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Handfreundliches Handwerk
Handfreundliches Handwerk, Foto: Adolf Bereuter
Handfreundliches Handwerk, Foto: Adolf Bereuter
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Das individuelle Möbel mit einer Lebensdauer über mehrere Generationen sei tot, behaupten periodisch die radikalen Modernisten. Die „Designinitiative Werkraum Bregenzerwald“, geleitet von Roland Gnaiger und Adolph Stiller, tritt zum Beweis des Gegenteils an.

11. Mai 2002 - Walter Zschokke
Ein Weinviertler Tischler, der Latein gelernt und Architektur studiert hat, sowie ein Abkömmling wälderischer Bergbauern, der ebenfalls Architektur studierte und mittlerweile selber lehrt, setzen sich unter dem Label „Designinitiative Werkraum Bregenzerwald“ mit qualifizierten Handwerksfirmen zusammen, um nicht bloß Prototypen zu entwerfen, sondern alltagstaugliche Möbel zur (Klein-)Serienreife zu entwickeln. Das Gebiet zwischen Rheintal, Allgäu, Kleinem und Großem Walsertal erweist sich dabei als eine eigene Welt. Wen wundert es, wenn er beispielsweise hört, wie die bäuerlichen Vorfahren bekannter Vorarlberger Architekten unserer Tage vor hundert Jahren ihren Bergkäse selber nach Mailand auf den Markt führten und dort verkauften, daß heute nicht wenige Firmen der holzverarbeitenden Industrie ihre Produkte erfolgreich in den Nachbarländern vertreiben. Eine weitere Vorarlberger Erfolgsstory? Ja, was sonst.

Die Wohnvorstellungen haben sich gewandelt. Nicht geringen Anteil und Verdienst - im doppelten Sinn - haben daran die Anbieter kostengünstiger Möbel. Soll sein. Aber wer beim Montieren die schütteren Spanplatten und die ausgemagerten Verbindungen sieht, wird sich fragen, ob diese wohl ein Auseinandernehmen und einen weiteren Zusammenbau aushalten. Nun, dafür sind sie auch nicht gedacht. Und wer will sich aufregen, solange das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.

Da West- und Mitteleuropa sich bereits seit zwei Generationen an Frieden und Stabilität erfreuen dürfen, gewinnt die Tradition - mittlerweile die der Moderne - an Wert. Moderne Klassiker von Alvar Aalto, Mies van der Rohe, Le Corbusier & Charlotte Periand, Marcel Breuer und Josef Frank finden verbreitete Wertschätzung. Zur Aristokratie der Moderne zählen natürlich nur jene, die solches nicht am Flohmarkt ergattert oder teuer beim Lizenznehmer gekauft haben, sondern die edlen Stücke schlicht erben konnten, weil man sie immer schon in der Familie im Gebrauch hatte. Vorausgesetzt, die Enkel haben auch das Kulturverständnis der Großeltern mitbekommen, andernfalls die schönen Stücke womöglich kaputt geritten oder dem Flohmarkt anvertraut wurden.

Schwieriger ist es jedoch, heute jene Möbel zu erwerben, die in zwei Generationen noch oder wieder als qualitativ besonders und designgeschichtlich anerkannt gelten. Denn, seien wir ehrlich, der Besitz eines solchen Stücks oder einer Gruppe bereitet selten mehr Freude, als wenn der auf Besuch weilenden Konkurrenz der Neid nur so aus den Augen spritzt. Ein ererbtes Originalmöbel ist ein Atout, gegen den neue Profiküche und Sprudelbad abdanken. Allerdings, wie beim Aktienkauf muß man sich trauen, ein Risiko einzugehen. Dazu bieten jene Designinitiativen, die periodisch Fachleute des Entwurfs mit jenen des Handwerks (und mit neuesten technischen Möglichkeiten) zusammenbringen, eine gute Chance: kleine Stückzahlen, sorgfältige Herstellung, jüngere Designer aus dem Spitzenfeld, deren Chancen, in die Geschichte einzugehen, intakt sind. Außerdem sind die meisten Entwürfe wirklich praktisch. Wenn sich daher dereinst erweisen sollte, daß das wankelmütige Schicksal den guten Stücken nicht in erhofftem Maß historische Bedeutsamkeit zukommen ließ, dann waren sie inzwischen wenigstens nützlich.

Die jüngste Ausstellung dieser Art in der Galerie im Ringturm, die sich die Wiener Städtische Allgemeine Versicherung seit vier Jahren leistet, zeigt Möbel und Gebrauchsgegenstände der Designinitiative Werkraum Bregenzerwald. Adolph Stiller und Roland Gnaiger haben als Kuratoren über Monate die Entwicklung der Produkte betreut, sodaß der prototypische Charakter, der solchen Stücken nicht selten anhaftet, überwunden ist.

Wenn nun eine subjektive Auswahl getroffen wird, um einen Einblick in die Ausstellung zu geben, so gilt dies nicht im Sinne eines Börsentips. Es ist allemal besser, den eigenen Kopf in die Ausstellung und die Nase in den Katalog zu stecken sowie mit dem Allerwertesten die Sessel zu testen.

Mit der Installation „bauKasten“ nimmt Roland Gnaiger ein Thema auf, das viele in den sechziger Jahren faszinierte. Damals musterten die Brauereien ihre hölzernen Bierkisten aus und gaben sie billig ab. Obwohl im Format keinesfalls ideal, fanden sie unter Studenten, Designern und Architekten begeisterte Abnehmer, weil sie sich zu Wandregalen und frei stehenden Gebilden türmen ließen. Sie dienten als Hocker und Tischchen, und beim Wohnungswechsel konnte man die Bücher gleich in der Kisten lassen. Aber der Vorrat ging rasch zur Neige. Nicht wenige Architekturstudenten befaßten sich daher mit dem Entwurf einer handlichen Stapelkiste in optimalem Format - und scheiterten selbst bei Serienproduktion an den Kosten. Die Holzwerkstatt Faißt hat nun diesen alten Traum aktuell umgesetzt: so einfach und praktisch wie nötig, wandelbar und unspezifisch oder mit kleinen Fächern, bunt lasiert oder naturbelassen. Auf ein praktisches Format hielt der Gestalter ein waches Auge.

Für Besitzer kleiner Bibliotheken empfiehlt sich jedoch eine dichtere Packung, die mit dem Bücherturm, entworfen von Ferdinand Rüf, gleich in drei gegeneinander verschieblichen Regalschichten angeboten wird. Die Ausführung von Eberle Metall in Chromstahlblech ist elegant und spart bei den Gestelldimensionen, was den Fächern zugute kommt. Für den Griff wählte man allerdings schon Holz, weil es handfeundlicher ist und dem ganzen Möbel eine besondere Note verleiht.

Multifunktionalen Stauraum in Form von Trommeln aus Sperrholz bieten die Teile der von Irmgard Frank entworfenen Dreier-Gruppe. Wenn Bettzeug, Wintersachen, Spielzeug und so weiter weggepackt sind, dienen „small“, „medium“ und „large“ als Hocker oder Tischchen. Die autonome runde Form läßt sich überall dazu gesellen, beansprucht allerdings sofort eine zentrale Position - ob im Kinderzimmer oder im Vorraum. Mit allem kombinierbar, geht sie dennoch keine engere Beziehung ein. Das kühl wirkende Birkenholz in der sorgfältigen Verarbeitung durch die Tischlerei Schmidinger wird im Lauf der Jahre einen wärmeren Ton annehmen, wie überhaupt Holz beim Älterwerden an Charakter gewinnt.

Zwei üblicherweise getrennt auftretende Funktionen kombiniert der Paravent von Hugo Dworzak. Er schirmt und leuchtet. In den zeitgenössischen offenen Grundrissen gewinnt dieses klassische Möbel neue Bedeutung, indem Zonen definiert und Sichtschutz geboten werden. Eine Abgrenzung, die weniger hart ist als eine ins Schloß gedrückte Türe, in deren mildem Schein sich aber gemütlich sitzen und lesen läßt. Die dünnen Fichtenfurniere auf einem Träger aus Acrylglas, von der Firma Franz Mätzler gefertigt, wirken am Tag eher unscheinbar. Abends werden die Flügel des Paravents zu flachen Lampions; das Schnittbild von Frühjahrs- und Sommerholz tritt hervor, den Materialcharakter potenzierend. Die handelsüblichen Leuchtstoffröhren werden in ihrer Lichtfarbe verfremdet. Es entsteht ein Bild von Wärme, ohne daß Feuer brennt.

Filz, das Material, das Jurten und Köpfe deckt und in Form von Patschen im Winter allerlei Füße wärmt, ist als Bezugsstoff für Polsterelemente ungewohnt. Aber genau dieses Ungewohnte und dennoch Ansprechende fasziniert an den von Johannes Mohr für die Firma Mohr Polster entworfenen quaderförmigen Filzkörpern, die zum Hinsetzen, Anlehnen und Liegen einladen. Sonderbar körperhaft ist der Filz mit seinen Stärken im Mehrmillimeterbereich selber schon. Zusammengenäht mit großen Stichen, bilden die Teilstücke an den Kanten eine betonte Naht - sie machen aus dieser im Sinne Gottfried Sempers „eine Tugend“ - und geben dem weichen Quader eine klare Form.

Äußerst elegant spannt sich eine Hängematte zwischen den Enden zweier schichtverleimter, in freier Form gebogener Kufen nach dem Entwurf von Georg Bechter. Nicht bloß faul in der Matte liegen - noch dazu Schaukeln kann man darin. Ein minimalistischer Materialaufwand reduziert seinerseits die raumverdrängende Präsenz des schönen Möbels. Allerdings, über eine Loft oder großzügige Terrasse sollte man schon verfügen, um träumend darin zu wippen.

Einen alten Bekannten, den von Hubert Schuller entworfenen Sessel, der 1994 aus einem Wettbewerb für die Holzausstellung in der Steiermark hervorging, trifft man ebenfalls in der Ausstellung. Der Vergessenheit entrissen, formal präzisiert und von der Firma Anton Mohr perfekt und vergleichsweise kostengünstig hergestellt, sieht er zuversichtlich einer zweiten Chance entgegen, viele neue Besitzer zu finden.

Die beiden Haupthürden, der Vertrieb und der Preis, werden bei allen gezeigten Möbeln über Sein oder Nichtsein wesentlich mitentscheiden. Die gestalterische und handwerkliche Qualität kann sich jedenfalls sehen lassen.

[ Die Schau „Möbel für alle - Designinitiative Werkraum Bregenzerwald“ ist bis 28. Juni im Ausstellungszentrum der Wiener Städtischen Allgemeinen Versicherung (Wien I, Schottenring 30) zu sehen: Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 19.30 Uhr. ]

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