Artikel

Architekt zwischen Tradition und Moderne
Neue Zürcher Zeitung

Zum 100. Geburtstag von Hermann Henselmann

Die Architekturgeschichte der ehemaligen DDR ist über weite Strecken eine Geschichte ohne Namen. Von dieser Regel gibt es nur eine grosse Ausnahme: Hermann Henselmann (1905-1995). Er war so etwas wie der «Stararchitekt» der Deutschen Demokratischen Republik. Heute vor 100 Jahren wurde er in Rossla in Sachsen-Anhalt geboren.

3. Februar 2005 - Sonja Hildebrand
Am Ende seines Lebens erfuhr Hermann Henselmann Anerkennung aus Ost und West. In Ostberlin hatte der charismatische Schöpfer des neuen Gesichts der Hauptstadt der DDR schon seit den fünfziger Jahren eine für ostdeutsche Verhältnisse hohe Popularität genossen. Den «Durchbruch» im Westen brachte die postmoderne Begeisterung für die Stalinallee, die «Erste Strasse des Sozialismus» mit ihren formalen Anleihen bei Karl Friedrich Schinkel und anderen Heroen der Berliner Architekturgeschichte. Die an Stars gewöhnte westliche Welt störte es nicht, Henselmanns Namen mit dem ganzen Prachtboulevard zu verbinden, obwohl der am 3. Februar 1905 in Rossla in Sachsen-Anhalt geborene Architekt strenggenommen nur für die beiden Torplätze verantwortlich zeichnete.

Ein schillerndes Werk

Einer der Letzten im Kreis der westlichen Henselmann-Bewunderer war der vor wenigen Tagen verstorbene Philip Johnson, der mit dem deutschen Kollegen bei einem Berlin-Besuch kurz vor dessen 90. Geburtstag Freundschaft geschlossen hatte. Beide verband nicht nur persönliche Sympathie, sondern auch ein ähnlich schillerndes Werk. Doch anders als beim amerikanischen Freigeist war Henselmanns Wandelbarkeit immer wieder auch mit politischen Massgaben verbunden gewesen, was ihm entsprechende Vorwürfe eingetragen hat.

Am Anfang von Henselmanns beruflicher Tätigkeit steht ein in seinen äusseren Bedingungen für den «verhinderten Weltbürger» symptomatischer Bau. 1930 überliess der ungarische Filmarchitekt Alexander Ferenzy seinem jungen Mitarbeiter den Auftrag für die Villa Kenwin, welche der englische Drehbuchautor Kenneth MacPherson und dessen Ehefrau, die Psychoanalytikerin und Schriftstellerin Winifred Bryher, bei Montreux als Treffpunkt der internationalen Kunstavantgarde errichten wollten. Henselmann, der nach einer Tischlerlehre von 1923 bis 1926 an der Berliner Kunstgewerbeschule Architektur und Raumgestaltung studiert hatte, konzipierte eine Villa im Stil Le Corbusiers. Die ETH widmete dem kleinen Meisterwerk nach dessen Restaurierung 1989 eine Ausstellung, die Henselmann an der Seite von Alfred Roth besichtigten konnte.

Was auf die 1933 vollendete Villa am Genfersee folgte, war eine für Deutschland typische Geschichte: Henselmann bekam mit seiner modernen Architektur Probleme, fand aber ein Auskommen im Dienst des Landwirtschaftsministeriums sowie in Büros verschiedener Industriearchitekten. Seine eigentliche Karriere begann 1945. Unmittelbar nach Kriegsende beteiligte sich Henselmann in Gotha an der Gründung eines antifaschistischen Komitees und wurde bald darauf Kreisbaurat. Schon im Juli 1945 ging er als Direktor der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste nach Weimar. Die dort angestrebte Verbindung von Bauhaus-Tradition und Kommunismus stand auch nach seinem Wechsel 1949 an das damals von Hans Scharoun geleitete Berliner Institut für Bauwesen auf dem Programm.

Den Wendepunkt brachte 1950 das «Hochhaus an der Weberwiese». Das Gebäude war von der Staatsregierung als Prototyp für die Stalinallee gedacht, die den gebauten Triumph des «sozialistischen Realismus» über den «Formalismus» der westlichen Welt bilden sollte. Dementsprechend unter Beschuss geriet Henselmann für seinen zunächst präsentierten modernen Entwurf. Doch dann legte er innerhalb weniger Tage ein neues Projekt vor, das die geforderte Anbindung an die nationale Bautradition bot. «Bruder Leichtfuss» (wie ihn «Das Neue Deutschland» nannte) hatte wieder Fuss gefasst, wurde geistiger Vater der ab 1951 entstehenden Stalinallee, Direktor des Instituts für Theorie und Geschichte der Architektur an der Deutschen Bauakademie und 1953 Chefarchitekt von Berlin.

Vorboten des Wandels

Die «Läuterung» von 1950 blieb nicht die letzte Kehrtwendung Henselmanns. Die Rückkehr zur Moderne Ende der fünfziger Jahre mit den Entwürfen für den zweiten Bauabschnitt der Stalinallee und für einen sich 300 Meter in die Höhe schwingenden Fernsehturm als neues Wahrzeichen von Berlin waren indessen weniger Nachvollzug als Vorboten einer sich wandelnden staatlichen Baupolitik. Den gebauten Anschluss an die internationale Moderne brachte das zwischen 1961 und 1964 ausgeführte «Haus des Lehrers» am Alexanderplatz. Wenige Jahre nach Mies van der Rohes Seagram Building erhielt damit auch die DDR ihren ersten Stahlskelettbau mit Vorhangfassade. Die sozialistische Botschaft an das Volk transportierte ein geschosshohes Wandbild, das sich wie eine Bauchbinde um das Gebäude legt. Auf urbanistischem Gebiet konnte Henselmann seine neuen, an der internationalen Moderne orientierten Vorstellungen mit den «Wohnkurven» am Leninplatz (1968-70) zumindest teilweise verwirklichen.

Die letzten grossen Projekte Henselmanns boten gleichsam eine dialektische Synthese aus «realistischer» Architektur und moderner Tradition. Dies gilt vor allem für die Bildzeichen- Architektur des 1974 fertiggestellten Leipziger Universitätshochhauses in Gestalt eines aufgeschlagenen Buches und das Projekt gebliebene Haus der Wissenschaften, das wie ein gestrandetes Segelschiff am Rostocker Warnow-Ufer liegen sollte. «Ich habe vor, mich im Alter von hundert Jahren aus dem Berufsleben nach Rom zurückzuziehen. Willst Du nicht mitkommen?» Henselmann konnte auf Philip Johnsons Vorschlag in seiner Festschrift zum 90. Geburtstag nicht mehr reagieren. Er starb am 19. Januar 1995, wenige Tage bevor ihm das Buch offiziell überreicht werden sollte.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: