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Wolkenkratzer, gezähmt
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung über «Tall Buildings» in New York

Das Museum of Modern Art in New York zeigt in seiner neusten Ausstellung eine Auswahl von realisierten oder geplanten Hochhausbauten aus aller Welt. Sie beschränkt sich auf Einzelwerke, lässt übergreifende Aspekte wie Ökologie und Städtebau ausser acht und stutzt die Utopie des Wolkenkratzers auf pragmatische Fragen zurecht.

31. Juli 2004 - Andres Lepik
Nach der Katastrophe vom 11. September 2001 wurde in aller Welt intensiv über den Sinn und die Gefahren neuer Super-Hochhäuser diskutiert. In New York und in Europa forderten zwar manche den Wiederaufbau des World Trade Center in der alten Form, um die schmerzhafte Lücke in der Skyline des südlichen Manhattan wieder zu schliessen (NZZ 17. 9. 01). Doch die Mehrheit war nach dem Schock des Terrorangriffs der Überzeugung, dass der Bau solcher Wolkenkratzer weitere terroristische Angriffe herausfordern werde. Im städtebaulichen Wettbewerb für die Neubebauung von Ground Zero versuchten daher einige Architekten, mit neuen Strukturen eine Reparatur der Skyline zu entwerfen, ohne auf den gängigen Typus des Einzel- oder Doppelturms zurückzugreifen. Daniel Libeskind traf aber mit seinem siegreichen Entwurf des Freedom Tower zielsicher die populären Erwartungen.

Jüngste Entwicklungen

Vor allem wollte er über die geplante Turmhöhe von 1776 Fuss den Rekord des «höchsten Hochhauses der Welt» zurück ins Heimatland der Wolkenkratzer holen. Im Jahr 1997 war nämlich der begehrte Titel zum ersten Mal nach Asien gegangen und schien seither für die USA verloren. Am vergangenen 4. Juli, dem Independence Day, wurde der Grundstein für den Neubau des Freedom Tower in New York gelegt. Der Bau wird nun allerdings von David Childs vom Büro SOM realisiert. Dabei sind von Libeskinds Entwurf ausser dem Namen und der geplanten Höhe nur wenige Elemente übrig geblieben.

Im Zeichen dieser Grundsteinlegung eröffnete das Museum of Modern Art in seinem temporären Ausweichquartier in Queens vor wenigen Tagen die Ausstellung «Tall Buildings». Die Kuratoren Terence Riley vom MoMA sowie Guy Nordenson, ein in Princeton lehrender Ingenieur, geben mit ihrer Schau einen Rundblick über die jüngsten architektonischen und konstruktiven Entwicklungen des Hochhausbaus am Beispiel konkreter Projekte. Wer hingegen etwas über die Hintergründe und den Stand der Planungen für die Neubebauung des World Trade Center erfahren möchte, wird enttäuscht. Unter den in der Ausstellung gezeigten Projekten sind zwar die Entwürfe von Norman Foster, Richard Meier und der Arbeitsgruppe United Architects zu sehen. Doch Libeskinds Modell fehlt, weil es sich in erster Linie um ein städtebauliches Modell handelt. Aber auch der jetzt begonnene Freedom Tower ist ausgelassen, weil Guy Nordenson an dessen Planung beteiligt ist. Aus dieser konzeptionellen Konsequenz und persönlichen Korrektheit resultiert für den Besucher jedoch eine reichlich unverständliche Lücke in der Ausstellung.

Die Schau versammelt insgesamt 25 grosse Modelle zu Projekten in aller Welt und präsentiert diese meist als isolierte, skulpturale Einzelobjekte. Den effektvollen Auftakt bilden das aus Baumrinde gefertigte Modell für die Togok Towers in Seoul und das von der Decke herabhängende Modell des CCTV-Hauptsitzes von Rem Koolhaas in Peking. Koolhaas, der Theoretiker des «Manhattanismus», gehört heute zu den entschiedensten Gegnern der herkömmlichen Typologie des Wolkenkratzers und versucht mit seinen Entwürfen Neuansätze vorzulegen. Ähnliches bieten auch die Modelle für das World Trade Center von United Architects mit den stabartigen Strukturen oder die monumentale Gitterwand Richard Meiers. Ästhetisch in jeder Hinsicht herausragend ist das Holzmodell der JR-Ueno-Bahnstation von Arata Isozaki - eine Komposition, die vielleicht als einziges Modell der Ausstellung Ansätze für die städtebauliche Einbindung von Hochhäusern deutlich macht. Frank Gehrys Wettbewerbsentwurf für den Hauptsitz der New York Times erweist sich in dieser Präsentation als ebenso zahm wie Renzo Pianos siegreicher Entwurf zum gleichen Projekt. Gehry ist kein Hochhausarchitekt, das war ohnehin klar, und Piano hat mit dem Aurora Place in Sydney bereits früher einen markanteren Entwurf realisiert. Pianos nächstes Hochhausprojekt, der pyramidenförmige London Bridge Tower, wird mit einem Modell gezeigt, das den wichtigen Gesichtspunkt der städtischen Einbindung überhaupt nicht berücksichtigt.

Einige der inzwischen weltweit bekannten Rekordprojekte in Asien sind vertreten, wobei sie meist von amerikanischen Architekturbüros konzipiert wurden. Etwa der Kowloon Station Tower von Kohn Pedersen Fox oder der Jin Mao Tower von SOM. Es sind architektonisch wenig anregende Projekte aus der Serienproduktion von Grossbüros. Warum aber das Taipei Financial Center in Taiwan fehlt, obwohl es derzeit den Rekord des welthöchsten Hochhauses trägt und noch dazu von einem chinesischen Büro entworfen wurde, wird nicht klar. Überdurchschnittlich gut berücksichtigt sind die europäischen Projekte. Norman Fosters eben eröffneter Swiss Re Tower in London ist ebenso präsent wie Santiago Calatravas Apartmenthochhaus Turing Torso, das zurzeit in Malmö gebaut wird. Hingegen wurde Jean Nouvels Torre Agbar in Barcelona nicht in die Schau aufgenommen.

Offene Fragen

An den umlaufenden Wänden der Ausstellungsräume sind als Erläuterung zu den Bauten und Projekten die Texte und Vergleichsabbildungen des Kataloges abgedruckt. Leider sind die Texte für die Lektüre vor Ort zu umfangreich, für die Lektüre im Katalog aber nicht informativ genug. Ein- oder weiterführende Literatur wird weder zu den Projekten im Einzelnen noch zur Geschichte des Wolkenkratzers geboten. Und bei den bisher unrealisierten Projekten wird nicht erklärt, woran sie scheiterten oder ob eine Realisierung noch in Aussicht steht. Auch über geplante und reale Kosten und andere technische Details erfährt man nichts. Der begleitende Katalog enthält neben einer Einführung in die konstruktive Geschichte der Wolkenkratzer von Guy Nordenson nur die einzelnen Projektbeschreibungen, die nach Höhe der Bauten sortiert sind. Auf die derzeit viel diskutierten Fragen der Sicherheit, Ökologie und Urbanistik von Wolkenkratzern gehen Katalog und Ausstellung in übergreifender Form nicht ein.

Obwohl vom MoMA etwas gar vollmundig angepriesen, bietet die Ausstellung «Tall Buildings» eine in jeder Hinsicht selektive und wenig differenzierte Bilanz. In der Selbstbeschränkung auf die Darstellung konkreter Projekte bleibt sie auf einer technologisch-pragmatischen Ebene stecken. Hochhäuser waren aber seit ihrer Entwicklung am Ende des 19. Jahrhunderts eine Bauform, die stark von utopischen Ansätzen geprägt und befördert wurde. Von Mies van der Rohes Projekt eines gläsernen Hochhauses an der Friedrichstrasse 1921 bis zu Norman Fosters Projekt des Millennium Tower war die Entwicklung der Wolkenkratzer immer mit zukunftsweisenden Phantasien verknüpft. In der «Tall Buildings»- Schau werden die visionären Ansätze jedoch völlig ausgeklammert. Das Resultat ist eine elegante und technologisch abgeklärte, aber eben auch insgesamt wenig stimulierende Präsentation. Wer nach dem Ausstellungsbesuch noch etwas über die Geschichte der Wolkenkratzer erfahren möchte, sollte nicht versäumen, das vor kurzem eröffnete Skyscraper Museum am Battery Park zu besuchen. Dort steht unter anderem auch das restaurierte Originalmodell des World Trade Center von Minoru Yamasaki.

[ Bis 27. September im MoMA Queens. Katalog: Tall Buildings. Hrsg. Guy Nordenson. The Museum of Modern Art, New York 2004. 192 S., $ 29.95 (ISBN 0-87070-095-2). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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