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Design mit Strandschlapfen
Der Standard

Down under residiert Glenn Murcutt, ein frisch gekürter Architektur-„Nobelpreisträger“, einer aus einer ganzen Anzahl außerordentlicher Designer

27. April 2002 - Ute Woltron
Spätestens seit der gerade erfolgten Bekanntgabe, dass der - man kann es ruhig öffentlich eingestehen - außerhalb des australischen Kontinents so gut wie unbekannte Architekt Glenn Murcutt den diesjährigen Pritzker-Preis für sein architektonisches Lebenswerk abräumen darf, ist das Land down under mit seinen Planern und Designern ein Stückchen weiter in den Mittelpunkt des Fachinteresses gerutscht. Völlig zu Recht, denn neben Murcutt und dem Schillerdesigner Marc Newson hat das große weite Land noch einige Formkräfte mehr zu bieten.

Australien ist, was Architektur und Formgebung anbelangt, tatsächlich ein flottes, geradezu fröhliches Land, und, so man langjährigen Beobachtern der Szene der auf der von uns aus betrachtet anderen Seite der Welt Glauben schenken darf, bereits seit etwa einem Dutzend Jahren durchaus avantgardistisch und immer eigenständiger unterwegs. Die deutsche Architekturpublizistin Sabine Thiel Siling hatte einen guten Riecher, als sie für das Magazin „Baumeister“ einen Australien-Schwerpunkt vorschlug und für die dritte Ausgabe dieses Jahres auch umsetzte. Darin schreibt sie: „Australien liegt immer noch ,down under', 24 Flugstunden von uns entfernt, doch ebenso gut ist es heute nur eine e-mail weit weg, in Echtzeit gegenwärtig. Diese Ambivalenz von Nähe und Ferne, Vertrautem und Fremdem, Ähnlichem und Neuem macht den besonderen Reiz aus - des Kontinents, seiner neuen phantasievollen Küche, der sogenannten ,fusion cuisine', und seiner ganz ähnlich ausdrucksfreudigen innovativen Architektur.“

Philip Goad, Architekturprofessor in Melbourne, führt aus, dass sich aufgrund der Größe und der bekannt spärlichen Besiedlung des Kontinents, auf dem sich die Ballungszentren wie kleine Tüpfelchen auf einem Dinosaurier ausmachen, eigenständige regionale Architektur- und Designschulen entwickelt haben. Tonangebend waren im letzten Jahrzehnt die Städte Sydney und Melbourne, und diese logische These wird von einer zweiten, ebenfalls gerade erschienenen Publikation unterstützt. Der großformatige bilderreiche Prachtband „Living in Sydney“ will anhand der Privatwohnungen und - häuser junger Architekten und Designer aufzeigen, was State of the art auf Australisch heißt. Arbeitet Pritzker- Preisträger Murcutt vor allem im Einklang mit der Natur und mit preisgünstigen Materialien, so lassen es die jungen Kollegen in der Stadt rund um Jorn Utzons legendäres Opernhaus recht kräftig bunt und durchgestylt krachen. Irgendwie zeigen fast alle Designs eine gehaltvolle Mischung aus Retro und Bauhaus-Coolness, aus 70er- Jahre-Moden und Future-Chic. Obwohl man gerne Möbelklassiker verschiedener Altersstufen wie Arne Jacobsens Ameise oder die extravagant einfachen Sitzgelegenheiten von Charles und Ray Eames dazumixt, ergibt sich kaum je ein steifes, sondern meist ein locker- strandmäßiges Ambiente, in dem die Mies-Sitzgarnitur, in der man normalerweise auf den Zahnarzt wartet, mit Badetüchern und Strandschlapfen besiedelt werden darf. Living in Sydney von der Architekturjournalistin Antonella Boisi lebt von den Fotos, wer ins Detail gehen will, wird allerdings auch bedient, selbst Grundrisszeichnungen fehlen nicht.


[ Baumeister: B3, Architektur Archipel Australien, Verlag Callwey, EURO 11

Antonella Boisi, Living in Sydney, Verlag Taschen. 2002, EURO 24 ]

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