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Bauen für die Bahn
Neue Zürcher Zeitung

Ein Blick auf die zeitgenössische Schweizer Bahnhofsarchitektur

Die Wertschätzung für gutes Design und anspruchsvolle Architektur hat bei den SBB Tradition. Unter dem Label «Rail City» versucht nun die Bahn, gestalterische Qualität mit kommerziellen Interessen zu verbinden. Dass hochwertige Architektur ohne grosse Budgets möglich ist, belegt das Beispiel der Bahnhofhalle von Worb.

2. Juli 2004 - Martino Stierli
Ihr neuestes Aushängeschild haben die SBB im vergangenen Herbst mit der Eröffnung des neuen Zuger Bahnhofs erhalten. Das Werk von Hornberger Architekten aus Zürich ersetzte nach dreijähriger Bauzeit das alte Aufnahmegebäude von 1897, über dessen Abbruch man bereits seit den fünfziger Jahren nachdachte. Nach mehreren gescheiterten Urnengängen zu Projekten, die mit dem Bahnhofsbau zugleich die Ersetzung der angrenzenden Wohnblöcke durch Neubauten sowie einen zentralen Busbahnhof vorgesehen hatten, erhielt ein redimensionierter Vorschlag Ende der neunziger Jahre endlich grünes Licht.

Zug und Zürich

Entstanden ist ein Kompromiss zwischen Vision und Realität, der sich dennoch sehen lässt. Formal prägend ist die Lage zwischen den Gleissträngen der Luzerner- und der Gotthardlinie, die in einem spitzen Winkel zusammenlaufen. Im Dreieck dazwischen befand sich bereits das alte Aufnahmegebäude. Auch die beiden Schenkel des Neubaus folgen dem Verlauf der Gleise, um im Zwischenraum eine grosszügige verglaste Bahnhofshalle aufzuspannen, die zum zentralen architektonischen Ereignis wird. Hier laufen auch die Wegführungen vom wiederum auf das Stadtniveau abgesenkten Bahnhofsplatz und die neue unterirdische Querverbindung zwischen Grafenau- und Metalliquartier zusammen, wobei die Anbindung dieser benachbarten Areale - nicht zuletzt aufgrund der Redimensionierung des ursprünglichen Projekts - nicht zur vollen Befriedigung gelang.

Städtebaulich zu begrüssen ist dagegen die wiederhergestellte Lesbarkeit der erhöhten Lage der Gleise über der Stadt, indem die Perrons konsequent über Treppen erschlossen werden. Die Fassade des neuen Bahnhofs wird durch den Kontrast zwischen der zentralen, lichten Glashalle und den pylonenartig sie rahmenden, massiven Sichtbetonflächen geprägt, die ihrerseits die Kopfenden der beiden Gebäudeflügel bilden. Durch diese Konfiguration entsteht zum Bahnhofplatz eine Torsituation urbanen Massstabs. Wenn die Architektur selbst insgesamt wenig bildhafte Prägnanz schafft, so bildet sie doch eine angemessene Kulisse für die Hauptattraktion des Neubaus, die grossartige Lichtinstallation des Amerikaners James Turrell. Der Künstler hat in die umlaufenden Galerien der Obergeschosse der Halle Lichtbänder aus verdeckten Fluoreszenzröhren eingelassen, deren wechselnde Farben von den sandgestrahlten Glasbrüstungen der Galerien und den weissen Deckenuntersichten reflektiert werden und so den Raum in eine auch von aussen sichtbare Lichtskulptur verwandeln. Die Architektur dient als visueller Resonanzraum für ein zauberhaftes Farbenschauspiel.

Bereits seit dem Sommer 2002 besitzt der Zürcher Hauptbahnhof im provisorischen Bahnhof Sihlpost - er soll dereinst durch den unterirdischen Durchgangsbahnhof Löwenstrasse abgelöst werden - ein einprägsames Beispiel für Raumgestaltung mittels Farbe und Licht. Die Architekten Knapkiewicz & Fickert haben die Gleise mit einer niedrigen, ingenieurmässigen Flachdachkonstruktion überdeckt, um nicht mit den Flügeldächern entlang der Perronhalle in Konkurrenz zu treten, die sie in Arbeitsgemeinschaft mit Meili & Peter entworfen hatten. Aus dem Dach ragen drei Laternen mit farbigen Seitenwänden aus gewellten Kunststoffpaneelen hervor, die eine optische Balance zur niedrigen Halle bilden und durch ihre Materialität zugleich den provisorischen Charakter des Baus unterstreichen. Von der Stadt her sichtbar, rufen diese Farbkuben die Lage des Bahnhofs zeichenhaft in Erinnerung.

Durch die transluziden Seitenwände dringt gelb und grün gefiltertes Tageslicht ins Innere der Halle, wodurch der überdachte Aussenraum in eine farbige, freundliche Atmosphäre getaucht wird, deren Intensität abhängig von Lichteinfall und Wetterlage ständig wechselt. Die Kuben sind an strategischen Orten auf das Dach gesetzt, um bald imaginäre Platzsituationen zu definieren, bald den Treppenaufgang von der Unterführung her zu bezeichnen, mit welcher der Bahnhof Sihlpost zur Perronhalle des Hauptbahnhofes hin erschlossen wird. Den von der Unterführung her kommenden Reisenden leuchtet das grün eingefärbte Licht entgegen und markiert als eine Art immaterieller Wegweiser den Aufgang. Mit dem jüngst abgeschlossenen Umbau des Shop-Ville durch die Winterthurer Architekten Arnold und Vrendli Amsler verfügt der Hauptbahnhof zudem über ein weiteres Anschauungsbeispiel dafür, wie mit Licht Raum gestaltet werden kann.

Basler Höhenwege

Der Bahnhof Basel SBB zählt zu jenen sieben grossen Bahnhöfen, welche die Bahn neuerdings als «Rail City» vermarktet. Das Label bezeichnet den Versuch, aus der für kommerzielle Nutzung attraktiven Zentrumslage der Bahnhöfe Kapital zu schlagen: Der Bahnhof ist auch ein Shopping- Center. Dass dieser Spagat zwischen Kommerz und Komfort für den Reisenden zu bewerkstelligen ist, beweist die 2003 in Basel eröffnete Passerelle über den Gleisen (NZZ 3. 10. 03). Der schmale Reiterbau der Architektengemeinschaft Cruz & Ortiz aus Sevilla und Giraudi & Wettstein aus Lugano ist ein Hybride - er gewährleistet über Treppen den Zugang zu den Perrons, verbindet als Fussgängerbrücke das Gundeldingerquartier mit dem Centralbahnhofplatz und der Innenstadt und ist als Einkaufsstrasse ein Höhenweg der alten Gleishalle entlang. Durch das markant gefaltete Dach scheint die Passerelle den Umriss eines Gebirgspanoramas in den Himmel zu zeichnen.

Die unverwechselbare Form der Passerelle wird zum weithin sichtbaren Zeichen. Vor allem städtebaulich ist die Passerelle von grosser Qualität, indem sie zwei durch die Eisenbahn voneinander getrennte Stadtteile verbindet. Allerdings wird die lineare Wegführung durch einen Knick vor der Rampe zum Gundeldingerquartier, wo die Passerelle in einem Kopfbau ihren Abschluss findet, unnötig verunklärt. In gerader Fortsetzung der Passage befindet sich statt der Verbindung zur Stadt der Eingang in ein Ladengeschäft - hier muss die lineare Logik des Baus der Vermarktung des Bahnhofs als Einkaufszentrum doch noch Tribut zollen. Dafür erreicht der Bau am anderen Ende eine Klärung der Situation, indem die denkmalgeschützte Empfangshalle des Bahnhofs nun als grosszügiges Foyer dient. Die Materialisierung der Passerelle lebt vom dunklen Steinboden, von den Wänden aus Metall und Glas sowie der Wärme der Akustikplatten an der Faltendecke. Gleichwohl sind nicht alle Details gleichermassen gelungen: Während der gezackte Verlauf des Daches als raffiniertes Spiel mit der Vorgabe der Bogenstellungen der Perronhalle gelesen werden darf, wirken die in die Passerelle hineingestellten rektangulären Pavillons als formale Fremdkörper, die den Blick auf die Gleise teilweise versperren. Dennoch haben die Architekten mit der Passerelle mehr als nur einen Ort des Transits geschaffen.

Bern und Worb

Anders als in Basel führt der Weg der Ankommenden in Bern zunächst nicht ans Licht, sondern in den Untergrund, auch wenn die 2002 neu installierte indirekte Beleuchtung den ungünstigen Eindruck abzumildern vermag. Diesen düsteren Verhältnissen antwortet das neu gestaltete Hauptgebäude an der Oberfläche mit einer Architektur der Leichtigkeit und Transparenz. Nach der Renovation der überdachten Bahnhofshalle durch Frank Geiser im Jahr 1999, die einen ersten Akzent auf Tageslicht und Helligkeit setzte, lag es in den folgenden Jahren am Atelier 5, dem Bahnhof ein neues Gesicht zu verleihen. Der erste wesentliche Eingriff lag in der Schaffung eines deutlich lesbaren Haupteingangs zum Bahnhofplatz hin, durch den die Bahnhofshalle an die Stadt angebunden wird. Die Neugestaltung der Eingangssituation ging Hand in Hand mit dem Bau einer voll verglasten Fassade, die - ähnlich wie in Zug - zur Stadt hin Offenheit signalisiert, hier aber um das ganze Gebäude herumläuft.

An der Stirnseite des Baus am Bahnhofplatz kontrastiert die gläserne Immaterialität der Obergeschosse mit dem mittig angeordneten Haupteingang, der sich über zwei Etagen erstreckt und als dunkler Schlund die Reisenden förmlich in die Bahnhofshalle zu saugen scheint. Die abgerundeten Ecken der Glasfassade verkörpern Dynamik und erscheinen als späte Reverenz an Frank Lloyd Wrights Johnson Building in Racine, Wisconsin. Auf der gegenüberliegenden Seite des Bahnhofplatzes haben die Architekten das Ensemble durch den Bau der hohen, ebenfalls lichten Nordhalle ergänzt, die der Abfolge Bahnhofplatz - Haupthalle eine quer gelagerte Achse entgegensetzt, die die Neuengasse mit dem Postautobahnhof verbindet, aber auch durchlässig zu allen Ebenen des Bahnhofgebäudes ist. Die Halle wirkt aufgrund ihrer Proportionen wie ein gläserner Korridor, signalisiert aber das Bestreben der SBB, mit ihren Bahnhöfen städtebaulich sensible Lösungen zu ermöglichen und zugleich mit einer Ästhetik der Transparenz eine moderne Firmenkultur zu verkörpern.

Noch hat der Bahnhof Bern sein endgültiges Aussehen nicht erhalten, ist doch die Planung für einen neuen Westzugang in vollem Gange. Für diesen haben Beat Mathys und Ursula Stücheli vom Berner Architekturbüro Smarch eine Serie von gewellten Perrondächern entworfen. Verdienste im Bereich grösserer Infrastrukturbauten hat Smarch bereits mit dem Bau des Bahnhofs Worb des RBS (Regionalverkehr Bern-Solothurn) erworben, der Ende 2002 fertiggestellt wurde. Fernab von den grossen Bahnhofprojekten der SBB haben die Architekten zusammen mit dem renommierten Ingenieurbüro Conzett, Bronzini und Gartmann aus Chur geschickt die Funktion einer Endstation mit der einer Einstellhalle und einer Parkgarage im Obergeschoss verbunden und in ein starkes architektonisches Bild gefasst.

Der Bau befindet sich zwischen dem alten Stationsgebäude und der Güterstrasse, deren Biegung er im Grundriss aufnimmt. Der lang gezogene Hallenbau von 130 Metern Länge wird von einer Reihe von Chromstahlstützen getragen und von einem Holzdach bedeckt. Die Fassade besteht zu beiden Längsseiten aus reflektierenden Chromstahlbändern, die zwischen die Stützen eingespannt sind - eine Materialisierung, mit der Smarch an Jean Prouvés Metallarchitektur anknüpft. Die Bänder vermögen den Bau gerade aufs Nötigste zu bekleiden, klaffen doch zwischen den Metallbahnen schmale Schlitze, die von aussen den Blick ins Innere freigeben, dort aber bei entsprechender Sonneneinstrahlung für ein faszinierendes Spiel von Licht und Schatten sorgen.

Mit ihrer grundsätzlichen Frage nach dem Sinn und dem Wesen einer Wand, die die Architekten mit dieser Fassade implizit stellen, liefern sie auch ein Stück gebauter Architekturtheorie: Der Verweis auf Gottfried Sempers Bekleidungstheorie scheint ebenso berechtigt wie der Hinweis auf die Obsession der Disziplin mit der Urhütte aus Stützen und geflochtenen Wänden als architektonischem Urbild überhaupt. Mit dem Kopf des Bahnhofs und seinem dramatisch vorkragenden Dach scheint Smarch dagegen Jean Nouvels Luzerner KKL zu zitieren, eine Assoziation, welche vom Ausblick im Obergeschoss bestätigt wird. Die mit hellen Metallplatten verkleidete Dachuntersicht schneidet ähnlich wie in Luzern bildhaft ein streifenartiges Panorama aus dem Gesichtsfeld aus. Hier oben erst erhält der Reisende das Gefühl, wirklich angekommen zu sein.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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