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Angst vor „baulichem Weichei“
Der Standard

Nach dem Einsturz des Terminals auf dem Pariser Flughafen herrscht in Peking aufgeregte Sorge um die Sicherheit des dort gerade entstehenden Nationaltheaters. Beide großzügig verglasten Riesenbauten wurden vom Architekten Paul Andreu entworfen.

26. Mai 2004 - Johnny Erling
Der Einsturz des Terminals auf dem Flughafen Paris-Roissy, bei dem zwei der vier Todesopfer Geschäftsleute aus China waren, hat in Peking erregte Debatten über die Sicherheit der futuristischen Bauten in der Hauptstadt ausgelöst. Tausende ereiferten sich im Internet besonders über das gerade entstehende gigantische Pekinger Nationaltheater neben dem Platz des Himmlischen Friedens.

Architekt der Riesenkugel, die bei Pekingern schon den Spitznamen „Faguodan“ (französisches Ei) erhalten hat, ist Paul Andreu, der auch die in Paris eingestürzte Glas-Beton-Halle entworfen hatte. Sein Pekinger Superbau wird von einer 36.000-Quadratmeter-Kuppel überdacht, die 46 Meter hoch ist und freisteht.

Journalisten der Pekinger Lokalzeitungen fragten am Dienstag auf ihren Titelseiten nach einer Sicherheitsüberprüfung für den Theaterbau. „Wer traut sich da künftig denn noch hinein?“, wurde immer wieder im Internet gefragt.

Kritiker hatten früher schon den von Spitzenpolitiker Jiang Zemin politisch durchgesetzten und seit Dezember 2001 errichteten Prestigebau kritisiert. Traditionelle Architekten, Stadtplaner und Wissenschafter wehrten sich lange vergeblich gegen das Bauwerk schräg gegenüber dem Pekinger Kaiserpalast.

Immense Kosten

Sie attackierten die ovale Form, die vor der alten kaiserlichen Nord-Süd-Architektur völlig deplatziert wirke, sowie die immensen Kosten von umgerechnet rund 250 Millionen Euro. Das sei Symbol für die verschwenderische Prunksucht im heutigen China.

Nun äußern sie Angst, dass sich, wie der Pariser Flugterminal, auch das für 5000 Besucher ausgelegte Nationaltheater mit Opernhaus, Konzert-und Theaterhalle als „bauliches Weichei aus Bohnenkäse“ (Tofu) entpuppt.

Ende Juni soll die 31 Millionen Euro teure Überdachung fertig gestellt sein - eine muschelförmige Hülle mit mehr als 6000 Quadratmeter verglaster Fläche, die von Ost nach West 212 Meter misst.

„Effektheischerei“

Hohe Zustimmung im Internet fanden Äußerungen von Wissenschaftsrat He Zuoxiu. Er sieht in dem „technischen Meisterwerk“ eine Effektheischerei auf Kosten der Sicherheit. He verweist auf Strukturprobleme durch die sieben Untergeschoße der Tiefgaragen und durch die Zugänge in gläsernen Unterwassertunneln - das Theater steht in einem künstlichen Teich. Es sei unvorstellbar, was bei einem Einsturz passieren könnte.

Bauverantwortliche wie Archtitekt Wu Huanjia von der Qinghua Universität argumentieren dagegen: Die Sicherheit stehe außer Frage: Anders als die frei schwebende Hallenkonstruktion im Pariser Flughafen sitze das gigantische Theaterdach so fest und stabil wie ein „Topfdeckel“ auf. 2005 soll das Nationaltheater eröffnet werden.

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