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Althergebrachte Formen und neue Technologien
Neue Zürcher Zeitung

Ein Rückblick auf die Mailänder Möbelmesse

3. Mai 2002 - Irene Meier
Formale Anleihen an das Möbeldesign der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre standen auch am diesjährigen Salone del Mobile in Mailand, der vom 10. bis zum 15. April stattfand, im Vordergrund. Dank neuen Technologien und Materialien kann man diese Formensprachen heute aber feiner und raffinierter umsetzen. Innovationen waren deshalb in erster Linie in der Anwendung und Erprobung von Technologien und Materialien auszumachen. Durchaus mit überraschenden Ergebnissen und unerwarteten Effekten, sowohl im Hochpreissektor wie bei erschwinglicheren Angeboten.

«Plastic, was für ein Luxus», verkündet die Firma Kartell, die seit mehr als 50 Jahren auf Möbel aus Kunststoff spezialisiert ist und stets erstklassige Designer mit zugkräftigen Namen beschäftigt. Jedes Jahr werden neue Kunststofferzeugnisse vorgestellt. Waren es letztes Jahr das farbige, transparente Polykarbonat und die im Rotationsverfahren hergestellten, aus einem einzigen in der Masse gefärbten Stück Polyethylen bestehenden Nachahmungen von voluminösen Polstermöbeln in barocker Formensprache von Philippe Starck, so war es dieses Jahr «Eva», ein Sessel von Marc Sadler, dessen schlichte, sanft gekurvte Sitzschale und dessen zierliche Metallstruktur die siebziger Jahre aufleben liessen. Doch der neue Sitz besteht aus einem halbweichen Plasticmaterial, das den Körper fast so bequem aufnimmt wie ein gepolstertes Möbel. Dieser weiche Plastic, den man in einem Injektionsverfahren in Form bringt, wurde laut Kartell so erstmals in den Möbelbereich eingeführt. Die daraus gefertigten Sessel sind in verschiedenen, bald diskreten, bald kräftigen Farben zu haben.

Produziert Kartell bewusst relativ erschwingliche Möbel, die aber stets mit grossen Designernamen verbunden sind und so den Kunststoff zu einem auch von verwöhnten Kreisen akzeptierten Material gemacht haben, geht die Mailänder Edelfirma Sawaya & Moroni andere Wege. Sie empfängt nicht an der Messe, sondern in ihrem dreistöckigen Showroom an der noblen Via Manzoni. Alle Möbel und Accessoires, die sie ediert, sind erlesen und sehr teuer. Daher spricht sie eine Kundschaft an, die viel Geld für Möbel ausgibt, aber nicht Antiquitäten, sondern aufwendig verarbeitete, exklusive Stücke von Zaha Hadid, Jean Nouvel oder William Sawaya schätzt. Der Besuch in diesem Showroom ist immer ein besonderes Erlebnis. Entweder thront Zaha Hadid höchst persönlich - barock in voluminöse Kleider von Issey Miyake gehüllt - erhöht auf einem ihrer schnittigen Sofas und lässt ihre Stilettos über den Köpfen des sie bewundernden Publikums baumeln, um ab und zu einer besonders wichtigen Person duldsam ein paar Fragen zu beantworten. Oder dann stösst man auf dem Rundgang auf einen wild blinkenden Salontisch, dessen ausgeklügelten Mechanismus der Hausherr, Signor Moroni, gerne selbst erläutert. «Iké» heisst der niedrige Tisch mit dem geheimnisvollem Lichtspiel von John Meda, einem Professor für Computertechnik am MIT von Boston. Bei wechselndem Lichteinfall - schon eine Handbewegung über der Oberfläche genügt - beginnen sich die im Glas eingelassenen Sensoren (LED) wie ein Fischschwarm nach allen Seiten zu bewegen. Die Oberfläche des Tischchens fängt an zu leben und entwickelt eine ganz eigene Lichtdynamik.

Auch die Leuchte «Sora» hat John Meda für Sawaya & Moroni ausgetüftelt. Sie antwortet über Sensoren, die mit einem Mikrophon verbunden sind, auf die Töne der Umgebung mit wechselndem Licht. Will man von seiner Lieblingsfarbe begrüsst werden, kann man die Leuchte entsprechend programmieren. Durch ein einfaches «Ciao!» strahlt sie sofort das gewünschte Licht aus. Im grauen Mailand sei ein sanftes Rosa empfohlen. Vor dem gekurvten Sessel «Maxima» von William Sawaya diskutierten einige Schweizer Designer interessiert: Sie rätselten, wie man einen so extrem geschwungenen Sessel aus Polyurethan in einem einzigen Guss herstellen könne. Das Geheimnis wurde nicht gelüftet.

Neu bei Driade Store ist die Möbelfamilie «Tokyo-Pop» von Tokujin Yoshioka. Wie die von Starck für Kartell entworfenen Möbel sind sie im Rotationsverfahren hergestellt, das es ermöglicht, Sessel oder Sofas aus Polyethylen in einem Stück mit hohlem Innenraum zu formen. Ihre Vorläufer wurden im freskengeschmückten Showroom ebenfalls gezeigt. Sie bestehen aus einer Folie mit wabenartiger Struktur, die sich - auseinander gezogen - dem menschlichen Körper anpasst und somit eine ideale Form für das Sitzmöbel liefern soll. Eher objektartig wirkt dagegen das organisch aus elastischem Gewebe geformte und mit Leuchtperlen gefüllte Sofa «Superblob», das Karim Rashid, der Bruder des in Amerika zum Kultarchitekten avancierten Hani Rashid, für Edra entworfen hat. Neben solchen Design-Experimenten kommen bei Driade, Kartell und anderen Firmen stets von neuem die obligaten Stühle von Philippe Starck zum Zuge. Obwohl die Zahl seiner Entwürfe kaum mehr zu zählen ist, sind seine Möbel nach wie vor Verkaufsmagnete.

Die Möbelmesse Mailand wird jedes Jahr durch verschiedene Ausstellungen ergänzt, die auch den Nichtfachleuten zugänglich sind. Dieses Jahr war es der «Grand Hotel Salone», wo renommierte Designer und Architekten wie Jean Nouvel, Zaha Hadid, Vico Magistretti, Matteo Thun u. a. ihr ideales, oft futuristisches Hotelzimmer für eine ihnen zugewiesene Stadt entwarfen. Immer besser besucht und qualitativ von Jahr zu Jahr hochstehender ist der «Salone Satellite», wo von einer internationalen Jury ausgewählte, noch unbekannte Designer aus aller Welt ihre Produkte, auch Prototypen, die auf einen Hersteller warten, ausstellen können.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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