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Offene Türen aufstoßen
Spectrum

Seit Jahrtausenden ist die Architekturentwicklung ein Open-Source-Projekt. Ein Diskurs, der permanent stattfindet. Nicht zuletzt in Wiener Architekturzeitschriften. Ein Überblick.

17. Juli 2004 - Walter Zschokke
Unter dem Titel „Ein Kommunismus der Ideen“ plädiert Dennis Kaspari im kürzlich erschienenen „Umbau 21“ dafür, eine Architekturpraxis zu entwickeln, die in Anlehnung an die „Open-Source-Bewegung“ der freien Softwareszene (zum Beispiel Linux), den Architekturdiskurs ebenso offen und für alle zugänglich organisiert. Man müsse nur den Quellcode der jeweiligen Programme der Architekturgenerierung veröffentlichen. Nun, die Türen, die hier aufgestoßen werden sollen, sind weit offen. Mag sein, dass vor lauter Toren die Eintrittsmöglichkeiten übersehen werden. Denn wer sich ein wenig mit Architekturgeschichte befasst hat, wird rasch merken, dass die Architekturentwicklung seit Jahrtausenden ein Open-Source-Projekt ist. Denn selten sind Kunstwerke so öffentlich wie Bauwerke. Sie stehen über Jahrzehnte und Jahrhunderte und geben sogar als Ruinen noch ihre zugrunde liegenden Überlegungen jenen preis, die gelernt haben, sie zu analysieren und im Kontext zu verstehen.

Damit kommen wir zu einem entscheidenden Punkt: Die Architektur ist die Architektur und ein Computerprogramm ist ein Computerprogramm. Was unter Architektur nach heutigem Wissen verstanden werden kann, ist, dass es sich um ein Komplexon aus messbaren und nur gefühlsmäßig erfassbaren Faktoren handelt und dass ihr Gestehungsprozess sich aus strikten Abläufen und unabhängig wirkenden Einflüssen herausbildet. Es liegt ihr nicht ein mechanisches Muster zugrunde, das eindeutige Beziehungen zwischen dem konkreten Objekt und den Bedeutungen und Wirkungen sicherstellen würde; vielmehr kommt es immer wieder zu Mehrdeutigkeiten und interferierenden Überlagerungen, so dass die Interpretation von zahlreichen Faktoren abhängt, angefangen vom kulturellen Kontext bis hin zur Fähigkeit, die Betrachtenden zu analysieren. Bei der strenger und finaler zu strukturierenden Softwareproduktion ist dieser Spielraum viel geringer.

Der Vergleich mit Disziplinen der Massenkultur mag immer wieder anregend sein, doch geht in die Irre, wer, statt bei der Sache selbst zu bleiben, nach den Regeln eines woher auch immer gewählten Erklärungsmusters weiterdenkt. Ob dies nun das Fußballspiel, das Kochen oder etwas anderes sei, jede Disziplin hat je ihre eigenen Regeln, die von jenen der Architektur verschieden sind. Alle vergleichenden Überlegungen müssen weiterhin im innerarchitektonischen Diskurs wurzeln, sonst schaut außer kurzzeitiger Anregung wenig heraus.

Dieser Diskurs findet permanent statt: in nonverbalen Bereichen durch Anschauung und das Errichten von Gebäuden nach den Entwürfen der Architekturpraktiker sowie als planliche Darstellung von Projekten, beispielsweise bei Wettbewerben; auf der sprachlichen Ebene sind es Vorträge und Diskussionen sowie die schriftliche Fassung von Erkenntnissen und Meinungen. Dabei kann es immer wieder zu Dialogen kommen, die über zeitliche Distanzen von wenigen Monaten bis zu Jahrhunderten reichen, deren Medium die Architektur ist, das heißt die Bauwerke selbst.

Über das Medium der Sprache verständigen sich die am Diskurs teilnehmenden Fachleute und interessierten Laien sowie Spezialisten anderer Disziplinen über ihre gegenwärtige Interpretation des betrachteten Gegenstands oder Sachverhalts. Waren es bis ins 18. Jahrhundert vornehmlich Traktate und enzyklopädische Veröffentlichungen, die - neben Vorträgen, die großteils verhallt sind - den stattgehabten Diskurs ausmachten, so treten mit der politischen Liberalisierung im 19. Jahrhundert die Fachzeitschriften auf den Plan, mit denen technische Neuerungen und gestalterische Entwicklungen in den Markt der Ideen eingebracht werden. Diese Tradition hält bis heute an, und so finden wir auch in Wien wieder mehrere diesbezügliche Zeitschriften, wobei unser Interesse diesmal jenen gelten soll, die mit wenig Bildern und viel Text, oftmals wissenschaftsmethodisch gestützt durch Fußnoten, daherkommen. Trotzdem handelt es sich dabei um ein Minderheitenprogramm, aber um eines für qualifizierte Minderheiten, was sich letztlich überproportional auswirkt. - Beginnen wir mit der älteren, der bereits erwähnten Zeitschrift „UmBau“, die seit 1979, zwar nicht periodisch, aber immer wieder als mehr oder weniger starke Broschüre im A5-Format erscheint und nun bei der 21. Nummer angelangt ist. Herausgeberin ist die Österreichische Gesellschaft für Architektur, die seit Jahrzehnten mit Vortrags- und Besichtigungsprogrammen in Wien präsent ist. Ab der Nummer 19 wurde das Institut für Architekturtheorie der TU Wien, Leitung Kari Jormakka, dazugeholt, was sich sowohl inhaltlich als auch auf die Frequenz des Erscheinens positiv auswirkte. Dieser wichtige Bezug zur universitären Ebene, der früher zwar informell immer irgendwie bestanden hatte, erhöhte das Gewicht der Publikation im doppelten Sinn.

Das Themenheft „Lernen von Calvin Klein“ versammelt Aufsätze und Gespräche mit Fachleuten zur Frage, inwieweit die Mode, deren implizite Muster und ihr beschleunigter Wechsel sowie die Techniken und der absolute Zwang zum Verkauf die Architekturentwicklung und das Schaffen der Architektinnen und Architekten beeinflussen. Nicht immer wird man bereit sein, den Ausführungen widerspruchslos zu folgen, aber das ist der Sinn derartiger Lektüre. Schwieriger wird es bloß dann, wenn nach einer langen Folge von Zitaten nicht klar wird, worauf der Autor eigentlich hinaus will. Doch der nächste „Call for Papers“ zum Thema „Wettbewerb!“ ist bereits erfolgt, für neuen Diskussionsstoff wird gesorgt.

Seit dem Jahr 2000 erscheint die vom Architekturzentrum Wien herausgegebene Publikation „Hintergrund“, ursprünglich als Heft im A5-Format, seit der Nummer 20 als Taschenbuch, wenig größer als die bekannt günstigen Reclam-Editionen. Thematisch begleitet „Hintergrund“ das Ausstellungs-, Kongress- und Vermittlungsprogramm in freier Weise. Die jüngste, die Nummer 24, befasst sich unter dem Stichwort „Kiosk“ mit dem Resultat eines diesbezüglichen Wettbewerbs für den Ticketservice „Österreich Ticket“ sowie getreu dem Namen der Publikation mit literarischen Texten, in denen das alltagskulturelle Geschehen in den und um die wackeligen Hütten am Straßenrand mehr oder weniger hintergründig aufscheint.

Etwa gleich alt ist das A4-große Heft „dérive“, im Untertitel als Zeitschrift für Stadtforschung präzisiert, deren 15. Heft den Schwerpunkt „Frauenöffentlichkeiten“ behandelt. Das Schwergewicht liegt hier auf soziokulturellen Themen, die für eine erneuernde Programmierung von Städtebau und Architektur Diskussionsstoff bereitstellen. Engagiert setzen sich die Schreibenden für soziale Randgruppen ein, doch verschwimmt dabei ein wenig der Unterschied zwischen asiatischer, amerikanischer und europäischer Stadt. Allen drei Publikationen ist gemeinsam, dass sie sich intensiver mit der Bedeutung stiftenden kulturellen Umgebung befassen als mit innerarchitektonischen Themen, mit denen der „Quellcode“ zu den nachhaltigeren Beweggründen von Architektur zu knacken wäre. Aber das wäre für viele weniger unterhaltsam.

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