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Holzhäuser und Betonkisten
Neue Zürcher Zeitung

Ein Blick auf die Deutschschweizer Architektur

1. September 2004 - Hubertus Adam
Architektur ist ein positiver Imagefaktor der Schweiz, und das schon über mehrere Jahrzehnte. Seit sich in den siebziger Jahren einige junge Architekten im Tessin gegen den Bauwirtschaftsfunktionalismus der Spätmoderne zur Wehr setzten und die Kategorien von Raum und Ort neu entdeckten, dauert das Interesse an der eidgenössischen Architektur an. Mit der Zeit ereigneten sich mehrere Perspektivwechsel: In den achtziger Jahren geriet Basel, in den neunziger Jahren Graubünden ins Blickfeld. Nach dem Millennium vermittelt sich ein heterogeneres Bild: Die Ermüdung, welche die stereotypen „Schweizer Kisten“ inzwischen hervorrufen, hat zu Strategien der Diversifikation, Modifikation und Transformation geführt. Die Dominanz des rechten Winkels ist formaler Vielfältigkeit gewichen. Allen voran Valerio Olgiati hat mit dem Schulhaus in Paspels in dieser Hinsicht Massstäbe gesetzt. Daneben wurden spätestens seit der Eröffnung der Tate Modern Herzog & de Meuron zu architektonischen Weltstars, deren Projekte in der Schweiz sich verglichen mit Aufträgen in den USA, in China oder Spanien bescheiden ausnehmen.

Lapidar „Swiss Made“ heisst nun eine neue Publikation, die jeweils anhand von drei bis vier Projekten zwölf zeitgenössische Schweizer Architekturbüros vorstellt. Der Untertitel „Neue Schweizer Architektur“ führt allerdings in die Irre, denn zunächst einmal geht es nicht um Schweizer Architektur im Allgemeinen, sondern um Deutschschweizer Architektur. Der in Edinburg lehrende Architekt Steven Spier, der zusammen mit Martin Tschanz, Redaktor von „Werk, Bauen und Wohnen“, die Auswahl besorgt hat, sieht im Tessin vornehmlich die ältere Generation am Werk und in der Romandie nur wenig Hervorragendes, so dass sich die Auswahl auf Büros aus Basel (Diener & Diener, Miller & Maranta, Morger & Degelo), Zürich (Burkhalter und Sumi, Gigon/Guyer, Meili & Peter, Peter Märkli, Valerio Olgiati) und Graubünden (Bearth & Deplazes, Gion A. Caminada, Peter Zumthor) beschränkt. Dazu tritt der mit seinen Brücken in der Via Mala und in Brügge auch architektonisch tätige Ingenieur Jürg Conzett. Angesichts der Tatsache, dass die architektonischen Impulse in den vergangenen Jahren tatsächlich weniger aus dem Süden oder Westen des Landes gekommen sind, mag die Beschränkung verständlich sein. Seltsam allerdings mutet an, dass Herzog & de Meuron nur in Vor- und Nachwort Erwähnung finden, sonst aber nicht vertreten sind. Dies umso mehr, als es sich bei der vorliegenden Publikation um die deutschsprachige Lizenzausgabe eines ursprünglich bei Thames & Hudson in London erschienenen Werkes handelt und das Basler Büro dort mit Tate Modern und Laban Dance Centre weithin beachtete Werke realisiert hat.

Sonst bietet das Buch, für das der deutsche Fotograf Christian Richters sämtliche Bauten neu fotografierte, einen instruktiven Überblick über das, was in den vergangenen Jahren von den führenden Architekturbüros der mittleren Generation gebaut und geplant wurde - gerade auch für Nicht-Architekten oder Leser, die mit dem helvetischen Baugeschehen weniger vertraut sind. Zeitlich fallen Peter Märklis Museum „La Congiunta“ in Giornico (1992) und Peter Zumthors Kunsthaus in Bregenz (1997) etwas aus dem Rahmen, die meisten übrigen Projekte wurden seit der Jahrtausendwende fertiggestellt. So wird zwar auf die frühen Hauptwerke der Architekten - etwa das Kirchner-Museum von Gigon/Guyer in Davos, die Schule in Vella von Bearth & Deplazes oder die Therme Vals von Peter Zumthor - verzichtet, doch durch die Aktualität ist einiges ins Buch gelangt, was bisher wenig Niederschlag in Publikationen gefunden hat. Dazu zählt das Gemeindezentrum in Reinach von Morger & Degelo (der Messeturm Basel bleibt unberücksichtigt), aber auch der Archäologische Park Kalkriese von Gigon/Guyer oder ein neues Holzhaus von Zumthor im Prättigau.

Mit Plänen, Fotos und beschreibenden Texten vermittelt die Publikation ein anschauliches Bild der vorgestellten Objekte. Insgesamt gibt sich der auf solitäre Bauten konzentrierte, städtebauliche Fragen weitgehend ignorierende Überblick konsistent, aber letztlich auch etwas brav: Dass mit Büros wie „smarch“, „em2n“ oder „pool“ eine Generation herangewachsen ist, die in ihrem OEuvre andere Schwerpunkte setzt, bleibt hier ausgeblendet.

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