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Profil

Architekturstudium in Berlin
1999 – 2006 Ausstellungsprojekt Sondermodelle, mit Oliver Croy
2003 – 2006 Architekturkritiker und Journalistin Wien (Der Standard, profil)
Seit 2007 Kurator am Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt / Main
2016 Kurator der Ausstellung des deutschen Pavillons der Architektur-Biennale 2016 in Venedig
2017 Co-Gründer des CCSA (Center for Critical Studies in Architecture)

Lehrtätigkeit

2006 – 2007 wissenschaftlicher Assistent an der TU Graz, Lehrstuhl Prof. Hild
2012 – 2013 Vertretungsprofessor für Szenografie, FH Mainz
2021 Vertretungsprofessor für Architekturtheorie, KIT (Karlsruhe)

Mitgliedschaften

AICA, BDA (a.o.)

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Artikel

11. Dezember 2004 Der Standard

Zerlegen, malen, führen, provozieren.

Die interessantesten Neuerscheinungen des Architekturbuchjahrgangs 2004. Gelesen, aufgeblättert und vorgestellt

THE PHAIDON ATLAS OF CONTEMPORARY WORLD ARCHITECTURE. Der deutsche Verleger Benedikt Taschen hat sie eingeführt, die Sumo-Klasse im Buchgeschäft. Der britische Phaidon-Verlag hatte bisher bereits einige „Ziegel“ im Sortiment, aber erst der ATLAS sprengt den Rahmen. Neun Kilo Gewicht, 1052 Gebäude aus 75 Ländern, 4600 Fotografien - plus Koffer gibt es diesen „coffeetable killer“ zum Preis von € 154,30. Aufgenommen wurde nur, was nach 1998 entstanden ist. Während andere Verlage schon mit weniger gewichtigen Sammelbänden oft scheitern, sind hier die Fotos durchgängig von exzellenter Qualität, und die Kurztexte vermeiden den Architektenjargon. Erstaunlich, wie gut recherchiert wurde. Unter den 42 Gebäuden aus Österreich sind auch weniger bekannte wie die Wohn-DNA von Weichlbauer/Ortis in Gratkorn oder der Glockenturm von Markus Pernthaler bei Judenburg zu finden. Dem aber stehen nur 24 Projekte in ganz Afrika oder 45 in Südamerika gegenüber, darunter etliche von westlichen Architekten. Es ist deren Perspektive, die das Buch dominiert, das ist sein einziges Manko.

SCHRUMPFUNGSPROZESSE Als das Architekturwort des Jahres 2004 wird „Schrumpfung“ in Erinnerung bleiben. Mit dem Aussterben von Wirtschaftsräumen beschäftigte sich nicht nur eine viel beachtete Ausstellung („Shrinking Cities“) in Berlin, auch auf dem Wiener Architekturkongress im November war das Thema präsent. Zu Unrecht bisher wenig beachtet wurde die Studie LERNEN VON ALLENTSTEIG, die in diesem Jahr von Erich Raith, Städtebauprofessor an der TU Wien, herausgegeben wurde (Springer, € 29,-/199 Seiten). Das Buch widmet sich der Kleinstadt am Rande des „Lochs im Waldviertel“, wie einer der größten europäischen Truppenübungsplätze auch genannt wird. 250.000 Übernachtungen pro Jahr würden andere Gemeinden jubeln lassen, doch es handelt sich überwiegend um Soldaten, während die Allentsteiger selbst immer weniger Perspektiven haben. Ob farbige Häuser nach dem Vorbild der Insel Burano ein Rezept wären? Auch wer nicht Architekt ist, findet in dem Buch genug Stoff, denn das Erzählen von Geschichten ist das eigentliche Medium der Annäherung an eine vergessene Stadt.

ARCHITEKTURLEHRE HANS KOLLHOFF Muss gute Architektur provozieren? Hans Kollhoff würde diese Frage strikt verneinen und ist gleichzeitig doch einer der ganz wenigen zeitgenössischen Provokateure. Seine Bauten stoßen in aufgeklärten Architektenkreisen meist auf Entsetzen oder entschiedenes Kopfschütteln. „Faschismus“ murmelte die Fachpresse bei mehr als einem seiner Projekte und erinnert stets wehmütig daran, dass Kollhoff in den Achtzigerjahren zu den „Jungen Wilden“ der deutschen Architektenszene zählte, dann aber seine Seele dem Teufel der Monumentalität geopfert habe. Doch wer sich in den vergangenen Jahren an der ETH in Zürich in seinen Zeichensaal verirrte, konnte auch auf irritierend banale Einfamilienhäuschen treffen, weil der rastlose Professor Kollhoff seine Studenten auf die Suche nach der verlorenen Gemütlichkeit geschickt hatte. Ein opulent bebilderter Band stellt jetzt die Studentenarbeiten der Jahre 1987 bis 2002 vor und erläutert die Entwicklung von Architekt und Lehre (Niggli, € 79,-/372 Seiten). Eine alte neue Droge, auch für die abgeklärtesten Architekturjunkies

LE CORBUSIER ALS KÜNSTLER Auch in der Architektur gibt es Groupies. Menschen, um es neutraler zu formulieren, die bereit sind, sich in den Dienst eines verehrten Genies zu stellen. Heidi Weber hat ihr Leben Le Corbusier gewidmet. Die junge Innenarchitektin sah 1958 in Zürich eine Ausstellung über den damals schon weltbekannten Architekten und wollte ihn daraufhin unbedingt kennen lernen. Aus der Begegnung wurde eine Freundschaft, die bis zum Tod Le Corbusiers im Jahr 1965 immer intensiver wurde. Er überließ ihr nicht nur einige Möbelskizzen zur Serienproduktion, sondern bestimmte die Schweizerin als alleinige Verwalterin seines künstlerischen Werkes und baute ihr einen Pavillon am Ufer des Zürichsees. Seither hat Heidi Weber vier hervorragend illustrierte Bücher über die Gemälde, Zeichnungen und Grafiken Le Corbusiers herausgegeben, die der Birkhäuser-Verlag, der auch die legendäre Buchkassette des uvre complète vertreibt, nun übernommen hat. Der Preis liegt je nach Band zwischen 45 und 163 Euro. Da es keine Neuauflage ist, bleibt nur eine begrenzte Anzahl verfügbar.

TOTES LEBEN GIBT ES NICHT ist ein Zitat Herbert Eichholzers und der Titel einer Monografie über den steirischen Architekten und Widerstandskämpfer, der 1943 im Alter von neununddreißig Jahren hingerichtet wurde (Springer, € 25,-/ 231 Seiten). Die Autoren Antje Senarclens de Grancy und Heimo Halbrainer heben Eichholzers Werk nicht auf den Sockel eines „lange Verkannten“, sondern sorgen für kluge Querverweise und lassen ein lebendiges Bild von einem Mann entstehen, der stolz auf seine Harley-Davidson war, bei Le Corbusier als Praktikant und in Moskau als Architekt arbeitete, seine Aufträge meist aus dem gehobenen Grazer Bürgertum bekam und zunächst so klug war, sofort nach dem „Anschluss“ Österreich zu verlassen. Eichholzer ging zu Clemens Holzmeister nach Ankara, doch 1940 gab es dort nichts mehr für ihn zu tun, und so stürzte er sich in das waghalsige Unternehmen nach Graz zurückzukehren, um für die KPÖ eine Widerstandsorganisation aufzubauen. Die meisten seiner Bauten sind längst verschwunden, nur das Haus Lind in der Grazer Rosenbergstraße wäre noch zu retten.

IM BAUEN SCHWELGEN Architekturbücher sind zu 99 Prozent reine Fotobücher. Der Bau ist fertig, der Fotograf rückt an, Bilder werden zwischen Buchdeckel gepresst, mit Texten von Kritikern, besser noch Philosophen garniert - und ab geht's in die Regale, von wo das Buch dann meistens nur vom Architekten selbst wieder hervorgezogen wird, um dem nächsten Bauherrn in die Hand gedrückt zu werden. Die preisgekrönte Bezirkshauptmannschaft Murau der Architekten Wolfgang Tschapeller und Friedrich W. Schöffauer wurde bereits 2002 fertig gestellt, aber erst jetzt ist unter dem schlichten Titel MURAU (Pustet, € 28,-/128 Seiten) eine Dokumentation erschienen, die von dem Abenteuer handelt, einen außergewöhnlichen Bau mit ungewöhnlichen Mitteln in der Landschaft ganz wortwörtlich zu „verankern“. Ganz ohne Fotos und Texte (Christa Kamleithner/Walter M. Chramosta) kommt auch dieses Buch nicht aus, aber seine Stärke ist das Zerlegen des fertigen Baus in Zeichnungsserien, die nicht so abstrakt sind wie Architekturpläne, sondern sich bestens eignen, komplexes Denken anschaulich zu machen.

GUT GEFÜHRT Friedrich Achleitners Standardwerk über die österreichische Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts ist längst vergriffen - doch eine neue Generation unermüdlicher Jäger und Sammler ist unterwegs, um wenigstens die neuesten Bauten des Landes zu erfassen. Allen voran Otto Kapfinger, der sich nach VORARLBERG (Hatje Cantz 1998, € 24,80/336 Seiten) und TIROL (Pustet 2002, € 25,80/336 Seiten) nun die NEUE ARCHITEKTUR IN BURGENLAND UND WESTUNGARN (Pustet, € 22,-/256 Seiten) vorgenommen hat. Der dreisprachige Band gewichtet die Projekte nach Größe und Bedeutung und lässt keinen Quadratzentimeter Buchfläche ungenutzt. Luftiger hingegen ist die Darstellung der ARCHITEKTUR IN OBERÖSTERREICH SEIT 1980 von Romana Ring geraten (Pustet, € 25,-/200 Seiten) - da wäre etwas mehr mehr gewesen. Wie gut, dass das Mühlviertel mit dem Band HAUSVERSTAND (Pustet, € 18,-/ 120 Seiten) eigens unter die Lupe genommen wird.

verknüpfte Publikationen
- Neue Architektur in Burgenland und Westungarn
- Architektur in Oberösterreich seit 1980
- Totes Leben gibt es nicht
- Baukunst in Vorarlberg seit 1980
- Bauen in Tirol seit 1980

4. Dezember 2004 Der Standard

Mit der APE auf Tour

OCPA büchel & büchel: „salon mobile“

Seit 1947 rollen aus derselben Fabrik, in der auch die legendäre Vespa geboren wurde, die dreirädrigen Packesel vom Typ APE. Für dessen Ladefläche entwickelten die Brüder Daniel und Heinrich Büchel einen Aufsatz, der das Gefährt zu einer Bar macht. Der Auftrag kam ursprünglich vom Vorarlberger Poolbar-Festival. Gewünscht war einerseits eine mobile Schankanlage, aber auch DJ-Pult, Infotisch und ein Monitor sollten untergebracht werden - zu einem, man ahnt es, extrem niedrigen Budget. Die Jungarchitekten hatten die Idee, das alles auf den Rücken der APE zu packen, sprachen den Hersteller Piaggio an, der das Modell in Österreich gar nicht vertreibt, und bekamen zu so günstigen Konditionen das Fahrzeug gestellt, dass das verbleibende Geld ausreichte, alle Funktionen unter einer Art Bar-Landschaft zusammenzufassen, die bei Bedarf ausgetauscht werden könnte. Weitere Module, die Büchels nennen sie APEscape und haben dem Wort vorsorglich ein Copyrightzeichen hinzugefügt, sind in Planung. Denkbar wären auch ein Shop, eine Eisdiele, eine Crêperie, eine Espressobar, eine Garküche oder was auch immer die Dimensionen eines Kiosks hat und bewegt werden soll. Wo der „salon mobile“ auftaucht, entsteht ein öffentlicher Ort im Straßenraum. Im Bauch eines Transporters reiste der „salon mobile“ aus der Heimat Feldkirch nach Paris und war Teil eines Vernissagenabends in der Galerie „bétonsalon“. Das Vehikel diente gleichzeitig als Ausstellungsstück und Schanktresen, der das Kunstpublikum unter freien Himmel lockte und Passanten anzog, die sonst zu keiner Eröffnung gehen würden. Im kommenden Jahr steht eine Reise mit dem Autozug Feldkirch-Wien auf dem Programm, dann wird der „salon mobile“ das Museumsquartier ansteuern.

OCPA, der Name des seit zwei Jahren in Wien ansässigen Architekturbüros, steht für „Office for Critical Pragmatic Architecture“. Wer da an Rem Koolhaas und das „Office for Metropolitan Architecture“ denkt, liegt wohl nicht ganz falsch, denn auch OCPA haben, in deutlicher Referenz an den Meister, ihren Namen ins Signet eines schlichten Stempels gepresst. Zu den bisherigen Arbeiten zählen der Realfood-Shop in Zürich, eine asiatische Garküche und die Ausstellungsarchitektur „Virtual Frame“ für die Glasbox der Kunsthalle am Karlsplatz.

17. November 2004 Der Standard

Museumsgiganten der Zukunft

Kein Zufall, dass sich pünktlich zur Eröffnung des MoMA gleich noch ein zweites Museum an die Öffentlichkeit wendet: Das Whitney-Museum stellte dieser Tage seine Erweiterungspläne vor. Nach einem Entwurf des italienischen Architekten Renzo Piano soll der Bau an der Madison Avenue auf das Doppelte der bisherigen Ausstellungsfläche vergrößert werden.

Der Museumsboom, so hat es den Anschein, hält weiterhin an. Andererseits sah es vor wenigen Jahren noch ganz anders aus: Da plante das Guggenheim-Museum noch einen riesigen Neubau aus onduliertem Titanblech, den der in Bilbao so erfolgreiche Frank O. Gehry über die verwaisten New Yorker Piers stemmen sollte. Und das Whitney wollte Rem Koolhaas dafür gewinnen, ein nicht weniger spektakuläres Ausstellungshochhaus zu errichten. Beides ist vom Tisch.

Großprojekte sind hingegen nur noch im Bereich der Wissenschaftsmuseen zu finden. So arbeiten momentan die Wiener Architekten Coop Himmelb(l)au an dem Musée des Confluences in Lyon, einer gigantischen Wissensvermittlungsmaschine an der Schnittstelle von Technologie, Biologie und Ethik. 2007 soll der Bau fertig werden.

Bereits Ende des kommenden Jahres wird in der deutschen Automobilstadt Wolfsburg die „Experimentierlandschaft“ Phaeno eröffnet, ein nicht minder imposanter, gleichfalls schwebender Betonbau. Architektin ist die in Wien lehrende Zaha Hadid.

Bei den „klassischen“ Kunstmuseen hat sich in den letzten Jahren der Fokus auf kleinere Sammlermuseen verschoben, oft als Anbauten an bestehende Institutionen oder auch fern der Kunstmetropolen.

6. November 2004 Der Standard

Solange es nur Bauklötzchen sind, ist alles möglich

Schwieriger Städtebau: Der Otto-Wagner-Preis richtet den Blick in Zukunft, aber was wirklich gebaut wird, bleibt meistens offen. Keine sehr wirksame Qualitätskontrolle.

Was bedeutet Städtebau? In Wien sind momentan zwei Ausstellungen zu sehen, die diese Frage mit hohem Qualitätsanspruch zu beantworten versuchen. Bei einer geht es um nichts Geringeres als die Stadt der Zukunft, man darf auch SocióPolis zu ihr sagen. Mit dem Versprechen, wenn nicht die, so doch immerhin eine Stadt der Zukunft zu präsentieren, widmet sich das Architekturzentrum Wien (AzW) einer fiktiven Ansiedlung in der Nähe von Valencia in Spanien. SocióPolis wird es in dieser Form nicht geben, denn das Projekt entstand vor zwei Jahren im Rahmen der dortigen Kunstbiennale. Der Erfolg war aber so groß, dass jetzt eine Stadterweiterung in Planung sein soll, die die städtebaulichen Ideen der SocióPolis in ein reales Bauvorhaben verwandelt. Doch über den sicherlich spannenden Transformationsprozess von der Vision zur Realität erfährt der Besucher rein gar nichts.

Dasselbe lässt sich auch über die zweite Städtebau-Ausstellung sagen. Sie wurde zur Verleihung des Otto-Wagner-Städtebaupreises am Dienstag dieser Woche in den ehrwürdigen Räumen der Postsparkasse am Wiener Stubenring aufgebaut und wird noch bis zum 3. Dezember zu sehen sein. Auch dort tritt das Architekturzentrum Wien als Mitveranstalter auf. Auch dort wird Architekten die Möglichkeit gegeben, sich nach eigenem Gutdünken zu präsentieren. Das kann nur ein Ausrutscher sein, haben doch das AzW und sein Direktor Dietmar Steiner in der Vergangenheit viel Energie investiert, um das sperrige Thema Architektur für ein breites Publikum zu öffnen, ohne je in die Nähe des Populismus geraten zu sein. Nun aber trifft der P.S.K.-Kunde in Otto Wagners Kassenhalle auf schwer verdauliche Flachware, auf Architektenpläne im Insiderjargon, die darauf getrimmt sind, die Kollegen in der Wettbewerbsjury unter Vorsitz von Dominique Perrault für sich einzunehmen, nicht aber dazu bestimmt sind, dem schwierigen Thema Städtebau eine Lobby zu verschaffen.

Der Architekturhistoriker Colin Rowe charakterisierte die Bauten der Moderne einmal spöttisch als „architecture of good intentions“. Die guten Absichten hinter SocióPolis und dem Otto-Wagner-Preis sind unübersehbar. Städtebau findet in Österreich viel zu wenig Beachtung. Eine Stadt der Zukunft als thesenbeladenes Modell in den Raum zu stellen ist genauso wichtig, wie die hiesigen städtebaulichen Projekte alle drei Jahre auf den Prüfstein zu stellen, um mit Preisen und Anerkennungen für mehr Qualität und freies Denken zu werben. Die Gefahr ist aber, über das Ziel hinauszuschießen. Indem die Präsentation nicht den Standards entspricht, die sich das AzW bei seinen sonstigen Vorhaben selbst gesetzt hat. Das betrifft nicht nur die Art der Darbietung. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, erst einmal abzuwarten, wie sich das Wiener Stadtentwicklungsgebiet Kabelwerk als gebaute Realität behaupten wird, statt ihm Vorschusslorbeeren in Form des Otto-Wagner-Preises mit auf die Reise zu schicken? Das Projekt ist mit Sicherheit der in Österreich zurzeit ambitionierteste Versuch, mit neuen Raumfiguren und einer maximalen Vielfalt von Bebauungstypen zu jonglieren. Ob dort wirklich etwas Lebendiges entsteht, lässt sich erst in etwa drei Jahren sagen. Wenn aber der Preis dazu dient, das zu fördern, was es sonst schwer hätte, dann wäre es fair gewesen, auch den siegreichen Entwurf von Florian Haydn und Reiner Pirker zu zeigen, auf dem die jetzige Planung basiert. Dass es sich ja nur um einen Wettbewerb und nicht um eine sorgfältig zusammengestellte Ausstellung handelt, wäre ein schwaches Argument: Städtebaulich interessante Projekte sind so rar, dass sie in ihrer ganzen Komplexität und mit allen Widersprüchen dargestellt werden sollten. Modelle der verschiedenen Entwurfsstadien wären vielleicht eine Hilfe.

Weniger am stark abstrahierten Modell als vielmehr in der Realität lässt sich die Qualität des ebenfalls preisgekrönten T-Centers überprüfen, das unübersehbar die Wiener Südosttangente beherrscht. Die Jury lobte den Bau von Domenig, Eisenköck und Peyker als Landmark. Ist das schon Städtebau? Immerhin gelang es, Hochhaus und Büroriegel zu etwas hybridem Neuen zu verschmelzen (ALBUM vom 31. 1. 2004), dessen Stärke eher die Zeichenhaftigkeit ist als eine besonders innovative Ausnutzung der expressiven Geste. Was auf dem dahinter liegenden Schlachthofgelände passieren wird, dessen Tor das T-Center ja sein soll, bleibt abzuwarten.

Das gilt auch für die meisten der neun Projekte, die eine Würdigung und ebenfalls einen Platz in der Ausstellung verliehen bekamen. Mehr oder weniger fertig gestellt sind nur drei: die Wienerberg City von Massimiliano Fuksas, der Hauptbahnhof Innsbruck von Riegler Riewe (ALBUM vom 30. 4. 2004) und die Wiener Wohnanlage Breitenlee des Architekten Roland Hagmüller. Zwei weitere sind Studien, die Übrigen stellen sich zurzeit den Mühen der Anpassung an die raue Wirklichkeit. Ihnen ist zu wünschen, dass sie in drei Jahren wieder dabei sind, wenn der Preis erneut vergeben wird. Damit deutlich wird, dass Städtebau auch in Österreich möglich ist, und zwar nicht nur auf dem Papier.

[ 4. Otto-Wagner-Städtebaupreis, Ausstellung in der Österreichischen Postsparkasse, 1010 Wien, bis 3. 12. 2004
SocióPolis, Ausstellung im AzW, Museumsquartier, 1070 Wien, bis 31. 1. 2005. www.azw.at ]

6. November 2004 Der Standard

Genussräume

Seit Peter Greenaways Film Der Bauch des Architekten ist das Kulinarische mit dem Architektonischen eine noch nicht näher bestimmte Beziehung eingegangen. Vielleicht, weil der Architekt Geschmacksfragen scheut wie der Koch die Küchenschabe? Die Studenten von William Alsop an der TU Wien fragen auf Englisch, so klingt es besser, nach den Rezepten für „tasty spaces“ und haben für den bereits vierten „Changing Strategies“-Kongress wieder hervorragende Referenten gewonnen: Fergus Henderson (Küchenchef St Johns Restaurant, London), Martina Löw (Architektur-
soziologin und Rotlichtforscherin), Maurice Nio (Architekt), Hans-Ulrich Obrist (darf nirgendwo fehlen), Philippe Rahm (Architekt feinster Sinnesreize), Paul Renner (Künstler und Koch von Geschmacklosem), François Roche (Architekt für Formloses und Deformiertes) und Michael Zinner (Boygroup Querkraft Vienna). Sie alle teilen sich einen einzigen Abend (welch ein Überfluss), der am Montag, 8. 11., um 17 Uhr im WUK, Währinger Straße 59, Wien beginnt. Der Eintritt ist frei, Informationen gibt's auf www.changing-strategies.at.

30. Oktober 2004 Der Standard

Mit dem Auto in den Hörsaal

An der Klippe: Die FH Hagenberg von Berger+Parkkinen

Dumpf hallen die Schritte durch den schier endlos langen Gang. Rechts und links nur mit Chipkarten gesicherte Türen mit der Aufschrift „Labor“. Endlich ist eine zu öffnen. Der Schließmechanismus wurde mit einem Klebeband überlistet, weil in dem erst vor einer Woche eingeweihten Haus noch nicht jeder mit dem passenden Schlüssel herumläuft. Das Labor hinter der Tür ist alles andere als eine Hexenküche für Zauberlehrlinge. Hier zischt und brodelt es höchstens auf den Bildschirmen, die ordentlich in Reih und Glied die Tische bevölkern. Die Fachhochschule Hagenberg bildet Programmierer aus. Deswegen ist das Haus mit Computern voll gestopft, deswegen klingt es in den Gängen so hohl. Unter dem Fußboden in pompejanischem Rot winden sich die Kabeltrassen.

Wie ein Gebäude aussehen muss, dessen Herz im Gigahertztakt schlägt, das war für das österreichisch-finnische Architektenpaar Alfred Berger und Tina Parkkinen wohl nie die Frage. Die Architektur kann keine Sprünge machen wie die Entwicklung von Computerchips, deren Rechenleistung sich nach „Moors Gesetz“ alle 18 Monate verdoppelt. Obwohl gerade Architekten dafür berüchtigt sind, heftig mit dem technischen Fortschritt zu flirten. Le Corbusier zum Beispiel. Wie eine Vogelscheuche stand er als junger, dürrer Mann unentwegt am Rande der Baustellen herum, auf denen Beton, der Stoff der Zukunft, angemischt wurde. Er wollte der Erste sein, der damit abhebt. Sein berühmter Fünf-Punkte-Plan forderte unter anderem die freie Fahrt durchs Erdgeschoß, weil das Haus sich dank schlanker Betonstützen vom Boden erheben sollte wie die uralten Pfahlbauten an den Schweizer Seen.

Diesen Punkt haben Berger+Parkkinen übernommen. Auch in den Nachbargebäuden ist ein Geschoß für parkende Autos reserviert. Was den Vorteil hat, dass der Flächenverbrauch am Rande des Hagenberger Schlossparks auf die Gebäude und Erschließungsstraßen beschränkt bleibt, obwohl hier, eine Dreiviertelautostunde nordöstlich von Linz, jeder einen Wagen hat, der geparkt werden will. Nur sind Berger+Parkkinen mit ihrem Bauteil, dem dritten der FH, um einiges radikaler als die bloß aufgebockten Kisten in ihrer Umgebung. Das abfallende Gelände ausnutzend, senken sie die Parkplätze in den Hang hinein und überdecken sie mit einer Platte, auf der ein Platz entsteht, durch den der Hagenberger Campus diesen Namen erst wirklich verdient.

Eingefasst wird der Platz von einem teilweise dramatisch mit Corbusier'schen pilotis in die Höhe getriebenen modernen Vierseithof, der sich in seinen Proportionen an der benachbarten Meierei orientiert, einem für die FH umgebauten Renaissancegehöft, in dem 1993 mit dem Lehrbetrieb begonnen wurde. Der Weg aus den Studentenwohnheimen mit immerhin einhundertfünfzig Betten führt über den Platz auf eine Rampe, die den Campus mit der Hagenberger Altstadt verbindet. Die vor allem aus dem vom Architekten Peter Riepl aus Linz umgebauten Schloss besteht, wo das Risc-Center untergebracht ist, ein Forschungsinstitut des Mathematikers Bruno Buchberger, das die FH-Gründung und den übrigen Softwarepark nach sich zog.

Vom Schloss kommend könnte man aber auch gleich die unterste Ebene des Gebäudes ansteuern. Dem Parkdeck haben die Architekten noch einen Mehrzwecksaal und drei Hörsäle untergeschoben, schwere und wuchtig geformte Blöcke mit Eichenholzvertäfelung und einer Kruste aus rostrot durchgefärbtem Beton. Dass der Lehrbetrieb die parkenden Autos umschließt wie ein Sandwich seinen Belag, ist weniger trennend, als es vielleicht erscheinen mag. Zwei Treppen stoßen durch den Verkehrsraum hindurch, und eine von ihnen führt aus der Vorlesung direkt in die ovale Cafeteria am Rande des Platzes.

Rem Koolhaas ist neben Le Corbusier der zweite Stichwortgeber für diesen gerade wegen dieser Ahnenreihe höchst eigenen Entwurf. Sollte noch der finnische Volksheld Alvar Aalto hinzugezählt werden? Die gefächerten Decken in den Hörsälen und vor allem die recht trockene, mit striktem Modernismus durchgezogene Umbauung des Platzes sprechen dafür.

Mit diesem Dreigestirn lassen sich aus der, wie Alfred Berger sagt, „längst überwundenen Moderne“ doch noch gewaltige Funken schlagen. An Koolhaas geschult ist jedenfalls die Verschränkung der verschiedenen Funktionen zu einer dichten Packung, in der es immer wieder zu unerwarteten Begegnungen kommt. Mit Autos oder anderen Passanten, die gerade auf einer anderen Ebene unterwegs sind.

Der Hauptakteur dieses sensibel am Modell ausgetüftelten Raumgefüges aber ist nicht die Architektur, sondern die Landschaft. Sie zu rahmen und so dem zentralen Platz den Charakter einer Aussichtsplattform zu geben ist die Rechtfertigung dafür, einen simplen Bürotrakt zum Wolkenbügel hochstemmen zu dürfen. Bleibt nur noch abzuwarten, ob die Höhenluft klar genug ist, um die blendend weiße Putzfassade auch über Jahre so rein zu erhalten.

Für die Architekten ist es nach dem großen Auftakt mit der Botschaft der nordischen Länder in Berlin (1995-1999) das erste große Projekt in Österreich. Anfangs selbst im Zweifel, haben sie gezeigt, dass sie auch mit viel bescheideneren Mitteln hoch hinausgelangen können.

30. Oktober 2004 Der Standard

Filmräume

Er starb in der Herrentoilette der Pennsylvania-Station. Drei Tage lang lag die Leiche des wichtigsten Architekten der USA in einer Kühlkammer. Niemand erkannte ihn. Zu diesem Zeitpunkt, 1974, ist Nathaniel elf Jahre alt. Louis Kahn war sein Vater. Die Nachrufe erwähnen die Witwe und eine Tochter, nicht aber, dass er zwei weitere Kinder mit zwei anderen Frauen hatte. Der Sohn wurde Regisseur, reiste fünf Jahre lang dem Gespenst seines Vaters hinterher, um ihn doch noch kennen zu lernen, besuchte Bauten, sprach mit Zeitgenossen wie Philip Johnson, I. M. Pei, Frank O. Gehry und Moshe Safdie. Die Dokumentation My architect ist für den Oscar nominiert und bildet am nächsten Sonntag, 7.11., den Schlusspunkt des 2. ORTE Architekturfilmfestivals im Cinema Paradiso in St. Pölten (Karten unter: www.cinema-paradiso.at oder 02742 / 21 400). Es beginnt am Freitag mit zwei Filmen von Heinz Emigholz, Goff in der Wüste und Sullivans Banken, dann folgt ein Programm rund ums Haus, unter anderem mit Beiträgen von Hubert Lobnig und dem wunderbaren Il Girasole des Architekten Marcel Meili. My architect läuft auch am 18. 11. in Linz (www.afo.at).

29. Oktober 2004 Der Standard

Oase in der Hochhauswüste

Den Architekten des neuen MoMA kannten bislang nur Japaner. Für Yoshio Taniguchi ist es bereits das neunte Museum, aber der erste internationale Auftrag. Er will die Architektur zum Verschwinden bringen.

Das Museum of Modern Art, kurz MoMA, ist zwar der Tempel, in dem der heilige Gral der Moderne gehütet wird. Aber wegen der Architektur des Hauses ist bisher niemand dorthin gepilgert. Das Museum ähnelte einem Maulwurfsbau. Zahllose An- und Umbauten hatten zwar mit Mühe die stetig wachsende Sammlung, nicht aber die Orientierung der Besucher in den Griff bekommen. 1997 wurden zehn Weltklassearchitekten zum Wettbewerb geladen, darunter Herzog & de Meuron, Steven Holl, Toyo Ito, Dominique Perrault und Rem Koolhaas, dessen intensive Beschäftigung mit New York ihn zum Favoriten machte. Doch den Zuschlag erhielt Yoshio Taniguchi, dessen Namen außerhalb Japans noch kaum jemand gehört hatte. Der 1937 geborene Architekt und Harvard-Absolvent überzeugte seine Auftraggeber, dass New York schon vertikal genug sei. Das neue MoMA hingegen folgt der Schwerkraft und entwickelt sich horizontal von der 53sten zur 54sten Straße.

Dort, wo bisher der berühmte Skulpturengarten das Ensemble abgeschlossen hat, wird der neue Haupteingang sein. „Gebt mir viel Geld, und ich werde das Museum zum Verschwinden bringen“, forderte Taniguchi seine Auftraggeber heraus. Das MoMA warf daraufhin seine Spendensammelmaschine an, um die Sonderwünsche des Architekten befriedigen zu können: Türrahmen aus weißer Bronze, handgeschmiedete Fensterrahmen, schwarzer Granit aus Simbabwe, der in Italien verarbeitet wurde.

Der Bau wird edel sein und vor allem groß. Eine gestalterische Handschrift ist eher im Detail als in den kubischen Volumen zu entdecken, mit denen Taniguchi das Ensemble neu gegliedert hat. Hätte Rem Koolhaas den Zuschlag bekommen, wäre es ein echter Koolhaas geworden, doch der Japaner hielt sich bescheiden zurück. Für sein neuntes Museum, das erste außerhalb Japans, ließ er der Kunst, vor allem aber den atemberaubenden Blicken in die New Yorker Stadtlandschaft den Vortritt. Dieses hohe Maß an Selbstdisziplin zeigte der Architekt auch im Umgang mit dem von Philipp Johnson im Jahre 1953 angelegten Garten, dem einzigen architektonischen Höhepunkt des bisherigen Museums. Die wie in einem Bild von Mondrian von Beeten und Wasser unterbrochenen Steinflächen wurden restauriert und mit der Terrasse eines Restaurants eingefasst, das zu den Top-Adressen der Stadt werden soll. Der Garten ist nicht mehr die dringend notwendige Verschnauffläche für erschöpfte Besucher am Ende eines langen Kunsttages, sondern ist zu einem zentralen Platz geworden.

Die Besucher sind nicht mehr gezwungen, den ganzen Parcours durch die Kunstgeschichte zu absolvieren wie den langen Marsch durch ein IKEA-Haus, sondern können sich das Programm häppchenweise vornehmen. Mit dem Umbau hat sich das Museum endgültig zu einer Stadt in der Stadt entwickelt.

23. Oktober 2004 Der Standard

Europäische Architektursammler

Die Internetdatenbank Nextroom ist seit Jahren ein erstklassiges Nachschlagewerk für qualitätvolle Architektur. Jetzt kommen auch Bauten aus der Slowakei hinzu, weitere Länder sind geplant.

Im Jahr 1996 hatten die meisten noch keine E-Mail-Adresse. Da tüftelte der junge Architekt Jürg Meister bereits an einer Architekturdatenbank. Im folgenden Jahr ging Nextroom ans Netz und ist seither zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk für alle Architekturinteressierten in Österreich und darüber hinaus geworden. Nextroom sammelt neue, gelegentlich auch ältere Bauten und verwaltet die mittlerweile auf rund 5000 Exponate angewachsene Masse in einer Datenbank, die kostenlos und im Internet für jeden zugänglich auf Knopfdruck die wichtigsten Informationen, einige Fotos und kurze Erläuterungstexte bereitstellt.

Seit dieser Woche hat Nextroom Zuwachs aus der Slowakei bekommen. Dort dokumentiert die Akademie der Wissenschaften schon seit Jahren nach wissenschaftlichen Kriterien das Baugeschehen des Landes, nur ruhte das Wissen bisher in unzugänglichen Computern. Jetzt werden die Daten schrittweise auf den Nextroom-Server übertragen und in das Kategorienschema einsortiert, das es dem Benutzer erlaubt, Krankenhäuser oder Bankgebäude aus der Menge der Einträge herauszufiltern.

Ob ein Gebäude auf Nextroom erscheint, ist allein von der Qualität abhängig. Die Entscheidung darüber treffen die angeschlossenen Sammlungen. In Österreich sind das mit Ausnahme des Burgenlandes die Architekturzentren und -foren der einzelnen Bundesländer. Sollte ein Architekt der Meinung sein, sein Gebäude müsse unbedingt auf Nextroom erscheinen, muss er sich an die lokalen Ansprechpartner wenden. Das erdet die Auswahl, die ja sonst nur aufgrund schicker Bilder stattfinden könnte, und sorgt dafür, dass zumindest theoretisch die Möglichkeit gegeben ist, ein Gebäude zunächst anzuschauen, bevor es ins Netz geht.

Die Funktion von Nextroom liegt irgendwo zwischen Architekturzeitschrift, Reiseführer und Gelben Seiten. Da die Architekturpublizistik in den neuen EU-Ländern noch nicht so weit entwickelt ist, bietet Nextroom eine ideale Plattform. Doch auch in Österreich, wo kein gutes Haus lange übersehen wird, erfüllt Nextroom Nextroom die Funktion eines virtuellen Gedächtnisses, das alles festhält, was irgendwann einmal durch den Blätterwald gerauscht ist, dann aber in Bibliotheken und auf Altpapierhalden verschwindet. Als zusätzlicher Service werden den Bauten auch Artikel ausgewählter Tageszeitungen zur Seite gestellt, die dafür ihre beschränkten Archivzugänge zum Teil eigens für Nextroom geöffnet haben. Vertreten sind der Standard, Die Presse, die Salzburger Nachrichten, Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung und andere mehr.

Zu den rund zwei Dutzend Gebäuden aus der Slowakei werden in den kommenden Wochen weitere dazukommen, die jeweils auf der Startseite von Nextroom angekündigt sind. Als Nächstes ist geplant, zusammen mit Partnern aus Slowenien, Ungarn, Kroatien und Rumänien die dortige Architekturszene zu erfassen. Man habe zwar ein gewisses Qualitätsproblem, muss Helga Kusolitsch, Pressesprecherin von Nextroom, eingestehen, denn die Neubauten in diesen Ländern sind zum Teil weit von den hiesigen Standards entfernt. Lieber bleibt die Auswahl beschränkt, als das Niveau herabzusetzen.

Das Ziel, so Kusolitsch weiter, sei eine Europäische Architekturdatenbank. Vergleichbare Projekte gibt es bislang nur in der Schweiz und in Teilen Deutschlands. Doch dort werden ausschließlich regionale Projekte gesammelt. Da sich Nextroom aber auch an der Presselandschaft orientiert, sind auf diesem Weg sogar Bauten aus China, Israel, Dänemark, Finnland, Russland, Ägypten und vielen anderen Ländern zu finden. Zum „Museum of Modern Art“ in New York ist zwar auf Nextroom weder ein Foto noch eine Zeichnung verfügbar, dafür aber acht Artikel, die in den vergangen Jahren erschienen sind.

1,1 Millionen Mal wird Nextroom durchschnittlich pro Monat angeklickt. Der Besuch der Webseite ist aber nicht zwingend notwendig. Nextroom bietet auch die Möglichkeit, einen Newsletter zu bestellen, der die neuen Gebäude und eingesammelten Pressetexte auflistet. Mit Beginn der Erweiterung in die Slowakei sind alle neu erscheinenden Projekttitel auch auf slowakisch verfügbar.

23. Oktober 2004 Der Standard

Kunsträume

Heute eröffnet in Salzburg das Museum der Moderne. Endgültig. Vorausgegangen ist ein Marathon von Pre-Events: künstlerische Bespielung des Bauzauns, Voreröffnung mit der Ausstellung „Einleuchten“ im Juli diesen Jahres, Eröffnung des Museumsshops in der vergangenen Woche. Bei dieser Gelegenheit war es möglich, einen Blick in die gerade im Aufbau befindliche Ausstellung zu werfen. Ziemlich eng gehängt, ist der erste Eindruck. Das Museum der jungen Münchner Architekten Friedrich Hoff Zwink (Kritik im ALBUM vom 24.07.04) hatte es von Anfang an nicht leicht. „Die Salzburger verlangen nach Größe, auch wenn sie dabei die Hose voll haben“, schreibt Friedrich Achleitner, der der Auswahljury im Wettbewerb angehörte, in der soeben erschienenen Dokumentation (Museum der Moderne Salzburg, Verlag Anton Pustet, € 28,-). Bekommen haben sie eines der besten Häuser, die während des Museumsbooms in Mitteleuropa errichtet wurden. Es inszeniert den Aufstieg aus dem Berg, ohne zu billigen Metaphern greifen zu müssen. Es dient der Kunst mit neutralen Räumen und ist doch keine Schachtel. Schade, dass ganz am Ende Matteo Thun das Restaurant übertragen wurde. Aber was sind schon Hirschgeweihe gegen das Panorama Salzburgs?

23. Oktober 2004 Der Standard

Schwimmbad, Wohnhaus, Museum

Ortsbildprägend: Peter Fleiß und seine Bauten in Bleiburg

In Architektenkreisen kursieren immer wieder Reisetipps weit abseits der üblichen Kulturrouten: Monte Carasso im Tessin, wo Luigi Snozzi versuchte, mit zurückhaltenden Mitteln ein Zentrum zu definieren. Oder das 200-Seelen-Dorf Vrin in Graubünden. Dort entstand zunächst nur eine Telefonzelle in Holzbauweise. Daraus entwickelte der dort geborene Architekt Gion Antoni Caminada eine Strategie, wie der Verfall einer ländlichen Siedlung aufgehalten werden kann, ohne ins Extrem hypertouristischer Ausbeutung zu kippen.

Beide Orte brauchten die Architektur, um wieder zu sich selbst zu finden. In beiden Fällen war es eine einzelne Person, die mit viel Engagement eine labile Situation wieder ins Gleichgewicht brachte. Das ist ein anderes Rezept, als dafür Werbung zu machen, dass auch kleine Gemeinden sich gute Architektur ins Haus holen, indem sie Wettbewerbe veranstalten, in denen dann ein Architekt x aus y gewinnt, der sich nach Fertigstellung wieder dorthin zurückzieht. Dass heißt nun nicht, nur einer „vom Ort“ habe die nötige Sensibilität, vor Ort die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber auch in einer vom rituellen Partnertausch bestimmten Branche wie der Architektur sind Bindungen und Enthaltsamkeit manchmal höchst produktiv.

Bleiburg im Kärntner Jauntal ist auf dem besten Wege dorthin, auch ein Ort mit besonderer Prägung zu werden. Dabei erscheint das Städtchen dem Durchreisenden zunächst so banal wie tausende andere auch. Erst wer die Ortstangente verlässt, an der die üblichen Lebensmittelblechkisten sich auffädeln, der gelangt auf den Hauptplatz, der zugleich der einzige Platz ist, den Bleiburg zu bieten hat. Dort sind die notwendigen Zutaten versammelt, die Bleiburg nicht ins Dörfliche abgleiten zu lassen. Kaffee- und Gasthaus haben Tische herausgestellt, es gibt einige, aber im Vergleich zu früheren Zeiten viel zu wenige Fachgeschäfte. In der Trafik gleich um die Ecke sind die wichtigsten Zeitungen aus Deutschland und Österreich auch außerhalb der Sommersaison erhältlich. Ein etwas verwahrlostes Haus am Hauptplatz, leider nicht das einzige, ist der Familiensitz der Kogelniks. Kiki, die früh verstorbene Künstlerin, hat dort gelebt. Den Bleiburgern hinterließ sie den Freyungsbrunnen direkt vor ihrem Geburtshaus und nebenan im Café Stöckl eine Reihe quietschbunter, in New York entstandener Modeamazonenbilder, die den Illustrationen erstaunlich ähnlich sind, mit denen Jahrzehnte später das Magazin Wallpaper für Furore sorgte.

Im Stöckl hängen auch Drucke des Wahlkärntners und Malers Werner Berg, der sich ab 1931 in einem Gehöft in der Nähe niedergelassen hatte. Der gebürtige Rheinländer zählte zu den späten Expressionisten und galt einigen Nazi als entartetet, was einige andere aber nicht davon abhielt, ihn mit der Wehrmacht nach Norwegen zu schicken, Auftrag: Landschaftsmalerei. Werner Berg, dem zur Zeit im Belvedere in Wien zum hundertsten Geburtstag eine Ausstellung gewidmet ist, hat sich selbst noch zu Lebzeiten am Bleiburger Hauptplatz ein bescheidenes Ausstellungshaus eingerichtet. Die Pflege dieses Erbes geht vom Café Stöckl aus. Dort herrscht Gottfried Stöckl in unübersehbarer Leibesfülle über sein Zuckerbäckerreich mit angeschlossener Kulturabteilung. Im Frühjahr konnte er den Bleiburgern sein jüngstes Werk übergeben, die Erweiterung der zuletzt 1995 ausgebauten Werner-Berg-Galerie zu einem kleinen Museumskomplex. Im hofseitigen Anbau sollen künftig Künstler gezeigt werden, die Bergs Werk begleitet und beeinflusst haben: Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner stehen auf der Wunschliste. Gezahlt hat den Bau zu 100 Prozent das Land Kärnten, was einerseits die politischen Kontakte Stöckls illustriert, andererseits aber auch ein Beispiel ist, dass selbst in Kärnten die regionale Kunstförderung nicht nur Stammwählerschichten bedient.

Die zurückhaltende Box mit Sägezahnoberlichtern ist in Bleiburg nicht das erste Werk des Architekten Peter Fleiß. Er hat bereits in den neunziger Jahren das Schwimmbad saniert und erweitert, einen modernen Bau von 1930 mit klassischem Einschlag. Unter den kleineren Projekten ragt ein Wohnhaus hervor, das als Anbau im Hof des Kaffeehauses entstand. Beides sind Holzbauten, deren Qualität alles andere in Bleiburg bei weitem überragt. Peter Fleiß ist zwar kein Bleiburger, doch er kennt den Ort seit Jugendzeiten. Sein Onkel, der Künstler Franz Brandl, hatte sein Atelier in der mittlerweile aufgelassen Brauerei.

Die eingeschossige Ausstellungshalle zwischen der bestehenden Werner-Berg-Galerie und der Stadtmauer aus dem fünfzehnten Jahrhundert ist hingegen ein massiver Block. Die Außenwände bestehen aus Betonfertigteilen, deren Oberfläche mit Dolomitschotter belegt wurde. Quasi eine Waschbetonplatte mit Lokalkolorit, denn der Stein stammt vom Bleiburger Hausberg, der Petzen. Den Übergang zum Altbau bildet ein niedriger Würfel mit Betondecke und zwei großen Glasflächen zum Hof. Statt aber allein auf die Didaktik der trennenden Glasfuge zu setzen, verschleift Fleiß den Übergang mit einer gewundenen Holzwand. Dieses Detail ist typisch für die Arbeitsweise des 1959 geborenen Architekten. Auch das Freibad, neben dem Hauptplatz der einzige wirklich öffentliche Ort Bleiburgs, lebt von solchen Gesten, die gleichermaßen präzise wie lakonisch sind. Fleiß, der mittlerweile im niederösterreichischen Gablitz lebt, ist viel zu bescheiden, um großen Wirbel um seine Arbeit zu machen. Es ist Zeit, Bleiburg auf die Architekturreiserouten zu setzen.

25. September 2004 Der Standard

Die Affen draußen, die Kunst drinnen

Im Tierpark Herberstein eröffnet das Gironcoli-Museum

Die Pop-Art beim Wort zu nehmen müsste eigentlich bedeuten, die Kunst an die Orte zurückzubringen, aus denen sie hervorgegangen ist. Also Andy Warhols Brillo-Boxen in den Supermarkt und Roy Lichtensteins Sprechblasenbilder in einen Comicladen. Auch die Skulpturen Bruno Gironcolis sind aus der Welt der Objekte hervorgegangen, sind Homunculi der Dingwelt, die der Bildhauer in tiefer Verbeugung vor dem Warenfetisch aus Gefundenem und selbst Geformtem als wuchernde Gebilde zusammenfügt. Übergänge zwischen den objets trouvés werden verschliffen oder sind so beschaffen wie die Schweißverbindungen altertümlicher Maschinen. Ist der Konstrukteur Gironcoli zufrieden, wird alles mit einer Farbschicht überzogen, was die allerdeutlichsten Spuren löscht, welche Teile hier zu etwas Neuem wurden.

Silbrig glänzend, golden, mit Bronzelack überzogen, einmal auch in leuchtendem Gelb stehen rund dreißig Skulpturen in dem Museumsbau im Schlossareal von Herberstein, der morgen mit viel Politprominenz eröffnet wird. Ein Museum ist es nur dem Namen nach. Durch die dünne Plastikhaut des Neubaus dringt regelmäßig von nebenan das Geschrei der Vari-Äffchen hinein. Im Altbau, einem rund 350 Jahre alten Tennengebäude, ist dem Besucher zwar weniger präsent, dass er sich inmitten eines Tierparks befindet, aber das imposante offene Gebälk lässt die nun wirklich nicht kleinen Skulpturen zu einem Gewusel schrumpfen, das sich erst bei näherem Hinsehen als Kunst behaupten kann. Es könnten auch Melkmaschinen sein oder die Abfüllanlage eines Winzers, die hier Unterschlupf gefunden haben. Diese Scheune mit ihren aus Ziegelgittern gemauerten Fenstern hat schon viel gesehen. Jetzt sind es eben Skulpturen statt Stroh oder Futtermitteln, die hier mehr ab- als aufgestellt wurden. All das unterscheidet dieses Museum von einem Museum. All das trägt dazu bei, dass es ein sehr besonderer Ort ist, einer, an dem die Skulpturen regelrecht „heimgekehrt“ erscheinen, auch wenn die Verbindung von Gironcoli zu Herberstein erst anlässlich der Museumsplanungen geknüpft wurde.

Herberstein gibt sich alle Mühe, ein „moderner“ Tierpark zu sein, unter anderem mit einem Terrassengarten von Maria Auböck, aber die Idee der höfischen Kunst- und Wunderkammer, die eben auch lebendiges Exotisches umfasst, passt ganz hervorragend zur wundersamen Welt von Gironcolis Skulpturen. Dass die Geschichte ein bisschen anders verlief, da der gräfliche Zoo erst in den 1960er-Jahren seine Bestände um Tiere anderer Kontinente erweitert hat - wen kümmert's? Die Fremdartigkeit der Lebewesen und die von Gironcolis Skulpturen, die außer von technischem Gerät auch von allerhand Fabelwesen bevölkert werden, miteinander in Verbindung zu bringen, war eine mutige Entscheidung. Die Kombination Tierpark und Museum hätte leicht danebengehen können. Dass sie gelungen ist, liegt auch an dem schmalen Riegel, den Hermann Eisenköck dem mächtigen Stall zur Seite gestellt hat. Dem Architekturpuristen wird vielleicht eine Spur zu gefällig erscheinen, wie Eisenköck eine auf Betonstützen ruhende, mit Kunststoffplatten verkleidete Kiste neben die Scheune gestellt hat. Da wird ein Schweben angedeutet, dann aber breitbeinig abgefangen, werden Details ganz auf der sichereren Seite gelöst. Aber andererseits war der Kostenrahmen mit drei Millionen Euro eng bemessen, so eng, dass Eisenköck auf Teile seines Honorars verzichtete, wie auch viele Firmen sich bereit erklärten, ihre Leistungen zu Sponsorenpreisen zu erbringen. Daher wurde auf Experimente verzichtet, und man hat lieber ein paar Bleche mehr angeschraubt als zu wenige, um die Haut aus Doppelstegplatten an den kritischen Stellen vor dem Regen zu schützen.

Eisenköck ist seit Jahren der Büropartner von Günther Domenig, verwirklicht aber auch eigene Projekte. Er ist der ökonomisch denkende Teil des Gespanns, der Organisator und in der Kunstszene gut verankerte „Netzwerker“. Dass die Sammlung nun in Herberstein gezeigt werden kann, ist mit sein Verdienst.

Die Bausumme teilen sich Bund, Land Steiermark und Andrea Herberstein mit je einem Drittel. Dass die Zuwendung aus Landesmitteln als „Ortserneuerungs-Sonderförderung“ verbucht wurde, hat im Parlament für Ärger gesorgt, sollte das Ergebnis aber nicht mindern. Für die kuratorische Begleitung wurde Peter Pakesch vom Grazer Kunsthaus gewonnen, der sich sehr zufrieden zeigt, dass der Bau beides möglich macht: eine klassische Ausstellung im Neu- und die eher werkstatthafte Präsentation im Altbau. Dort ist noch ein wenig von der Atmosphäre in Gironcolis Atelier an der Akademie der bildenden Künste in Wien zu spüren, das aus allen Nähten platzte, nach der Emeritierung des Künstlers aber geräumt werden musste. Zuerst hatte das Land Kärnten Interesse angemeldet, die Werke in Bad Bleiberg auszustellen. Aber mit Landeskräften allein waren die zum Teil tonnenschweren Skulpturen nicht zu stemmen. Erst die Privatinitiative aus Herberstein sorgte für Bewegung. Der Leihvertrag mit Gironcoli läuft zunächst zehn Jahre, die Betriebskosten werden durch die Einnahmen des Tierparks gedeckt, der jährlich rund 200.000 Besucher in die Oststeiermark zieht. Ausschließlich das Museum zu besuchen wird nicht möglich sein. Wäre ja auch schade, denn erst die Kombination (für Erwachsene: 15 Euro) macht den Charme dieses Ortes aus.

13. September 2004 Der Standard

Lavalandschaften und Comiczimmer

Der Architekt als Weltenschöpfer meldet sich zurück: Die Architekturbiennale ist mehr als eine Ausstellung über Architektur. Sie zeigt Zukunftsvisionen, steigt aber auch in die Gedankenräume japanischer Teenager hinein.

Venedig - Bei der Filmbiennale ist die Verleihung der Goldenen Löwen zugleich Höhepunkt und Ende des Festivals, bei der Architekturbiennale hingegen standen die Löwen schon neben den ausgezeichneten Projekten, als nach drei Vorbesichtigungstagen die Ausstellung am Sonntag schließlich für das Publikum geöffnet wurde.

Neben den drei Löwen (der STANDARD berichtete) wurden acht weitere Auszeichnungen für die jeweils beste Arbeit innerhalb der einzelnen Ausstellungssektionen vergeben. In der Rubrik „Transformations“ ging die Auszeichnung an den Grazer Architekten Günther Domenig für sein Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

Dass auch die Nasa eine Auszeichnung bekam, und zwar für ein Foto der Marsoberfläche, aufgenommen im Jänner von der Sonde „Spirit“, mag zunächst merkwürdig erscheinen. Aber die neunte Architekturbiennale ist mehr als eine Ausstellung von Plänen und Modellen. Das Marsfoto hängt in einer Sektion zur zeitgenössischen Architekturfotografie, die dem Thema „Landschaft“ gewidmet ist - aber zu sehen ist alles andere als unberührte Natur, sondern künstliche, von Menschen geformte Landschaften wie beispielsweise die Alpenstraßen auf den Fotos der österreichischen Fotografin Margherita Spiluttini, gezeigt ebenfalls in dieser Sektion.

Unter den zeitgenössischen Architekten herrscht starkes Interesse an dieser konstruierten „zweiten Natur“. Die Sektion „Topography“, sie ist Teil der Ausstellung im Arsenale, präsentiert unzählige Entwürfe, die wie Lavaströme aus der Erde gekrochen zu sein scheinen. Hier ging die Auszeichnung an das Londoner Büro Foreign Office Architects der in Wien lehrenden Architektin Farshid Moussavi für den Entwurf einer Parkgarage eines Pharmakonzerns in Basel.

Im Schweizer Pavillon wird der wiedererwachte Glaube an die Schrankenlosigkeit des technisch Machbaren ins Extrem getrieben. Christian Waldvogel, der Urheber des Szenarios „Larger Earth“, ist allerdings Künstler, nicht Architekt, doch das ist bei dieser Ausgabe der Biennale nichts Ungewöhnliches. Die Grenzen zur Kunstbiennale sind fließend geworden. Eigentlich alle Grenzen, denn Waldvogels Vision der Metamorphose des Planeten Erde in eine Raumstation mit dem Neunfachen der heutigen Oberfläche wäre in einem Museum der Wissenschaft, Abteilung Größenwahn, ebenfalls gut verstaut.


Harmloses Österreich

Wie bodenständig wirkt dagegen doch der österreichische Pavillon, wo es vier jungen Architektengruppen nicht gelingt, gemeinsam genug Lärm zu machen, um auf die eigentlich sehr vitale Szene hierzulande hinzuweisen. Im Reizüberflutungsgebiet der Architekturbiennale geht auch die so wichtige Position der Tiroler MPreis-Kette einfach unter, denn die hübschen Modelle und Skizzenbücher sind einfach harmlos, statt angemessen laut „Super! Markt!“ zu brüllen.

Oft genug ist zwar auf dieser Biennale das, was so lärmend daherkommt, beim näheren Hinsehen ein Flop, wie etwa die Installation von Peter Eisenman, der für sein Lebenswerk den Goldenen Löwen bekam, aber Österreich hätte doch mehr konzeptionelle Schärfe verdient als die schlichte Aneinanderreihung an sich sehr guter Entwürfe.

Zu den Höhepunkten der Biennale zählt die Sektion „Floating Cities“ im Becken des Arsenale. Die Ausstellung ist dem Verhältnis verschiedener Städte zu ihren Hafenanlagen gewidmet. Bemerkenswert auch der japanische Pavillon. Er führt in die Parallelwelt der Otakus, was sich sehr frei als „Comicfreaks“ übersetzen lässt. Die These: Otakus, es soll 2,8 Millionen geben, leben gar nicht in Japan, sondern haben sich in einer Traumwelt aus Manga-Heften eingerichtet. Der Pavillon führt unerbittlich tief in die Pop-Hölle der Otaku-Zimmer hinein. Architektur ist manchmal auch ein Hirngespinst.

11. September 2004 Der Standard

Ausstellung mit schwerer Identitätskrise

Was will die Avantgarde in der alten Stadt? Rück- und Ausblicke

Kurt W. Forster, der Direktor der diesjährigen Architekturbiennale, die am Sonntag eröffnet wird, ist nicht zu beneiden. Die Erwartungen sind groß, das Budget „dünn wie Spaghetti“ (The New York Times), und die Architekturszene ist so unübersichtlich wie selten zuvor. Aber das ist noch nicht alles: Seit mindestens drei Durchgängen wird die Architekturbiennale von einer Identitätskrise gebeutelt - trotz stetig wachsender Besucherzahlen (zuletzt rund 100.000) und obwohl sie sich mittlerweile in einem stabilen Zweijahresrhythmus eingependelt hat. Der Schatten der Vergangenheit ist übermächtig, er lastet düster auf der Ausstellung, die schwer daran trägt, jedes Mal mit der legendären, ersten Architekturbiennale des Jahres 1980 verglichen zu werden. Damals hatte die in vollem Saft stehende Postmoderne die europäische Bühne betreten und mit der „Strada Novissima“ eines ihrer Manifeste in das bis dahin leer stehende Gelände des Arsenale gestemmt. Wo einst Schiffe gebaut und Taue gedreht wurden, die Venedigs Seeherrschaft sicherten, dort blies man zum Angriff auf die ohnehin schon recht brüchige Festung der modernen Architektur. Wie beim venezianischen Karneval streiften die Architekten den Stahl- und Betonskeletten ihrer Häuser lustige Verkleidungen über und feierten „Das Ende des Prohibitionismus“, wie der damalige Direktor Paolo Portoghesi im Katalog die Lage zusammenfasste.

Die Party dauerte in Venedig noch bis zum Ende des Jahrzehnts. Dann kümmerten sich nur noch Walt Disney und die osteuropäischen Emporkömmlinge um die Postmoderne. Die Architekturbiennale in Venedig verlor ihr Stammpublikum und auf dem unwegsamen Gelände der Gegenwartsarchitektur von da an völlig die Orientierung.

Vielleicht ist Venedig auch einfach der falsche Ort, um neue Architektur zu präsentieren. Die Stadt hat sich dem Baugeschehen der vergangenen 200 Jahre strikt verweigert. Venedig sei „Salzburg im Salzwasser“, maulte unlängst Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au. Nur ist genau das der Grund, warum es überhaupt zu dem Phänomen Architekturbiennale kommen konnte.

Mit daran schuld ist auch, dass dort seit 1895 die Kunstbiennale stattfindet. Sie war das künstlerische Pendant zu den großen Weltausstellungen des neunzehnten Jahrhunderts und wurzelt in einer nationalistischen Kultur des Wettstreits, die sich darin äußerte, dass jedes teilnehmende Land für „seine“ Werke einen eigenen Pavillon in den Giardini errichtete. Mit der Zeit trat der kämpferische Geist in den Hintergrund, aber Venedig war als Kunst- und seit 1934 auch als Kinofestivalstadt etabliert.

Um das Jahr 1968 herum war die Architekturfakultät von Venedig einer der Brennpunkte der Studentenrevolte. Hier lehrte Aldo Rossi, wurde wegen marxistischer Betätigung aber vor die Tür gesetzt. Das konnte nicht verhindern, dass Venedig sich zu einem der europäischen Brückenköpfe einer kulturellen Erneuerungsbewegung entwickelte, die in den USA auf den Namen „post-modernism“ getauft wurde. Venedig muss den Kritikern der Moderne als Insel der Glückseligen erschienen sein. Für den Versuch, der zeitgenössischen Architektur ein neues Fundament in der Vergangenheit zu schaffen, war kein besserer Rahmen denkbar. „La presenza del passato“ (Die Gegenwart der Vergangenheit) lautete der programmatische Titel der ersten Architekturbiennale im Jahre 1980. Bei einem Weihnachtsmarktbesuch in Ostberlin war zuvor die Idee geboren worden, eine kleine Stadt ins Zentrum zu stellen. Als Antwort auf die Halle der ehemaligen Seilerei entstand die „Strada Novissima“ mit ihren zwanzig Fassaden, entworfen von der Führungstruppe der postmodernen Architektur: Robert Venturi, Leon Krier, Hans Hollein, Oswald Mathias Ungers und anderen. Aber auch Frank Gehry und Rem Koolhaas marschierten damals mit. Die neue Richtung trat im Maßstab 1:1 vor das Publikum, angreifbar in jeder Hinsicht. Auch Rossi war zurückgekehrt, mit dem schwimmenden Welttheater, dem wahrscheinlich einzigen Bau der Postmoderne, der es verdient, „poetisch“ genannt zu werden.

Bei den nächsten Biennalen sollte gleich ganz Venedig einbezogen werden. 1985 hatten sich alle Teilnehmer an einer Art fiktivem Architekturwettbewerb für zehn Orte in der Stadt und im Veneto zu beteiligen. Doch Venedig zeigte sich auch den postmodernen Entwürfen gegenüber so resistent wie gegenüber allen anderen architektonischen Modeerscheinungen.

1996, bei der sechsten Biennale und der zweiten, bei der die Länderpavillons mit einbezogen wurden, stellte Direktor Hans Hollein die Antennen auf Empfang und wählte als Motto „Sensing the future - The architect as seismograph“. Was nun nach Venedig verfrachtet wurde, hatte mit der Stadt selbst nichts mehr zu tun. Holleins Biennale verkündete Aufbruch und Optimismus. Sonderausstellungen zeigten die „Renaissance der Bahnhöfe“ und visionäre Architekturkonzepte der Fünfziger- bis Siebzigerjahre. Nun schien die Zeit gekommen, endlich zu bauen, was Gruppen wie ARCHIGRAM oder auch Hollein selbst seinerzeit nur gezeichnet hatten.

Die Biennale wurde zum Großereignis, nur ging gänzlich die Orientierung verloren, was die Architektur zu den kulturellen und gesellschaftlichen Fragen der globalisierten Welt noch an Antworten zu bieten hat. 2000 und 2002 schlug die Suchbewegung der Biennale in zwei extreme Richtungen aus. Zuerst versuchte Massimiliano Fuksas die Architektur auf „Less aesthetics, more ethics“ zu polen, was aber als „des gut Gemeinten zu viel“ (NZZ) oder gar als „Hybris, die den Architekten zum Retter der Welt verklärt“ (FAZ) zurückgewiesen wurde. Vor zwei Jahren war das Thema schlicht „Next“. Die meisten Teilnehmer sahen sich aufgefordert, einfach Bilder vom nächsten Projekt auszudrucken. Streckenweise fühlte sich der Besucher wie auf einer Immobilienmesse.

Einiges spricht dafür, dass die nunmehr neunte Architekturbiennale unter dem Titel „Metamorphosen“ einen intelligenteren Weg findet. Der Direktor Kurt W. Forster hat als Wissenschafter und Ausstellungsmacher, zuletzt an der ETH Zürich und am Canadian Centre for Architecture, ausreichend Erfahrung gesammelt und scheint zu wissen, dass sich die Architektur mittlerweile meilenweit von der „Strada Novissima“ entfernt hat, das Publikum in Venedig aber andererseits auch nicht dieselbe Flachware sehen will wie zu Hause in den Architekturzeitschriften. Zwölf Künstler und Architekten wurden daher mit raumfüllenden Installationen beauftragt, in denen die Metamorphose, der die Architektur zweifellos unterliegt, ohne dass eine Richtung erkennbar wäre, wenigstens mit prägnanten Versuchsanordnungen anschaulich gemacht werden soll. So wird etwa der Japaner Kengo Kuma einen traditionellen Zen-Garten anlegen, dessen Kiesfläche aber nicht von Mönchen, sondern von einem Roboter geharkt wird. Mit diesen Interventionen will Forster die Ausstellung aufbrechen und unerwartete Begegnungen im großen Maßstab schaffen. Pläne und Modelle wird es ohnehin wieder in großen Mengen zu sehen geben.

Wie bei jeder Biennale ist das Motto auch für die Länderpavillons eine thematische Vorgabe, doch was letztlich dort präsentiert wird, liegt in den Händen von Kuratoren wie Marta Schreieck, die vier Architektengruppen und einen Bauherrn für den Österreichischen Pavillon ausgewählt hat. AllesWirdGut, Pool, Querkraft und the next ENTERprise teilen sich den Bau mit der Tiroler Supermarktkette MPreis, die wiederum mit diversen Architekten zusammenarbeitet. Erst war geplant, die vier Teams, die laut der Architektin Schreieck stellvertretend für die junge Szene in Österreich stehen, auf ein gemeinsames Projekt zu verpflichten. Nun sind doch vier Einzelpräsentation daraus geworden, verbunden durch einen neuen Bodenbelag von AllesWirdGut, der die Besucher über eine Rampe in den Pavillon hineinführt. Eine „Bude“, die sich aus der Rampe herausfaltet, wird in den kommenden Wochen weiteren Jungarchitekten zur Verfügung gestellt.

Über die Eröffnung der Biennale und des österreichischen Pavillons berichtet DER STANDARD heute und in den kommenden Tagen im Kulturteil.

11. September 2004 Der Standard

Überleben im Gegenwartsgetümmel

Die 9. Architekturbiennale in Venedig versucht, alle zwei Jahre Schneisen der Ordnung in eine unübersichtliche Szene zu bringen. Das ist in diesem Jahr besser gelungen als bei früheren Durchgängen. Österreichische Architekten sind auch jenseits des Länderpavillons gut vertreten.

. . . und der Goldene Löwe geht an: Kinshasa Imaginary City - der belgische Beitrag dieser Biennale, eigentlich ein anthropologisches Projekt, erdacht von Filip De Boeck und Koen Van Synghel, rege - so die Jury - anhand von Fotos, Filmen und Videoaufnahmen zu einer neuen Diskussion über die postkoloniale Urbanisation in Afrika an. Den Ehrenlöwen erhielt der amerikanische Architekt Peter Eisenman (72) für sein Lebenswerk.

„I will survive“, der Hit der Schwulenbewegung wummert derweilen in einer Endlosschleife durch den Raum, den der Besucher als erstes betritt, wenn er auf dem Arsenale angekommen ist, dem einen der beiden Standorte der Architekturbiennale. Sie wird auch deswegen überleben, weil sie zunehmend erfolgreicher ist und sich mittlerweile in einem Zweijahresrhythmus als Zwillingsschwester der Kunstbiennale etabliert hat.

Trotzdem ist jede Biennale ein Wagnis (siehe Rückblick im heutigen STANDARD-ALBUM), denn die Tendenzen der Gegenwartsarchitektur sind schwer zu bändigen. Kurt W. Forster, der Direktor, hat sich diesmal doppelt abgesichert. Im Arsenale werden die unzähligen Projekte aus aller Welt, meist jedoch aus der westlichen, nach Begriffen sortiert, die jeweils die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten versuchen.

So hängt dann die Grazer Mur-Insel direkt neben einem ganz ähnlichen Gebilde aus Slowenien. Das mindert die Originalität, macht die Exponate aber eher vergleichbar als bei früheren Biennalen die Gliederung nach Bautypen.

Österreichische Architekten sind auch außerhalb des Länder-Pavillons gut vertreten: Boris Podrecca mit einer Parkgestaltung in Linz, the nextENTERprise mit einem Schwimmbad in Kaltern, das T-Center von Domenig-Eisenköck-Peyker und andere mehr. Zur Abschwächung der drohenden Reizüberflutung hat Forster als zusätzliche Sicherung die Ausstellungsarchitektur im Arsenale in die Hände des New Yorker Architektenteams Asymptote gelegt. Die Kieslerpreisträger gliedern die langen Hallen mit großen Podesten, deren organische Form an einen riesigen filletierten Fisch erinnert und vor allem etwas Großzügigkeit ins Getummel bringt.

Deutschlandschaften

Unter den Länderpavillons sticht in diesem Jahr vor allem der Beitrag Deutschlands hervor. Durch die Räume zieht sich eine Fototapete, die unter dem Titel „Deutschlandschaft“ vierzig Projekte in einer College versteckt, die tatsächlich ein repräsentatives Bild entwirft: Das Land ist hoffnungslos zersiedelt, aber eine jüngere Generation nimmt mittlerweile die Herausforderung auf, eine Architektur der Unauffälligkeit hinein zu streuen.

Eine andere Form der Selbstbefragung präsentiert der israelische Pavillon. Was wäre, lautet die These, wenn man heute noch einmal die Chance hätte, eine Stadt wie Tel Avis neu entstehen zu lassen - und zwar als Insel im Meer. Wäre das dann eine Seefestung, unerreichbar für Attentäter oder gibt es eine Vision für ein anderes Israel? Die Antworten der jungen Architektengruppen sind leider von der Biennalekrankheit bis zur Unkenntlichkeit gezeichnet: Sie werden vom Geflimmer unzähliger Monitore überstrahlt oder verschwinden zwischen wirren Grafiken.

Ganz im Gegensatz dazu die Antworten einiger Altmeister, die ebenfalls in den israelischen Pavillon eingeladen wurden: Manfred und Laurids Ortner und Coop Himmelblau haben erst gar nicht versucht, sich der Komplexität des Themas anzunehmen, zeigen aber wunderschöne Zeichnungen.

Im österreichischen Pavillon hat sich das Konzept, vier Vertreter der jüngeren Generation zusammenzubringen insofern bewährt, weil klar wurde, dass das Alter als Gemeinsamkeit fragwürdig ist.

11. September 2004 Der Standard

„Akzeptieren, dass etwas Verbindendes nicht möglich ist“

Kuratorin Marta Schreieck über den Österreichischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig

Standard: Frau Schreieck, die von Ihnen zusammengestellte Ausstellung im österreichischen Pavillon trägt den Titel „Gegen den Strom“. Das klingt nach Konfrontation. Gegen welchen Strom wollen Sie oder die ausgewählten Teilnehmer denn schwimmen?
Marta Schreieck: Wir mussten bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt das Motto festlegen. Ich wollte zeigen, wie eine junge Architektengeneration neue Wege sucht, Dinge hinterfragt und ganz anders an die Architektur herangeht. So kam der Titel zustande, der dann stehen blieb.

Noch besser als zu den vier Architektenteams aber passt er zu MPreis. Die Tiroler Supermarktkette habe ich ausgewählt, weil sie gegen die Konventionen dieser Branche ein sehr ambitioniertes Architekturprogramm verfolgt, das aber dennoch ganz hervorragend funktioniert. Die einzelnen Märkte sind nicht aus einer Corporate Identity heraus entwickelt, sondern zeigen jeweils ganz individuelle, eigenständige und unkonventionelle Lösungen, für die eine Vielzahl von Architekten verantwortlich ist.

STANDARD: Stehen die ausgewählten Architektengruppen stellvertretend für die junge Szene in Österreich? Und könnten Sie sie mit jeweils einem Satz charakterisieren?
Schreieck: Es ist sicher nicht möglich, die Gruppen als Stellvertreter zu präsentieren, dafür ist die Szene zu verschieden.

Zur Charakterisierung: The nextENTERprise gehen experimentell-forschend vor. AllesWirdGut, die jüngsten, die auch den Platz vor dem Pavillon gestaltet haben, gehen sehr spielerisch vor, beschäftigen sich stark mit öffentlichem Raum und Städtebau. An der Gruppe Pool hat mich interessiert, dass Architektur nicht nur für vorgegebene Nutzungen eine Form finden, sondern diese Nutzung selbst auch verändern kann, wie das in der Kombination aus Bar und Schlosserei in Trumau geschehen ist. Querkraft gehen pragmatisch und konkret an Bauaufgaben heran, sind aber sehr unkonventionell in Material und Detail.

STANDARD: Ihr ursprüngliches Konzept sah vor, dass die vier Gruppen eine gemeinsame Arbeit machen sollten, es war an eine Installation gedacht. Jetzt präsentiert jeder in seiner eigenen Ecke - was ist passiert? Schreieck: Das war für mich ein Lerneffekt, ich habe akzeptieren müssen, dass die Gemeinsamkeiten nicht so groß sind, dass etwas Verbindendes möglich ist. Es sind Einzelpositionen, so werden sie jetzt auch gezeigt.

STANDARD: Der Raum, in dem die MPreis-Märkte gezeigt werden, versammelt viele Modelle und schöne Skizzen, aber man hat fast den Eindruck, es könnte sich dabei auch um lauter kleine Museen handeln.
Schreieck: Das ist doch ein Kompliment! Wir haben uns entschieden, die realisierten Märkte nur als wechselnde, an die Wand projizierte Bilder zu zeigen. Wichtiger war uns, die sehr unterschiedlichen Herangehensweisen, die zum Entstehen der Projekte geführt haben, zu präsentieren und nicht das fertige Produkt.

STANDARD: War der österreichische Pavillon denn schwer zu bespielen? Wolf Prix meinte unlängst, der Bau wäre schrecklich und völlig ungeeignet.
Schreieck: Nein, ganz und gar nicht. Es ist aber nicht einfach, eine durchgängige „Erzählung“ darin aufzubauen, weil die Achse des Eingangs den Pavillon in zwei Hälften teilt. Aber durch den neuen Boden ist wenigstens temporär nun doch ein zusammenhängender Raum entstanden. Wie man sieht, ist Architektur auch mit bescheidenen Mitteln möglich.

4. September 2004 Der Standard

Wettbewerbsräume

Architekturstudenten, denen die Semesterferien schon fad geworden sind, haben noch mindestens zwei Möglichkeiten, sich die Zeit mit Wettbewerben zu vertreiben. Nach dem Wandel öffentlicher Räume fragt die Firma MAX (www.maxontop.at). Auch „fertige“ Architekten können sich daran beteiligen. Interessant ist, dass auch Entwürfe, die bereits für andere Anlässe entstanden sind, eingereicht werden können. Die Preisträger werden im STANDARD vorgestellt. Wer sich mit gestalterischen Leitkonzepten beschäftigen will, der hat die Gelegenheit, für die genossenschaftliche Lagerhaus-Kette eine architektonische Corporate Identity zu entwickeln. Infos unter www.lagerhaus.at/architekturwettbewerb. Die Ausschreibung basiert auf einer Studie, die an der Akademie der bildenden Künste entstanden ist und sich auf den Spuren von Robert Venturi in den ländlichen Raum begeben hat, um nach den Zeichensystemen des Lagerhauses zu fragen: Vom Silo bis zum Einkaufssackerl ist ein Redesign dringend nötig.

2. September 2004 Der Standard

Abtauchen in die globalen Datenräume

Wien - Die ultimative Herausforderung, so der Architekt Hani Rashid, bestehe darin, die Welt des digitalen Lebensraums mit unserer realen Umgebung zu verbinden. Bisher hat Rashid, der zusammen mit seiner Partnerin Lise Anne Couture das Architektenduo Asymptote bildet, diese Herausforderung erst bei einigen kleineren Gebäuden, aber umso zahlreicheren Innenraumgestaltungen und einer Fülle von Installationen bei Kunst-und Architekturausstellungen angenommen.

Wenn den Architekten am 11. September am Rande der Architekturbiennale in Venedig der mit 55.000 Euro dotierte Preis der österreichischen Friedrich-und-Lillian-Kiesler-Privatstiftung verliehen wird, dann hat das Publikum zugleich die Möglichkeit, sich von der gekurvten, gewundenen und verzerrten Formensprache selbst ein Bild zu machen. Denn Asymptote haben von der grafischen Gestaltung der Einladungskarten bis hin zur Ausstellungsarchitektur ein allumfassendes Leitsystem für die Architekturbiennale entwickelt.

Deren diesjähriges Motto „Metamorph“ zieht sich als Leitmotiv auch durch die Arbeiten des 1989 in New York gegründeten Architekturbüros. Dass es auch formale Ähnlichkeiten zu den Arbeiten des österreichischen Architekten Friedrich Kiesler gibt, dessen Nachlass die Stiftung verwaltet, dürfte für die Jury den Ausschlag gegeben haben, Asymptote mit einem der weltweit höchstdotierten Architekturpreise auszuzeichnen. Neben Biennale-Direktor Kurt W. Forster saß unter anderem auch die Kuratorin des Österreich-Pavillons, Marta Schreieck, in dem Auswahlgremium.

Aufsehen erregten Asymptote im Jahr 1998 mit ihrem Entwurf für den Saal der New Yorker Börse. Mitten im IT-Boom trafen sie mit ihrem Versuch, den realen Raum mit der Welt der blinkenden Aktienkurse zu verbinden, den Nerv der Zeit. Realisiert wurde allerdings nur ein kleiner Teil. Die „instabilen Zustände der Gegenwart“, so Rashid, „in ein Gebäude zu transformieren“, diesen Versuch unternahmen Asymptote zuletzt im Jahr 2002 mit einem Pavillon in den Niederlanden, wo die Neigung, experimentellen Positionen ein Forum zu geben, deutlich ausgeprägter ist als hierzulande. Die Biennale in Venedig ist ein weiterer Schritt hin zu Räumen, wie es sie noch nie gegeben hat.

28. August 2004 Der Standard

Innerhalb der Grundstücksgrenzen ist alles erlaubt

Zwei weitere Architekturpreisgewinner: Fachhochschule Eisenstadt und Dialekthaus Oberschützen

So verschieden die drei Bauten auch sind, die in diesem Jahr mit dem Burgenländischen Architekturpreis ausgezeichnet wurden: Das in der vergangenen Woche vorgestellte Pfarrzentrum in Podersdorf am Neusiedlersee der Architekten lichtblau.wagner, die Fachhochschule in Eisenstadt und das Dialekthaus in Oberschützen - die drei gleichrangigen Preisträger verbindet, dass sie alle sehr prägnante städtebauliche Gesten setzen. Die von Friedrich Achleitner angeführte Jury hat klar Position bezogen. Gegen frei stehende Architekturskulpturen einerseits und gegen eine allzu kuschelige Einfügung in die vorhandene Umgebung andererseits. Am Beginn des neuen Jahrhunderts weisen die drei prämierten Bauten einen Ausweg aus der seit Jahrzehnten brodelnden Debatte, die immer dann aufflammt, wenn jemand aufsteht und auf die „Stararchitektur“ zu schimpfen beginnt, die „nur selbstverliebte Solitäre“ hervorbringt, denen die unmittelbare Nachbarschaft egal ist und als „Kontext“ nur die Hochglanzseiten internationaler Architekturmagazine akzeptiert.

Meist erhebt sich dann ein anderer, ergreift für das Star-System Partei, das doch die Lokomotive sei, die die Architektur in den trüben Sechziger- und Siebzigerjahren aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit gegenüber einer allmächtig gewordenen Bauindustrie herausgezogen habe. So kann es stundenlang weitergehen. Muss es aber nicht, denn mittlerweile hat sich eine neue Generation einen Mittelweg erarbeitet. Die Architekten sind jung, zählen aber nicht mehr zu den allerjüngsten, von denen so oft die Rede ist. Selbstbewusst besetzen ihre Baukörper das Grundstück, sind zeichenhaft, aber nicht selbstverliebt, denn die Umgebung wird nicht ignoriert, sondern als Fundus möglicher Antworten ernst genommen. Im Debattenjargon der 70er-Jahre würde man sagen, dass die Bauten „die Verhältnisse kritisch reflektiert und zugespitzt“ haben.

Die Fachhochschule der Architekten Peter und Gabriele Riepl, kurz Riepl.Riepl, in Eisenstadt wirkt auf den ersten Blick sehr niederländisch. Wie bei dem Hörsaalgebäude „Educatorium“ von Rem Koolhaas in Utrecht zieht sich der Boden schräg in die Höhe und schlägt eine Rolle rückwärts und wird zur Geschoßdecke. Während aber Meister Rem das ganze recht beziehungslos in den Raum stellt, orientieren sich Riepl.Riepl am streifenförmigen Bebauungsmuster einer recht banalen Gewerbezonenumgebung. Vorn an der Ausfallstraße macht sich ein Möbelhändler breit, dahinter reihen sich silbrig glänzende Forschungsgebäude wie Lastwagenanhänger, die jederzeit abgeholt werden könnten. Die vorläufig letzte bebaute Parkbox besetzt die Fachhochschule. Sie ist das einzige Gebäude in der Umgebung, bei dem Anfang und Ende definiert sind. Aus dem runden Kopf ergibt sich das Vordach über dem Eingang, an den im Innern eine quer liegende Halle anschließt. Die fünf Hörsäle sind in der Rundung untergebracht, Seminar- und Büroräume ziehen sich in drei Fingern in die Tiefe des Grundstücks. Mit den Außenkanten akzeptiert der Bau stur die Grundstücksgrenzen, im Inneren aber wird die erdrückende Gebäudemasse durch die parallelen Finger geschickt in Höfe gegliedert. Am hinteren Ende ist die extravagante Schlaufe wieder auf der Höhe des Nachbarn angekommen und bindet so die FH mit einem schlichten Studentenwohnheim zusammen.

Weniger schwungvoll, aber durchwegs sehr präzise detailliert sind die Innenräume, wo sich zum Teil das Streifenmotiv der Fenster wiederholt. Doch nicht jeder akzeptiert ein Büro mit Fenster zum Gang. Ein Soziologe hat es mit einem Auszug aus Richard Sennetts Tyrannei der Intimität verklebt und rebelliert so gegen den Zwang der angeblich kommunikationsfördernden Transparenz.

Die Mitarbeiterin im Dialekthaus in Oberschützen würde sich freuen, wenn einmal jemand hineinschaute. Das Haus krönt zwar die Aktivitäten des Vereins zur Pflege des burgenländischen Dialekts und steht tagsüber immer offen, aber wie so oft wurde auch hier aus Fördermitteln nur der Bau unterstützt, der Verein selbst hingegen arbeitet mit ehrenamtlicher Besetzung und vermag das Haus kaum zu füllen.

Bereits die Außenform deutet auf ein gewisses Missverhältnis hin. Der Architekt Hans Gangoly fädelte die Räume zu einer Art Mauer auf, die das Grundstück in der Tiefe durchschneidet. Auf der einen Seite zeigt sich der Bau offen und verglast, im Zusammenspiel mit den zum Teil als Heimatmuseum genutzten Altbauten entsteht ein Hof. Die Rückseite der Mauer hingegen zeigt dem Rest des Eckgrundstücks die kalte Schulter. Wenn das geforderte Programm nicht mehr Baumasse produziert, mag diese Selbstbeschränkung vielleicht im Modell als prägnante städtebauliche Figur durchgehen, erscheint in der Realität aber als gestalterische Sparmaßnahme. Es ist nicht der Thermoputz allein, der die Mauer zur dumpfen Plastikwand herabmindert, auch die im Sommer viel starke Aufheizung in den Büros dahinter ist ein Problem, da die aufgesetzten Oberlichten nur mit Mühe zur Belüftung zu verwenden sind.

Alle Energie des Architekten scheint in den Innenraum geflossen zu sein, der so handwerklich solide aus „ländlichem“, also nicht zu perfektem Sichtbeton geformt wurde, dass Innen-und Außenform nicht zum selben Bau zu gehören scheinen. Außen eine sterile Kiste, innen sehr haptisch. Auch die städtebauliche Geste hätte eine massive Wucht verdient.

14. August 2004 Der Standard

Zur Abkürzung durch das Gotteshaus

Das Pfarrzentrum Podersdorf der Architekten lichtblau.wagner

In Podersdorf im Seewinkel strömten die Menschen in solchen Scharen in die kleine Kirche, das seit Jahren aus Platzgründen ein Neubau erwogen wurde. Grund des Andrangs ist nicht nur eine aktive Kirchengemeinde, sondern vor allen die Touristenmenge, die zur Ferienzeit das Strandbad am Neusiedlersee besucht und gelegentlich auch geistigen Erfrischungen nicht abgeneigt ist.

Obwohl der Bau keinen Köder auslegen musste, haben die Architekten ein offenes Haus gebaut, auch wenn die weißen Volumen hinter der beschrifteten Glaswand zunächst sehr verschlossen wirken. Im Wettbewerb ignorierten die Architekten Andreas Lichtblau und Susanna Wagner als einziges Team die Vorgabe, das schmale, aber sehr lange Grundstück hinter der alten Kirche so zu bebauen, wie es für das Ortsbild typisch gewesen wäre. Statt eines Baukörpers, der sich über die gesamte Grundstückstiefe erstreckt hätte, drehten sie das geforderte Programm um neunzig Grad, stellten also das Gebäude quer und ließen in der Mitte eine Durchfahrt frei. Fußgänger und Radfahrer, die die Abkürzung nutzen, um der verkehrsreichen Straße auszuweichen, die hinunter zum See führt, gelangen so ganz automatisch zum Kirchenraum auf der einen und oder zum Gemeindesaal auf der anderen Seite des Durchgangs.

Der Versuch, Schwellen abzubauen, hat in der Architektur der letzten Jahrzehnte nicht selten dazu geführt, dass eine Kirche nur noch schwer von einer Turnhalle zu unterscheiden ist. Die Kirche in Podersdorf hingegen ist trotz ihrer minimalistischen Raumhülle das exakte Gegenteil eines Multifunktionsraums. Decke und Boden sind wie ein Trichter geformt, was zum einen akustische Vorteile bringt. Aber um nicht die kalte Geometrie zu stark werden zu lassen, wurden die Bänke in konzentrischen Kreisen wie die Ränge eines Amphitheater in den hellgrauen Terrazzoboden Boden versenkt. Um den Preis der Flexibilität zwar, aber so entsteht eine Art Gottesdienstmulde, die wohl einen innigeren Kontakt zwischen Gemeinde und Priester zu stiften vermag, als andernorts das lithurgisch motivierte Stühlerücken. Selbst wenn doch einmal nur wenige kommen sollten, wirkt der Raum nie leer.

Messerscharfe Schlitze lassen das Tageslicht nicht direkt, sondern immer als Streiflicht auf die wolkigweißen Wände treffen. Obwohl komplett auf Farben verzichtet wurde, entsteht kein Gefühl von Sterilität.

Gut eineinhalb Jahre nach der Einweihung schimmert auch die Außenhaut des Gebäudes nicht mehr in so reinem Weiß unter der Schriftfassade hindurch, wie es die Fotos versprechen. Dass sich sogar leicht rostige Wasserspuren darauf abzeichnen ist kein Mangel der Dachabdichtung, sondern steht für die selten gewordene Fähigkeit, dass ein Gebäude Patina ansetzen kann. Die Hülle besteht aus Beton, darunter liegt die Wärmedämmung, die zur Innenseite mit einer Schicht aus Gipsplatten eingepackt wurde. Der ungewöhnliche Aufbau ergab sich aus dem Klimakonzept, das die Architekten lichtblau.wagner bereits an einem anderen Gebäude erproben konnten. Unter dem Grundstück liegt ein enges Röhrenregister, vergleichbar in etwa mit einer Fußbodenheizung. Nur beheizen nicht die Röhren die umgebende Erdschicht, sondern umgehrt. Je nach Jahreszeit kann mittels der Erdwärme beziehungsweise -kälte die Umluftanlage des Hauses um einige Grad entlastet werden. Damit die Wände schnell von der zirkulierenden Luft auf die gewünschte Temperatur gebracht werden können, war es nötig, im Innenraum nur Leichtbauwände einzusetzen.

Das Gebäude ist nicht nur Kirche. Während auf der einen Seite der Raum für die Messe das gesamte Volumen ausfüllt, verbergen sich auf der anderen Seite des Durchgangs sechs verschieden große Gruppenräume und der Gemeindesaal in dem kubischen Baukörper. Die Öffentlichkeit wird davon wohl nur den teils verglasten, teils holzgetäfelten Saal im Erdgeschoss zur Kenntnis nehmen. So entgeht aber den meisten das schöne Stiegenhaus, dessen filigrane Metallstufen Licht bis in den Keller dringen lassen, wo ebenfalls zwei große Räume untergebracht sind, die über ein raffiniertes Oberlicht zwischen Gebäudekante und der bedruckten Glasfassade belichtet werden.

Die Fassade selbst ist schnell erklärt: Die Architekten wollten die „Kunst am Bau“ lieber gleich selbst übernehmen und haben die Podersdorfer aufgefordert, ihre Gedanken zum Thema Familie aufzuschreiben. Aus der anonymen Textsammlung wurden markante Sätze herausgezogen und in den öffentlichen Raum gestellt.

Man kann die goldene Schrift als Schmuck interpretieren, der dem Gebäude sonst fehlt, das wäre aber eine vielleicht zu architektonische Beschreibung. Treffender ist es, die Schrift als Geste zu lesen, mit der die Kirche der Umgebung ein Diskussionsangebot macht. So offen und zugänglich der Bau auch sein mag - allein weil er eine Kirche beherbergt, umgibt ihn etwas mysteriöses. Es war eine kluge Entscheidung, ihm das nicht mit einem stärker „kirchlich“ geprägten Text nehmen zu wollen, aber zu zeigen, dass es eine Schnittmenge von Themen gibt, die drinnen wie draußen die Menschen beschäftigen.

7. August 2004 Der Standard

In fünf Wochen zwei Gebäude

Universitätsbaustelle Südafrika, derzeit zu Gast im Architekturzentrum. Ein Gespräch mit den Architekten Franziska Orso und Peter Fattinger und dem Studenten Gerd Hammerl von der TU Wien

Standard: Für das Wohnbauinstitut von Professor Cuno Brullmann ist es nicht das erste Mal, dass die Studenten ein Projekt im Maßstab 1:1 realisieren. Im Rahmen von Graz03 entstand beispielsweise eine „Wohnfassade“: Module wurden in ein Gerüst eingefügt, das vor einem historischen Gebäude stand. Aber die ersten „richtigen“ Häuser wurden nun im Februar diesen Jahres in Südafrika gebaut, in Orange Farm, einer Township am Rande von Johannesburg. Wie kam der Kontakt dorthin zustande?
Fattinger: Vor einem Jahr fand im Architekturzentrum Wien (AzW) eine Ausstellung über das „Rural Studio“ statt, ein studentisches Entwurfs- und Bauseminar in Alabama. Am Eröffnungsabend sprach uns Christoph Chorherr an, der damalige Klubchef der Wiener Grünen. Er hatte kurz nach dem Ende der Apartheid einen Schulbau in Orange Farm angeregt, der dann als Geschenk der Stadt Wien auch realisiert wurde. Der Kontakt blieb erhalten, daher wusste Chorherr, dass dort Bedarf an weiteren Bauten besteht. Also sind wir mit ihm in einem kleinen Team nach Südafrika gereist und haben sondiert, was genau gebraucht wird.
Orso: Wir haben dann bald auch Tandi Mjiyakho Kyoka getroffen, die für ihr Behindertenprojekt ein Grundstück von der Stadt Johannesburg bereitgestellt bekam, das innerhalb von 18 Monaten bebaut werden musste, sonst wäre es an die Stadt zurückgegangen. So kam zu dem relativ kleinen Erweiterungsbau für die Schule noch ein Gebäude mit Werkstätten für Behinderte und einem Büroraum dazu. Einen schon vorhanden Container haben wir integriert. Beide Baustellen waren fünf Autominuten voneinander entfernt.

Die Bauzeit von vier Wochen ist unglaublich knapp. Konnten bei der ersten Erkundungsreise bereits Materialien organisiert werden?
Orso: Nein, wir haben lediglich geschaut, was dort erhältlich ist und was nicht. Wir sind eine Woche früher als die Studentengruppe nach Südafrika geflogen, mit den Entwürfen in der Tasche, und haben begonnen einzukaufen.
Fattinger: Oft haben sich die Firmen zu liefern geweigert, als sie hörten, dass die Fracht nach Orange Farm gehen soll. Aber bald hatten wir die richtigen Kontakte und haben ohnehin sehr viel in der Township selbst besorgt, wo es eine kleine Ziegelfabrik gibt. Eigentlich eher einen Hinterhof, wo Ziegel gebrannt werden.

Waren die Sorgen um die Sicherheit denn berechtigt?
Fattinger: Nein, das waren die Vorurteile von Weißen, die uns immer gewarnt haben, dass wir nicht lebend wieder aus der Township rauskommen, selbst aber nie dort waren. In den ganzen fünf Wochen gab es kein einziges Problem. Nur eine Leiter wurde uns gestohlen, aber die haben wir über Nacht draußen stehen lassen, selbst schuld. Die Menschen der Township waren alle sehr freundlich, herzlich und haben auf uns aufgepasst.

Gewohnt wurde aber im Hotel?
Orso: Ja, denn vor Ort hätte es keine Unterkunft gegeben. Die Menschen leben dort alle sehr beengt, in Blechhütten, wie wir im Hof des AzW eine nachgebaut haben, oder in sehr einfachen Steinhäusern. Es gab gastfreundliche Angebote, aber dann hätten wir die Leute während der Bauzeit aus ihren Wohnungen vertrieben. Und ein wenig Abstand zu gewinnen, indem wir täglich ins Hotel zurückgefahren sind, ohnehin nur zum Schlafen, hat uns auch gut getan. Zur Sicherheit: Die Leute von Orange Farm haben schon darauf gedrängt, dass wir bei Einbruch der Dunkelheit die Township verlassen oder dass wir beachten, dass immer freitags die Arbeitslosenunterstützung ausbezahlt wird, und diese sehr viele Leute gleich in Alkohol investieren. Aber passiert ist nichts.

Wie sehr sind denn die Entwürfe davon bestimmt, welche Materialien vor Ort verfügbar waren?
Hammerl: Schon sehr. Wir wussten ja zuerst nicht, welche Holzmaße dort zu bekommen sind, und vor allem nicht, welches Werkzeug. Dank der Sondierungsreise hatten wir dann aber die Informationen und konnten das bauen, was wir in Wien gezeichnet hatten.

Waren auch Leute aus der Township am Bau beteiligt?
Fattinger: Ziel des ganzen Projekts ist ja nicht nur, dort dringend benötigte Gebäude aufzustellen, sonst könnte man das Geld ja einfach überweisen, sondern es geht um die praktische Erfahrung der Studenten. Aber zum Mauern haben wir zwei Gelegenheitsarbeiter angestellt. Die beiden haben unsere Studenten dann weggeschickt, weil sie fanden, wir mauern zu schlampig. Das zeigt sehr gut das Dilemma: Die Leute wollen alle arbeiten und sind auch sehr gut, nur finden sie keinen Job.

Aber wäre es dann nicht wirklich sinnvoller, mit dem Geld dort wenigstens vorübergehend Arbeitsplätze zu schaffen?
Fattinger: Das wäre ein Missverständnis. Circa 35.000 Euro hat alles in allem gekostet, aber diese Summe haben wir fast ausschließlich für Material ausgegeben. Die Studenten mussten ihre Flüge selbst bezahlen. Das ist viel, aber hinterher waren alle der Meinung, dass es sich gelohnt hat.
Hammerl: Ich wollte so etwas immer schon machen. Ein praktisches Projekt wird sonst an der Universität leider nicht angeboten.

Wie wurde die Arbeit aufgeteilt? Auf einer Baustelle gibt es ja klare Hierarchien.
Hammerl: Das war vorher nicht klar, sondern hat sich vor Ort ganz von selbst ergeben. Die Gruppe hat sehr gut zusammengearbeitet. Jeder war für irgendetwas verantwortlich, sonst wären wir in der kurzen Zeit wohl auch nicht fertig geworden. Wir waren neun Studenten beim Masibambane College und sechzehn auf der Baustelle des Behindertenzentrums. Dazu kamen noch die drei „Betreuer“ vom Wohnbauinstitut, Sabine Gretner, Franziska Orso und Peter Fattinger, sowie der Fotograf Christian Linzbauer.

Hatte denn jemand aus der Gruppe schon Erfahrung? Man kann das Bauen nicht aus dem Nichts heraus neu erfinden.
Hammerl: (lacht) Doch, so ungefähr war es. Wir haben wirklich bei null angefangen. Oft hat es funktioniert . . .
Fattinger: . . . und oft haben wir nach ein paar Stunden gemerkt, dass es doch anders besser wäre.

Gab es eine Art Baubüro? Hatte jemand einen Computer dabei?
Fattinger: Einen Computer hatten wir, aber der wurde nur zum Speichern der Fotos gebraucht.
Hammerl: Im Wesentlichen wurde genauso gebaut, wie wir den Entwurf in Wien gezeichnet hatten. Mit minimalen Änderungen und kleinen Tricks, etwa als das Holz völlig verzogen angeliefert wurde. Wir haben nur beim Innenausbau nicht alle Details vorher bestimmt, sondern vor Ort mit dem verfügbaren Material improvisiert.

Die beiden Gebäude unterscheiden sich in ihrer Konstruktion voneinander - warum?
Orso: Das kleinere Gebäude für die Schule ist ein Wohnhaus für Gastlehrer, aber auch sehr minimal in den Dimensionen. Zugleich dient es den Kindern als Spielgerät. Es hat eine Aussichtsterrasse auf dem Dach. Die Leute aus der Township leben sonst ja in eingeschossigen Bauten und waren sehr verblüfft über die Aussicht. Die Fundamente bestehen aus betongefüllten Autoreifen, so konnten wir uns die Schalungen sparen. Die Behindertenwerkstatt hingegen ist ebenerdig, daher keine Autoreifenfundamente. Wegen der Hitze besteht der größte Teil des Gebäudes nur aus einem Dach, das aber zweischalig ist, damit die warme Luft besser abgeleitet wird.

Die Bauten sind für dortige Verhältnisse sehr ungewöhnlich. Sonst gibt es entweder Blechschuppen oder Steinhäuser. Haben sich die Leute nicht gewundert? Wäre es nicht sinnvoll gewesen, die bestehenden Bauformen aufzugreifen?
Hammerl: Wegen der kurzen Bauzeit kam nur eine Holzkonstruktion infrage.
Fattinger: Am Anfang war geplant, Systeme zu entwickeln, wie die Blechschuppen optimiert werden könnten. Dann gab es mit zwei Bauten genug zu tun, aber wir kommen ja wieder.
Orso: Natürlich wäre es interessant, dort Wohnungsbau zu betreiben. Im kommenden Jahr werden wieder Studenten der TU, und diesmal auch von der Kunstuniversität in Linz, nach Südafrika fahren. Es soll einen regelmäßigen Austausch geben, auch mit Universitäten aus anderen Ländern. Dann könnten Modelle erprobt werden, die von den Bewohnern im Selbstbau realisiert werden können. Das setzt aber voraus, sehr viel länger vor Ort zu sein, nur dann kann so etwas wie eine „Bauschule“ entstehen.
Fattinger: Als Nächstes soll auf dem Gelände des Tagesheims ein Wohnbau für behinderte Menschen errichtet werden. Eine Studentin will zu diesem Thema ihre Diplomarbeit machen, und wir werden sie im Februar 2005 beim Bau unterstützen.

Das Einsatzgebiet bleibt Südafrika?
Fattinger: Ja. Sicherlich gibt es noch viel bedürftigere Gegenden. Nur wäre es dort noch viel schwieriger, Material zu besorgen oder Absprachen zu treffen. Der Vorteil eines permanenten Camps wäre auch, das Werkzeug nicht jedes Mal neu anschaffen zu müssen. Und wir könnten uns einen Kleinlaster kaufen.

Hat die Gruppe irgendetwas anderes gesehen als die Township?
Hammerl: Während der Beton getrocknet ist, sind wir nach Johannesburg gefahren und waren einen Tag in einem Nationalpark. Zum Glück zu einem frühen Zeitpunkt des Projekts, später hätten wir alle darauf verzichtet um fertig zu werden. Aber dann ist sich doch alles innerhalb der fünf Wochen ausgegangen.

2. August 2004 Der Standard

„Die Künstler sind heute Wissenschafter“

Der Architekt Boris Podrecca plant ein Laborgebäude für die Akademie der Wissenschaften und stellte vor kurzem das Vienna Bio Center 2 fertig, beide auf dem Biotechnologiecampus in St. Marx. Ein Gespräch über das Bauen unter Laborbedingungen mit Oliver Elser.

Standard: Herr Podrecca, die Spielräume als Architekt sind bei einem Laborgebäude sehr eng. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Boris Podrecca: Die beste Freiheit ist die Freiheit, die auf Regeln beruht. Sonst gäbe es nur Launen und Willkür, das ist nichts für mich. Ich brauche präzise Regeln, um sie dann beim Entwerfen überwinden zu können.

STANDARD: Welche Erfahrungen haben Sie mit den Wissenschaftern als Ihre Auftraggeber gemacht?
Podrecca: Ich habe erst gedacht, das seien introvertierte Leute, die in ihren Kammern hocken. Ich habe dann schnell gemerkt, dass heute die Künstler eigentlich die Wissenschafter sind. Alle, mit denen ich zu tun hatte, waren kunstinteressierte Leute mit dem Lebensstil von Bohemiens. Sie schlafen eine Nacht lang gar nicht, sitzen vor ihren Computern, die nächste Nacht sind sie auf dem Weg nach Singapur. Die Künstler hingegen sind heute viel etablierter und angepasster.

STANDARD: Was bedeutete das für Ihren Entwurf?
Podrecca: Ich habe zuerst beobachtet, wie heute der Wissenstransfer funktioniert. Wenn sie forschen, kapseln sie sich ab, sind aber gleichzeitig angewiesen auf die Informationen von anderen. Äußerst wichtig sind daher Räume für ungeplante Begegnungen. Im Vienna Bio Center 2 gibt es dafür nun nicht so viele Orte, wie mir gewünscht hätte, aber es gibt sie. Innerhalb des Gebäudes habe ich eine Art kleine Stadt angelegt, mit Straßen, Kreuzungen und Plätzen. Natürlich ist so ein Gebäude auch extrem determiniert, für die Laboratorien werden riesige vertikale Schächte benötigt, in denen die ganzen Leitungen verlaufen. An denen sind die Labors quasi aufgefädelt. Aber dazwischen habe ich in einer Art Partisanenkampf Räume freigelassen, die jedem zugänglich sind.

STANDARD: Auf dem Grundriss ist zu sehen, dass die Labors eher kleine Einheiten bilden, zwischen denen Räume offen geblieben sind. Ist es leichter, eine Laborumgebung aufzulockern als ein Bürogeschoß?
Podrecca: Was Sie hier sehen, diese Laborinseln, das ist der Zustand, wie er jetzt gebaut wird und in den nächsten Jahren sicher so bleibt. Aber man muss sich das als riesige Fläche vorstellen, auf der unzählige Gruppierungen von Labors möglich sind. Zwingend ist lediglich, dass die Laborinsel an einen Schacht angeschlossen wird. Schächte gibt es genug. Das Forschungsgebäude für die Akademie der Wissenschaften besteht aus verschiedenen parallelen Schichten. Zuerst kommt der feste Rücken, der entlang der Straße verläuft, dort sind Büros untergebracht. Darauf folgt, was ich „Canyon“ nenne: Ein vertikaler Luftraum für die Aufzüge und Treppen. Eine Bewegungs- und Begegnungszone. Dann kommen Lager- und Nebenräume, die kein Tageslicht benötigen. Daran schließen die eigentlichen Laborbereiche an, flexibel aufteilbar, ganz nach Bedarf. Die letzte Schicht bildet ein Grünraum, ein Gewächshaus, das mit einer Glasfassade abgeschlossen ist und einen Klimapuffer für die Labors schafft. Einige Forscher züchten dort ihre Pflanzen.

STANDARD: Das Vienna Bio Center 2 ist eine Art biotechnologisches Gründerzentrum, errichtet von der privaten Prisma-Gruppe. Gibt es einen Unterschied zu dem noch nicht fertig gestellten Gebäudeteil für die Akademie der Wissenschaften?
Podrecca: Die beiden haben denselben Sockel und befinden sich in einer Art Symbiose. Die Unterschiede betreffen die Organisation innerhalb der Gebäude, flexibel nutzbar sind sie beide. Nur wurde das Vienna Bio Center früher fertig, wahrscheinlich weil ein privater Bauherr oft besser weiß, was er will.

STANDARD: Wie wichtig ist denn die Umgebung, wenn die Gebäude kleine Städte in der Stadt bilden?
Podrecca: Momentan ist da draußen in St. Marx noch eine Wüste. Aber ich würde mir wünschen, dass ein Campus entsteht, ich will weg von dieser habsburgischen aufgeräumten Ödnis. Wenn Wien einer der führenden Biotechnologiestandorte werden will, dann muss in eine attraktive Umgebung investiert werden. In München wurde schon viel früher mit der Ansiedlung von Universitätsinstituten und Firmen begonnen, dort gibt es einen Campus. Mein Gebäude hat eine städtische, steinerne Vorderseite, auf der Rückseite ist es transparent. Auch um den Wunsch nach einem Nachbarn auszudrücken. Dann könnten die Forscher dazwischen auf der Wiese sitzen und ihren Kollegen bei der Arbeit zusehen.

31. Juli 2004 Der Standard

In der Höheren Sehanstalt

Mit sicherem Blick: Ein Reprobetrieb in Wien bekam Hilfe von den archiguards

Jemand, der einen Scanner für 59 Euro nach Hause trägt, um endlich seine alten Fotoabzüge zu digitalisieren, dürfte für die Tätigkeit von Repro12 wohl wenig Verständnis aufbringen. Aber nachdem die erste Euphorie vorbei ist, wird der Unterschied ins Auge springen: Ein Originalabzug ist viel brillanter, farbintensiver und schärfer als ein hausgescanntes Bild. Wie so oft könnte durch höhere Investitionen ein besseren Ergebnis erzielt werden.

Die teuersten Geräte, um Bilder abzutasten, stehen bei Unternehmen wie Repro12. Nur ist Reprotechnik kein rein technischer Vorgang. Auch die aufwändigsten Scanner sind bloß so gut, wie die Augen der Leute geschult sind, die das Ergebnis weiter bearbeiten.

Denn je nachdem, auf welcher Druckmaschine und welchem Papier das Bild später wieder ausgegeben wird, sind weitere Schritte nötig. Wer einmal neben einem Grafiker gesessen hat, der gerade an den Farbwerten eines Fotos herumdreht, der weiß, wie viel Sehtraining diese Arbeit erfordert. Während man selbst keine Veränderung bemerkt, dauert es ewig, bis alles so abgestimmt ist, dass später der Jeansstoff in der Werbung wie Jeansstoff aussieht. Früher, erzählt das Bauherrenpaar Spannbauer, da war es ganz normal, dass den Modefotos Stoffproben beigelegt waren, damit die Reproanstalt sich daran orientieren konnte.

Und heute?, müsste die Rückfrage lauten, aber es ist deutlich zu sehen, dass sich die Spannbauers in einer Nische eingerichtet haben, in der noch immer Stoffproben herumliegen, manchmal auch Originale wertvoller Bilder, wenn gerade ein Kunstkatalog produziert wird.

Schon allein wegen der besonderen Anforderungen an die Bildschirmarbeitsplätze konnte es kein normales Gebäude werden. Die alten Geschäftsräume, ebenfalls im zwölften Wiener Gemeindebezirk, waren auf drei Häuser verteilt und zu klein geworden. Obwohl eigentlich zu vermuten wäre, dass jeder Architekt einen Auftraggeber mit ungewöhnlichen Wünschen und einem ausgeprägten Sinn für Qualität sofort in die Arme schließt und nicht mehr loslässt, war die Suche schwierig. Zum Teil sehr bekannte Büros wurden um Ideen für ein Haus gebeten, in dem es vor allem nicht zu hell sein sollte. Aber allen Kampagnen der „Architekturvermittlung“ zum Trotz, die den Architekten zum harmlosen Freund und Helfer stilisieren wollen, der für jeden, vom Häuslbauer bis zum Firmenboss, ein offenes Ohr und tolle Ideen hat, zeigte sich zunächst niemand bereit, dem Projekt die Aufmerksamkeit zu widmen, die die Bauherren sich erwartet hatten.

Durch einen Tipp kam schließlich die Gruppe archiguards ins Spiel. Und obwohl es eigentlich schrecklich peinlich ist, wenn junge Leute sich so nennen, weil sie die „lifeguards“ der Architektur sein möchten und ja alle anderen jungen Architekten auch diese Gruppennamen haben, oft sogar noch viel schlimmere - für Repro12 waren die archiguards wirklich die Retter in der Not.

Dem fünfgeschossigen Gebäude ist das Alter der Architekten nicht ohne weiteres anzumerken. Zur Fockygasse trägt das Haus eine Steinfassade, sonst eher bei älteren und abgeklärteren Semestern beliebt, wie ein Ritter sein Schild. Die üblichen Komplikationen, wonach ein modern denkender Architekt immer deutlich zu machen hat, dass der Stein nicht die wahre Konstruktion ist, sondern nur eine Bekleidung, konnte dadurch gelöst werden, dass die geschlitzte und von einem großen Fenster durchbohrte Steinscheibe ringsum freigestellt ist und so der Eindruck entsteht, sie schwebe in der Luft. Diese Wand trägt nichts, nur die Botschaft, dass sie nichts trägt. Noch eine weitere Mitteilung hat sie für den Betrachter: Dies kann kein gewöhnliches Haus sein, sagen die Fenster. Richtig, hinter der Fassade verläuft das offene Stiegenhaus, erst dann kommen die in klimatisierten Glaskästen zusammengefassten Arbeitsplätze.

Das Spiel mit dem vorgehängten Sonnenschutzschild der Steinfassade hat auch den Vorteil, dass das Erdgeschoss vom Gehsteig zurückgesetzt werden konnte. Das Gewusel aus Tiefgarageneinfahrt, Fluchtstiegen, Anlieferung, Windfang und schlussendlich dem gläserenden Foyer rückt dadurch in den Hintergrund. Sonst haben Neubauten, in denen keine Läden angesiedelt sind, ja meist das Problem, dass der Passant an tristen Gebäudesockeln entlangstreift und bald frustriert zur Spraydose greift.

Auf der Rückseite wurde das Erdgeschoss in den Hof verlängert, um Räume für zwei Druckmaschinen zu schaffen. „Eine Art Boutique-Druckerei“, so Herta Spannbauer, es werden nur Kleinauflagen produziert. Das Dach der Druckräume dient als Pausenfläche und Plattform für einen aus leicht schrägen Holzwänden geformten Konferenzraum, eine Art Firmenaula, in der alle 45 Mitarbeiter Platz haben und gelegentlich Tango getanzt wird.

Der Holzpavillon ist eine der wenigen Stellen des Hauses, wo die Architekten sich die Freiheit genommen haben, aus der strikten Rechtwinkligkeit auszubrechen. Der Dachaufbau zählt auch dazu. Was von außen an eine der vielen Penthouse-Aufstockungen erinnert, die in Wien seit kurzem auf den Dächern wuchern, dient hier als Chefetage und Jugendzimmer für die Internetagentur des Sohnes.

Bei Architektengruppen wie den archiguards besteht oft die Neigung, ihnen einen Nachwuchsbonus zu geben, vor allem, wenn es wie im Falle von Repro12 das erste größere Gebäude ist. Extrapunkte zu vergeben ist hier nicht nötig. Der Bau ist sicherlich kein Meilenstein der Architekturgeschichte, aber ein rundum gelungenes, präzise detailliertes Spezialhaus für eine Spezialfirma. Für den rauen zwölften Bezirk ist es ohnehin ein Gewinn, dass ein Unternehmen in einer ganz normalen Wohnstraße bleibt und nicht das Kreativenghetto einer aufgelassenen Fabrik bevorzugt.

24. Juli 2004 Der Standard

Ein Museum sucht Anschluss

Fehlt nur noch der Lift: Auf dem Salzburger Mönchsberg eröffnet das Museum der Moderne

Der Kritikerkollege aus Salzburg winkt ab: „Na, wenn Sie das nächste Mal kommen, sollten Sie nicht wieder so was Langweiliges anschauen.“ Für den ehemaligen Salzburger Planungsstadtrat Johannes Voggenhuber, auch er keiner aus der Traditionalistenfraktion, sondern mittlerweile für die Grünen, Österreichs selbst ernannte „Kulturpartei“, in Brüssel tätig, ist das Museum gar ein „kultureller Supergau, der alle Regeln der architektonischen und städtebaulichen Harmonielehre verletzt“, diktierte er kurz vor der Europawahl der APA und brachte sich leichten Fußes noch einmal in die Schlagzeilen. Selbst vom Nachrichtenmagazin aus Hamburg reiste neulich eine Reporterin an, weidete sich an den Hirschgeweihen im Restaurant und dem High-Society-Flair der Museumsleiterin Agnes Husslein, geborene Gräfin Arco, zwitscherte mit gespreizter Spiegel-Ironie kurz über „soliden Purismus“ des Museums drüber, um schließlich den erhobenen Zeigefinger in die Betondecke zu bohren: Für die „oft riesigen Werke der Gegenwartskunst“ seien „die Säle viel zu niedrig“. Einen „Höhenkoller“, haha, hätten sich die Architekten „nur in den Fluren erlaubt“.

Doch was sagen „die Salzburger“? Laut Spiegel, der aber nur den Stehsatz der Salzburger Nachrichten zitiert, schimpfen sie den Bau eine „Schachtel“. 62 Prozent hätten sich gewünscht, dass das Museum der Moderne „besser nicht gebaut worden wäre“. So jedenfalls eine garantiert nicht unparteiische Studie, mit der die Salzburger FPÖ noch im letzten Herbst den Bau meinte anpissen zu müssen. Pardon, aber dieses Wort zählt seit dem Skandälchen, das Direktorin Husslein im Vorjahr mit der Skulptur der Künstlergruppe Gelatin provozierte, nun mal zu den Salzburger Spezialitäten.

In diesem Jahr wird das Festspielpublikum nicht mit feuchten Späßen erschreckt, sondern hinaufgebeten in das fast fertige Museum der Münchner Architekten Friedrich Hoff Zwink. Die Ausstellung „Einleuchten“ überbrückt die Zeit bis zur endgültigen Eröffnung im Oktober mit Lichtinstallationen. „Trockenwohnen“ hieß das früher. Zunächst muss sich das Raumklima einpendeln, bevor die eigentliche Sammlung einziehen kann.

Die Schutthalde aus Ablehnung, Verdrehungen und latenter Unzufriedenheit hat längst die Höhe des Mönchbergs erreicht, weshalb es keine schlechte Idee war, gleich noch eins draufzusetzen und einen Panoramalift zu planen, der die heilige Felswand endgültig zu dem gemacht hätte, was sie nun einmal ist: Europe's most finest Schießplatz für Urlaubsfotos. Zwar mussten die Besucher bis ins Jahr 1948 nicht erst im feuchtkühlen Felsmassiv verschwinden, sondern konnten den Außenaufzug nehmen. Daran anzuknüpfen fehlte dann plötzlich der Mut und angeblich auch das Geld. Der im Wettbewerb siegreiche Entwurf der Architekten DeluganMeissl, ein geknickter Lift, dessen Eleganz an Zaha Hadids Innsbrucker Sprungschatze erinnert, hätte sich erst nach 22 Jahren amortisiert, errechnete die Salzburg AG.

Dem Museum, das der Lift wunderbar ergänzen würde, ist zu wünschen, dass es dann noch steht und nicht in ein riesiges Loch hineingefallen ist, das Hans Hollein seit zig Jahren gerne in den Mönchsberg sprengen möchte. Doch seine Pläne für ein Salzburger Guggenheim-Museum, quasi das Negativ zu Frank Lloyd Wrights Spirale in New York, begeisterten zuletzt niemanden mehr. Außer ein paar Lokalpolitiker, die mittlerweile abgewählt sind.

Salzburg wird sich damit abfinden müssen, nun ein Museum zu besitzen, das zum Besten zählt, was während des Museumsbooms in Europa errichtet wurde. Kein Formfeuerwerk wie in Bilbao natürlich, zum Glück keine spekulative Medienblase wie in Graz, aber auch kein baukünstlerisch überkorrektes Eigentor wie die beiden Kontrastwürfel im Wiener Museumsquartier. Sondern ein Haus, das neutrale, gut proportionierte Räume für die Kunst bereitstellt, sie zu einem sehr einfachen Parcours verbindet, ohne die Geschoße nur zu stapeln (siehe MUMOK in Wien) und in den Raumfugen der Stiegen zwar keinen Höhenkoller hervorruft, wohl aber den Aufstieg aus der Tiefe des Bergs zu feiern versteht.

Die Materialien sind puristisch, keine Frage: Roher Beton empfängt die Besucher an den Aufzügen im Foyer und begleitet sie beim Erklimmen der von oben belichteten Treppenschluchten. In den drei Ausstellungsebenen dominieren weiße Wände, mit einer Schattenfuge für die Lüftung von den Betondecken und -böden abgesetzt. Wenige Öffnungen weisen hinaus, die aber sind spektakulär und unerwartet, zeigen sie doch bis auf zwei Ausnahmen kein Postkartenidyll von Salzburg, sondern die tropisch üppige Vegetation auf dem Mönchsberg oder schneiden den Wasserturm, der aus Geldmangel zunächst ungenutzt bleiben wird.

Der Blick zur Stadt ist dem Restaurant vorbehalten. Wo die Architekten „nichts, aber auch gar nichts“ dem atemberaubenden Panorama in den Weg stellen wollten, hängen nun Hirschgeweihe an der Decke. „Ein später Gag der Postmoderne“, ärgert sich der Architekt Klaus Friedrich. Das Restaurant, gepachtet von Haubenkoch Sepp Schellhorn, ist die einzige Stelle, wo es zu Spannungen mit der Bauherrin Husslein kam, als diese den Mailänder Designer Matteo Thun mit dem Ausbau beauftragte. Drei jungen Architekten ohne jede Museumserfahrung einen Bau wie diesen in die Hände zu geben war mutig, aber der Mut reichte dann doch nicht, allein auf Qualität zu setzen und auf vermeintlich große Namen zu verzichten.

Publikationen

2023

Protestarchitektur
Barrikaden, Camps, raumgreifende Taktiken 1830–2023

Protestbewegungen prägen den öffentlichen Raum nicht nur durch ihre Botschaften, sondern in vielen Fällen auch durch ihre – meist temporären – Bauten. Dieser These gehen das Deutsche Architekturmuseum DAM in Frankfurt und das MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien in einem Ausstellungsprojekt nach,
Hrsg: Oliver Elser, Anna-Maria Mayerhofer, Sebastian Hackenschmidt, Peter Cachola Schmal, Jennifer Dyck, Lilli Hollein
Verlag: Park Books

2017

SOS Brutalismus
Eine internationale Bestandsaufnahme

SOS Brutalismus ist ein Notsignal. Seit den 1950er-Jahren sind weltweit Bauten bedeutender Architekten des 20. Jahrhunderts entstanden, die Ausdruck einer kompromisslosen Haltung sind. Oft, aber nicht immer, sind sie aus Sichtbeton (béton brut, daher der Begriff Brutalismus). Viele der oft kontrovers
Hrsg: Oliver Elser, Philip Kurz, Peter Cachola Schmal
Verlag: Park Books

2009

Wohnmodelle - Experiment und Alltag
Housing Models. Experimentation and Everyday Life

Die Spanne reicht vom chilenischen Sozialwohnbau zum Selbst-Weiterbauen über die Wiener Sargfabrik bis hin zu einer elitären Wohngemeinschaft in Tokio. Das Projekt Wohnmodelle. Experiment und Alltag geht anhand von elf internationalen Wohnbauprojekten der Frage nach, wie Architekturexperimente im
Hrsg: Oliver Elser, Michael Rieper, Künstlerhaus Wien
Verlag: Folio Verlag

2001

Sondermodelle. Die 387 Häuser des Peter Fritz

Peter Fritz war ein Bastler, der in seiner Freizeit Architekturmodelle entwarf und baute - doch »nicht alle Bastler sind harmlos«, wie Walter Grasskamp bemerkte. Dieses kuriose Bilderbuch für alle Kunstliebhaber und Architekturfreunde beweist diese These. Was tun mit 387 kleinen Architekturmodellen,
Hrsg: Oliver Elser, Österreichisches Volkskundemuseum, Oliver Croy