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«Pixel sind für uns wie Backsteine»
Neue Zürcher Zeitung

Die Architekten Diller + Scofidio haben mit der Wolke der Arteplage in Yverdon das Wahrzeichen der Expo 02 geschaffen. Liz Diller erläutert in ihrem New Yorker Büro die Architektur des erfolgreichen Duos.

5. Mai 2002
NZZ am Sonntag: Frau Diller, wie kommt es, dass Architekten eine Wolke bauen wollen?

Elizabeth Diller: Unsere Architektur handelt von Special Effects. Wir nehmen in unseren Projekten Konventionen und stellen sie auf den Kopf. Die Konventionen für Expos fordern eine heroische Architektur. Wir möchten dagegen mit der Wolke eine offene Atmosphäre 9schaffen.

Und dabei sind Sie auf Wasser als Material gestossen?

Wir wollten dasjenige Material benutzen, das vor Ort vorhanden ist und sich von dem unterscheidet, was man erwarten würde. Hinzu kommt, dass wir Hightech anders einsetzen wollten, als es normalerweise bei solchen Ausstellungen der Fall ist. Meistens inszeniert man damit möglichst grosse Spektakel, frei nach dem Motto: Je mehr Technik und Simulation, desto besser.

Die Wolke, die Sie zusammen mit Ihrem Partner Ricardo Scofidio entworfen haben, ist technologisch aber auch nicht gerade einfach.

Ja schon. Die Komplexität liegt da aber auf einer anderen Ebene. Wir sind keine Technophobiker, wir lieben Technologie, aber wir wollten sie so einsetzen, dass sie nicht das Auge gegenüber allen anderen Sinnen privilegiert, wie es bei den Simulationen der Fall ist. Dort geht es fast immer um eine Überwältigung der Wahrnehmung. Unsere Wolke behindert dagegen die Sicht, sie aktiviert dafür die Ohren, die Haut, die Nase und den Geschmackssinn, und man kann darin herumgehen. Dabei merken die Besucher vielleicht, wie wichtig das Sehen in unserer visuellen Kultur geworden ist. Immerhin funktioniert ein Grossteil der Kommunikation darüber. Eine Expo ist ein Spektakel, und da ist das Sehen bereits in der Vorsilbe «Spek-» enthalten.

Spektakel haben normalerweise einen negativen Beigeschmack.

Das meine ich nicht. Für uns besteht das Spektakel aus einer bestimmten Struktur mit Anfang, Höhepunkt und so weiter, auf die wir reagieren.

Inwiefern?

Der Raum der Wolke ist nicht sehr präzise definiert und verändert sich. Es gibt keinen singulären Event mit einem Höhepunkt, sondern einen kontinuierlichen Vorgang. Die Besucher bilden keine geschlossene Gruppe wie in einem Theater, sondern Individuen, die in der Wolke herumgehen. Die Zeitspanne und die Intensität der Aufmerksamkeit haben ein anderes Mass als beim Spektakel. Der Nebel produziert vielleicht eine Art viktorianischer Angst vor etwas, das man nicht so recht bestimmen kann.

Die Wirkungsstrategien, die Sie beschreiben, könnten auch bildende Künstler für sich beanspruchen. Sie sprechen von der Wolke gewöhnlich als dem «Blur Building». Ist Ihr Gebäude eher eine Skulptur oder Architektur?

Ich sehe da keinen Unterschied. Das Projekt verweigert solche Schubladisierungen. Es ist natürlich ein Gebäude, wenn man an die ganzen bau- und sicherheitstechnischen Bestimmungen denkt, die wir erfüllen mussten. Es können sich jederzeit 400 Besucher darin aufhalten. Das Ganze ist zugleich ein Raum und ein Nicht- Raum. Die Grenze zwischen Innen und Aussen wird nicht von einer Wandhülle definiert. Es gibt ein Programm wie bei jedem Bau, aber es ist nicht funktional, abgesehen davon, dass die Aufgabe darin besteht, einen Ort zur Unterhaltung zu schaffen. Für uns kommen in diesem Entwurf Landschaft, Special Effects, Skulptur, Gebäude und Atmosphäre zusammen.

Sie haben bereits in anderen Projekten verschiedene Disziplinen gemischt. Sie haben Ausstellungen eingerichtet, Performances und Theater gemacht. Welche Rolle spielt da die Architektur?

Ric und ich kommen beide von anderen Disziplinen her. Ric hat zwar eine Ausbildung als Architekt, er ist aber auch Musiker und hatte die Möglichkeit zu einer Künstlerkarriere. Ich selbst wollte Filme machen und studierte dann Architektur. Unsere Interessen kreisen um Architektur, aber wir verstehen sie als eine sehr weite Disziplin, als eine kulturelle Forschungsmethode. Wir wollen räumliche Konventionen überdenken und subtil verändern. Manchmal führt das zu Performances oder Installationen. Oder zu digitaler Kunst und Büchern. Natürlich entwerfen wir auch Bauten.

Sie setzen sich in Ihrer Arbeit intensiv mit Medien auseinander. Was fasziniert Sie daran?

Es gibt zurzeit zwei Positionen zum Verhältnis von Architektur und Medien. Auf der einen Seite sind die Technophobiker, die sagen, die neuen Medien würden die Architektur ersetzen. Das ist für sie schrecklich, weil sie befürchten, dass das den öffentlichen Raum, die Stadt und unsere Authentizität zerstört. Wir finden diese Haltung langweilig. Die Technophilen dagegen begeistern sich für den digitalen Raum und das Internet, weil sie glauben, man müsse nicht mehr aus der Wohnung gehen. Einkaufen, Kino, überhaupt der Raum sind für sie überflüssig, weil es alles im Computer gebe. Das ist uns auch zu extrem. Für uns sind Medien einfach ein wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens. Das gab es immer. Verschiedene Jahrhunderte hatten verschiedene Medien: den Druck, den Film, das Fernsehen und jetzt das Internet und den Computer. Wir nützen diese neuen Medien als Werkzeug, als Material und als Potenzial für unsere Architektur. Für uns sind heute die kleinsten, nicht mehr reduzierbaren Bausteine der Backstein und das Pixel. Wir machen da keine Unterschiede.

Wie sieht das denn konkret aus?

Nehmen Sie die Wolke! Das Wetter wird künstlich gemacht. Dafür braucht man Wetterstationen, eine Interpretation der aktuellen Wetterlage, verschiedene Druckverhältnisse in verschiedenen Zonen, die ihrerseits eine sehr komplexe Steuerung erfordern. Das geht ohne Computer nicht.

Sie haben vor kurzem auch einen Wettbewerb für ein Medienzentrum in New York gewonnen.

Ja, das «Eyebeam Atelier» für Kunst und neue Medien ist vieles zugleich. Ein Laboratorium, ein Produktionsort für Kunst, eine Bibliothek und ein Museum. Es bringt die verschiedenen Funktionen sehr nahe zusammen; die öffentlichen und die abgegrenzten Bereiche durchdringen sich auf den einzelnen Etagen. Und das Gebäude erlaubt es, die gesamte elektronische Infrastruktur jederzeit problemlos auszuwechseln; das ist bei dem hohen Tempo der technischen Entwicklung sehr wichtig. Wir haben ein sehr pragmatisches Verhältnis zur Technologie.

Ein zentraler Teil Ihrer Auseinandersetzung mit Medien ist dem Thema Überwachung gewidmet. In der Brasserie, die Sie in Mies van der Rohes berühmtem Hochhaus, dem Seagram Building, eingerichtet haben, werden die Besucher sogar gefilmt und die Bilder auf Monitore gespielt. Woher rührt diese Faszination durch Überwachung?

Es gibt hier in New York überall Kameras. Privatheit gilt zwar weiterhin als hohes Gut; die Vorstellungen, wie und wo man sie hat, haben sich aber völlig verändert. Vielleicht ist man heute am ehesten in der Öffentlichkeit privat. Bei der Brasserie dachten wir, dass man diese Machtstruktur der Beobachtung ja auch umdrehen und mit ihr spielen könnte. Die Menschen können die Kameras als Mittel der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit einsetzen. In der Brasserie versteht man das ja auch von Anfang an. Wer eintritt, wird gefilmt, die Bilder werden festgehalten und leicht verwischt abgespielt. Es ist nicht das Dodi/Diana-Bild, die Identität wird nicht völlig preisgegeben. Viele Leute gehen mehrere Male durch die Drehtür, um sich zu sehen. Sie machen ein Spiel daraus. In New York essen zu gehen, hat viel mit Beobachten und Beobachtetwerden zu tun. Der 11. September hat uns zwar gezeigt, wie fatal die Kontrollen dieser Gesellschaft trotz der massiven Überwachung scheitern können. Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit, damit Spass zu haben.

Hat der 11. September Ihre Haltung gegenüber der Architektur verändert? Sie forderten, die Türme nicht wieder aufzubauen.

Das war unser erster Eindruck. Das Problem ist, dass im Moment hier überall soviel Testosteron in der Luft ist. Es gibt Architekten, die sagen, baut die Türme wieder auf und baut sie doppelt so hoch. Wir wollten ein Moratorium. Ein schreckliches Ereignis ist passiert. Das sollte man nicht einfach verdrängen und zur Tagesordnung übergehen. Heute haben wir eine rationalere Haltung. Natürlich wird hier wieder gebaut werden. In New York dreht sich alles ums Geld, da bleibt so eine Fläche nicht leer. Aber wir finden es wichtig, der Erinnerung und dem Gedenken Raum zu lassen. Da stellt sich die Frage, was angemessenes Gedenken ist. Woran wollen wir uns erinnern und warum? An die Menschen, die Gebäude? Oder vielleicht eher an das Ereignis, mit dem die USA ihre Unschuld verloren, und an ein Gefühl der Unruhe darüber, dass die Welt komplex ist und wir uns nicht mit den Symbolen des Kapitalismus zufrieden geben sollten? Im Moment passiert aber etwas ganz anderes. Da geht es um Immobilien- Investitionen.

Und hat sich Ihre Haltung zur Architektur seither verändert?

Schwer zu sagen. Der 11. September war auch ein Angriff auf die Moderne. Wir sollten deshalb unsere Arbeit voranbringen. Auf der politischen Ebene gibt es aber keine einfachen Lösungen. Eine unmittelbare Auswirkung des Terrorangriffs ist, dass viele Projekte auf Eis gelegt wurden. Kultur gilt in diesem Land als Luxus. Jeder macht sich Sorgen um seine Budgets. Viele kleine Institute verschwinden einfach. Wir hatten bisher Glück. Wir können sowohl das Museum für neue Medien in New York wie ein Museum für zeitgenössische Kunst in Boston weiterentwickeln, für das wir gerade den Wettbewerb gewonnen haben. Interview: Gerhard Mack

Innovative Architektur: Elizabeth Diller und Ricardo Scofidio
Ihr Büro am New Yorker Cooper Square nennen sie «Atelier», ihre E-Mail-Adresse beginnt mit «Disco», Elizabeth Diller und Ricardo Scofidio betreiben Architektur nicht als traditionelle Planung von Gebäuden, sondern als interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem städtischen und kulturellen Raum. Wer im New Yorker John F. Kennedy Airport an Land geht, kommt an elektronischen Bild-Geschichten vorbei, die Diller + Scofidio als Kunst-Beitrag zum Thema Reisen gestaltet haben. In der Theaterszene haben sie ebenso einen Namen wie in der Kunst. Das Whitney Museum widmet ihnen 2003 eine grosse Retrospektive.

Aber auch auf dem Bausektor zeigen die Professorin in Princeton und der Professor an der Cooper Union, die auch privat ein Paar sind, dass Architektur aus den USA nicht so langweilig sein muss, wie es dem europäischen Besucher bisweilen erscheint. Zusammen mit Rem Koolhaas erarbeiten sie einen Masterplan für den Brooklyn Academy of Music District in New York. In San Francisco gestalten sie eine elektronische Fassade. Zuletzt gewannen sie die Wettbewerbe für das Eyebeam-Medienzentrum in New York und das Institute for Contemporary Art in Boston. Die «Viewing Platform» am Ground Zero haben sie mit initiiert.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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