannten, streifenförmigen Holzleimbindern. Eine Weiterentwicklung stellt die in diesen Tagen vollendete Sporthalle der gleichen Institution dar: Streifen von LVL wurden zu einem gitterförmigen Netzwerk zusammengefügt, das einen Raum von 20×28 Metern stützenfrei überspannt. Aufs Neue zeigt sich, wie preiswerte herkömmliche Baustoffe Eingang in innovative Konstruktionen finden. Wo andere Architekten mit elaborierten High-Tech-Materialien operieren, verwendet Ban - hierin ganz der japanischen Tradition verhaftet - das Naheliegende, um ihm eine eigene Poesie zu entlocken.

22. Dezember 1999 Hans Hartje
Neue Zürcher Zeitung

Ökonomische Architektur

Zwei Ausstellungen im Pariser IFA

Im Pariser Institut français d'architecture (IFA) sind gegenwärtig zwei Ausstellungen zu sehen, die auf den ersten Blick nichts, bei genauerem Hinsehen indes einen ganz wesentlichen Aspekt gemein haben: den der grösstmöglichen Ökonomie der bautechnischen Mittel in finanziell mageren Zeiten. Jean Prouvé hat sich in der Nachkriegszeit mit Stahlskelettfertigbauten einen Namen gemacht, in denen eine grosse Zahl von lothringischen Kriegsopfern ein erstes Dach über den Kopf fand. Ein Exemplar dieser Wohneinheit ist im Innenhof des IFA zu besichtigen, neben einer zeitgenössischen Variante aus Pappkarton, die der japanische Architekt Shigeru Ban in Kobe nach dem schweren Erdbeben vom Zeichenbrett in die zerstörte Stadtlandschaft gezaubert hat. Prouvé, dessen ganzes weiteres Wirken auf die Entwicklung serienreifer Fertigteile für den Fassadenbau gerichtet war, steht nun unwillkürlich Pate für eine Flut von Universitätsneubauten, die im Rahmen des Plans U2000 in ganz Frankreich aus dem Boden gestampft worden und die das Sujet der zweiten Ausstellung sind. War Prouvé noch weitgehend auf Stahl und Glas angewiesen, so verfügen die heutigen Architekten über eine reiche Palette an Formen, Farben und Materialien, von denen sie sich mit offensichtlicher Experimentierfreude zu immer neuen Kombinationen anregen lassen. Der städtebauliche Schaden, den monotone Wohnblöcke, Einkaufszentren oder Lagerhallen an der Peripherie von Frankreichs Städten angerichtet haben, ist auf die Art wenigstens stellenweise «wiedergutgemacht» worden. Den Studenten, die oft in Schulen gross geworden sind, für die von Prouvé nur der Aspekt «Sparen am Bau» übernommen wurde, kann es recht sein.

Hans Hartje


[ Bis 9. Januar. Jean Prouvé: Il faut des maisons usinées. Edition Messène, Paris 1999. 30 S., fFr. 50.-. ]