Akteur

Yona Friedman

Der Stoff, aus dem die Räume sind

Französisches Raumgefühl im Guggenheim Museum SoHo

Einen Überblick über die Architektur, das Design und die Kunst Frankreichs aus den letzten vierzig Jahre zu geben, ist Ziel einer Ausstellung im Guggenheim Museum SoHo in New York. Die Kuratoren verzichten auf eine strikte Trennung der Gattungen und stellen die Frage nach dem Umgang mit dem Raum ins Zentrum ihrer Überlegungen.

23. Dezember 1998 - Hubertus Adam
Es war keineswegs zufällig, dass Renzo Piano und Richard Rogers im Jahr 1970 – in einer Phase umfassender Veränderungen der französischen Gesellschaft – den Wettbewerb für das Centre Pompidou gewannen. Die Kulturmaschine, welche die Architekten an den Rand des Marais-Viertels stellten, sagte einem elitären Bildungsverständnis den Kampf an und schaffte zugleich doppelten Freiraum: in konzeptioneller Hinsicht, weil die Neutralität des Inneren eine Vielfalt unterschiedlicher Nutzungen zulässt, aber auch im urbanistischen Sinne, da das aufragende Volumen eine vorgelagerte Leerfläche schafft, die als Bühne, ja als Agora im Zentrum von Paris dient.


Anschauliche Präsentation

Nicht ohne Grund wurde die derzeit im Guggenheim Museum SoHo in New York präsentierte Ausstellung unter dem Titel «Premises. Invested Spaces in visual arts, architecture & design from France 1958–1998» massgeblich vom Team des zurzeit auf Grund einer Generalsanierung geschlossenen Centre Pompidou vorbereitet. Die umfangreiche, von Bernard Blistène, Alison M. Gingeras und Alain Guiheux kuratierte Schau sucht die Kategorien Raum und Ort als theoretisches Instrumentarium für einen Tour d'horizon durch die vergangenen vierzig Jahre französischer Kunst- und Architekturentwicklung fruchtbar zu machen. Der Titel ist geschickt gewählt, oszilliert er doch dank seiner Ambiguität zwischen den Bedeutungen Ort/Raum und Gedanke/Prämisse, umfasst also einen theoretisch-programmatischen ebenso wie einen architektonisch-pragmatischen Zugriff. Bildende Kunst – vornehmlich in Form von Installationen, die zum Teil eigens für die Ausstellung angefertigt wurden – und Bauten werden in New York vielfältig zueinander in Beziehung gesetzt; hinzu treten Videopräsentationen und Arbeiten aus dem Bereich Design. Die Kuratoren haben ihre Schau in zehn Abteilungen gegliedert, die alternierend der Kunst und Architektur gewidmet sind; so werden Nähen provoziert und zugleich Zäsuren akzentuiert. Anstelle einer chronologischen Ordnung entschied man sich für diachrone Schnitte durch das in Überfülle präsentierte Material.

Transluzente Gazevorhänge trennen die Architekturbereiche von den übrigen Abteilungen. Dabei dient der weisse Stoff zugleich als Folie für omnipräsente Diaprojektionen, die – neben einer Vielzahl von Architekturmodellen aus der Sammlung des Musée national d'art moderne – die Anschaulichkeit der Ausstellung garantieren. Unter dem Schlagwort «Form versus relation» beginnt die Ausstellung mit der Kritik am CIAM und am Formalismus des späten Le Corbusier, wie sie von Peter und Alison Smithson vorgetragen und in den Entwürfen von Candilis/Josic/Woods sowie im futuristischen Konzept der Ville spatiale von Yona Friedman aufgenommen wurde. Gegenübergestellt finden sich zeitgenössische Arbeiten von Künstlern, deren Arbeiten ebenfalls die strikte Abgrenzung von privater und öffentlicher Sphäre in Frage stellen: die Plakatabrisse von Raymond Hains, eine Rauminstallation von Daniel Spoerri und ein von Arman devastiertes Interieur. Es folgt – unter dem Titel «Sites of memory» – die Auseinandersetzung mit der individuellen und kollektiven Erinnerung (Jean Dubuffet, Louise Bourgeois, Christian Boltanski) und im Bereich «Enclosures» die Thematik des repressiven Raums.

In diesem Kontext lassen sich die Raumzellen von Absalon und die Käfiginstallationen von Jean-Marc Bustamante durchaus in Verbindung bringen mit den Versuchen von Architekten wie Jean Renaudie, Lucien Kroll und Christian de Portzamparc, durch partizipatorisches Bauen oder Adaption ortsspezifischer Elemente neue Standards für den Massenwohnungsbau zu setzen. «The fabrication of architecture» behandelt die Liaison von Architektur und industrieller Ästhetik, für die Bauten von Jean Prouvé, Piano und Nouvel als paradigmatisch gelten können, «Fragment versus container» kontrastiert geschlossene und offene Form: Frédéric Borels zerklüftete Häusergruppe in der Pariser Rue Oberkampf zum einen, Dominique Perraults Berliner Velodrom zum anderen. Gerade in der jüngeren, durch die Medienwirklichkeit geprägten Zeit aber scheinen sich die bisher konstitutiven Oppositionen von privat und öffentlich oder offen und geschlossen zu verschleifen. In den Bauten und Projekten von Bernard Tschumi und Rem Koolhaas oder auch dem in Ausführung befindlichen Metafort Media Research Center in Aubervilliers von Finn Geipel und Nicolas Michelin zeigt sich ein neues Verständnis von Architektur. Collagen und Brüche werden bewusst in Kauf genommen; es handelt sich um synthetische Projekte, die heterogene Raumkonzepte miteinander verbinden.


Anregung zum Denken

Zweifellos ist der Versuch spannend, die zumeist getrennten Bereiche Architektur und Kunst gemeinsam zu fokussieren. Allerdings lässt sich kaum verhehlen, dass es der von den Kuratoren vorgegebenen Systematik an Trennschärfe mangelt. So wirkt die Zuordnung der Objekte zu den einzelnen Ausstellungsbereichen bisweilen eher beliebig; eine andere Gruppierung der Exponate könnte vermutlich kaum weniger Plausibilität beanspruchen. Auch wenn manches nebulös bleibt, muss man doch anerkennen, dass es den Ausstellungsmachern gelungen ist, zwei getrennte Kunstgattungen zueinander in Beziehung zu setzen. Ob es anlässlich von Konfrontation und Reibung zum Funkenschlag kommt, bleibt dem Empfinden des Betrachters überlassen. Zu denken aber gibt die Schau allemal. Und das ist in Zeiten, da Kunstausstellungen dem ästhetischen Solipsismus huldigen und Architekturpräsentationen sich in geistlosen Werkdokumentationen erschöpfen, nicht wenig. (Bis 10. Januar)


[Katalog: Premises. Invested Spaces in Visual Arts, Architecture & Design from France: 1958–1998. The Solomon R. Guggenheim Foundation, New York 1998. 544 S., $ 45.–.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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