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Bregenz (A)

Bernardo Bader: „Für mich gibt es keine Abkürzungen“

6. Februar 2022 - Duygu Özkan
Der internationale gefeierte Architekt Bernardo Bader gestaltet die Vorarlberger Baulandschaft aktiv mit. Gerade in alpinen Gegenden, aber auch im Wohnbau passiere im selbst ernannten Architekturland viel „Beschämendes“, sagt er. Und Investoren würden die Entwicklung in eine falsche Richtung lenken. Ein Gespräch über Sinne und Dichte.

Wir haben in den vergangenen zwei Jahren viel Zeit zu Hause verbracht. Was machen diese Tage mit einem Architekten, zumal Sie Ihr Haus selbst gebaut haben? Fallen dann Dinge auf, die sonst der Alltag schluckt?

Bernardo Bader: Während der Pandemie bin ich jeden Wochentag zur Arbeit gefahren, ich war meist allein im Büro. Ich mag die Distanz zwischen Arbeiten und Wohnen. Und die Dualität von Stadt und Land. Meine Art zu arbeiten braucht viel Zeit, manchmal zum Leidwesen meiner Mitarbeiter und meiner Frau. Am eigenen Haus habe ich ewig herumgeknetet und unzählige Modelle gebaut. Aber wenn es dann einmal gut ist, ist es gut, dann kann ich loslassen.

Sie haben Ihre Studienzeit in Innsbruck so aufgeteilt, dass Sie die Hälfte der Woche trotzdem zu Hause im Bregenzerwald waren. Beide Orte haben Sie ausgebildet. Wie?

Ich habe die akademische Ausbildung sehr geschätzt, aber es war mir unter dem Strich zu wenig. Ich möchte nicht zu stark im Intellektuellen verhaftet sein. Für mich hat Bauen ganz viel mit dem Ansprechen von allen Sinnen zu tun, mit dem starken Dialog von Ort und Mensch. Das sind Themen, die auf einer Architekturschule eher wenig vermittelt werden.

Was Sie also in Innsbruck nicht gelernt haben, haben Ihnen der Schreiner und Handwerker zu Hause beigebracht?

Das stimmt sicher. Hier gibt es eine handwerkliche Stringenz, das hemdsärmelige Herangehen. Das war mir immer wichtig. Mir ist es aber zu wenig, die Sachen technisch perfekt zu machen, was wiederum für einen Tischler vielleicht genügt. Aber für den Architekten soll es eine weitere Dimension geben, und für mich ist das die menschliche Wahrnehmung. Das sind Sachen, die man schwer erklären kann, es ist sehr intuitiv. Das intuitive Arbeiten verlinkt Nutzer und Gestalter stärker und bringt die Architektur etwas weg von dieser ideologischen Ebene.

Sie haben von den Sinnen gesprochen. Wie kann beispielsweise Beton alle meine Sinne ansprechen?

Ich würde die sinnliche Erfahrung ganz unabhängig vom Material sehen. Und oft sind es nicht die Materialien selbst, sondern wie sie miteinander arrangiert sind, wie sie zusammenkommen. Für mich müssen vor allem Innenräume einen Nachhall haben: Wenn mich der Raum körperlich berührt und mehrere Sinne anspricht, wenn die Gesamtkomposition stimmt, dann ist es gelungen: Es wurde ein Körper geformt, der für andere Körper bestimmt ist. So etwas kann man nicht schnell mit einer Liste abarbeiten. Es ist ein langes Arbeiten, und für mich gibt es da keine Abkürzungen. Vielleicht liegt dies auch daran, dass ich stark analog arbeite.

Wenn wir bei den Sinnen bleiben: Architektur erschließt sich uns zunächst über die visuelle Wahrnehmung.

Ich glaube, dass Architektur heute immer mehr nur für das Auge und die Kamera gemacht wird. Für Instagram. Das finde ich sehr schade, denn Architektur sollte Körper und Geist ansprechen. Wir haben zum Beispiel Kindergärten geschaffen, und da kann es nicht darum gehen, lediglich dem baulichen Rahmen eine gute Hülle zu verpassen. Wie können die Kinder ganzheitlich angesprochen werden? Es geht dabei um Lichtstimmungen, um Weite und Dichte im Raum, um die haptischen Erfahrungen. Wenn Architektur erlebt wird, erschließt sie sich erst vollumfänglich. Das bloß Ausgedachte ist nicht mein Anspruch. Wenn ich sehe, wie die Kinder die Räume benutzen, dann habe ich die Bestätigung, dass wir etwas Sinnstiftendes erarbeitet haben.

Heute brauchen immer mehr Menschen schneller Wohnraum. Ist Ihr Ansatz kompatibel mit dieser Schnelllebigkeit?

Ja, heute sind Lösungen gefragt, ohne groß zu hinterfragen. So wie das schnelle Bild gefragt ist. Für manche Aufgaben sind wir einfach die Falschen. Wir sehen Architektur nicht als kommerzielle Tätigkeit oder Wirtschaftszweig. Natürlich gibt es auch Momente, in denen wir Kompromisse eingehen, aber wir planen keine Bauten, bei denen es vorrangig um Investment geht.

Gerade in Vorarlberg passiert da viel. Wohnen ist wahnsinnig teuer geworden, wenn man Wohnraum kaufen will, muss man fast die Seele verkaufen. Und dann sind die Bauten oft leblose Klötze in der Landschaft.

Durch Corona hat sich das nochmals potenziert. In Vorarlberg gibt es sowohl beim Wohnbau als auch bei Investorenprojekten im alpinen Bereich schwere Versäumnisse. Beim Wiener Wohnbau hab ich manchmal auch Schwierigkeiten, aber dort ist der Zugang deutlich innovativer. Es ist beschämend, wie Investorenprojekte und zu großen Teilen auch der Wohnbau im selbst ernannten Architekturland Vorarlberg funktioniert. Hier sollte etwa das Modell der Errichtergemeinschaft wiederbelebt werden. In den 1970ern und 1980ern haben sich Menschen zusammengetan, Grundstücke gekauft und Wohnprojekte gemeinsam realisiert. Da gab es sehr vorbildliche Sachen, und die Bauten sind noch immer in Familienbesitz. Natürlich ist die Ressource Boden knapp, aber die öffentliche Hand hätte noch Spielraum, um solche Projekte zu initiieren. Sie tut sich ja auch nichts Gutes, wenn Wohnquartiere errichtet werden, die lediglich der Geldanlage dienen und später zu sozialen Brennpunkten werden.

Wird nachhaltiges, intelligentes Bauen noch mehr ein Minderheitenprogramm für Menschen mit Geld und Zeit?

Architekturqualität ist zuerst eine Haltungsfrage. Wir bauen nicht nur für Leute, die viel Geld haben. Nur wenn jemand keine Zeit hat, dann wird es schwierig, aber mit dem Geld, das ist nicht so dramatisch. Aber natürlich ist es auch ein Minderheitenprogramm.

Der Autor Arno Ritter hat über Ihre Bauten geschrieben, dass diese in Würde altern können. Das klingt sehr simpel, ist gleichzeitig aber ein Maximalanspruch an einen Bau. Was muss ein Gebäude erfüllen, damit genau das passiert?

Ich muss das Gebäude über einen Lebenszyklus betrachten: Hier wird gelebt, geheizt usw. Und: Wenn ein Haus unseren Geist und unsere Sensorien anregt, wenn es zeitlos konzipiert ist, dann wird es sehr lang einen guten Dienst tun. Bei uns im Bregenzerwald stehen solche alten Häuser, die haben heute noch einen unglaublichen Charme, und sie lassen sich auch in unsere Zeit transformieren. Weil es hier eine Stimmigkeit und ein gutes Fundament gibt. Diese Häuser werden nicht so schnell niedergerissen, weil sie den Leuten nicht mehr gefallen oder weil sie einer Mode nicht entsprechen.

Nun ist Wohnbau der eine Teil der Entwicklung, der andere ist, wie in Vorarlberg innovative Symbiosen entstehen. Man kann live dabei zusehen, wie Architekten gemeinsam mit der Bevölkerung eine eigene Baukunst erschaffen.

Ja, und diese Entwicklung in ein paar Sätzen zu erklären ist schwierig. Man kann über eine ländliche Region nicht eine Glashaube stülpen und sagen: Hier darf keine Entwicklung stattfinden. Das wird in einigen Schweizer Bergdörfern gemacht. Dann trockne ich alles aus, und die Gegend wird museal. Der Bregenzerwald ist das nicht. Hier kann man sehr gut wohnen, hier gibt es Entwicklung, aber sie passiert nicht zu rasant oder zu einseitig orientiert wie zum Beispiel im Montafon oder in Tirol, wo ganze Talschaften ausschließlich vom Tourismus dominiert werden. Wir haben im Bregenzerwald junge Menschen, die studieren gehen, aber wieder zurückkommen. Welche ländliche Gegend kann das von sich behaupten? Aber auch bei uns dominieren leider immer mehr das externe Interesse und das Verlangen nach Investment, dem „Betongold“. Dieses Investoren-Unding müssen wir möglichst rasch wieder loswerden.

Sie haben die Kapelle Salgenreute und den Islamischen Friedhof in Altach gebaut. Worauf haben Sie sich bei diesen religiösen Bauten besonnen?

Das sakrale Bauen will möglichst viele Sinne ansprechen, das haben beide Projekte gemeinsam. Beim Friedhof war die Sorge, dass etwas mit Kuppeln und Minaretten entstehen wird. Damals war ja die große Minarett-Diskussion im Gange. Wir haben das Anlegen der Grabfelder sehr landschaftlich konzipiert. Ein pragmatischer, einfacher Zugang. Ich war mir nicht sicher, ob die Ideen die Erwartungen erfüllen, aber der Sprecher des Trägervereins sagte zu mir: „Bernardo, wir sind Vorarlberger Muslime, wir mögen es pragmatisch.“ Wir haben sehr handwerklich und landschaftsbezogen gearbeitet, es ist ein sehr direkter Bau, der viel Licht durchlässt. Es vermittelt das Gefühl der Vergänglichkeit. Sowohl der Friedhof als auch die Kapelle haben sehr viel mit dem Dialog zwischen einem Ort und den dazugehörigen Menschen zu tun.


Herr Bader, darf man Sie auch fragen . . .

1 . . . welche Region Sie architektonisch anregt?
Zunächst die skandinavischen Länder, die Arbeiten von Alvar Aalto begeistern mich. Jørn Utzon hat auf Mallorca ein Ferienhaus gemacht, das Can Lis, da würde ich gern wohnen. Da muss man sich zuerst bei einer Stiftung bewerben, da bin ich dran. Sonst interessiert mich Brasilien, die Bauten von Oscar Niemeyer und Paulo Mendes da Rocha. Insgesamt ist Italien sicher das mit Abstand reichste Land für einen Architekten. Leider ist es mir kaum erklärlich, warum dort heute wenig Gutes passiert.

2 . . . wie es für Sie ist, in Deutschland zu bauen?
In Deutschland wird ein Haus gebaut wie ein Auto. Da muss alles geprüft und 25 Mal nachgewiesen werden. Das lähmt ein Land, und das sieht man auch. Dort entsteht zwar auch Gutes, aber vergleichsweise wenig und mit viel höherem Aufwand. Niemand will eine Entscheidung treffen, weil er meint, er macht einen Fehler. Architektur machen bedeutet aber entscheiden.

Steckbrief

1974 wird Bernardo Bader in Lingenau im Bregenzerwald geboren. 1993 bis2001 studiert Bader Architektur in Innsbruck. Tätigkeit bei Dietmar Feichtinger Architectes in Paris. 2003 gründete Bader in Dornbirn sein eigenes Büro, das mittlerweile in Bregenz residiert.

Zu seinen Bauten zählen der Islamische Friedhof in Altach, die Lourdeskapelle Salgenreute, mehrere Kindergärten, die Neugestaltung des Gasthofs Krone in Hittisau sowie die Skihütte Wolf in Lech.

Träger zahlreicher Architekturpreise, beispielsweise des Aga Khan Award for Architecture sowie des International Architecture Award.

Die renommierte spanische Architekturzeitschrift „El Croquis“ widmete Bader 2019 eine eigene Ausgabe. Die aktuelle Ausgabe des japanischen a+u Magazins (Architecture and Urbanism Magazine) ist ebenfalls Bader gewidmet.

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bernardo bader architekten , Foto: Lisa Dünser