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Mit Linie 11 zu No. 250
Mit Linie 11 zu No. 250, Foto: A. Burger
Spectrum

Da liegen nicht nur zwei Studienmodelle für einen Baukörper, sondern zwei Dutzend, nicht ein paar Materialstudien, sondern unzählige: Mit einer Ausstellung bei Basel bieten Herzog & de Meuron Einblick in ihren kreativen Kosmos.

29. Mai 2004 - Walter Zschokke
Basel, Stadt am Dreiländereck mit Deutschland und Frankreich, wo der Rhein sich nach Norden wendet. Hier fanden Wissenschaft und Industrie, Kunst und Kultur immer wieder guten Nährboden. Ein gediegenes Bürgertum stellte dazu oft die Mittel bereit - nicht nur zur Traditionspflege, sondern auch explizit zur Förderung des Neuen.

So gründete Maja Hoffmann-Stehlin 1933 zum Andenken an ihren tödlich verunfallten Gatten die Emanuel-Hoffmann-Stiftung. Deren Zweck ist das Fördern und Sammeln von Kunstwerken, „die sich neuer, in die Zukunft weisender, von der jeweiligen Gegenwart noch nicht verstandener Ausdrucksmittel bedienen“, um sie „durch dauernde Ausstellung öffentlich sichtbar“ zu machen, wie die Stiftungsurkunde festhält. Seit 1995 leiten die Enkelinnen, Maja Oeri und Maja Hoffmann, den Stiftungsrat. Die Sammlung ist über die Jahrzehnte auf mehrere hundert Werke angewachsen, von denen ein großer Teil nicht besichtigt werden konnte, da sie verpackt im Kunstdepot lagerten. Um sowohl der Forschung als auch für konservatorisch heikle Werke den Restaurierenden permanenten Zugang zu gewähren, musste Abhilfe geschaffen werden. Dies erreichte die Stiftungspräsidentin Maja Oeri mit der innovativen Idee eines „Schaulagers“ - weder Museum noch Warenlager -, das als neuer Typus seit einem Jahr die dichte Basler Kulturlandschaft bereichert.

Das Areal fand man am Stadtrand, nördlich von Münchenstein, im auslaufenden Tal der dem Rhein zustrebenden Birs. Aber nicht landschaftliche Reize bestimmen die Nachbarschaft, sondern eine vom Strukturwandel erfasste Industrie- und Gewerbezone, deren urbanisierende Transformation gerade vorangetrieben wird. Zur Linken das regionale Vertriebszentrum eines Großverteilers, dessen Spiralrampe als Zufahrt zu den Dachparkplätzen zeichenhaft ins Blickfeld gerückt ist; zur Rechten und gegenüber ein paar Ein- und Mehrfamilienhäuser, die in dieser Umgebung zwar ungewohnt scheinen, in Wirklichkeit aber den Rand der vom Wohnen dominierten Vororte bilden. Zwei Größenordnungen treffen hier aufeinander, zugleich aber zwei gesellschaftliche Konzepte: die ausgreifende, sich wandelnde vielschichtige Stadt und das davon nicht unbetroffene, aber weniger differenzierte Land.

Die Straßenbahnlinie 11, vom Basler Hauptbahnhof entlang der südöstlichen Ausfallstraße nach Reinach und Aesch führend, hält direkt vor dem Neubau, für den die Stiftung nach einer Evaluation das Architekturbüro Herzog & de Meuron verpflichtete. Das Projektteam umfasst 15 Namen, neben Jacques Herzog und Pierre de Meuron auch Partner Harry Gugger, der, bereits für die Tate Modern in London verantwortlich, auch hier die architektonische Leitung innehatte.

Das unter No. 169 im Verzeichnis des Büros geführte Bauwerk ist zuerst einmal schlicht groß. Der über einem unregelmäßigen Fünfeck mit zwei rechten Winkeln errichtete blockhafte Baukörper ragt gut 22 Meter in die Höhe, die Länge der geraden Rückseite misst über 74 Meter. Die Vorderseite stößt im stumpfen Winkel vor, ihre beiden Begrenzungslinien folgen den Richtungen der davor liegenden Straßen und ordnen sich damit den lokalen städtebaulichen Gegebenheiten unter. Während vier der fünf Seiten mehrheitlich geschlossen sind und eine körnige Oberfläche aufweisen, die aussieht wie erdig brauner Konglomeratfelsen - was durch Abschlagen der äußersten, von der Schalung glatten Betonhaut noch vor dem Aushärten erreicht wurde -, ist die fünfte, die Eingangsseite, konkav eingezogen und rein weiß.

Drei glatte Flächen entfalten sich zu einem monumentalen Triptychon, eine vierte überspannt den angedeuteten cour d'honneur und läuft vorn in einer messerscharfen Kante aus. Die seitlichen Flächen tragen riesige LED-Screens, die obere, schirmende, wirkt im Schatten etwas dunkler, die mittlere aber ist leer weiß und wird von den anderen drei gerahmt wie eine Kinoleinwand. Etwas vorgeschoben steht quer ein kleines Haus, monolithisch aus dem gleichen konglomerathaften Beton gegossen. Es wirkt wie ein Pförtnerhaus und dient auch als Ein- beziehungsweise Durchgang. Seine wahre Größe schrumpft vor dem mächtigen Dahinter zu knuspriger Winzigkeit, die beim Durchschreiten dann wieder zu ihren eigentlichen Dimensionen anwächst. Im Vorhof angelangt, bemerkt man den verglasten Spalt zwischen dem leicht abfallenden Asphaltboden und den hohen weißen Flächen, durch den man wie unter hochgedrückter Zeltleinwand gleichsam beiläufig - oder wie ein Lausbub ins Zirkuszelt - ins Gebäude gelangt.

Drinnen wird man von einem aus dem Untergeschoß bis unters Dach reichenden Vertikalraum empfangen - dahinter liegen die Lagergeschoße sowie Manipulationsflächen, ein Auditorium und einige Büros. Von der Brüstung aus schaut man Überblick gewinnend ins Untergeschoß auf die Fläche für Sonderausstellungen, wo derzeit das Projekt No. 250 von Herzog & de Meuron ausgebreitet ist, eine umfangreiche Ausstellung, welche die kreativen Findungsprozesse für eine große Zahl ihrer Entwürfe dokumentiert, darunter auch das „Schaulager“ selbst, aber ebenso die geistige und wahrnehmende Vorarbeit für ihre Projekte in China.

Mit dieser Ausstellung gewähren die Architekten einen ungewohnt tiefen Einblick in ihre Entwurfsmethodik. Diese beginnt mit einer Offenheit für sinnliche Impressionen jeglicher Art, die nicht bloß visueller, sondern ebenso daktiler Art sind. Dazu gesellen sich prozesshafte Erfahrungen aus der Natur wie dem Handwerk, der Kultur wie der Wissenschaft. Alles wird als anregend empfunden, alles lässt sich irgendwie verwerten und transformieren. Damit handelt es sich nicht nur um eine Wunderkammer barocker Sammler, sondern um ein riesiges Zwischenlager von Formen, Eindrücken und Techniken, aus denen die immer wieder überraschenden Wendungen im Schaffen dieser Architekten alimentiert werden.

Dieser Prozess ist nicht linear, stetig, sondern sprunghaft spielerisch, oft spontan, jedoch immer insistierend. Da liegen nicht nur zwei Studienmodelle für einen Baukörper, sondern zwei Dutzend; nicht ein paar Materialstudien, sondern unzählige. Vieles wird eins zu eins ausprobiert, wie etwa umfangreiche Studien der Oberflächenbildung mit Ziegelsteinen in China zeigen. Und immer wieder ist es das scheinbar Unsinnige, Unkorrekte, das gegen alle Erfahrung ausprobiert und durch hartnäckiges Forschen praktikabel und technisch sicher gemacht wird.

Dass aus dieser Arbeitsmethode kein formaler Stil resultiert, wird nicht verwundern, denn die forschende Neugier verändert ständig das Produkt. Und weil sie nicht dem ersten günstigen Einfall folgen, sondern weiter pröbeln und spielerisch nachfragen, erreichen sie mit ihren Entwürfen immer wieder eine stupende Qualität. Was uns Herzog & de Meuron hier vorführen, ist ein ungeduldiges, aber hartnäckiges Forschen auf dem Feld des Architektonischen, eine gelebte Kritik am eiligen Zielen oder Grapschen nach dem sofortigen Effekt. Kaum geeignet zum oberflächlichen Abkupfern. [*]

[ Die Ausstellung „Herzog & de Meuron. No. 250“ ist noch bis 12. September im „Schaulager“, Münchenstein bei Basel, zu sehen. Näheres unter www.schaulager.org. ]

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