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Lob des Plattenbaus
Der Standard
22. Mai 2004 - Petra Rathmanner
Plattenbau - bei diesem Wort rümpft der Architekturlaie die Nase und denkt an triste Wohnsilos. Dass die sozialistischen Bauten, die einst für ein vorgeblich modernes Lebensgefühl gestanden sind, auch ihr Gutes haben können, will nun eine Stadtexkursion nach Bratislava zeigen. „Es geht um Differenzierung“, sagt Antje Lehn, eine der vier Kuratorinnen des Architekturrundgangs, der im Rahmen der österreichweiten Architekturtage von 4. bis 6. Juni stattfindet. „Die Plattenbauten haben diese notorische Geringschätzung nicht verdient, es gibt auch hier qualitätsvolle Bauten. Dafür wollen wir den Blick schärfen.“

Während man in Bratislava auf die moderne Architektur der 20er- und 30er-Jahre und den slowakischen Rondo-Kubismus stolz ist, haben es Bauwerke aus der sozialistischen Ära besonders schwer: „Man will sie nicht nur weghaben, weil sie als moderne Architekturen ein ungewöhnliches Erscheinungsbild aufweisen, sondern auch, weil sie an ein ungeliebtes totalitäres Regime erinnern“, so Lehn. Ein Beispiel dafür ist der Zubau der Slowakischen Nationalgalerie, realisiert von Vladimír Dedecek in den Jahren zwischen 1969 und 1979: Ein schräg gestellter Kubus, der zwischen zwei Altstadthäusern zu schweben scheint - für Architekturliebhaber ein Glanzstück mit unglaublichen Raum- und Belichtungsqualitäten, während die Bevölkerung das verbliebene Trumm kommunistischen Bauens lieber heute als morgen abreißen würde.

Eine weitere Station ist jenes Gebäude, das heute als eines der bedeutendsten Werke der slowakischen Architektur des 20. Jahrhunderts gilt: das Krematorium, fertig gestellt 1968 von Ferdinand Milucký. Weitere Stationen der ganztägigen Exkursion: Fernsehstation, Einkaufszentrum, chemisches Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften und einige weitere Gebäude sozialistischer Prägung, die man in Reiseführern vergeblich sucht.

Anreise: Besucher, die individuell nach Bratislava reisen, können alle Bauwerke mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Die Gebäude sind allerdings nur zugänglich mit Führungen (deutsch und englisch). Anmeldung beim Slowakischen Architektenverein, Telefon +421 2/544 31 431 oder +421 2/544 35 177, E-Mail: sas@euroweb.sk

Am 6. Juni bietet die österreichische Gesellschaft für Architektur einen kostenlosen Busshuttle nach Bratislava. Abfahrt: 9.00 Uhr gegenüber dem AzW, Bellariastraße, 1070 Wien;
Rückkehr: 20.00 Uhr.

Anmeldung erforderlich unter 01/319 46 15, 01/319 77 15 oder per E-Mail: architekturtage@oegfa.at
Weiters findet im STANDARD am 27. Mai ein Spezial zu den Architekturtagen 2004 statt.
www.architekturtage.at

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