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Voilà: Seither herrscht Krieg
Spectrum

Bisher galt, daß ein Architekt das Territorium eines Kollegen nicht in Frage stellt - wenigstens nicht offen. Neuerdings fechten in Wettbewerben Unterlegene Juryentscheide immer öfter juristisch an. Ist der Berufsstand dabei, sich aufzureiben?

Das Virus, laut Duden außerhalb der Fachsprache auch der Virus, gilt als kleinster bekannter Krankheitserreger. Der Brockhaus erläutert das näher: Alle Viren vermehren sich natürlicherweise nur in lebenden Zellen, und sie führen nach einer bestimmten Inkubationszeit mit einem fieberhaften Stadium zu akuten Infektionskrankheiten.

Auf dem Feld der Architekturwettbewerbe ist es jetzt soweit: Das fieberhafte Stadium macht einer akuten Krankheit Platz. Architekten bekriegen Architekten, eindeutige Wettbewerbsentscheidungen werden nicht von außen, sondern von innen, von der Profession selbst, in Frage gestellt. Das ist neu. Vorher waren es in der Regel andere, die den „demokratischen“ Prozeß des Wettbewerbsverfahrens vor allem mit dem Argument der Kosten in Frage gestellt haben.

Dafür gibt es jede Menge Beispiele. Otto Häuselmayers Linzer Musiktheater-Projekt, geopfert auf dem Altar einer FP-Volksbefragung, ist nur die Spitze des Eisberges. Aber auch Salzburg - um zur Sache zu kommen, denn ein Hauptpunkt ist schließlich die Querele um das Kleine Festspielhaus - war da schon immer besonders gut. Man denke nur an die Vor-EU-Zeiten, als Juan Navarro Baldeweg den Wettbewerb um das Kongreßzentrum gewann, den dann ein Salzburger Architekt teilweise gebaut hat, dem dann aber auch wieder das Heft aus der Hand genommen wurde, und das am Ende ein kommerzielles Unternehmen fertiggestellt hat. Argument gegen das Baldeweg-Projekt: 100 Millionen Schilling (7,267 Millionen Euro) Mehrkosten gegenüber dem Zweitgereihten. Tatsache nach der Fertigstellung: 200 Millionen Schilling (14,534 Millionen Euro) Mehrkosten gegenüber dem Baldeweg-Projekt, denn zumindest nach dem Hörensagen - beweisen läßt sich so etwas ja selten - hat die Übernahme durch eine Kommerzfirma noch einmal 100 Millionen Schilling Mehrkosten verursacht.

Wie gesagt, Salzburg war für solche Extreme immer schon gut. Beim EU-weiten Wettbewerb um die neue Messehalle wurde der Jury-Entscheid ebenfalls ignoriert. Die tatsächliche Realisierung hat mit dem Wettbewerb nichts mehr zu tun. Auch hier erhielt letztlich ein Kommerzunternehmen den Zuschlag. Ein Trend? Jedenfalls versteht man langsam den Frust der Architekten, was die Teilnahme an Wettbewerben betrifft. Denn die geforderte Vorleistung - nicht nur ideell, sondern vor allem kommerziell, in Form von Arbeitsstunden - ist enorm. Und was kommt dabei heraus?

Ja, was? Als unlängst eine Jury das geladene Gutachterverfahren für den Umbau der Hernalser Rettungsstation entschied, da dachte sie sicher nicht, daß ein 20-Millionen-Schilling-Projekt (1,453 Millionen Euro) Anlaß für Widerspruch sein könnte. Es gab einen eindeutigen Sieger, das Büro Geiswinkler & Geiswinkler - Architekten. Und der hatte ein ausgesprochen intelligentes Raumkonzept für den etwas verqueren Bestand vorgelegt. Wer denkt sich, noch dazu bei einer solchen Umbausumme, etwas Böses? Nun, einem der Mitbewerber war es jedenfalls einen Einspruch wert. Auf der Basis der eigenen Erfahrung - er hat schon eine Rettungsstation gebaut - glaubte er sich berechtigt, gegen den Juryentscheid anzuargumentieren.

Er wird nicht weit kommen damit. Aber ist es nicht kurios? Soll sein, daß die wirklich lächerliche Umbausumme zu guter Letzt ein wenig nach oben gestaffelt werden kann. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist: Mit dem Einspruch wurde eine Tabuzone verletzt. Bisher galt, daß kein Architekt das Territorium eines Kollegen in Frage stellt. Wenigstens nicht offen. Was hinter vorgehaltener Hand immer schon gemauschelt wurde, davon wollen wir hier gar nicht erst reden. Offensichtlich ist, daß es die kollegiale Tabuzone scheinbar nicht mehr gibt.

Am Fall des Kleinen Festspielhauses läßt sich die ganze Misere besonders anschaulich illustrieren. Im österreichischen Wettbewerbswesen ist so etwas wie in Salzburg, etwas in diesen (Bedeutungs)Ausmaßen, noch nicht vorgekommen.

Die Ausgangslage: Gefordert waren die akustische Verbesserung des Kleinen Festspielhauses und eine ökonomische Verbesserung der Auslastung, sprich eine Erhöhung der Zuschauerkapazität. Dafür wurde ein EU-weit geladenes Verfahren in die Wege geleitet, bei dem in einer zweiten Stufe aus den 20 ursprünglichen Bewerbern fünf zu konkreten „Lösungsvorschlägen“ aufgefordert wurden. Halten wir fest, daß die Anführungszeichen beim Wort Lösungsvorschläge wichtig sind: Denn damit befinden wir uns mitten im Vokabular eines Verfahrens, das natürlich kein Wettbewerb war, es war aber auch kein Gutachten - beides gängige Kategorien im Architekturbusiness -, nein, das Salzburger Kleine Festspielhaus war Gegenstand eines - neuerlich Anführungszeichen - „Verhandlungsverfahrens“.

Nun, wie definiert sich ein Verhandlungsverfahren? Keiner weiß es. Aber fest steht: Es gibt kein „Siegerprojekt“, das der Umsetzung harrt, es gibt nur - und damit sind wir wieder bei den allerersten Anführungszeichen -, einen siegreichen „Lösungsvorschlag“. Und den gibt es sogar 9:0, also einstimmig.

Und damit beginnt das Drama. Denn derjenige, der seit 1986 am Projekt Kleines Festspielhaus dran ist, der gebürtiger Salzburger ist, für den die Aufgabe gewissermaßen Ehrensache ist, der heißt Wilhelm Holzbauer. Der hat das ominöse „Verhandlungsverfahren“ aber nicht gewonnen. Er wurde nur Zweiter. Pikanterie am Rande: Der siegreiche „Lösungsvorschlag“ ist ein Gemeinschaftsprodukt des Salzburger Büros Wimmer Zaick und des österreichisch-luxemburgischen Büros Hermann & Valentiny, letztere Schüler von Holzbauer und von ihm selbst zur Teilnahme am Verfahren vorgeschlagen.

Das alles hat Holzbauer klarerweise getroffen: überrundet von den eigenen Schülern, und das in Salzburg, seiner Heimatstadt. Es muß ihn hart getroffen haben. Aber Holzbauer wäre nicht Holzbauer, wenn er die nachfolgende Depressionsphase nicht rasch überwunden hätte. Voilà: Seither herrscht Krieg. Er reagierte mit Einsprüchen über Einsprüchen, jetzt sind also die Juristen am Zug. Und wenn die erst am Zug sind, dann findet sich immer etwas. Denn es gibt kein Verfahren, das juristisch so wasserdicht ist, daß man es nicht in Details anfechten könnte und damit insgesamt in Frage stellt.

In Wirklichkeit reden wir ja von einer unbekannten Größe. Denn merkwürdigerweise wurde niemals etwas veröffentlicht. Niemand kennt das „Siegerprojekt“. Niemand kennt das von Holzbauer. Nur Holzbauer scheint das seiner Kontrahenten zu kennen, obwohl er es eigentlich nicht kennen darf. Dennoch: Er scheint es zu kennen, jedenfalls lassen sich bestimmte Einsprüche anders nicht erklären.

Warum verhält sich Holzbauer so, wie er sich verhält? Man könnte antworten: Zurückhaltung war seine Sache noch nie. Beim Museumsquartier in Wien zum Beispiel, da gab es eine Phase, wo er sich massiv eingemischt hat. Obwohl es einen eindeutigen Sieger gab - das Büro Ortner & Ortner - und obwohl er selbst mit seinem Projekt schon in der ersten Runde ausgeschieden war. Das vermeintliche Wettbewerbsprojekt, mit dem er damals bei den Politikern antichambrieren ging, war modifiziert.

Holzbauer hatte aber auch keine Skrupel, den Auftrag für den Um- und Neubau des Linzer Hauptbahnhofs an sich zu reißen. Da hatte das siegreiche Büro Neumann & Steiner schon ein Jahr lang daran gearbeitet.

Vor diesem Hintergrund nimmt sich die Causa Kleines Festspielhaus umso problematischer aus. Na klar, ein Großmogul der Architektur wehrt sich gegen „Wadlbeißer“. Denn wer sind die denn schon, die da eine intelligentere, auch eine ökonomischere Lösung anzubieten hatten? Man kennt die Projekte offiziell ja nicht.

Aber wenn Holzbauer beeinsprucht, daß die Verfahrenssieger in ihrem „Lösungsvorschlag“ das Tabu Felsenreitschule antasten - dort würden in der einen von zwei Varianten 30 der schlechtesten Sitzplätze fallen -, dann kann man ihm immerhin entgegenhalten, daß sein Vorschlag bei einer geringeren Sitzplatzkapazität das Tabu Bühnenturm verletzt.

Nur: Darum geht es gar nicht. Es geht nicht um inhaltliche Qualitäten. Es geht um Prestige und um Geld. Und es geht darum, was die Beziehungen, die Freundschaften mit den „Machern“ in Salzburg für den Ernstfall bringen.

All das wäre schon schlimm genug - und für den Berufsstand der Architekten eigentlich katastrophal. Von außen betrachtet: Wie können Leute, die sich selbst für die Ausübung ihres Berufes gewisse Regeln auferlegt haben, so agieren?

Vielleicht aber ist alles ganz anders gelaufen. Streng theoretisch wäre doch auch folgendes - sagen wir - Nebenszenario denkbar: Es könnte sein, daß irgend jemand Holzbauer im Vorfeld des Verfahrens bedeutet hat, er werde den Salzburger Auftrag ohnehin bekommen, das gesamte Verfahren sei nur ein EU-notwendiges Alibiunternehmen.

Tja. Wenn einmal der Wurm drin ist . . . Und damit sind wir wieder bei den Viren. Womit wir es derzeit in der Architektur zu tun haben, das ist ein Krankheitsbild. Ein Berufsstand reibt sich selbst auf. Wo gehören die Architekten hin? In die Kategorie Unternehmer? Oder sind sie nicht doch auch Künstler? Man hat das Gefühl, sie wissen es selbst nicht mehr.

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