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Klangwolken aus Wasser, Stein und Stahl
Neue Zürcher Zeitung

Kugel oder Turm: Wie der Zeitgeist aus der Expo-Architektur klingt.

2. Juni 2002 - Elisabeth Schwind
Man soll das Motto einer Landes- oder Weltausstellung nicht überstrapazieren. Bedenkenswert ist aber, dass der «Klangturm», das klingende Wahrzeichen der Expo 02, ausgerechnet auf jener Arteplage seinen Standort gefunden hat, die unter dem Titel «Macht und Freiheit» firmiert. Taugt denn diese Klanginstallation, die sich nur behutsam ins Bewusstsein der Expo-Besucher tastet, als Machtsymbol? Oder taugt sie als rebellische Freiheitskämpferin? Auf den ersten Blick wohl kaum.

Zwar ragen die drei Türme am Bielersee, deren mittlerer eben jener «Klangturm» ist, wie eine industrielle Geste der Macht in die ländliche Kulisse. Doch es gehört zu den schönsten Momenten des Expo-Besuchs, wenn sich beim Gang über die Brücke und auf die Türme zu deren stählernes Silber als blosser Schein entpuppt - als textile Hülle, hinter der Gerüst und Gestänge sichtbar werden wie ein Schattenspiel. Da wird es plötzlich künstlerisch ergiebig, das Spannungsfeld zwischen Macht und Freiheit.

Und genau dort, zwischen freigesetzter Naturpoesie und deren hochtechnisierter Bezwingung, bewegt sich auch die akustische Erscheinung des Klangturms, für die der Klangarchitekt Andres Bosshard verantwortlich zeichnet. Das Glockengeläut aus der Ferne, den Wellenschlag des Sees oder das Tuten der Schiffe saugt er mittels Mikrophonen auf und spielt die Klänge bruchstückweise, elektronisch verfremdet und in lange Atemzüge gegliedert zurück in den Turm. Dazwischen liegt das klangumwandelnde «Gehirn» der tönenden Skulptur - mehrere Lap-tops, eingeschlossen in eine drei Meter über dem Boden schwebende «Regiekapsel» und gefüttert mit den langjährigen Erfahrungen im Umgang mit elektronischer Musik.

Bedient wird die Anlage von Klangregisseuren, welche die Umgebungsgeräusche live remixen. Öko-Deejaying sozusagen. Gelegentlich mischen sich auch die Klänge von Livemusikern darunter. Und sollte sich das Ergebnis von seinem naturalistischen Ausgangspunkt zu weit entfernen, gibt es immer noch das Leuchtschriftband, das darüber informiert, dass es die Wellen des Bielersees sind, die dank eines ausgeklügelt placierten Lautsprechersystems über unseren Köpfen rauschen. Denn Natur und Umwelt sind das eigentliche Event, die Technik hat dies nur zu inszenieren.


Fortschritt mit Technik

Ein Ort des Lauschens ist der Klangturm, der Sammlung und Besinnung. In dieser meditativen Grundhaltung ist er ein typisches Kind unserer Zeit. Nichts verdeutlicht das mehr als ein Blick auf die Klangarchitekturen einstiger Weltausstellungen.

Eine «Bilanz der Welt für eine menschlichere Welt» wollte die Expo 1958 in Brüssel ziehen. Im Philips-Konzern begann man von einer multimedialen Show unter einer kirchenartigen Kuppel zu träumen, wo das Potenzial der Philips-Produkte sinnfällig werden sollte. Niemand schien sich an der Idee zu stören, dass ein Tempel der Technik Utopien für eine «menschlichere Welt» aufzeigen sollte. Architektenstar Le Corbusier wurde mit dem Entwurf des Pavillons beauftragt, überliess dessen Konstruktion allerdings dem Multitalent Iannis Xenakis, der damals als Ingenieur in Le Corbusiers Büro beschäftigt war. Eine Kuppel baute Xenakis zwar nicht, mit einer zeltartig geschwungenen Architektur jedoch ein «Gesamtkunstwerk» ganz eigener Art: Er konstruierte den Bau nach dem Vorbild mathematischer Figuren, die er kurz zuvor auch in seiner Komposition «Metastaseis» für Orchester umgesetzt hatte. Goethes Wort von der Architektur als «versteinerter Musik» - hier hatte es Form angenommen.

Le Corbusier selbst konzentrierte sich auf die visuelle Seite des «Poème Electronique», wie sich die Multimediashow im Innern nannte, und der französisch-amerikanische Komponist Edgard Varèse steuerte dafür ein Tonband mit elektronischer Musik bei. Trotz der kathedralenartigen Wirkung des Rauminnern gab sich aber das «Poème Electronique» nicht ganz so ungebrochen technik- und fortschrittsgläubig wie vielleicht geplant. Le Corbusier projizierte ausser den Bildern hoch entwickelter Technologien auch solche vom Pilz der Atombombe oder von Konzentrationslagern an die Wände. Und Varèses Komposition aus elektronisch verfremdeten Klavier- und Schlagzeugklängen, Maschinengeräuschen und schliesslich Sirenen und Kanonenschüssen löste, obschon auch ihr ein apotheotischer Grundzug nicht abzusprechen ist, bei Philips schieres Entsetzen aus. Von einer harmonisierenden symphonischen Musik, wie man sie sich eigentlich vorgestellt hatte, keine Spur.

Die Wirkung des Poème Electronique muss allein auf Grund des Aufgebots an mehreren hundert Lautsprechern und der damals neuen stereophonen Technik, mit deren Hilfe Varèses Musik durch den Raum geschickt wurde, gigantisch gewesen sein. Angst, Beklemmung und Faszination waren die Reaktionen auf diese Show.
Fortschritt mit Meditation

Dann, 1970 in Osaka, schrieb man sich «Harmonie und Fortschritt» auf die Expo-Fahnen - so als bedürfe der Glaube an die Heilsgeschichte der Technik inzwischen einer relativierenden Ergänzung. Als Teil des deutschen Beitrags konstruierte Architekt Fritz Bornemann nach den Entwürfen des Komponisten Karlheinz Stockhausen ein «Kugelauditorium», eine Art musikalisches Planetarium von metallisch blauer Farbe. Im kuppelförmigen Innern erlaubten mehrere Ringe aus Lautsprechern Klangbewegungen, die das Publikum in allen Richtungen horizontal und vertikal umkreisten.

Stockhausen, einerseits ein Elektronik-Fetischist, andererseits gerade mit asiatischer Mystik und Meditation beschäftigt, muss in dem Kugelauditorium die Verwirklichung seiner esoterischen und zugleich an die moderne Technik gebundenen Musikanschauungen gefunden haben. Er pries die Konstruktion als «Notwendigkeit» heutiger Musik und schwärmte von der «musikalischen Raumfahrt», die mit diesem Auditorium endlich möglich geworden war. Hier sollten die Besucher «entspannt, zugleich konzentriert und zu sich versammelt werden». Harmonie und Fortschritt eben. Und offenbar funktionierte das auch. Jedenfalls sollen die täglichen, von Stockhausen selbst zusammen mit einigen Musikern besorgten Aufführungen seiner Werke als eine Oase der Ruhe im Expo-Rummel erlebt worden sein.

Vielleicht ist das Rückzugsangebot inzwischen generell eine Tendenz zumindest der klangkünstlerisch ambitionierten Expo-Beiträge. Auch der Klangturm von Biel spricht dafür, selbst wenn seine offene Konstruktion weniger im Rückzug als im Flanieren zu erleben ist. Besonders «kritisch» gibt er sich zwar nicht, doch lässt auch er einen gewissen künstlerischen Willen zum Gegenprojekt erkennen. Ein solcher manifestiert sich auf einer Expo naturgemäss als Wille zum Anti-Spektakel und zur Anti-Prahlerei. Wie beispielsweise in Peter Zumthors «Klangkörper», dem Schweizer Beitrag für die Expo 2000 in Hannover, der für den flanierenden Besucher als solcher überhaupt nur identifizierbar war, weil der Expo-Lageplan lehrte, dass an dieser Stelle nun einmal der Schweizer Pavillon stehe.

Tatsächlich war es ein konsequenter Anti-Pavillon - die Schweiz als hölzernes Labyrinth mit fünfzig Eingängen (etwas Utopie muss sein), das jedoch kein «Innen» und demzufolge auch kein Spektakel im Innern kannte und das anstatt auf Hightech auf reine Naturmaterialien setzte: auf Holz für die Architektur und auf Livemusiker mit akustischen Instrumenten wie Akkordeon und Hackbrett für den Klang, einer Art experimenteller Folklore.
Fortschritt mit Natur

Auch die Expo 02 hat ihr Anti-Spektakel - in Form beziehungsweise Unform der Wasserwolke von Yverdon. Sie darf betreten werden. Im Nebel ist buchstäblich nichts zu sehen, doch die feucht-kalte Erfahrung wird unterstrichen von einer mittels etlicher Lautsprecher installierten Soundkomposition des Elektronik-Künstlers Christian Marclay. Sie übersetzt die Architektur aus feinen Wassertröpfchen und Stahlgittern so geschickt ins Akustische, dass ihre Existenz möglicherweise gar nicht bis ins Bewusstsein mancher Expo-Besucher dringt. Eher suggestiv begleitet Marclays «Nebula» die Wolkenbegehung, und in dieser dezenten Einverleibung des Klangs in seine natürliche Umgebung ist sie Bosshards Klangturm verwandt. Beide erzeugen auf hochtechnisiertem Weg eine Art «zweite Natur», nur dass Marclay der Gefahr des Öko-Kitschs erfolgreich entgeht. Und beide Installationen wären passende Kandidatinnen für das Motto «Natur und Künstlichkeit» gewesen. Oder für «Augenblick und Ewigkeit». Wirklich wichtig ist das nicht - Mottos sind Schall und Rauch und noch vergänglicher als die Wolke in Yverdon. Denn die Erinnerung daran und an den Klangturm gibt das Gedächtnis so schnell nicht mehr her.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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