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Geld, Macht und andere Helden
Der Standard

Die Architekten, und wie sie die Welt sehen: Unterschiedlichste Stimmungsbilder, mitgebracht aus Porto, wo das European Architects' Forum tagte.

25. Mai 2002 - Ute Woltron
Vergangenes Wochenende fielen ganz viele junge und mittelalterliche Architekten und Architektinnen in der portugiesischen Küstenstadt Porto ein. Man veranstaltete ein dreitägiges internationales Architektenmeeting, genannt „Europe Architects' Forum“, und Baukünstler vieler europäischer Nationalitäten sprachen und diskutierten naturgemäß ausschließlich über die Szene der Architektur.

Es war viel die Rede von den erbärmlichen Qualitäten der Öffentlichkeit, der Bauherren, des Neoliberalismus, der Politik - und ganz wenig von den eigenen, und das mag bereits der Schlüssel zum Verständnis sein, womöglich sogar der, mit dem sich die Architekten den Weg in diese schöne oder hässliche neue Welt, die sie die ganze Zeit bejammerten, versperren. Zum Treffen geladen hatte eine Handvoll Architekturmagazine aus Deutschland, Frankreich, Holland, Großbritannien und Österreich, letzteres war von „Architektur Aktuell“ vertreten. Gleich zu Beginn versuchten Architekturredner all dieser Länder ihren in der Dämmerung des alten Kunstmuseums der Stiftung Serralves lauschenden Zuhörern die jeweilige Architektursituation ihrer Nation zu erläutern, und schon nach der ersten halben Stunde war einem ganz bang und weh um das Herz, war einem, als ob man nach dem Taschentuche zu fingern beginnen müsse, denn eine schwarzgekleidete Trauergemeinde schien hier Leichenreden zu schwingen, Abschiedsbotschaften zu vermitteln.

Alles ganz furchtbar. Überall große Probleme. Nirgendwo Geld. Allenorts der Aufträge harrende Architekten. Wenig Arbeit, aber viele Planer. Die depressivste Vorstellung gab eine belgische Architektin, die, vom Weltschmerz über wirtschaftliche Drücke und andere Misslichkeiten dermaßen ergriffen, fast gestützt vom Rednerpulte geführt werden musste. Auch in Holland, England, Frankreich: Überall ein Elend sondergleichen, der architektonische Weltuntergang nah, wenn nicht sogar bereits da.

Irgendwann ergriff denn auch Matthias Boeckl, seit geraumer Zeit nun schon erfolgreich und innovativ Chef von „Architektur Aktuell“, das Wort, und irgendwie schien sich der Saal sogleich zu erhellen, alles schien freundlicher zu werden. Österreich, so begann Boeckl seine lockere optimistische Rede, bestehe vor allem einmal zu zwei Dritteln aus unbebaubarem Bergland, was zur Folge habe, dass jede Stadtplanung irgendwann einmal an natürliche Grenzen stoße, und dass sie, mangels Experimentierfelder, sorgfältig betrieben werden müsse. Weiters stellte der fröhliche Gesandte unserer Nation fünf Punkte in den Raum, die einzuhalten seien, wolle man gute Architektur weiterleben lassen. Endlich. Ein Blick in eine Zukunft, und kein Stieren auf eine Vergangenheit und eine Gegenwart, in der mancher mit seinen Kräften offenbar nichts so recht anzufangen weiß.

Boeckl hingegen postulierte Folgendes: Vor allem in den Bereichen Städtebau und Wohnbau dürfe man Privatisierungen nicht übertreiben, im Gegenteil, hier sei kommunales Walten wichtig und angesagt. „Teile des Marktes müssen unbedingt unter öffentlicher Kontrolle bleiben“, so der Redner in sanfter Bestimmtheit. Des weiteren solle man nicht zu viele Aufträge an „Corporate Offices“, also architektonische Großunternehmer, man könnte auch sagen Architekturmarkenzeichen, vergeben, und, ganz wichtig, die Ausbildung dürfe keine Sekunde lang vernachlässigt werden. Im Gegensatz zu Großbritanniens Superstars wie Norman Foster oder Richard Rogers geben sich heimische Baugrößen wie Hans Hollein oder Wolf Prix schon gern die Ehre, ihre Lehre auf den Universitäten zu verbreiten. In den USA und England tun das vor allem Theoretiker, die nie gebaut haben, was gut und schön ist, aber nur einen kleinen Teil des Architekturspektrums abdecken kann. Fünfter boeckelscher Punkt: Nie sei das rurale Umland der Städte zu vernachlässigen. Immerhin kann man ja sagen, dass außer Wien eigentlich alles an Österreich eher der ruralen Szene zugeordnet werden darf. Manche behaupten sogar, man könne auch Wien mit einrechnen. Wie auch immer. Das Land bleibt nur so lange architektonische Wüste, solange sich niemand, der sich in der Sache auskennt, aktiv darum bemüht. Womit wir uns dem Kern dieser Geschichte langsam nähern.

Matthias Boeckl erntete jedenfalls Applaus und geheimes Staunen. Die völlig devastierten Holländer, hierzulande seit Jahren vielbestauntes Neidobjekt aller Planer, seit Pim Fortuyns Ermordung komplett aus der Bahn geworfen, setzten geradezu sehnsuchtsvolle Blicke auf und versprachen, sich mehr um Österreich zu kümmern, ja „künftig tiefere Blicke“ (Harry Abels) in dieses nunmehr fast exotisch anmutende Architekturland zu tun.

Dieses war der erste Tag. Die einen ließen ihn bei konspirativen Gesprächen und roten Weinen ausklingen. Die anderen taten das, was Architekten immer tun, wenn sie in der Fremde sind: Architekturanschauen. Das ist in Porto ein ganz lohnendes Feld, denn hier hat immerhin der portugiesische Weltarchitekt Álvaro Siza sein Büro und auch Einiges gebaut.

Ein paar Architekten, unter ihnen der Tiroler Wolfgang Pöschl (nicht zu verwechseln mit Hanno Schlögl, der seinerseits mit Hanno Pöschl nichts zu tun hat, womit sich der Kreis schließen sollte), trugen schwer an diesem Abend. Einer der Kollegen, ein Brite, hatte beim Durchwandeln der engen Porto-Gässchen plötzlich in einer Auslage genau jene raffiniert feinen Türschnallen erblickt, wie sie der vorhin genannte Siza so gerne in seinen Gebäuden zu verwenden pflegt. Man trat sofort ein, errechnete hastig die Anzahl der Türen in Projekten und eigenen Häusern, packte große Kisten, nestelte nach Kreditkarten, musste doch zur Bank, schleppte schließlich beschwert und erleichtert die Last ins Hotel.

Wolfgang Pöschl half dabei, und die selbe energisch-demokratische Kraft, die er kistenstemmend an den Abend legte, wohnte ihm inne, als er am nächsten Morgen im Dämmerlicht des Kunstmuseums seinen Vortrag in Angriff nahm. Vielleicht war er noch ein wenig enerviert von der Jammerei des vergangenen Tages, vielleicht aber auch nicht. Sein Vortrag jedenfalls war berauschend und sympatisch, offen und optimistisch. Seit etwa fünfzehn Jahren, so erzählte er in speckknödeligem Englisch, gebe es etwa 40, 50 Leute in Tirol, die beschlossen hätten, gute Architektur zu machen. Und das sei gelungen. Entgegen den ewigen Unkenrufen sei der „Markt für gute Architektur genau so endlos wie der für schlechte“, man müsse nur anfangen, losarbeiten und „dort hin gehen, wo gar nichts erwartet wird“.

Dann behauptete Pöschl etwas, das nicht nur für die Architektur gilt, sondern auch für Neoliberalismus, Turbokapitalismus und all die anderen Medusen, angesichts derer Zauderer aller Diszipline augenblicklich zu Stein erstarren. Pöschl sagte: „Stark hat uns die Respektlosigkeit gemacht. Die Respektlosigkeit vor Geld, Macht und anderen Helden. Denn der gesamte Prozess des Bauens basiert letztlich auf den Handlungen von Individuen.“ Sofort erhielt der Tiroler Zustimmung aus den nicht so architekturprominenten Teilen dieses vereinten Europa. Alan Jones, ein Architekt aus Nordirland, erklärte sein Land für eine architektonische Totalwüste, doch sei es aufgrund individueller Anstrengungen sehr wohl gelungen, ordentliche Projekte zu realisieren und eine Verfeinerung und Verfreundlichung des Bauklimas herbeizuführen. Ein Kollege aus Manchester stimmte uneingeschränkt zu. Außer Fußball sei in seiner Heimatstadt keine Kultur zugegen, die Wohnbautradition eine schlichte Totalniederlage. Dennoch habe individueller Einsatz mehrerer Architekten einige solide Wohnmodelle und Anlagen produziert. Wer darauf warte, gerufen zu werden, der habe seinen Beruf verfehlt.

Die auftragsmäßig verwöhnteren und schon leicht primadonnenhaften Holländer staunten. Der ebenfalls aus Österreich angereiste Gerhard Mitterberger legte noch ein Schäuflein drauf: Damit ein Projekt langfristig angenommen werde, müsse der Architekt als Kommunikator fungieren, immer wieder erklären, Kontakt zu den Leuten halten. Damit die schließlich das Gefühl hätte, es sei „ihr“ Projekt. Die heulsusige Belgierin Martine De Maeseneer hatte kurz zuvor noch von der „großen Gefahr“ gesprochen, die „Leute zu sehr in das Baugeschehen zu involvieren, weil die Qualität darunter leiden könnte“. Was für ein Schwachsinn. Wenn Architekten mit dieser Geisteshaltung zu Werke schreiten, dann wird ihre Profession zu Recht von den Mühlen des Kapitals und des Marktes zermalmt werden.

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