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Organische Visionen
Neue Zürcher Zeitung

Retrospektive Luigi Colani in der Nancy-Halle in Karlsruhe

25. Juni 2004 - Karin Leydecker
Als sexistischer Popstar der aerodynamischen Form und als egomaner Prophet einer schönen neuen Welt ohne rechten Winkel ist Luigi Colani längst eine Legende. Selbst wer die Colani-Welt mit ihren Geborgenheitsmetaphern aus Plastic nicht mag, ist von ihr immer wieder fasziniert. Die weichen Formen von Colanis Wohnlandschaften, die subtile Körperlichkeit der Gebrauchsgegenstände und die zoomorphe Ambivalenz der Fahrzeugentwürfe - das ist der Stoff, aus dem die «Sexy-Mini-Super-Flower-Pop-Op»- Träume sind. In der Karlsruher Nancy-Halle darf man jetzt noch einmal auf ihren Schwingen mitfliegen, denn hier präsentiert der 1928 in Berlin geborene Colani die wichtigsten Facetten seiner Karriere als wortgewaltiger «Formphilosoph». Der berühmte «Hausfrauensarg» - die Kugelküche von 1974 - ist hier im Original zu bestaunen, der kippsichere Nachttopf, die unübertroffene Ergonomie der Canon-Kamera T-90 von 1986 und selbstverständlich die gesamte Palette seiner Fahrzeugentwürfe und der insektenartig anmutenden Flugzeugerfindungen.

«Die Flügel für die Strasse» genannten aerodynamischen Automobile bilden das Zentrum der expressiv inszenierten Schau: ein futuristischer Fuhrpark fliessender Formen, die an sanft dahingleitende Rochen oder an urzeitliche Wesen erinnern. Sie sind schön, aber durch die Fesseln materieller Erdenschwere nur bedingt wirtschaftlich einsetzbar. Die Perfektion dieser organischen Visionen kommt bis jetzt nur in der Illusion der Zeichnung zum Tragen, in der sich die Verheissung von Ökonomie und Schönheit erfüllt.

Konkreter wird Colani beim Design von Lastwagen, deren hochgelegte Panoramakanzeln und stromlinienförmige Kühlerhauben den Luftwiderstand und zugleich den Kraftstoffverbrauch verringern. Aber auch diese skulptural anmutenden Fahrzeuge - von denen eines direkt vor der Ausstellungshalle zu bewundern ist - warten noch auf die serielle Umsetzung durch die Industrie. Tragik der Geschichte: Colani ist immer irgendwie seiner Zeit voraus und hinkt dennoch hinter ihr her. Die heute modischen Blobmaster-Entwürfe junger Baukünstler haben zum Beispiel seine metabolistisch inspirierten Architekturphantasien längst absorbiert, und das junge britische Organic Design zauberte aus Colanis himmelstürmendem Biomorphismus praktische Sachen für das kleine Portemonnaie. Dennoch hat Colani mit emotionaler Genialität Designgeschichte geschrieben. Denn ihm gelang als Erstem der Schritt vom traditionellen Gestaltungsbegriff zur semiotischen Designästhetik: Design bestimmt das Bewusstsein!

[ Bis zum 31. Dezember in der Nancy-Halle in Karlsruhe. Katalog: Colani. Das Gesamtwerk. Hrsg. Albrecht Bangert. Bangert-Verlag, Schopfheim 2004. 507 S., Euro 30.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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