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Vielfalt aus dem Systembaukasten
Der Standard

Freier Eintritt zu den Architekturtagen: Der Wohnbau von Nasrine Seraji in Wien führt vor, was sich mit einem großen Stapel gelochter Betonplatten anfangen lässt.

5. Juni 2004 - Oliver Elser
Architekten sprechen architektonisch. Für diese Sprache gibt es noch keine Wörterbücher, wird es vielleicht auch nie geben, weil die Dialekte so verschieden sind. Dabei wäre alles so einfach, wenn Architekten das Reden ihren Bauten überlassen würden. Bei den Architekturtagen, die am heutigen Samstag mit großem Programm (www.architekturtage.at) zu Ende gehen, besteht die seltene Gelegenheit, beides ineinander zu blenden und am selben Ort zu erleben: In einem Treppenhaus mit Tiefgaragencharme verpufft jedes Gerede von Konzepten, in einem gut proportionierten Zimmer mit atemberaubender Aussicht muss erst gar nicht zu hochfliegenden Erläuterungen angesetzt werden.

Adolf Loos, der Innovationsskeptiker, gab seinen Zeitgenossen, die jeden Montagmorgen die Architektur aufs Neue zu erfinden versuchen, den Rat mit auf den Weg, dass nur das Denkmal und das Grabmal zur Architektur zählen, alles andere sei mehr oder weniger durch Konventionen bestimmt. Loos verachtete das, was später Design genannt wurde, und dämpfte den Reformeifer seiner Kollegen, als er die mit Wohnungen voll gestopften Zinshäuser als ehrlichen Ausdruck der Zeit lobte.

Das Fertigteilsystem der Firma Mischek, so steht zu vermuten, hätte ihm gefallen, schließlich experimentierte er selbst mit vorfabrizierten Elementen und meldete ein Haus, das sich nur auf eine einzige Mauer stützen sollte, beim Patentamt an.

Seit 1968 produziert Mischek die Elemente für die so genannte Großtafelbauweise, umgangssprachlich „Plattenbau“. Allerdings kennt man in Österreich nicht die Imageprobleme dieses Bausystems, das im bundesdeutschen Sprachraum so fad nach DDR schmeckt wie „Sättigungsbeilagen“ oder „Broiler“. Zu Unrecht, denn hat sich nicht gerade der Kapitalismus die Rationalisierung aller Lebensbereiche und somit auch die des Bauens auf die Fahnen geschrieben? Nur beim Namen nennen sollte man die Dinge nicht.

Flankiert von ambitionierten Architekten hat Mischek den Sprung von der Baufirma zum Wohnungsunternehmen geschafft und ist in allen Stadtentwicklungsgebieten, sei es am Wienerberg oder auf der Donauplatte mit dabei.

Das dreigliedrige Wohnhaus mit 50 frei finanzierten Eigentumswohnungen der Architektin Nasrine Seraji ragt hingegen als strahlend weißes Massiv hinter einer Supermarktbaracke weit draußen an der Linzer Straße hervor. Rechts und links stehen Siedlungshäuser, es riecht nach Schnitzelpfanne.

Die Wohnungen sind fast alle zum Grünraum des Halterbachs orientiert. An dieser Seite zeigt sich das Haus offener und rückt mit seinem Geheimnis heraus. Denn Nasrine Seraji wollte kein Kartenhaus errichten, wie es das „Mischek-System“ eigentlich nahe legt. Ende März, auf dem von Margit Ulama organisierten Architekturfestival Turn-On nahm die bis vor kurzem an der Wiener Akademie lehrende Architektin einen weiten Anlauf, um ihr Konzept zu erläutern.

In Serajis geschliffenem Vortrag war so viel von individuellen Lebensstilen, dem Erbe von Le Corbusiers Wohnmaschinen und kleinen Triumphen über das Profitdenken ihres Auftraggebers die Rede, dass es einem leicht schwindlig werden konnte. Aber man muss das alles nicht unbedingt gehört haben, um sich dieser Tage ein Urteil bilden zu können, wenn für eine Ausstellung mit Architekturfotografien von Pez Hejduk anlässlich der Architekturtage die Türen offen stehen.

Wesentliches Element sind die „Voids“, doppelgeschossige Lufträume, die zwar profitable Wohnfläche verschwenden, aber gerade darin liegt ihre Qualität. Unübersehbar ist allerdings, dass man sich in einem „Konzeptbau“ befindet, einem riesigen, auf direktem Wege vom Modell in die Realität übertragenem Baukasten. Wegen der komplizierten Planung musste an anderen Stellen gespart werden. An der Fassade, deren Formengeschiebe nur mit pappigem Thermoputz gebändigt werden konnte, in den Stiegenhäusern und Eingangsbereichen. Auch ob die „Voids“ immer an der richtigen Stelle der Wohnung liegen, kann vor Ort überprüft werden.

[ Pez Hejduk, Viewpoints, heute ab 14.30 Uhr, bis 20. 6., Di-Fr 16-20 Uhr, Sa-So 11-17 Uhr, Linzer Straße 421A ]

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