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Rund oder vielfältig?
Neue Zürcher Zeitung

Neue Bauten von UN Studio in Amsterdam und Almere

Entgegen verbreiteten Vorbehalten bedeutet kommerzielles Bauen nicht notwendigerweise gestalterische Beliebigkeit. Das beweisen mehrere neue Bauten, welche Ben van Berkel und sein Büro Rotterdamer UN Studio in den Niederlanden errichtet haben.

3. September 2004 - Hubertus Adam
Der Südosten von Amsterdam zählt nicht eben zu den städtebaulich geglücktesten Ensembles der niederländischen Metropole: Östlich der vielbefahrenen Bahnstrecke Richtung Utrecht erstrecken sich die zehngeschossigen Wohnblocks der Grosssiedlung Bijlmermeer, die mit ihren endlosen wabenförmigen Strukturen den Endpunkt der niederländischen Spätmoderne markierte und inzwischen in weiten Teilen abgerissen ist. Auf der anderen Seite der Gleise steht die „ArenA“, das überdachte Fussballstadion von Ajax Amsterdam, als Paradigma einer von Investoren gesteuerten Architektur der neunziger Jahre - funktional, ökonomisch optimiert, aber von geringer gestalterischer Qualität. Der Umbau der Bahnstation Bijlmer durch Nicholas Grimshaw ist noch im Gange, aber die weiten Freiflächen, Bürokomplexe und Gewerbebrachen, die rings um das Stadion entstanden sind, vermitteln einen Eindruck der Trostlosigkeit, auch wenn ein Multiplex-Kinocenter regen Besucherverkehr garantiert.

Etwas versteckt hinter protzigen Bürobauten ist nun, gleichsam im Windschatten des Stadions, ein kleines Gebäude entstanden, dessen Form von der Belanglosigkeit ringsum absticht. Einem gedrungenen, lang gestreckten Körper entspriesst ein zweiter, vertikaler; der Doppel-Blob - den man auch als eine kontinuierliche, in sich verdrehte Figur verstehen kann - erinnert etwas an eine träge Rakete, die in der Startrampe ruht. Das seltsame Gebilde ist das niederländische Domizil von „Living Tomorrow“, einer 1991 in Brüssel gegründeten Organisation, die es diversen Wirtschaftsunternehmen ermöglicht, in ihren Räumen zukunftsfähige Produkte zu testen. Hauptakteure in Amsterdam sind Hewlett-Packard, Logica und Unilever, dazu treten eine Reihe weiterer Firmen wie Philips, Bosch und der niederländische Hersteller von Designprodukten Gispen. Während „Living Tomorrow“ in Brüssel in zwei wenig attraktiven Häusern ansässig ist, beauftragte man für den Neubau in Amsterdam das Büro UN Studio, das 1999 von Ben van Berkel und seiner Partnerin Caroline Bos gegründet wurde.

Theorie und Praxis

Unter den niederländischen Architekten der mittleren Generation gelingt Ben van Berkel der Spagat zwischen Theorie und Praxis vielleicht am besten. Während das Möbius-Haus (1999) als gebautes architektonisches Manifest die Fachwelt begeisterte, avancierte die elegante Erasmusbrug (1996), die das nördliche Maasufer Rotterdams mit dem Stadtentwicklungsgebiet Kop van Zuid verbindet, zum architektonischen Wahrzeichen von Rotterdam. Eine kleinere Schwester der Rotterdamer Brücke konnte im vergangenen Sommer in Utrecht eingeweiht werden: Die Prins Claus Brug verbindet das östlich des Zentrums gelegene Quartier Kanaleneiland mit Leidsche Rijn, einem der grössten Neubaugebiete des Landes. Vom internationalen Erfolg des Büros zeugt das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart, das im Jahr 2006 fertig gestellt sein wird. Wie beim Guggenheim Museum in New York werden sich die Besucher auf Rampen von oben nach unten durch das Gebäude schrauben, dessen Grundrissform an einen Wankelmotor erinnert.
Verglichen mit dem Stuttgarter Projekt nimmt sich der „Living Tomorrow“-Pavillon eher bescheiden aus. Aus gebogenen Stahlrippen, Beton und Industrieblech (als Fassadenverkleidung) entstand ein Gebilde, das für die Dauer von fünf Jahren konzipiert wurde und dann wieder demontiert werden soll. Futuristisch wie ein Raumschiff sieht das Gebäude allerdings nur von aussen aus: Über eine blau ausgeleuchtete Treppe im horizontal gelagerten Baukörper gelangt man auf die Hauptebene des ersten Obergeschosses mit Café und Réception - Innenarchitektur und Möblierung waren nicht Aufgabe der Architekten. Auch die im Turm auf mehreren Geschossen untergebrachten Ausstellungsbereiche wie „Wohnung der Zukunft“ und das „Büro der Zukunft“ nehmen sich eher konventionell aus, wenn man davon absieht, dass die Möbel und Geräte mit Digitaltechnik voll gestopft sind. Der Kühlschrank überwacht seinen Inhalt, und der Staubsauger wird von Sensoren gelenkt.

Spektralfarben im Hof

Eine andere Formensprache als die Bubble-oder Blob-Ästhetik kam bei dem Bürokomplex „La Défense“ zur Anwendung. Eine grosse fünfeckige Parzelle in Nachbarschaft des Hauptbahnhofs von Almere, der weitläufigen Stadtlandschaft im IJsselmeerpolder, wurde so bebaut, dass sich eine mäanderförmige Hofstruktur ergab. Die polygonale Form des Umrisses widerspiegelt sich im Ansteigen und Abfallen der Dachflächen: Von drei auf sechs Geschosse wachsen die Volumina, um sich dann wieder zu senken. Mit Rampen und Treppen wird dieses plastische Spiel der Faltungen im Bereich des Hofes nachgezeichnet. Wesentlich zum Reiz des Gebäudes trägt vor allem die Farbigkeit und Materialität der Fassaden bei. Während silbrig-grau schimmernde Metallelemente die Aussenfront des Gebäudekomplexes vereinheitlichen, sind die Hoffassaden aus Glaselementen aufgebaut, in die irisierende Metallfolien integriert wurden. Weil die dicht nebeneinander stehenden Gebäude sich wechselseitig spiegeln, entstehen spannungsreiche optische Effekte, und die Fassaden changieren zwischen Rot, Orange, Gelb, Grün und Blau. „La Défense“, nutzungsneutral konzipiert, ist das Investitionsobjekt eines Immobilienentwicklers; dass auch derlei Bauaufgaben zu architektonischer Qualität führen können, hat UN Studio hier eindrucksvoll bewiesen.

Das komplexeste Bauwerk des Büros aus Amsterdam entsteht allerdings derzeit in Arnhem. Lapidar „Arnhem Central“ heisst das gewaltige Projekt einer „public transportation area“ in Form einer intermodalen Vernetzung von verschiedenen Verkehrssystemen. Der Bahnhof ist hier weder Haltepunkt noch Shopping-Center mit Gleisanschluss, sondern eine räumliche Turbine zur Bewältigung eines hohen Passagieraufkommens. Das Projekt ist ein Musterbeispiel des von Ben van Berkel beschworenen „Deep Planning“, bei welchem der Architekt sich nicht mehr als Gestalter von Oberflächen, sondern als Organisator komplexer Planungsprozesse versteht. Die unterste Ebene, jene der Parkgeschosse, ist schon in Betrieb; bis zum Jahr 2007 soll Arnhem einen Verkehrsknoten erhalten, der durch eine Reihe von Hochhäusern auch als vertikale Dominante in Erscheinung tritt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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